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Helen Mirren

Hitchcock

Eine Frau von Format

| Pamela Jahn |

In „Hitchcock“ muss sie in der Rolle als Lebenspartnerin dem Meister beruflich und privat zur Seite stehen – angesichts der komplexen Persönlichkeit von Alfred Hitchcock ein nicht immer einfaches Unterfangen. Helen Mirren im Gespräch über starke Frauen, voyeuristische Regisseure und die tückische Macht der Selbstzweifel.

Unterbeschäftigt war sie nie. So richtig überzeugt von sich aber auch nicht. Nachdem Helen Mirren mit ihrer Darstellung der Queen in Stephen Frears’ gleichnamigem Kinoerfolg vor fünf Jahren sämtliche internationalen Filmpreise abräumte, schlüpft sie nun erneut in die Rolle der britischen Monarchin, allerdings diesmal unter der Regie von Stephen Daldry in Peter Morgans Bühnenstück „The Audience“, das im Februar 2013 am Londoner Gielgud Theatre Premiere feierte. Es ist eine Herausforderung, die die 67-Jährige ganz bewusst sucht, um sich und der Welt einmal mehr zu beweisen, dass sie bis heute nichts von dem verlernt hat, was ihr mit 19 Jahren als eine der jüngsten Schauspielerinnen die Aufnahme in die Royal Shakespeare Company brachte. Ihre aktuelle Filmrolle in Sacha Gervasis Spielfilmdebüt Hitchcock ist jedenfalls ein weiteres eindrucksvolles Zeugnis ihres überragenden Talents: Als charmante Pragmatikerin mit Verstand, Witz und einer bemerkenswert unaufgesetzten Präsenz verkörpert sie darin Alma Reville, die Ehefrau und unverzichtbare Kollaborateurin des Meisterregisseurs, die ihrem Mann zeitlebens mit helfender Hand zur Seite stand – oder genauer gesagt: in seinem Rücken.

Tatsächlich dürfte die Bedeutung, die Alma Reville für den Entstehungsprozess des Hitchcock’schen Universums hatte, bisher lediglich eingefleischten Fans bekannt gewesen sein. Umso erstaunlicher ist, dass es sich unlängst gleich zwei Projekte zum Ziel gesetzt haben, die Lebens- und Arbeitsweise des großen Regisseurs etwas genauer unter die Lupe zu nehmen: Während sich Toby Jones in der BBC/HBO-Produktion The Girl als wollüstiger Hitch versucht, der bei den Dreharbeiten zu The Birds sein eitel-böses Spiel mit Tippi Hedren (Sienna Miller) treibt, muss sich Anthony Hopkins in selbiger, jedoch gefühlt schwerer wiegender Rolle zunächst noch mit den mürrischen Studiobossen herumschlagen, die dem Genie auf dem Höhepunkt seiner Karriere die Finanzierung von Psycho versagen sollten.

Um den Film schließlich dennoch zu realisieren, setzte Hitchcock damals einen beträchtlichen Teil des Vermögens aufs Spiel, das Alma und er sich bis dahin gemeinsam erarbeitet hatten, was dem Film konsequenterweise zu einem anderen Blickwinkel verhilft. Angelehnt an die Buchvorlage von Stephen Rebello, der in „Alfred Hitchcock and the Making of Psycho“ die Entstehungsgeschichte des Horror-Klassikers bis ins Detail nachzeichnet, hat Gervasi folglich kein herkömmliches, zumal hochkarätig besetztes – Jessica Biel und Scarlett Johansson haben etwa die Rollen von Vera Miles und Janet Leigh übernommen – Hollywood-Biopic entworfen, sondern vielmehr ein kurzweiliges Drama über die Ehe zweier starker  Persönlichkeiten, die sich nach Jahren inniger Zuneigung und kreativer Zusammenarbeit ihre Bestimmtheit füreinander aufs Neue beweisen müssen und dabei – nicht zuletzt auch aufgrund gewisser Drehbuchschwächen – mitunter auf den Holzweg geraten.

