Eine unvergessliche Reise führte Spieler 2013 an der Seite der Protagonisten Joel und Ellie durch die Trümmer eines post-pandemischen Amerika. Seither gilt „The Last of Us“ als Meilenstein unter den Action Adventures. Weitergeführt wird er mit einem Rollenwechsel und einer Geschichte vom Erwachsenwerden. Ein klassisches Coming-of-Age-Drama? Mitnichten. Denn was Ellie in „Part II“ erlebt, ist eher ein erbarmungsloser Rachefeldzug. Ein weiteres Games-Highlight, nicht nur wegen der Musik des zweifachen Oscar-Preisträgers Gustavo Santaolalla.
The Last of Us Part II startet in einer Idylle inmitten einer Dystopie. Was konträr klingt, war bereits ein Merkmal des ersten Teils, den Studio Naughty Dog 2013 auf die PlayStation brachte. Dabei ist es gar nicht so einfach, die Schönheit inmitten der Zombie-Apokalypse zu betonen. Vor allem, wenn man die Spieler auf ein lebensgefährliches Abenteuer schickt.
The Last of Us wurde mit einer radikalen Wahl beschlossen. Das eigene Wohl stand im krassen Gegensatz zu dem der Allgemeinheit, und Protagonist Joel nahm sich heraus, stellvertretend für alle zu entscheiden: Er rettete sein Mündel Ellie vor tödlichen medizinischen Tests, die einen Impfstoff gegen die grassierende Zombie-Seuche hätten hervorbringen sollen. An diesem Punkt knüpft Part II an. Fünf Jahre sind vergangen. Joel und Ellie haben sich in der Stadt Jackson niedergelassen und leben unter anderem mit Joels Bruder Tommy und dessen Frau ein ruhiges Leben. So ruhig, wie es eben geht. Das Gebiet muss natürlich vor Infizierten gesichert werden. Denn obwohl das Dasein hinter den schützenden Mauern normal erscheint, tobt außerhalb der Kampf gegen den nicht besiegten Auslöser der Pandemie, einen Pilz und seine Sporen, die Menschen zu kannibalischen Untoten mutieren lassen. Auch andere Gruppen trifft dieses Schicksal. Während die einen sich militärisch organisiert haben, schließen sich andere einem Kult an. Letztendlich wollen alle nur überleben. Wie bedeutend die Entscheidungen der Vergangenheit dabei sind, wird Ellie bald herausfinden.
Der Wechsel vom bärtigen Schmuggler zur rebellischen Teenagerin verläuft dabei leichter, als auf den ersten Blick zu erwarten. Während man Ellie im ersten Teil um jeden Preis beschützen wollte, sieht man die Welt nun aus ihrer Sicht und erlebt dabei allerlei Hürden des Heranwachsens. Sie zeigt sich dabei als Paradebeispiel einer schlecht gelaunten 19-Jährigen. Und da sie bei Brummbär Joel in die Lehre gegangen ist, ändert sich für den Spieler bis auf das Geschlecht des Hauptcharakters erstmal nicht viel.
Im Laufe des Spiels können verschiedene Schusswaffen gefunden und durch das Sammeln mechanischer Teilchen aufgerüstet werden. Fähigkeiten wie höhere Ausdauer oder Geschwindigkeit beim Heranschleichen erwirbt man durch Medikamenten-Dosen. Beides liegt verborgen auf dem Weg durchs Niemandsland – genaues Erkunden zahlt sich aus! Neue Handbücher eröffnen weitere Kategorien zum Aufbessern. Hinzu kommen das Bauen von durchschlagenden Hilfsmitteln wie Molotow-Cocktails, modifizierte Baseballschläger und der angepasste Nahkampf. Durch besseres Ausweichen ist es etwa möglich, die Gefechte noch dynamischer zu gestalten. Schalldämpfer sorgen in Ergänzung zur bereits bekannten Kombination aus Pfeil und Bogen für zusätzliche Lautlos-Optionen. Neben dem direkten Kampf wird also auch der Geheimfaktor betont. Sicher ist es möglich, wie Rambo durch die Schauplätze Seattle und Washington zu toben. Doch manchmal lohnt es sich, lieber Vorsicht walten zu lassen – auch zum Schutz der doch begrenzten Munition.
Denn was ebenfalls zugenommen hat, sind die Gegner. Nicht nur nominal, sondern auch was ihre Gestalt angeht. Clicker, bereits vom Pilz befallene, deformierte und blinde Untote, die man lieber hinterrücks zur Strecke bringen sollte, und Runner, eher frisch Infizierte, die alles daransetzen, einen auch mit entsprechender Geräuschkulisse zu erwischen, waren bisher die Regel. Dazu kamen Blooper, riesige aufgedunsene Brocken, die zu allem Überfluss auch noch mit verseuchten Geschossen werfen. Zu ihnen gesellen sich in The Last of Us Part II neue Formen. Auch wenn die Kämpfe einem meist nicht zu viele Arten auf einmal aufbürden, muss man doch schauen, wie man die verschiedenen Gegner taktisch verbindet. Die Einführung der neuen Kreaturen geschieht dabei vollkommen symbiotisch – sie lauern an Wegen, die man gehen muss, verstecken sich oder sind so in die Umgebung eingebunden, dass man geradezu über sie stolpert. TLOU 2 mag kein explizites Horrorgame sein. Aber in manchen Situationen schlägt der Gruselpegel doch aus. Wenn gar nichts hilft, ist Flucht die einzige Lösung. Diese Passagen werden im Verlauf ohne weitere Hinweise deutlich und am besten ohne großes Augenmerk auf Sammelgegenstände und Umgebung absolviert.
