Damiano Damiani zum 100. Geburtstag am 23. Juli.
Meine damalige italienische Freundin hatte mich, bevor es überhaupt losging, mit Lobeshymen auf die Fernsehserie Allein gegen die Mafia hingewiesen, die im Original den schönen Titel La Piovrà (Der Krake) trägt. Und in der Tat: Die erste Staffel, ab dem 6. Mai 1984 im ZDF ausgestrahlt, schlug ein wie eine Bombe. Über 15 Millionen Zuschauer, noch mehr als in Italien zwei Monate zuvor, schalteten an sechs Sonntagabenden für eine Stunde ein, und auch ich war begeistert, von der authentischen Handlung, der packenden Inszenierung, der tollen Musik von Ennio Morricone und den beiden Hauptdarstellern, nämlich Michele Placido als cooler Commissario Corrado Catani und der aufregenden Barbara De Rossi als Contessa mit dem schönen Namen Raffaella „Titti“ Pecci Scialoia. Ihre langen Haare waren zumeist ungekämmt, häufig lief sie – trotz ihres adeligen Titels – in knackigen Jeans herum. Eine Schwärmerei, die ich bis heute, fast vierzig Jahre später, nicht vergessen habe. La Piovrà/Allein gegen die Mafia zeigt, wie sich die Mafia wie eine Krake im ganz normalen Alltagsleben der Sizilianer breit macht und dabei auf Denunziation und Verrat in staatlichen Einrichtungen setzt. Corrado Catani ist ein ehrgeiziger Polizist aus Mailand, der in Trapani auf Sizilien die Nachfolge des ermordeten Polizeichefs antreten soll. Er verfolgt die Spuren der Mafia bis hin zur Regierung in Rom, scheitert aber am Schluss. Die dramatische Liebesgeschichte mit Titti verdeutlicht, dass Catani als strenger Moralist seinen eigenen Ansprüchen im Privatleben nicht gerecht wird. Er ist ein zwiespältiger Held, und das macht ihn so interessant.
Realismus und Politik
Durch La Piovrà lernte ich auch den Regisseur Damiano Damiani kennen, der allerdings nur die erste von zehn Staffeln verantwortete. Zusammen mit Francesco Rosi, Elio Petri und einigen anderen zählt er zu den Realisten des italienischen Kinos, die – deutlich in der Tradition des Neorealismus stehend – seit Beginn der sechziger Jahre die zeitgenössische italienische Gesellschaft aufmerksam beobachteten und die Ereignisse im Italien der Nachkriegszeit ungeschönt dokumentierten. Darüber hinaus setzten sie sich mit den Problemen des Mezzogiorno auseinander und analysierten kritisch die Machtverhältnisse – nicht zu vergessen ihre Beschäftigung mit der Mafia. Was Damiani von Rosi und Petri unterscheidet: Seine politischen Analysen inszeniert er mit den Mitteln des kommerziellen Actionfilms à la Hollywood, und trotzdem gelingt es ihm immer wieder, Macht- und Gewaltverhältnisse erkenntnisreich zu sezieren. „Sein Stil war reißerischer, aber nicht vulgärer. Damiani, der meist auch Ko-Autor seiner Filme war, interessierte sich jedoch stärker für Spannungsdramaturgie, die kunstfertige Konstruktion der Aussichtslosigkeit. Beharrlich erkundete er die Topografie des Sumpfes, der sich nicht trockenlegen lässt. Die Allianzen der Bösen sind bei ihm flexibel, ein Bauernopfer ist rasch gefunden. Nicht immer ist derjenige der Täter, von dem man es sich wünscht“, formulierte Gerhard Midding in
einem Nachruf.