Wenn man sich Archivmaterial von Alma Reville anschaut, fällt zunächst einmal auf, dass Sie ihr rein äußerlich eigentlich wenig ähnlich sehen. War das ein Thema, bevor oder auch nachdem Sie die Rolle zugesagt hatten?
Helen Mirren: Ja, auf jeden Fall. Das war meine große Angst bei dem Film. Ich habe von vornherein zu Sacha Gervasi gesagt: „Du hast die falsche Schauspielerin für den Job!“ Und ich wusste auch, wer viel besser gepasst hätte, und zwar ist das Imelda Staunton. Sie spielt die Rolle ja tatsächlich in der TV-Produktion an der Seite von Toby Jones, und wenn Sie mich fragen, ist sie die perfekte Alma. Sie hat die Figur, die Statur und obendrein ist sie eine hervorragende Schauspielerin. Ich war mir der Tatsache also durchaus bewusst und musste deshalb versuchen, mir die Rolle auf einem anderen Weg zu erschließen. Immerhin habe ich ihre roten Haare im Film und ich trage Kleider, von denen ich dachte, dass auch Alma die getragen hätte, wenn sie meine Figur gehabt hätte. Alles in allem hat es mich aber schon ziemlich geschmerzt, dass ich rein äußerlich nicht mehr wie Alma sein konnte – es war aber einfach nicht möglich.

Im Vergleich zur Queen gibt es wiederum nur recht wenige Fotos und Videoaufnahmen von Alma. Haben Sie das als Befreiung empfunden, oder wie bereiten Sie sich auf eine Rolle wie diese vor?
Helen Mirren: In gewisser Weise war das befreiend, das stimmt schon. Denn das Gros der Öffentlichkeit hat sich ja bisher wenig dafür begeistert, wie Alma aussah, was sie für ein Mensch war. Es gibt Archivmaterial von ihr, das man einsehen kann, wenn man sich dafür interessiert, aber sie stand niemals so sehr im Rampenlicht wie Hitchcock, und auch gemeinsame Aufnahmen von den beiden in der Öffentlichkeit gibt es nur sehr wenige. Anthony Hopkins hatte es da viel schwerer als ich, denn Hitchcock selbst war natürlich sehr präsent, und das Publikum hat eine ganz genaue Vorstellung davon, wie er aussah, wie seine Stimme klang, was seine Körperhaltung angeht und so weiter. Er war ja schon zu Lebzeiten eine Kultfigur, und er hat die Aufmerksamkeit, die man ihm schenkte, sehr genossen. Alma dagegen war sehr zurückgenommen, was die Öffentlichkeit angeht. In ihrem Privatleben war das anders, da stand sie im Vordergrund. Aber sie wollte das so, denke ich. Sie war glücklich damit, Teil dieser kreativen Partnerschaft zu sein.

Was macht Sie da so sicher?
Helen Mirren: Eine Inspiration und eine große Hilfe in der Vorbereitung auf die Rolle war für mich das Buch „Alma Hitchcock: The Woman Behind the Man“ von Patricia Hitchcock O’Connell, der Tochter von Alfred und Alma. Ich fand es faszinierend, das sie das Buch der Mutter widmete, weil sie wusste, wie wichtig Alma nicht nur im privaten Leben der Hitchcocks war. Schließlich kümmerte sich Alma um so viel mehr als lediglich darum, ein Familienleben zu organisieren, das es Hitchcock ermöglichte, ungestört zu arbeiten und Filme zu drehen. Sie war ein entscheidender Faktor im Entstehungsprozess der Filme, nicht nur bei Psycho. Sie arbeitete an allen Drehbüchern mit, sie assistierte ihm am Set und auch im Schneideraum. Ich gebe zu, wir können aus den Ausführungen der Tochter nur mutmaßen, und vielleicht sind die Aussagen über das Familienleben beschönigt, oder vielleicht hat sie manche Dinge als Tochter auch einfach nicht gewusst. Aber Patricia sagt zumindest, dass sie sehr glücklich waren als Familie, dass es viel zu lachen gab. Hitchcock war ja nicht nur ein unheimlich kluger Mann, sondern er war auch sehr, sehr witzig. Und ich denke, diesen Sinn für Humor haben Alma und er auf jeden Fall auch geteilt, genauso wie ihre Liebe fürs Filmemachen.

