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Three Billboards Outside Ebbing, Missouri
Frances McDormand in "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri"

Three Billboards Outside Ebbing Missouri

Herzenswärme im Hinterland

| Roman Scheiber |
Gewalttriefende Provinzposse und Gutmenschenstück zugleich: Martin McDonaghs fabelhafte Dramödie „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“, starring Frances McDormand, Woody Harrelson und Sam Rockwell.

Manchmal liegt Filmen eine einzige visuelle Idee zugrunde, von der ausgehend ein Netz von Figuren und Begegnungen gestrickt wird. Three Billboards Outside Ebbing, Missouri ist so ein Film. Sein Titel benennt die zentrale Idee, und das Netz von Figuren und Begegnungen, das er davon ausgehend strickt, überrascht mit schillernden Mustern und ganz ungeahnten Strukturen. Drei lange ungenutzte und entsprechend heruntergekommene Werbetafeln nahe dem Ortseingang ihrer verschlafenen Heimatgemeinde mietet Mildred Hayes, um ihrem Polizeichef zwei Fakten in Erinnerung zu rufen und eine Frage zu stellen: „Raped while dying“ – „and still no arrests“ – „how come, Chief Willoughby?“

Wie es kam, dass Mildreds Tochter Angela vor sieben Monaten an dieser Stelle vergewaltigt und ermordet wurde, werden wir vielleicht nie erfahren. Wie es kommt, dass der Täter immer noch frei herumläuft, wird spätestens nach 20 Filmminuten klar. Die Polizei von Ebbing ist träge, ihr im Grunde gutherziger Chef hat mit privaten Problemen zu kämpfen und der Nachwuchs von der Polizeischule, personifiziert durch das geistlose, zumeist betrunkene und verhaltensoriginelle Muttersöhnchen Jason Dixon, blättert lieber in Comic-Heftchen oder drangsaliert farbige Mitbürger, statt sich in dem Fall zu engagieren. Weil nun aber Mildreds Plakatwände – inklusive zugehöriger medialer Erregung – und Mildreds auch sonst recht ungeniertes Auftreten weniger die Ermittlungen neu in Schwung bringen als vielmehr die Emotionen ihrer Kleinstadtmitbewohner hochkochen, stehen die Zeichen alsbald auf Eskalation.

Dass aus Three Billboards Outside Ebbing, Missouri ein fabelhafter Film geworden ist, verdankt sich dem Zusammenspiel mehrerer Glücksfälle: Erstens einmal schert sich der irischstämmige Writer-Director Martin McDonagh, der vor zehn Jahren mit der nachtschwarzen Killerkomödie In Bruges aufgefallen ist und mit der an Pulp Fiction erinnernden Gangsterchaoten-Extravaganz Seven Psychopaths nachgelegt hat, nicht im geringsten um eine Genre-Zuordnung. Sein Film ist Drama, schwarze Komödie, Polizei-Groteske, Rachephantasie und nicht zuletzt Gesellschaftssatire, nämlich eine, die mit allem abrechnet, was man am gewaltgeneigten Hinterland der Vereinigten Staaten abscheulich finden kann. Und zwischen den Zeilen der Tragödie führt McDonagh die Figuren so leichthändig in absurde Situationen, dass mit Sicherheit etwas Unberechenbares auf sie wartet.

Um all diesen am Rande der Südstaaten-Karikatur stolpernden und ständig verbal wie physisch entgleisenden Figuren gerade so viel Unterlebensgröße einzuhauchen wie nötig, um noch ernst genommen zu werden, hat McDonagh ein tolles Ensemble versammelt. Die notorische Frau im Blaumann gibt die unverwüstliche, die unnachahmliche, die grandiose Frances McDormand – es handelt sich bei Mildred übrigens um eine entfernte Verwandte ihrer Titelfigur in der famosen TV-Miniserie Olive Kitteridge. An McDormands Seite bzw. ihr gegenüber belustigen vor allem Woody Harrelson als Chief (siehe Interview) und Sam Rockwell, der als verpeilter Cop erfreulicherweise wieder einmal in einer memorablen Rolle zu sehen ist. Des weiteren überzeugen Game of Thrones-Star Peter Dinklage als Mildreds Verehrer und John Hawkes als ihr Exmann, der nun mit einer angeblich stinkenden, blutjungen Tierpflegerin zugange ist.

Von der lokalen TV-Reporterin über den Priester und den Zahnarzt von Ebbing bis zu Mildred selbst bekommen ausnahmslos alle ihr Fett ab, und doch degradiert der Film sein Personal nicht zum Witzfiguren-Provinzkabinett. Einer der dummdreistesten Polizisten der Filmgeschichte darf sich in der zweiten Hälfte gar vom faulen Rassisten-Saulus zum selbstlosen Ermittler-Paulus wandeln – und man kauft es ihm nicht nur ab, sondern kann sich davon richtig berühren lassen. Das Erstaunliche an Three Billboards Outside Ebbing, Missouri ist, wie die Balance aus Spaß und Schrecken und Spannung einen genuinen erzählerischen Mehrwert abwirft. Ohne Erlösungsgestus verschreibt sich der Film letztlich einem Gutmenschentum, das man in solch einer erfrischenden Bärbeißigkeit, gänzlich frei von „political correctness“, noch nie gesehen hat.

Eindringlich gewarnt werden muss vor Fehlinterpretationen, wie sie in der US-amerikanischen Filmkritik zu finden waren. Demnach legitimieren der Dixon-Charakter und sein wohlmeinender Mentor Willoughby die Rassismen ihres Oberonkels Donald Trump, von dem nun also nur noch die Wandlung zum Humanisten anstehe. Derlei Unsinn sollte niemanden davon abhalten, sich dieser außergewöhnlichen Filmerfahrung hinzugeben. Allerdings unbedingt in der amerikanischen Originalfassung! Uramerikanische Figuren wie Mildred, Mildreds Sohn, Dixon oder Dixons Mutter auf Deutsch reden zu hören ist wie geprügelte Provinzpolizisten blaues Blut spucken zu sehen. Die falsche Sprache führt in den falschen Film.