Erschütternder Blick zurück nach vorn
James Baldwin war eloquent, engagiert, und er konnte die traurigsten Augen der Welt haben. Man muss sich nur anschauen, wie sein Blick in sich zusammenfällt, als er im Juni 1968, zu Gast in der Dick-Cavett-Show, vom Talkmaster gefragt wird, wie es denn nun um die Lage der Schwarzen in den USA bestellt sei. Da spiegelt sich der ganze Schmerz, die Wut und die Verzweiflung des afroamerikanischen Schriftstellers in seinen ausdrucksstarken Gesichtszügen wieder. Dennoch verliert Baldwin weder hier noch anderswo jemals seine Haltung. Im Gegenteil. Seine Stimme war stets klar und nachdrücklich, ohne dabei übermäßig theatralisch zu wirken. Wenn er sprach, dann weniger von sich selbst, als von den Umständen und darüber, was es bedeutet, schwarz zu sein. Das war das große Thema, dem sich der unendlich charismatische Intellektuelle längst nicht nur in seinen Büchern und Schriften widmete. Regelmäßig trat James Baldwin in der Öffentlichkeit auf, an Universitäten, im Fernsehen oder auf der Straße, um mit einer Reihe unbequemer Wahrheiten zu Rassenfragen und damit allgemein zur Vergangenheit und Zukunft Amerikas aufzuwarten. Seine Analysen waren so präzise wie erschütternd, und sie waren vor allem eins: zeitlos. Das belegt der brillant komponierte Dokumentarfilm I Am Not Your Negro des haitianischen Regisseurs Raoul Peck auf geradezu erschreckende Weise.
Die Vorlage zum Film lieferte Baldwin selbst mit einem 30-seitigen, fragmentarischen Manuskript unter dem Titel „Remember This House“, in dem er anhand der Attentate auf Malcolm X, Martin Luther King und den weniger prominenten NAACP-Aktivisten Medgar Evers die Geschichte seines Landes neu beleuchten wollte. Mit allen dreien war Baldwin zu Lebzeiten befreundet gewesen, und alle drei hatte er, der Älteste, noch vor ihrem 40. Geburtstag begraben müssen. Das Buch, eine Mischung aus Reisebeschreibung, Essay und Autobiografie, hätte sein ultimatives Spätwerk werden sollen, doch dazu kam es nicht, denn auch Baldwin verstarb 1987 im Alter von 63 Jahren, lange bevor er seine Arbeit vollenden konnte.
Dafür hat sich nun Raoul Peck seiner Notizen angenommen, und das in einer Art und Weise, die Baldwins kritischem Denken von damals heute nicht nur neuen Raum, sondern zugleich eine erstaunliche Aktualität verschafft. Samuel L. Jackson spricht Baldwins Text aus dem Off mit ruhiger Eindringlichkeit, während der Regisseur die passenden Bilder aus dem Kino, der Werbung und immer wieder aus der Wirklichkeit findet, um seine Aussagen zu vermitteln. Was bleibt, ist ein Film voller Dringlichkeit und beunruhigender Intensität, der sich ins Gedächtnis brennt wie lange kein zweiter.