Ist Humor denn nicht auch ein wichtiger Bestandteil in Ihrer eigenen Ehe?
Helen Mirren: Ja, nur leider ist Taylor [Hackford, Anm.] nicht so witzig wie Hitchcock. (Lacht.) Aber auch wir lachen sehr viel, und es gibt noch eine andere Sache, die uns mit Alma und Hitchcock verbindet und die enorm wichtig ist, wenn eine Beziehung funktionieren und dauern soll. Und zwar geht es darum, dem Partner den nötigen Raum zu geben, die Dinge zu tun, die er oder sie gerne tun möchte. Es geht darum, den anderen zu unterstützen, aber gleichzeitig diesen Freiraum auch für sich selbst einzufordern. Tut man das nicht, wird man ganz leicht zum Fußabtreter, und dann funktioniert das Ganze natürlich überhaupt nicht. Taylor war und ist meine größte Stütze bei allem, was ich tue. Er würde niemals sagen: „Oh nein, mach das nicht, dann bist du ja sechs Monate weg.“ Er begleitet mich auch immer zu Premieren, und ich begleite ihn. Wir achten und unterstützen einander gegenseitig, und wir kritisieren einander nicht.

Auch nicht, wenn Sie zusammen drehen?
Helen Mirren: Nein, auch dann nicht.

Nun hat sich seit Hitchcock einiges getan, vor allem auch, was die Rolle der Frauen in Hollywood angeht …
Helen Mirren: Ja, definitiv. Und Gott sei Dank! Man muss sich nur die Zahl der Regisseurinnen in der Geschichte Hollywoods vor Augen halten. Bis vor etwa zehn Jahren war die noch schauderhaft gering, aber das hat sich mittlerweile gebessert. Andererseits gab es auch immer schon großartige weibliche Cutter in Hollywood, die bis heute viel zu sehr im Schatten ihrer Regisseure arbeiten. Denken Sie nur an Martin Scorseses Cutterin.

Thelma Schoonmaker?
Helen Mirren: Ja, genau. Oder auch Quentin Tarantinos Cutterin, Sally Menke. Als sie vor zwei Jahren plötzlich verstarb, war er erschüttert und tief bestürzt. Natürlich ist und bleibt er ein hervorragender Regisseur, einer der größten Regisseure unserer Zeit, aber er fühlte sich damals, als hätte er seinen rechten Arm für immer verloren.

Der Film spielt darauf an, dass Hitchcock angeblich geradezu besessen war von seinen blonden Hauptdarstellerinnen. Was halten Sie persönlich von dieser Legende?
Helen Mirren: Ich denke, dass da ziemlich übertrieben wird – in der Öffentlichkeit wie in den Medien. Und wenn sie mich fragen, hat sowieso Ingrid Bergman in Notorious die beste weibliche Hauptrolle in einem Hitchcock-Film abgeliefert. Dabei war sie keine der typischen Blondinen, sie war schlicht und einfach Ingrid Bergman. Was nicht heißen soll, dass Hitchcock nicht voyeuristisch veranlagt war, denn das war er ganz bestimmt, so wie alle Regisseure mehr oder weniger Voyeure sind. Ich denke, das bringt der Beruf mit sich. Allerdings war der größte Voyeur von allen auch nicht Hitchcock, sondern Stanley Kubrick.

