ray Filmmagazin » Themen » American Horror Stories

Horrorfilm

American Horror Stories

| Jörg Schiffauer |
Mit dem Tod von George Romero und Tobe Hooper geht ein Stück Filmgeschichte seinem Ende entgegen. Ein Rückblick auf eine Ära des Schreckens der besonderen Art.

George A. Romero, im Juli diesen Jahres verstorbene Ikone Horrorkinos, der mit seiner Filmreihe über die lebenden Toten so kongenial zu schockieren verstand, wurde posthum mit einem Stern auf Hollywoods „Walk of Fame“ geehrt.

Die höchst populäre Serie The Walking Dead prolongiert ihren Erfolg mit der mittlerweile achten Staffel.

Mit Jigsaw erfährt der achte Film der Saw-Franchise um den titelgebenden Killer, der seine Opfer mittels raffinierter Tötungsarten umbringt, seinen Kinostart – und spielte ungeachtet mäßiger Kritiken bereist mehr als achtzig Millionen Dollar ein.

Halloween, John Carpenters Klassiker, der eine Art Blaupause für ganze Legionen von nachfolgenden Produktionen aus dem Subgenre des Slasher-Films darstellt, wird 2018 einem weiteren Remake unterzogen.

Nur ein paar willkürliche Anmerkungen, die jedoch den Schluss zulassen, dass das Horror-Genre endgültig seine Position im Zentrum des popkulturellen Universums etabliert hat. Die Diagnose, dass ein traditionsreiches Filmgenre breite Akzeptanz erfährt, klingt zunächst ja erfreulich. Doch es sind zumindest leichte Zweifel angebracht, ob jenes Genre, das mit tief verwurzelten Ängsten spielt, um aktuellen Schrecklichkeiten zu begegnen, dabei nicht ein wenig von seiner subversiven Kraft eingebüsst hat. Der Schrecken im gegenwärtigen Horrorfilm, der in Spielarten verbreitet wird, die in ihrer expliziten Gewalttätigkeit vor noch gar nicht allzu langer Zeit bildungsbürgerliche Entrüstungsstürme nach sich gezogen hätten, scheint zumindest teilweise ein wenig zum Schauwert mutiert zu sein, der eher einen kultivierten Voyeurismus, wohliges Gruseln inkludiert.

Es scheint also eine passende Gelegenheit, eine kleine Rückschau auf jene Zeit zu unternehmen, in der das neue amerikanische Horrorkino eine Form von Schrecken generierte, dessen subversive Kraft weit über Genre-Konventionen hinausreichte. 2017 stellt da ohnehin in gewisser Weise eine Zäsur dar. Mit George A. Romero und Tobe Hooper sind in diesem Jahr zwei der wichtigsten Regisseure dieser Ära

verstorben, Wes Craven, ein weiterer bedeutender Vertreter starb bereits 2015. Auch wenn John Carpenter, der am 16. Jänner 1948 übrigens seinen 70. Geburtstag feiert, wie erwähnt an der Neuauflage eines enorm einflussreichen Films wie Halloween als Exekutivproduzent mitwerkt, scheint sich diese Kapitel der Filmgeschichte immer mehr zu schließen.

Es begann in Pittsburgh

Mit Night of the Living Dead, der am 1.Oktober 1968 in Pittsburgh seine Premiere erlebte, erfolgte jene Art von Initialzündung, mit dem das Horror-Genre ungeahnte Brisanz erlangen sollte. George Romero, der dort mit seiner kleinen Produktionsfirma bis dahin vorwiegend Werbe- und Industriefilme hergestellte, kratzte das lächerlich geringe Budget von knapp 115.000 Dollar zusammen, um jenen Film in Szene zu setzen, der das moderne Horrorkino revolutionieren sollte. Eine kleine Gruppe unterschiedlicher Charaktere trifft in einem abgelegenen Haus im ländlichen Pennsylvania aufeinander, in das sie sich vor einer völlig unerwartet aufgetretenen Bedrohung geflüchtet haben – kürzlich Verstorbene erheben sich, um als lebende Tote Menschen zu attackieren und zu fressen.