Unwohlsein lösen nicht nur die verformten Körper der vom Pilz befallenen Untoten aus. Auch der typische Gewissenskonflikt, wenn die Lebenden einander gegenseitig in Hinterhalte locken, wird abgehandelt. Dabei zeigt sich eine Hürde, die in Part I nicht gegeben war: Lebendige Widersacher und noch nicht lang Infizierte werden durch Namensgebung oder individuelle Synchronisation zu authentischeren Geschöpfen. Der Grat zwischen dem brüllenden Zombiemonster und einem Menschen, der einer Krankheit anheimfällt, wird so schmaler und sorgt für eine zusätzliche Hemmschwelle inklusive langer Minuten im Lauschmodus, wenn man sich zum nächsten Angriff durchringt. Darüber hinaus interagieren die Non-Player-Characters auch miteinander. Jemand antwortet plötzlich nicht mehr? Dann muss etwas passiert sein! Das Zusammenspiel bezieht sich dabei nicht nur auf Menschen, sondern zusätzlich auf ihre tierischen Begleiter. Hunde sind eine neue Schwierigkeit in Schleichpassagen, denn sie können Fährten aufnehmen und einen gezielter ausmachen als ihre Besitzer. Auch wenn die Künstliche Intelligenz der Figuren nach wie vor eher leicht zu überlisten ist, zeigt sich hier eine deutliche Evolution.
Die Animationen sind auch in rasanten Kämpfen flüssig und grausig detailreich. Ellies Kommentare dazu machen es nicht angenehmer. Sie ist ein Teenie inmitten einer zerstörten Welt – ihre Reaktion auf „Erfolge“ im Kampf zeigt die Unwirklichkeit dieser Zeit. Doch auch sie kommt als scheinbar knallharte Rächerin an ihre Grenzen. Es gibt mehrere Momente, in denen nicht nur den Spielern die Hände zittern. Ihnen obliegen keine Entscheidungen, und so tragen sie Ellies Aktionen zwangsweise mit. Die Wucht der Grafik packt einen auch in den Punkten Mimik und Gestik. Die Spiegelsynapsen haben in den qualitativ hochwertigen Cutscenes einiges zu tun. Einen Beitrag dazu leistet die gute Synchronisation, auch bei der deutschen Sprachausgabe.
Als Action Adventure verbindet The Last of Us Part II die Erkundungen in der Spielwelt wie gewohnt mit Third-Person-Shooter-Elementen. Angenehmerweise meldet sich Ellie, wenn die Gefahr gebannt ist und man sich wieder ungestört umsehen kann. Die Liebe zum Detail weckt in den verschiedenen Häusern und Läden dabei den Wunsch, so viel wie möglich zu sehen – von überwucherten Bürogebäuden über schwindelerregende Wolkenkratzer bis hin zu pilzbefallenen Kellerräumen. Schnee auf Tannenzweigen oder das Laufen in Gewässern zeigen, wie viel Aufmerksamkeit einer authentischen Umgebung geschenkt wurde. Garniert wird die ansprechende Optik noch mit Glanzmomenten wie schönen Lichtspielereien, die zum ausgiebigen Probieren des Fotomodus einladen. Um in den Ruinen der Zivilisation voranzukommen, wird geklettert, geschwommen, getaucht. Manchmal sind nahegelegene Glasscheiben ein guter Ansatzpunkt, um Geheimnisse oder neue Pfade zu entdecken. Oder des Rätsels Lösung liegt in einem Seil, das man sich zurechtrücken und damit einen neuen Weg ebnen kann. Diverse Notizen offenbaren nicht nur Safe-Kombinationen, sondern auch Hintergrundgeschichten. Je mehr man sucht, desto mehr von ihnen kann man weiterverfolgen. Etwa wenn eine schwangere Frau darum bangt, dass ihr Mann nicht zurückkommt, und man später in einem anderen Gebäude einen Brief an sie findet. Oder wenn man in einen Raum kommt und durch die Details geradezu vor sich sieht, was demjenigen dort zugestoßen ist. Safes können tatsächlich auch durchs Hören allein geknackt werden. Die Hinweise machen es einem aber um einiges leichter. Auch Sammelquests sind natürlich mit von der Partie. Es geht um Superhelden-Karten und Münzen, aber auch um Sondergegenstände wie kleine Statuetten. Warum man diese drehen und so genau ansehen kann, ohne dass dadurch etwas passiert, kommt nicht wirklich raus. Aber Trophäenjäger sollten auf Figürchen und Co. nicht verzichten.
