Miloš Forman unternimmt mit „Goya’s Ghosts“ wieder einmal eine recht freie biografische Annäherung an eine historische Persönlichkeit.
Es ist eine finstere Zeit im Spanien des Jahres 1792. Die Ideen und Ideale der Aufklärung, die in Europa allseits um sich greifen, haben wenig Platz in einem Land, in dem die Inquisition immer noch selbst harmlose Verstöße gegen den vermeintlich rechten Glauben mit aller Härte verfolgt. Ein Mann wie Francisco Goya, Hofmaler des Königs, hat es schon aufgrund seiner Reputation ein wenig leichter im Umgang mit der spanischen Außenstelle der Glaubenskongregation. Und wenn man, wie Goya, auch noch ein gutes persönliches Verhältnis zu Pater Lorenzo, einem der striktesten Mitglieder des Inquisitionstribunals pflegt, kann man es sich sogar erlauben, ungestraft Grafiken und Stiche mit kritisch-realistischen Motiven zu verbreiten. Als Ines, Modell und Muse des berühmten Malers, in die Fänge der Inquisition gerät, ist Goya zu Anfang noch der festen Überzeugung, zu Gunsten des Mädchens vermittelnd eingreifen zu können. Doch der Künstler stößt rasch an die Grenzen seines Einflusses und bekommt die Macht der Glaubenswächter zu spüren.
Klassisches Hollywood
Vor diesem Szenario rückt Miloš Forman mit dem auch als „Prophet der Moderne“ apostrophierten Maler Francisco Goya (1746–1828) wieder eine historische Persönlichkeit in den dramaturgischen Mittelpunkt seines neuen Films. Forman, 1932 geboren und Absolvent der renommierten Prager Filmschule FAMU, erfuhr bereits mit seinen noch in der CSSR entstandenen Regiearbeiten (Die Liebe einer Blondine, 1965) internationale Anerkennung. Als er nach der Niederschlagung der Reformbewegung des Prager Frühlings zusehends in Konflikt mit dem kommunistischen Regime geriet, emigrierte er Anfang der 70er Jahre in die USA, wo er sich nach dem weltweiten Erfolg seines gesellschafts- und psychiatriekritischen Dramas One Flew Over The Cuckoo’s Nest (1975) als feste Regiegröße etablierte. Literaturverfilmungen wie Ragtime (1981) und Valmont (1989), vor allem aber Filme wie Amadeus (1984), The People vs. Larry Flynt (1996) und Man On The Moon (1999), die sich mit historischen oder zeitgenössischen Persönlichkeiten auseinandersetzten, brachten Forman den Ruf eines Regisseurs ein, der in seinen Auseinandersetzungen mit ernsthaften, „erwachsenen“ Stoffen die Traditionen des europäischen und US-amerikanischen Films gekonnt zu verbinden versteht – eine Beurteilung, die man bei näherer Betrachtung von Formans Werk nicht bedingungslos nachvollziehen kann. Denn stilistisch und formal war Miloš Forman sehr bald im US-Kino angekommen, bediente sich dabei aber vor allem der Traditionen des klassischen Hollywood.
In seinem Buch The Classical Hollywood Cinema schreibt David Bordwell, „that the classical films typically present historical events as uncaused; (…) thus the classical film makes history unknowable apart from its effect upon individual characters”. Das trifft in beträchtlichem Ausmaß auch auf Miloš Formans Inszenierungen zu, sind doch seine Filme keine herkömmlichen Künstlerporträts oder Bio-Pics, die entlang historischer Fakten oder biografischer Daten operieren, sondern vielmehr fiktionale, dramatisierte Interpretationen (zeit-)geschichtlicher Personen, wobei historisch verbriefte Ereignisse lediglich als Markierungen entlang der nach dem Muster klassischer Hollywood-Dramaturgie aufgebauten Handlungsstränge dienen. Die Episode um Goyas Druckgrafiken etwa, die seinerzeit tatsächlich beträchtliche Popularität erlangten, dient Forman primär dazu, die beiden Antagonisten und deren Konflikt zu etablieren. Francisco Goya (Stellan Skarsgård), der sich zunächst nur einem künstlerischen Schaffen verpflichtet fühlt, und Lorenzo (Javier Bardem), ein im Grunde skrupelloser Karrierist, der seinen fanatischen Eifer zielgerichtet für die eigene Laufbahn einzusetzen weiß, werden, obwohl zunächst einander durchaus respektvoll begegnend, im Verlauf des Films wiederholt aufeinanderprallen. Zwischen den beiden Männern steht Ines (Natalie Portman), Goyas Modell. Während Goya für das Mädchen nach und nach eine Art väterliches Verantwortungsgefühl entwickelt, wird sie für den Machtmenschen Lorenzo bald zum Objekt der (verbotenen) Begierde. Womit die klassische Konfliktsituation dramaturgisch hinreichend etabliert ist.