Haben Sie persönlich in dieser Hinsicht jemals negative Erfahrungen mit einem Regisseur gemacht?
Helen Mirren: Nein, als Schauspieler setzen Sie sich dem ja im Grunde freiwillig aus. Da müssen Sie Ihre innersten Emotionen nach außen kehren, und wenn Sie das nicht können, haben Sie den falschen Beruf gewählt. Aber wie leicht oder schwer es einem fällt, sich auszudrücken, hängt oft auch vom Regisseur ab. Zum Beispiel: In The Cook, the Thief, His Wife & Her Lover war ich fast den ganzen Film über komplett nackt, und es gibt darin eine Sexszene mit mir und Alan Howard, der den Liebhaber spielt. Peter Greenaway hat damals für diese Szene das Set komplett mit schwarzen Vorhängen abgehängt. Es gab lediglich ein kleines Loch, durch das der Kamerakopf lugte, ansonsten haben Alan und ich nichts und niemanden um uns herum gesehen. Wir wussten natürlich, dass die Crew hinter dem Vorhang lauerte und dass uns die Kamera beobachtete, aber im Grunde war es die optimale Situation für uns Schauspieler und gleichzeitig der Inbegriff von Voyeurismus, wenn Sie so wollen.

Wie kommt es denn, dass Sie noch nie zuvor mit Anthony Hopkins gedreht haben?
Helen Mirren: Gute Frage, ich weiß es nicht. Eine Laune des Lebens, nehme ich an. Ich hatte schon lange mit ihm arbeiten wollen, aber es hatte sich bisher einfach nicht ergeben. Das Schöne dabei war allerdings, dass wir aus ähnlichen beruflichen Traditionen stammen und einen ähnlichen Werdegang hatten, also Theater, Fernsehen, dann Hollywood. Anthony hat zwar viel mehr in Hollywood gedreht als ich, aber es war eine wunderbare Zusammenarbeit, weil wir beide das Gefühl hatten, uns zu kennen, obwohl das eigentlich nicht der Fall war.

Für Ihre Darstellung der Queen haben Sie sämtliche Preise abgeräumt, aber auch Ihre frühe Film- und Fernsehkarriere ist durchaus bemerkenswert. Gibt es eine Rolle oder einen Film aus dieser Zeit, auf den sie besonders stolz sind?
Helen Mirren: Prime Suspect
war unheimlich wichtig für mich, nicht zuletzt deswegen, weil die Serie später auch international ausgestrahlt wurde. Davor hatte ich eher klassische Sachen für’s Fernsehen gemacht und ein paar Filme gedreht, wie etwa Michael Powells Age of Consent oder The Long Good Friday an der Seite von Bob Hoskins, oder The Mosquito Coast mit Harrison Ford und River Phoenix. Aber Prime Suspect war schon etwas Besonderes.

Empfinden Sie eine ähnlich starke Bindung wie zum Fernsehen auch zum Theater, das Sie trotz Hollywood-Karriere auch nie ganz aus den Augen zu verlieren scheinen?
Helen Mirren: Fernsehen, Film und Theater sind drei verschiedene Dinge für mich, die ich jeweils als einen gleichwertigen Teil meines Berufs sehe. Ich gehe immer wieder zum Theater zurück, weil es jedes Mal eine Herausforderung ist, vor allem, wenn man sich nicht sicher ist, ob man es noch kann. Dann ist es die beste Möglichkeit, das herauszufinden.

Wie wichtig ist es für Sie, an sich selbst zu glauben? Wie gehen Sie mit Zweifeln um?
Helen Mirren: An sich selbst zu glauben, ist entscheidend, aber die Unsicherheit gegenüber dem eigenen Können ist mindestens genauso wichtig. Komischerweise genügt der Glaube an sich selbst nicht, oder anders gesagt: Er allein ist gefährlich, denn man könnte sich schließlich irren. Es ist schon ziemlich schizophren, aber man muss voller Selbstzweifel sein, weil es das ist, was einen vorantreibt, aber gleichzeitig muss man auch an sich oder zumindest an sein Glück glauben, um diesen Beruf überhaupt ausüben zu können. Die Schauspielerei ist mein Leben, es ist das Einzige, was ich kann und tun will, aber man geht dabei auch durch Phasen, wo das Telefon nicht pausenlos klingelt oder einem zumindest keine vernünftigen Angebote ins Haus flattern. Dann kommen die Selbstzweifel. Und selbst wenn man gefragt ist, bleibt eine gewisse Unsicherheit im Hintergrund immer präsent. Aber auch das gehört zum Erfolg dazu. Und es hilft alles nichts, da muss man einfach durch.