In seinen schwarzweißen Bildern hat Night of the Living Dead streckenweise einen beinahe semidokumentarisch anmutenden Charakter, den George Romero geschickt verstärkt, indem er in seine Inszenierung immer wieder Szenen einbaut, die als Fernsehnachrichten über die mysteriöse Geschehnisse, die sich im ganzen Land ereignen, berichten. Insbesondere in diesen Sequenzen erreicht Romeros Inszenierung eine Unmittelbarkeit, die den zu dieser Zeit vorherrschenden Zustand der Vereinigten Staaten beunruhigend genau widerzuspiegeln verstand. Die starken gesellschaftlichen Umbrüche, die in den sechziger Jahren stattfanden, hatten eine konfrontative Atmosphäre hervorgebracht, die sich immer öfter in realer Gewalt mündete. Die Märsche der Bürgerrechtsbewegung wurden ebenso brutal von der Staatsmacht niedergeschlagen wie die Proteste der Gegenkultur – all das erreichte mittels Fernsehbildern täglich jeden Haushalt. Night of the Living Dead verbreitete seinen Schrecken damit auf zwei Ebenen. Insbesondere die Bilder der Polizeikräfte, die sich auf die Jagd nach Zombies machen, erinnern frappant an jene der stiernackigen Sheriffs, die scharfe Hunde auf Bürgerrechtler hetzen und alles andere als Hoffnung auf Schutz und Sicherheit vermitteln – was sich am Ende von Night of the Living Dead auf bizarre Weise bewahrheiten wird. Romero steigerte den Schrecken aber auch mit Szenen von expliziter Härte, die den Terminus „Gore“ im Horrorkino auf die Agenda setzte. Heute mag das nicht mehr ganz so drastisch erscheinen, doch Bilder von Schreckgestalten, die ihre Opfer zerfleischen und Gedärme herausreißen – auch wenn Romero manches nur im Halbschatten geschehen lässt – sorgten 1968 für veritable Erregung. Night of the Living Dead eroberte sich neben einer stetig wachsenden Fangemeinde und Kritiken, die den Meilenstein des Horrorfilms entsprechend würdigten, auch heftige Ablehnung. Ein Muster, das sich für die wichtigsten Vertreter des neuen amerikanischen Horrorfilms noch oft wiederholen sollte. Wes Craven erinnert sich an die weniger wohlwollenden Urteile in der Anfangszeit seiner Karriere: „ Somebody accused me of being almost subversive as a communist plot in undermining the morals of the american youth by making a film like that.“

Zugezogen hatte er sich diese harsche Bewertung vor allem mit seinem Regiedebüt The Last House on the Left (1972). Produziert von Sean S. Cunningham, der sich mit Friday the 13th seinen Platz Horror-Hall-of-Fame sichern sollte – war Last House ebenfalls ein kleiner Independent-Film, der von seinem Erscheinungsbild ein wenig Grindhouse –Ästhetik aufweist. Auch der Plot ist reichlich simpel gestrickt: Ein junges Mädchen, das mit bei seinem Eltern in einer beschaulichen ländlichen Gegend lebt, macht sich zur Feier ihres siebzehnten Geburtstag mit ihrer Freundin auf, um ein Konzert zu besuchen. Doch in der Großstadt angekommen, fallen sie einem aus dem Gefängnis entflohenen Kriminellen und seinen Kumpanen in die Hände. Die Entführung endet in der Gegend, aus der die Mädchen herkommen, wo sie mitten in den Wäldern gequält und ermordet werden. Als die Verbrecher auf ihrer Flucht ausgerechnet in dem Anwesen der Elter eines ihrer Opfer Unterschlupf suchen, nehmen diese blutige Rache für den Tod ihrer Tochter. The Last House on the Left, eine Exploitation-Variation von Ingmar Bergmans Die Jungfrauenquelle, verstört vor allem durch einen blanken Sadismus, der die motivlosen Untaten dominiert und es dem Zuschauer schwer macht, den im Genre üblichen psychologischen Notausgang – „It’s only a movie“ – zu erreichen. Mit seinen grobkörnigen Bildern verstärkt Craven zudem noch die Unmittelbarkeit seiner Inszenierung.

Konfrontation und Verunsicherung

Diese Unmittelbarkeit und Direktheit war einer der wesentlichen Gründe für die Wirkungsmacht des neuen amerikanischen Horrors. Alle Schüsselwerke waren vorwiegend on location gedreht, die visuelle Gestaltung mit körnigen, hektischen, oft mit Handkamera gedrehten Bildern erinnerten phasenweise weniger an inszenierte Spielfilmsequenzen als vielmehr an Nachrichtensendungen. Vor allem die Berichte über den Vietnamkrieg brannten sich ins kollektive Gedächtnis ein, Tod und Gewalt wurde zum alltäglichen Begleiter der amerikanischen Gesellschaft. Vietnam trug auch wesentlich dazu bei, dass sich öffentliche Diskussion verschärfte und tiefe Gräben innerhalb der US-amerikanischen  Gesellschaft aufgerissen wurden. Die Phase des Umbruchs zog kaum für möglich gehaltene Eskalationen nach sich. Ein negativer Höhepunkt wurde erreicht, als 1970 im Verlauf einer Protestaktion an der Kent State Universität Soldaten der Nationalgarde das Feuer eröffnete und vier Studenten den Tod fanden. Die mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Photographie eines jungen Mädchens, das weinend neben der Leiche eines der Getöteten kniet, wurde zum Sinnbild dieser Eskalation. Das alles führte zu einem Gefühl tiefer Verunsicherung quer durch die amerikanische Gesellschaft, besonders Vertreter der Gegenkultur zogen tradierte Werte grundlegend in Zweifel.