Miloš Forman ist zunächst ein exzellenter Geschichtenerzähler. Seine Arbeiten lassen sich ziemlich genau mit einem Satz von Fred Zinnemann, einem der renommiertesten Regisseure des klassischen Hollywoodkinos, charakterisieren, der über seine Filme meinte, er habe „in erster Linie gute Geschichten erzählen wollen und im Idealfall auch ein Stückchen Wahrheit dabei gefunden“. Dass bei Forman die narrative Ebene Priorität hat, manifestiert sich im weiteren Verlauf von Goya’s Ghosts deutlich. Die Besetzung Spaniens durch die Truppen Napoleons bildet vor allem den Rahmen, um den erzählerischen Faden weiterspinnen zu können und den Konflikt der Protagonisten nach sechzehn Jahren wieder aufleben zu lassen. Lorenzo, bei der Inquisition in Ungnade gefallen und selbst geflüchtet, kehrt nun als Besatzer und glühender Verfechter der Ideale der Französischen Revolution zurück. Ines wird aus dem Kerker befreit, wendet sich bei der Suche nach ihrer Tochter, Resultat einer Vergewaltigung durch Lorenzo während ihrer Haft, an Goya, der dabei wiederum an den in französischen Diensten stehenden Lorenzo gerät. Diese klassisch aufgebaute Handlungskette treibt den Grundkonflikt zwischen den Charakteren bis zur unausweichlichen Konfrontation voran.
Aufrechte Charaktere
Natürlich wird Goya’s Ghosts nicht zu einer puren Abenteuergeschichte, wie man anhand des Plots vielleicht vermuten könnte. Goyas künstlerische Entwicklung, die vom repräsentativen Hofmaler bis hin zum kompromisslosen Porträtisten der Kriegsgräuel reicht, nimmt entsprechenden Raum in Formans Inszenierung ein, wenn sie auch den dramaturgischen Anforderungen stets untergeordnet ist. Doch Forman zielt ohnehin nicht auf das Abarbeiten biografischer Fakten ab, um sich seinen Künstlerpersönlichkeiten anzunähern. Vielmehr kreiert er über seine erzählerische Kompetenz ein Bild (so fiktiv dies auch sein mag), das zumindest ein über den Film hinausreichendes Interesse an Leben und Werk hervorzurufen versteht. Und um damit manchmal selbst ein wenig die Geschichte zu schreiben: Das mittlerweile ins kollektive Gedächtnis übernommene Bild Mozarts als eine Art überdreht-exaltierter Popstar geht wohl zu einem nicht unwesentlichen Teil auf das von Forman geschaffene Image in Amadeus zurück.
Würde man die realen Lebensgeschichten der von Miloš Forman porträtierten Charaktere zugrunde legen, hätte man vermutlich Schwierigkeiten, Gemeinsamkeiten von Persönlichkeiten wie Mozart, Goya, dem Herausgeber des Sexmagazins Hustler, Larry Flynt, und dem Comedian Andy Kaufman (Man On The Moon) zu identifizieren. Doch so unterschiedlich diese Figuren in Wahrheit auch gewesen sein mögen, in der Forman’schen Dramatisierung ihrer Lebensläufe tritt ein gemeinsamer Charakterzug deutlich hervor, nämlich ein entschiedenes Eintreten für ihre Grundwerte. Ganz gleich ob es um die absolute Freiheit und Integrität des Künstlers geht, wie bei Mozart, Kaufman und Goya, oder der Kampf um uneingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit im Fall von Larry Flynt, alle diese Charaktere nehmen im entscheidenden Moment eine feste und kompromisslose Haltung ein. Dabei sind sie keine fanatischen Eiferer, sondern Figuren, die von einem (im positiven Sinn) geradezu kindlichen Enthusiasmus für ihre Arbeit angetrieben werden. Und erst wenn dieser Begeisterung Widerstände entgegengebracht werden, beginnen sie, ihre Ideale und Prinzipien um jeden Preis zu verteidigen. Dass diese Kämpfe nicht mit ideologisch determinierter Verbissenheit geführt werden, liegt auch daran, dass Formans Inszenierungen trotz aller dramatischen und manchmal tragischen Wendungen immer auch einen satirischen Unterton in sich tragen. Der ist auch bei Goya’s Ghosts präsent, obwohl es dem Plot an Melodramatik keineswegs mangelt. Was leider auch, im Gegensatz zu Amadeus, The People vs. Larry Flynt oder Man On The Moon, zu einigen Unschärfen die Figur Goyas betreffend führt. Da sind dann doch einige Erzählstränge zu stark melodramatisch ausgeprägt, um sein engagiertes Auftreten klar als Prinzipientreue erkennen zu lassen.
Gerade dieses Festhalten an Grundsätzen, ungeachtet aller dabei aufkommenden Bedrohungen für die Protagonisten, bleibt als zentrales, verbindendes Element von Miloš Formans biografischen Interpretationen in Erinnerung. Formans Stil, der die erwähnte ironische Distanzierung beinhaltet, verhindert auch, dass dieses Zeigen von Haltung als pathetische Geste abgetan werden kann. Und die aktuelle Notwendigkeit des Festhaltens an bestimmten Grundwerten, wie etwa Kunst- und Pressefreiheit, dürfte wohl unbestritten sein, wenn man an das allgemeine Einknicken im Fall der dänischen Mohammed-Karikaturen oder die vorauseilende Absetzung der Idomeneo-Inszenierung an der Berliner Oper denkt. Zumindest ein Stückchen Wahrheit hat Miloš Forman wohl auch diesmal gefunden.