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hellbound

Miniserie | Netflix

Hellbound

| Katharina Börries |
Seoul wird von brutalen Monstern heimgesucht, die direkt aus der Hölle zu kommen scheinen. Dorthin nehmen sie diejenigen mit, die zuvor eine mysteriöse Nachricht erhalten haben. Das Warum (v)erklärt die südkoreanische Miniserie „Hellbound“ in sechs Folgen.

Wie sehen Engel aus? Dazu gibt es allerlei Theorien. Eine neue strickt die südkoreanische Mystery-Miniserie Hellbound von Regisseur Yeon Sang-ho (Train to Busan), die seit November 2021 auf Netflix zu sehen ist. Riesige Wesen, golemartig und dem Äußeren nach aus verfestigtem Rauch geformt, erscheinen all denjenigen, die zuvor eine sogenannte Prophezeiung erhalten haben: Ein waberndes Gesicht teilt den Betroffenen exakt mit, wann sie in die Hölle hinabfahren werden. Die Racheengel ebnen den Weg – und zwar unbarmherzig und ohne Scheu vor Brutalität. Die Frage, wie die Auswahl der Opfer vonstatten geht, ist das Kernstück der Serie.

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Denn wie soll eine Gesellschaft damit umgehen, dass scheinbar wahllos Menschen aus dem Leben gerissen werden? Die Angst und Verwirrung macht sich eine religiöse Gruppe zunutze, die die weltweiten Phänomene bereits seit Jahren beobachtet und niemand Geringerem als Gott zuschreibt. Dafür wählt sie ein Mittel, das (leider) seit Menschengedenken funktioniert: indem die „Neue Wahrheit“ die Auserkorenen als „unmoralisch“ stigmatisiert, schafft sie einen Sinn für die unerklärlichen Erscheinungen. Der Glaubenskampf ist angezettelt.

Diesen bestreiten der fahrige Ermittler Jin Kyung-hun und die taffe Rechtsanwältin Min Hye-jin. Sie vertreten die rationale Seite gegen den natürlich äußerst charismatischen Anführer der „Neuen Wahrheit“, Jung Jin-su. Dieser wird fast als eine Art Messias geschildert, der ja schon immer gesagt hat, was Sache ist. Mit seiner Interpretation der Ereignisse schafft er eine neue Ordnung, die die Zusehenden auch direkt zu Gesicht bekommen. Denn die Serie ist zweigeteilt und setzt nach den Geschehnissen im Jahr 2022 fünf Jahr später wieder ein.

Das klingt nach viel Inhalt. Und tatsächlich hätte es der Serie gut getan, sich insgesamt etwas kürzer zu halten oder – im Gegenteil – vielleicht zwei Staffeln daraus zu machen. Denn obwohl über mehrere Jahre hinweg erzählt wird, bleiben die Charaktere eher oberflächliche Stereotype und dann auch noch welche, die mitten im Geschehen ausgetauscht werden.

Was sich als blutroter Faden durchzieht, ist die Gewalt. Hellbound hat auf jeden Fall kein Problem mit expliziter Darstellung. Die als Sünder und Sünderinnen Bezeichneten werden von den Vorboten der Hölle regelrecht zermalmt. Sie stellen sich gleich zu Beginn der Serie den Zusehenden vor, quasi als Hulks aus Asche. Doch mit der Zeit werden auch die Menschen immer brutaler, etwa in Form der „Speerspitze“, einem radikalen aktivistischen Zweig der „Neuen Wahrheit“.

Die Glaubensdebatte spaltet die Gesellschaft, und so wundert es kaum, dass Hellbound nicht nur aufgrund seiner Herkunft oft gemeinsam mit Squid Game (2021) genannt wird. Natürlich ist es eine deutliche Kritik an der Allgemeinheit, in der Rädelsführer aufhetzen, anstatt zu vereinen, in der Klicks und Likes dazu führen, dass Abscheulichkeiten veröffentlicht werden, und in der Entscheidungen für oder gegen eine Gruppierung in Gewalt enden.

Ein wortwörtlich schillerndes Beispiel ist ein Streamer der Speerspitze, der in Neonfarben getaucht in die Kamera brüllt, Fake News und persönliche Informationen der Opfer teilt und die ganze Zeit damit beschäftigt ist, die Menge anzuheizen. Etwa als eine „Machtdemonstration“ bevorsteht: der Weg der Delinquenten in die Hölle. Denn natürlich wird der Abgang der Unglücklichen auch medial zelebriert. Auch für uns vor dem Bildschirm ist es schwer, sich der Spannung vor dem Auftauchen der Monster zu entziehen. Vielleicht unterstreicht das nur den Voyeurismus, aber diese Szenen sind zweifelsohne die packendsten in der gesamten Serie.

Was bleibt, egal wie sehr und ob einem die Serie gefallen hat, sind Fragen. Wer verdient den Tod? Was würde man selbst tun, wenn man den Zeitpunkt seines Ablebens wüsste? Und sind die Todesengel, die ja im Grunde nur ihren Dienst tun, schlimmer als die Menschen, die aus dieser Krise hervorgehen? Hellbound überlässt die Antworten dem Publikum und seiner Interpretation. Und übrigens: Wer anhand der Schlussszene auf eine bevorstehende zweite Staffel tippt, liegt möglicherweise nicht ganz falsch.