George Romero trug dieser Verunsicherung mit The Crazies (1973) Rechnung. Bei einem Flugzeugzeugabsturz wird versehentlich ein bakteriologischer Kampfstoff freigesetzt, der das Grundwasser verseucht und die Bevölkerung einer Kleinstadt mit einem Virus infiziert. Die Erkrankten sterben oder verfallen dem Wahnsinn. Die Armee riegelt das Gebiet hermetisch ab, lässt jedoch die Menschen weitgehend im Unklaren, was da eigentlich vorgeht. Was zur Folge hat, dass sich einige Bürger gegen die Zwangsmaßnahmen auflehnen und sich bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Soldaten liefern. Die gewaltsam ausgetragenen Konflikte mitten auf den Straßen der Vereinigten Staaten wie die Unruhen in Watts 1965, Detroit 1967, Chicago 1968 oder die erwähnten Vorfälle an der Kent State Universität spiegeln sich dabei in The Crazies wider. „The army ain’t nobody’s friend“ merkt einer der Protagonisten im Verlauf der Konfrontation an und bringt damit eine gesellschaftliche Stimmung, die durch den Vietnamkrieg geprägt war und in einem zunehmenden Misstrauen gegen staatliche Institutionen mündete, ziemlich genau auf den Punkt. George Romero fasste im Rückblick zusammen, wie sehr diese Filme den Nerv ihrer Zeit zu treffen verstanden, obwohl das vielleicht auch ei wenig  unerwartet kam: „We didn’t realize how much we were turning things on, maybe it was by shuffling things altogether in a big nightmare.“

Ein Albtraum, der mit Filmen wie Tobe Hoopers The Texas Chainsaw Massacre (1974) und Cravens The Hills Have Eyes (1977) fortgeschrieben wurde. In Chainsaw Massacre fällt eine Gruppe junger Leute bei ihrer Reise durch Texas in die Hände einer Familie, die auf ihrem verwahrlosten Landsitz Mord und Kannibalismus frönt. Das ländliche Amerika und die Familie, Herzstücke traditioneller Wertvorstellungen, mutieren hier zu einem Hort totalen Grauens. Die traditionellen Figuren des klassischen Horrorfilms hatten ausgedient, das Grauen kam nun mitten aus der Gesellschaft, oder wie Tobe Hooper es formulierte: „Monsters didn’t scare me, Godzilla didn’t scare me, it’s people that I’m afraid of.“

Die drastische Härte und Direktheit, mit denen die Gewaltausbrüche auch hier in Szene gesetzt werden, sind jedoch – im Gegensatz zu manch gegenwärtigen Produktionen – keineswegs spekulativ, sondern  weisen einen zutiefst verstörenden Charakter auf, ein konstituierendes auch beabsichtigtes Kennzeichen des neuen amerikanischen Horrorkinos. „You were meant to be uncomfortable there and thats puts you in a mindset to accept the other ideas of the film“ merkt George Romero zu Dawn of the Dead (1978), ein Credo, das ebenso treffend die Arbeiten seiner Regiekollegen Hooper und Craven charakterisiert.

Besagter Dawn of the Dead, der zweite Film aus Romeros Living-Dead-Reihe, mittlerweile als allseits anerkannter Meilenstein des Genres, setzte auch neue Maßstäbe, was den Einsatz exzessiver Splatter-Szenen angeht. Make-up- und- Spezialeffekt-Experte Tom Savini brachte seine traumatischen Erfahrungen von seinem Einsatz im Vietnamkrieg ein, um die zerschossenen Köpfe und zerfleischten Körper in Dawn of the Dead eindringlich zu modellieren, was ihm und Romero auch eindrucksvoll gelang, jedoch dem Film die üblichen Kontroversen in Sachen Gewaltdarstellung eintrug.

