Filmkritik

Gemma Bovery

| Oliver Stangl |
Triebstau in der Normandie

Ich fühlte den Geschmack des Arsens auf meiner Zunge“: So brachte Gustave Flaubert die fünf Jahre währende Arbeit an seinem literarisch revolutionären, zur Zeit des Erscheinens als unsittlich gebrandmarkten Roman „Madame Bovary“ (1857) auf den Punkt. Ein Kraftakt, der zur Identifikation mit der Hauptfigur führte, die an der Banalität ihres Lebens, ihres Bewusstseins und ihrer Umgebung tragisch zugrunde geht. Nachdem das Werk mehrmals verfilmt wurde, u.a. von Renoir und Chabrol, diente es 1999 der Britin Posy Simmonds als Inspiration für ihre Graphic Novel „Gemma Bovery“, die sich dem Stoff über mehrere Ecken nähert.

Anne Fontaines Adaption folgt im Wesentlichen der Handlung der Graphic Novel: Das frisch verheiratete Ehepaar Gemma und Charlie Bovery hat genug vom Stadtleben in London und zieht in ein Dorf in der Normandie. Ihr Nachbar ist der nach langjähriger Ehe sexuell frustrierte, verhinderte Bohemien und Bäcker Martin. Diesem wird die attraktive Britin, deren Namensähnlichkeit mit Flauberts Heldin ihn fasziniert, zur Obsession, nicht nur in erotischer Hinsicht. Denn als Eheprobleme der Boverys evident werden und Gemma eine Affäre mit einem jungen Adeligen beginnt, ist Martin davon überzeugt, dass das Leben die Kunst imitiert und alles, wie bei Flaubert, tragisch enden wird …

Fontaine und Ko-Drehbuchautor Pascal Bonitzer haben die multiperspektivische Erzählweise der Graphic Novel vereinfacht: Über weite Strecken steht Martin, der sich gern als Regisseur im Leben der von ihm beobachteten Nachbarn sieht, im Mittelpunkt (auch wenn Gemmas Tagebuch als Leitfaden dient und die Schlusswendung aus mehreren Perspektiven erzählt wird). Die bösen, satirischen Elemente (bei Simmonds sind im Grunde alle Figuren unsympathische Idioten) wurden eingedampft und haben sich vor allem hinsichtlich der britisch-französischen Kulturunterschiede erhalten.

Dass Gemma Arterton nach Tamara Drewe (2010) zum zweiten Mal die von Männern begehrte Hauptfigur in einer Simmonds-Adaption spielt und diesmal gar den Vornamen der Protagonistin teilt, könnte man auf der Metaebene als feministische Reflexion über die Rolle der Frau als Sexualobjekt sehen. Doch erzählt der Film, der die Normandie gefällig mit Handkamera einfängt, seine Geschichte zu beiläufig, als dass das vorhandene Potenzial über das Verhältnis von Leben und Kunst wirklich ausgeschöpft würde. Immerhin ist das alles kurzweilig, hat nette Pointen und ist gut gespielt.