Um zwischendurch zu entschleunigen, gibt es vor allem zwei Features, die Spielern eine kleine Pause gönnen. Ellie nutzt jede Chance, ihr Gitarrenspiel zu verbessern und eröffnet einem nach dem Ende der Pflichtsequenz die Möglichkeit, nochmals zum Instrument zu greifen und digital Songs zu spielen. Zudem führt sie auch ein äußerst kreatives Tagebuch, in das sie bestimmte Situationen einfließen lässt, die ihr auf dem Weg begegnen.
Eingebettet ist man dabei wieder in ein äußerst gelungenes postapokalyptisches Setting. Die Dialoge mit anderen Figuren sind wohldosiert und können auf Wunsch durch optionale Gespräche ergänzt werden. Zwar kommt es vor, dass die Begleiter einem im Weg stehen, wie es schon bei Part I öfter der Fall war, oder sie kommen plötzlich aus Richtungen, die nicht ganz logisch sind. Insgesamt ist es aber eine angenehme Zusammenarbeit. Wer sich verloren fühlt, bekommt nach einiger Zeit automatisch Hinweise – übrigens in großzügigem zeitlichem Abstand und nur, wenn man möchte, denn fast alle Anmerkungen lassen sich abschalten und die Schwierigkeiten für verschiedene Bereiche des Spiels individuell anpassen. Die Areale sind zwar nicht ausufernd groß, allerdings schafft es das Leveldesign, beinahe eine Open World zu suggerieren. Vor allem die Details bei den zahlreichen Schauplätzen tragen dazu bei. Es gelingt fast durchgehend, das Gesehene nicht generisch wirken zu lassen. Wiederverwertungen wie das Innere der Schubladen oder die Überreste eines Patienten, der Spielern im Krankenhaus gleich drei Mal in gleiche Position begegnet, sind dabei minimale Schönheitsfehler.
Während Ellie in der Gegenwart auf die Jagd geht, erlebt sie in der Vergangenheit einige Momente mit Ersatzpapa Joel. Die beiden erkunden die Umgebung oder besuchen liebevoll gestaltete Museen, bei denen einen erneut der Entdeckergeist packt. Sie sind kleine Oasen inmitten von Kämpfen und Schleichpassagen und treiben außerdem die Charakterentwicklung voran, die durch den Zeitsprung für den Spieler eigentlich nicht ersichtlich ist. Ihre Beziehung hat sich verändert, das spürt man. Wirkte Ellie im ersten Teil mehr wie ein Tochterersatz, scheint im zweiten mehr als der Beginn der Pubertät passiert zu sein, das sie auseinanderbringt. Wer Part I gespielt hat, ahnt natürlich, was dahintersteckt. Was damals passierte, hat viele Opfer gefordert. Welche Konsequenzen das hat, wird durch die Einführung einer weiteren Protagonistin klar. Abby ist eine ehemalige Firefly, also Mitglied der Organisation, die die medizinischen Tests anstrebte, und Soldatin bei der Washington Liberation Front, kurz den Wolves. Nach der Flucht von Joel und Ellie hat sie Rache geschworen. Denn ihre Sicht der Dinge ist eine andere.
Das Wort Gerechtigkeit hat bei The Last of Us II eher die Bedeutung von Selbstjustiz. Dies ist keine Kritik an der Moral der Geschichte, sondern zeigt einfach, wie nah das Verständnis von einem Ausgleich der Dinge und schierer Rache sich eigentlich sind. Der Perspektivwechsel eröffnet Facetten, die man ohne Abby nicht erleben würde. Wer bemerkt, wie sich das Unwohlsein, die Gegnerin zu spielen, langsam in den Wunsch verwandelt, sie an ihr Ziel zu bringen, versteht, dass das Böse hier viele Gesichter hat. Wege, die Ellie gegangen ist, sehen Spieler auch aus Abbys Sicht. Dadurch werden die Verbindungen noch deutlicher. Alle Figuren werden von etwas angetrieben: Infizierte folgen ihren Instinkten, die Menschen ihrem Drang zu überleben und ihre Lieben zu beschützen. Doch zu welchem Preis? Moralisch hat jede Sichtweise ihre Berechtigung – auch wenn man sie selbst nicht gutheißt.
Seien wir ehrlich: Joel ist keine Lichtgestalt. Ellie ist es nicht. Abby ebenso wenig. Aber das macht die Protagonisten realistischer, nahbarer. Neil Druckmann und sein Team schaffen es, in The Last of Us Part II Konflikte offenzulegen, ohne die Spieler dabei auf eine Seite zu ziehen. Im Mittelpunkt stehen zwei starke Frauen, die in ihrer Diversität und mit ihren individuellen Hintergründen zeigen, dass es nicht nur eine Version der Geschichte gibt. Die vielen Feindbilder fügen sich zu einer Collage aus verzweifelten Menschen zusammen. Wenn der Showdown anbricht, hatte man mit über 30 Stunden Spielzeit einige Gelegenheiten, nachzudenken. Dass einem Tage und sogar Wochen später immer noch Momente des Spiels in den Sinn kommen, zeigt, was für eine Leistung hier erbracht wurde. Erbarmungslos und alles andere als konfliktscheu – das ist The Last of Us Part II.