Mit welcher Radikalität die Proponenten jenes speziellen Kinos Sehgewohnheiten, Konventionen und tradierte Wertvorstellungen unterliefen, lässt sich mit einer Szene aus John Carpenters Assault on Precinct 13 – in dem Fall außerhalb des Horrorgenres – verdeutlichen. In seinem Thriller um eine Straßengang in Los Angeles, die ein Polizeirevier belagert, wird ein kleines Mädchen von einem Gangmitglied völlig unerwartet in Großaufnahme in die Brust geschossen – selbst für den Genre-erfahrenen Zuschauer ein Schockmoment, der jedoch verdeutlicht, dass nichts und niemand mehr sicher sein kann, nicht von den um sich greifenden Schrecken – fiktionaler Horror und reale Bedrohungen beginnen sich zu vermischen – erfasst zu werden. Diese Radikalität entsprang jedoch jener tief sitzenden Frustration über die gesellschaftlichen Verhältnisse im Amerika der sechziger Jahre, die zu rabiaten Protesten der Gegenkultur samt allen Umbrüchen führte. Wes Craven bringt es auf den Punkt. „I think there is something about the American Dream, the sort of Disneyesque Dream of the beautifully trimmed front lawn and the white picket fence, mum and dad and happy children doing good whenever they can, that sort of expectation and the flipside of that – the anger and sense of outrage that comes from discovering that’s not the truth of the matter. I think that gives American Horrorfilms in some ways that kind of additional rage.“

Eine der derart angesprochenen „Musterwelten“ erschüttert John Carpenter in Halloween (1978). Die idyllische Kleinstadt Haddonfield, Illinois wird von Michael Myers, dem unheimlichen Killer mit der ikonischen weißen Maske heimgesucht, der bevorzugt unter den jugendlichen Bewohner des Städtchens seine Opfer sucht. Nun ist Halloween zugestanden im Gegensatz zu Filmen wie The Last House on the Left oder The Texas Chainsaw Massacre eine stilistisch ausgefeilte Arbeit von bestechender narrativer Ökonomie, deren Schrecken durch eine beinahe mystische Figur – wenn auch recht drastische Weise – verbreitet wird, doch der Schauplatz, der wie von einer Urgewalt getroffen wird, repräsentiert ein prototypisches Stück Americana.

Mit den achtziger Jahren samt ihrem konsumorientierten Hedonismus brachen härtere Zeiten für Horrorfraktion aus. Zwar erschloss George Romero mit Dawn of the Dead ein größeres Publikum – und lieferte neben heftigem Schrecken auch einen herrlich hinterfotzigen Kommentar über den Versuch, sich hinter Konsumismus vor den Problemen der Welt abschotten zu wollen – doch subversive Eindringlichkeit schien immer weniger gefragt zu sein. Wes Craven wich etwa mit seiner Scream-Reihe auf eine ironische Meta-Ebene des Horror-Genres aus – und landete damit seinen absolut größten Publikumserfolg. Romero schrieb seine Living-Dead-Saga über die Jahre hinweg in insgesamt sechs Filmen – den letzte, Survival of the Dead, stellte er 2009 fertig – fort. Was die Entwicklung der Geschichte und Spannungsbögen – vom ersten Auftreten des Zombie-Problems samt dem damit verbundenen Chaos über den Zerfall der Zivilisation bis hin zu den Auseinadersetzungen zwischen den wenigen überlebenden Menschen – angeht, weist die Erfolgsserie The Walking Dead verblüffende strukturelle Parallelen zu Romeros Saga auf. Zweifellos ein weiterer Indikator dafür, dass Romero und Kollegen nicht nur in ausgewählten Kreisen wohlverdiente Anerkennung gefunden haben, sondern auch inmitten der Populärkultur ihren Einfluss geltend machen. Ein Assimilierungsprozess, der sich schon über einen geraumen Zeitraum erstreckt, wurden doch alle bedeutenden Filme des neuen amerikanischen Horrorfilms einem Remake unterzogen. Alle Neuauflagen wiesen Gewaltdarstellungen auf, die den Originalen in Sachen expliziter Härte um nichts nachstanden, doch eine massentauglich glatte Ästhetik sorgte anstelle von blankem Entsetzen für gepflegtes Gruseln. Die Direktheit samt den Bezügen zu realen Ereignissen, die den Originalen innewohnte und den verstörenden Charakter ausmachte, scheint im Mainstream kaum noch Platz zu finden. Die wirklich hervorragende Serie The Walking Dead, die einem breiten Fernsehpublikum Splatter- und Goreszenen von unglaublicher Heftigkeit präsentiert, erntete die größten Proteststürme erst, als ein digital animierter Tiger Opfer der Zombies wurde. Oder wie es John Carpenter in seinem Blick zurück auf die große Zeit des amerikanischen Horrorfilms treffend anmerkt. „I wanted something savage there. I don’t believe I can do that now, they wouldn’t let me do it.“