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Hannah Arendt

| Jörg Schiffauer |

Porträt einer großen Denkerin

Am 11. April 1961 begann in Jerusalem ein Prozess, der die Kategorisierung „historisch“ zu Recht trug. Vor Gericht stand nämlich Adolf Eichmann, ehemaliger SS-Obersturmbannführer, Protokollführer der Wannseekonferenz und einer der maßgeblichen Organisatoren der Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten – ein Hauptverantwortlicher für den Sündenfall des 20. Jahrhunderts wurde doch noch zur Rechenschaft gezogen. Als Prozessbeobachterin für das Magazin „The New Yorker“ war die Philosophin und Publizistin Hannah Arendt, die in Deutschland geboren und aufgewachsen war und wegen ihrer jüdischen Abstammung 1933 selbst vor den Nazis aus ihrer Heimat fliehen musste, angereist.

Im Verlauf des Prozesses konstatierte sie die Diskrepanz zwischen den monströsen Verbrechen Eichmanns und seinem Auftreten als biederer Durchschnittstyp. In ihren Reportagen, die auch zu ihrem Buch „Eichmann in Jerusalem“ führten, thematisierte sie diese Diskrepanz, dabei prägte sie jenen Begriff, der ein wichtiger Schlüssel für das Begreifen der Psychologie der Täter werden sollte: die Banalität des Bösen. Doch nach ihrer Rückkehr in die USA sah sich Arendt wegen dieser Position auch massiver Kritik gegenüber; „Verharmlosung“ war da noch einer der milderen Vorwürfe.

Margarethe von Trotta hat sich der Person Hannah Arendt über diesen Erkenntnisprozess und den Sturm, den sie damit entfachte, angenähert. Ihre Inszenierung, die auf den Prozess und die folgenden Monate fokussiert, tut dies mit der Präzision eines Dokudramas. Der klügste Schachzug dabei ist, Eichmann ausschließlich über Archivaufnahmen zu zeigen. Denn damit wird die unfassbare Dualität des Adolf Eichmann zwischen Biedermann und Organisator der Judenvernichtung deutlicher, als dies durch Schauspiel je erreicht werden könnte. Die Richtigkeit von Hannah Arendts Thesen über jenen Mann, der seinen mörderischen Anteil am Holocaust auf das Erstellen von Zugfahrplänen zu reduzieren  versuchte, erfährt so eine eindrucksvolle Bestätigung. Von Barbara Sukowa großartig verkörpert, wird die Integrität Arendts, die trotz heftiger Angriffe – auch aus dem engsten Freundeskreis – dem Druck standhält und ihre intellektuellen Überzeugungen konsequent verteidigt, deutlich. Mit Hannah Arendt gelingt von Trotta eine filmische Geschichtsstunde wie sie sein soll: spannend, ohne reißerisch-trivial zu werden, lehrreich, ohne belehrend wirken und berührend, ohne in falsche Sentimentalität abzurutschen.