ray Filmmagazin » Filmkritiken » I Am Here!
I Am Here!

Filmstart

I Am Here!

| Andreas Ungerböck |
Sorgfältig komponiertes, hoch emotionales Dialogdrama von Ludwig Wüst

Wie kann jemand im Grunde immer den gleichen Film machen (bekanntlich das Merkmal eines jeden wahren Film-Autors), der aber jedes Mal komplett anders ausschaut? Das bewerkstelligen zu können, ist eines der Geheimnisse des gerne als „Maverick“ bezeichneten gebürtigen Bayern Ludwig Wüst, der seit 1987 in Wien lebt. Seit Anfang der Nullerjahre macht er mit schöner Regelmäßigkeit Filme, die im gängigen Kinobetrieb tatsächlich einzigartig sind. Doch so geheimnisvoll ist es in Wahrheit gar nicht, denn die Filme sind offensichtlich getragen von Wüsts schier unerschöpflicher Erfindungsgabe und das Resultat von gedanklicher und physischer Arbeit, die man den fertigen Werken durchaus und ganz bewusst auch ansieht. Dies wiederum hat ziemlich sicher damit zu tun, dass der Filme- und Theatermacher auch ein hervorragender Tischler ist – in der Retrospektive seines Werks bei der Diagonale 2019 wurde dankenswerterweise auch dieser Aspekt seines Schaffens miteinbezogen. Das Haptische, das Handwerkliche – mal roher, wie in Koma, mal feiner, wie in Das Haus meines Vaters – ist seinen Filmen immer eingeschrieben, wenn es nicht sogar – wie in Aufbruch – explizit thematisiert wird.

Werbung

Und der Regisseur gilt als besonders experimentierfreudig. Mal lässt er die Schauspieler alleine machen, ohne einzugreifen (Tape End), mal dreht er in CinemaScope (Aufbruch), mal setzt er eine Bodycam ein (3.30 pm). I Am Here! ist insofern ein größeres „Experiment“, als Wüst hier erstmals mit analogem Material gearbeitet hat, konkret mit 16mm. Wie immer hat er sich diesem Prozess der „Umgewöhnung“ lustvoll und akribisch gestellt. Nicht weniger als drei Versionen hat er zusammen mit seinem kongenialen Kameramann Klemens Koscher – die beiden arbeiten seit 19 Jahren zusammen –, und den beiden Darstellern Martina Spitzer und Markus Schramm (auch sie sind inzwischen Teil der „Wüst-Familie“) gedreht. Das Resultat ist ein wunderbar sorgfältiges Dialogdrama, das mit (scheinbar) einfachsten Mitteln und in schlanken 70 Minuten einen Blick auf verschüttete Gefühle und komplexe menschliche Beziehungen wirft. Das klassische 1:1,33-Bildformat sorgt dabei auch in der freien Natur für die nötige Intimität.

Die Geschichte ist so schlicht, wie sie binnen weniger Minuten hoch emotional wird. Monika und Martin waren offenkundig in der Kindheit befreundet, haben einander aber lange nicht gesehen. Gemeinsam gehen sie den Wald nahe ihrem Heimatort. Martin hat eine Schaufel bei sich, um etwas auszugraben, das er dort versteckt hat. Die sinnfällige Tätigkeit des „Grabens“ überträgt sich allmählich auch auf das Gespräch, wobei zunächst Monika im Mittelpunkt steht, die davon erzählt, wie sie ihre sterbende Mutter im Pflegeheim besucht hat. Später, auf der Heimfahrt, fokussiert die Erzählung auf Martin und auf dessen schwieriges Verhältnis zu seinem Vater. Am Ende steht, wie öfter bei Wüst, ein möglicher Aufbruch, eine Befreiung. Ludwig Wüst hat in der Zwischenzeit bereits mehrere weitere Projekte in Vorbereitung beziehungsweise in Arbeit. Man darf gespannt sein.