Bei Damiani reicht die Beschäftigung mit der Mafia schon lange zurück, bis in die sechziger Jahre. Il giorno della civetta (Der Tag der Eule, 1968), der auf den gleichnamigen Roman von Leonardo Sciascia zurückgeht, erzählt die Geschichte eines Offiziers der Carabinieri, der vergeblich gegen die Mafia anzukämpfen versucht. Am Schluss ist ihre Macht ungebrochen. Von da an setzt sich Damiani vorwiegend mit dem organisierten Verbrechen auseinander. Er interessiert sich dabei nicht so sehr für die Folklore und die Einwohner Siziliens, sondern für die Verflechtung der Mafia mit der politischen Macht, der Rechtsprechung und der Administration. Korruption, Gewalt und Verschwiegenheit sind durchgehende Themen in den Filmen Damianis. Der allgegenwärtigen Mafia steht der Einzelne mit Hilflosigkeit und Resignation gegenüber, das ist die Verbindung zu La Piovrà, der die Vergeblichkeit des Kampfes schon im deutschen Titel trägt. Damianis folgende Filme erzählen häufig ähnliche Geschichten und kehren an schon bekannte Orte zurück, wie etwa Confessioni di un commissario di polizia al procuratore della repubblica (Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert) von 1971. Es geht um ein Korruptionsgeflecht zwischen der Bauindustrie und Kommunalpolitikern, Verwaltung und Justiz sowie den Kampf dagegen. Einem Polizeikommissar gelingt es nicht, einen verbrecherischen Bauunternehmer dingfest zu machen. Während der Staatsanwalt stur dem Gesetz folgt, greift der Polizist schließlich zu illegalen Mitteln, er begeht sogar einen Mord. Das ist schon paradox: Der Kommissar muss kriminell werden, um seine Funktion zu erfüllen, während der legal handelnde Staatsanwalt nichts erreicht. Das System ist zu korrupt, um es mit gutem Willen zu bekämpfen. Damiani hat seinen Film geschickt konstruiert, mit erzählerischem Rhythmus und viel Suspense treibt er die Handlung voran, ganz in der Tradition des französischen und amerikanischen Kriminalfilms. Er deckt die politischen und ökonomischen Interessen, die hinter der Mafia stehen, auf und entlarvt die öffentlichen Gewalten als unfähig. Oder unwillig.
In allen Genres zu Hause
L’istruttoria è chiusa: dimentichi (Das Verfahren ist eingestellt: Vergessen Sie’s!, 1971) hingegen zeigt ungeschönt die Realität eines italienischen Gefängnisses, in dem sich die Machtstrukturen der Gesellschaft pars pro toto widerspiegeln. Ein Architekt, unschuldig in Untersuchungshaft geraten, wird im Gefängnis Zeuge eines Mordes, sagt aber nichts, um seine Entlassung nicht zu gefährden. Er passt sich der Korruption an und verdrängt seine Erlebnisse. Damiani thematisiert hier erneut die unkontrollierte Macht und die totale Unterwerfung ihr gegenüber. Mit Girolimoni il mostro di Roma (Girolimoni, das Ungeheuer von Rom, 1972) geht Damiani weiter zurück in die Geschichte, in das Italien der 1920er-Jahre. Der Film schildert den Fall eines Mannes, der ein Mädchen vergewaltigt und tötet, dann aber ungeschoren davon kommt. Darum besteht Mussolini auf einem Sündenbock: dem Fotografen Girolimoni. Dem Film gelingt es bravourös, das soziale Klima der ersten Jahre des Faschismus einzufangen und ein beklemmendes Gesamtbild dieser Zeit zu zeigen, wieder kritisiert Damiani Korruption und Machtmissbrauch. Perché si uccide un magistrato? (Warum musste Staatsanwalt Traini sterben?, 1974) ist ein politischer Krimi um einen Filmregisseur, der die politischen Zusammenhänge in einer Stadt aufdeckt und damit einen Skandal auslöst. Unschuldige kommen ins Gefängnis, Zeugen werden getötet. Der Film überzeugt mit etlichen eindrucksvollen Szenen und scharf akzentuierten Dialogen. „Denken Sie daran“, sagt der Regisseur-im-Film einmal, „dass man die Wahrheit nur Mitwissern verrät“. „Hat man je in einem Mafiafilm einen triftigeren Dialog über das Gesetz des Schweigens gehört?“ gibt Gerhard Midding zu bedenken.
Damiani, am 23. Juli 1922 in Pasiano bei Udine geboren, ist zunächst Kunststudent an der Accademia di Belle Arti in Mailand. Noch während seiner Studienzeit beginnt er Dokumentarfilme zu drehen und erstellt in zehn Jahren ungefähr 30 Dokus, bevor er Mitte der fünfziger Jahre Drehbuchautor und Regieassistent wird. 1960 debütiert er mit Il rosseto (Unschuld im Kreuzverhör), einem Kriminalfilm, 1961 folgt Il sicario (Das bittere Leben), in dem ein Bauunternehmer einen Gläubiger beseitigt. Natürlich hat Damiani nicht nur Mafia-Filme gedreht, sondern auch Dramen, Western und Komödien. La rimpatria (Wiedersehen für eine Nacht, 1963) zum Beispiel erzählt die Geschichte von fünf Jugendfreunden, die einander nach 20 Jahren wiedersehen und nun versuchen, dort anzuknüpfen, wo sie aufgehört haben. Sie wollen die inzwischen vergangene Zeit vergessen, müssen aber einsehen, dass sie die Distanz nicht überbrücken können und nichts mehr gemeinsam haben. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. La noia (Die Nackte), im gleichen Jahr entstanden, ist die etwas missglückte Verfilmung des gleichnamigen Romans von Alberto Moravia, die sich nur auf die Liebesgeschichte zwischen den beiden Protagonisten konzentriert. Es fiel leider auf, dass der deutsche Star Horst Buchholz irgendwie nicht der Richtige war, um die Verzweiflung und den Lebensüberdruss des Mannes zu verkörpern.
Mit Quien sabe? (Töte Amigo, 1966) – angeblich einer der Filme, die Rainer Werner Fassbinder bewogen haben sollen, Regisseur zu werden – inszeniert Damiani einen erfolgreichen Revolutionswestern, der den Rahmen des Genres sprengt und seine ideologischen Möglichkeiten auslotet: Der Film ließ sich als Allegorie auf den Vietnamkrieg lesen und löste eine Reihe von politischen Italowestern aus. Es geht während der Revolution in Mexiko um die ungewöhnliche Freundschaft zwischen einem einheimischen Rebellenführer und einem amerikanischen Söldner, die allerdings, wegen des hohen Kopfgeldes auf den General, auf eine harte Probe gestellt wird. „Was Damianis Film von gewöhnlichen Killer-Stories der harten italienischen Western-Welle unterscheidet, ist der sozialkritische Aspekt. Die Exzesse einer blindwütigen Revolution werden ebenso ungeschminkt dargestellt wie Erbarmungslosigkeit einer auf Flintenläufen aufgebauten Gewaltherrschaft“, konstatierte der „Filmdienst“ damals zum Kinostart auf seine unnachahmliche Weise.
Auch Un genio, due compari, un pollo (Nobody ist der Größte, 1975) ist ein Italowestern, bietet aber, mit Terence Hill in der Hauptrolle, „nur“ Unterhaltung. Nach Io ho paura (Ich habe Angst, 1977), der sich mit dem Terrorismus in Italien beschäftigt, und dem Spionagethriller Goodbye & Amen entsteht 1979 Un uomo in ginocchio (Ein Mann auf den Knien), die Geschichte eines Mannes, der nach einer kurzen Gefängnisstrafe ein ehrliches Leben führen will und in Palermo einen Getränkekiosk eröffnet. Ein Gegenstand aus seinem Laden wird zu einem Beweisstück in einer Entführung. Die Mafia will daraufhin den Beweis und den Mitwisser vernichten.
Da ist sie wieder, die Beschäftigung mit dem organisierten Verbrechen, die sich auch noch in späteren Filmen wie Pizza Connection (1985) wiederfindet. Hier kehrt ein New Yorker Mafia-Killer italienischer Abstammung nach Palermo zurück, um einen Richter zu töten. Damiani schlägt so die Brücke zu seinen Anfängen, zu Il giorno della civetta. Die Mafia hat ihn nie losgelassen, ebenso wenig wie der menschenverachtende Terrorismus und die korrupte Justiz. So hat er über drei Jahrzehnte die Geschichte Italiens nachgezeichnet. Am 7. März 2013 starb Damiano Damiani im Alter von 90 Jahren. Seine Filme jedoch sind ungebrochen aktuell.