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1970

I Feel Alright – eine zweite Revolution

| Jörg Becker |
In „ray“ 07+08/20 konnten Sie als Teil des Dossiers „1970“ bereits eine gekürzte Version des folgenden Textes lesen, der sich mit musikalischen Meilensteinen des Themenjahres beschäftigt. Hiermit sei die ungekürzte Originalfassung nachgereicht.

Was an der Schwelle des neuen Jahrzehnts sich ausdifferenzierte in eine Vielfalt von Stilmixturen: Folk-, Country-, Blues-, Jazz-, Acid-, Raga-, Classic- und Electronic-Rock – und sogleich in neuen Formationen zu neuen Sounds fusionierte, könnte man als eine zweite Revolution der Popmusik bezeichnen. Psychedelische Toncollagen und Hörbilder, Akte freiflottierenden blinden Verstehens im Drifting ausgiebiger Improvisationen dauerten oft länger als 20 Minuten, sprengten geläufige Formate und konnten nur auf ganzen Langspielplattenseiten konserviert werden („wie ein Esperanto aus sämtlichen Musik-Dialekten der Welt“ – „Spiegel“ 25/1970). Eines der ersten Stücke des Rock, die sich über eine ganze Plattenseite erstreckten, „In-A-Gadda-Da-Vida“ (eigentlich hatte es „In The Garden Of Eden“ heißen sollen“), hatte die 1966 in San Diego gegründete Hard- und Psychedelic-Rockband Iron Butterfly in einem einzigen Take mit zentralem langen Drum-Solo aufgenommen. Volle 140 Wochen befand sich dieses Album von 1968 in den US-Charts, wirkte mithin intensiv ins Jahr 1970 hinein, als ein Album der Band „Live at Fillmore East“ eine für Kenner dieses anhaltenden Dope-Party-Hits deutlich bessere, von durchgängiger Bass & Gitarre basierten und zudem noch längeren Version präsentierte.

 

Das Ende der Sixties

Aus den Listen der „500 Greatest Albums Of All Times“ des Pop-Magazins Rolling Stone von 2003 und den Empfehlungen des britischen Avantgarde-Musikmagazins „The Wire“: „The Wire’s 100 Records That Set the World on Fire (While no One Was Listening)“, erstmals 1998 publiziert, lässt sich eine signifikante Verdichtung von Titeln jener Jahre um 1970 herauslesen. Die Spitze jener All-Time-Bestenliste besetzen nicht ganz unerwartet die Beatles mit dem 1967 veröffentlichten Album „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ (drei Monate Aufnahmezeit), sie sind die Band der Sixties, welche die Pop-Musik dominiert wie definiert hat, und findet sich wie keine andere auf den vorderen Plätzen der Auswahl von Kritikern, Musikern und Produzenten. 1970 erschien, bereits posthum, das Album „Let It Be“. Michael Lindsay-Hogg hatte die Band im Jahr zuvor bei Proben und Studioarbeit für ein neues Album mit dem Titel „Get Back“ aufgenommen, das nie zustande kam; teilweise landeten diese Aufnahmen der Band, mitsamt einzelnen Stücken des Konzerts, das auf dem Dach des Hauses von Apple Records stattfand, dem letzten Auftritt der Beatles am 30. Jänner 1969, auf jenem zwölften und letzten Studioalbum, einen Monat nach der Bekanntgabe der Beatles-Auflösung im April 1970. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits alle einzelnen Bandmitglieder ausgestiegen und im Begriff, eigene Alben zu veröffentlichen – etwa John Lennon sein erstes Solo-Album „Plastic Ono Band“ (1970), mit Songs wie „Working Class Hero“, einem rauen Bekenntnis zur „Garage-Rock Crudity“, in dem das Magazin „Rolling Stone“ „the sound of Year Zero“ entdeckte, „rock & roll’s most self-revelatory recording“. „Let It Be“ indessen wurde schließlich vielfach ergänzt, womöglich vom Produzenten Phil Spector mit neuen Tonspuren, „Wall of Sound“-überladen und mit Bläsersätzen ausgestattet, wo man doch ursprünglich zurückkehren wollte zu einfachen Songstrukturen, back to the roots. 2003 endlich erschien unter der Leitung von Paul McCartney eine alternative Version der Platte namens „Let It Be …Naked“, die die Songs in ihren „naturbelassenen“ Fassungen und vor allem ohne die Produktion von Spector zeigen.

 

Wechsel im Massen-Geschmack

Hierarchien und Grenzen zwischen E-Musik und U-Musik verwischten sich zunehmend, wofür das Werk von Frank Zappa, Komponist in der Stravinsky- und Varèse-Nachfolge sowie Lead-Gitarrist der Band The Mothers of Invention, mit seinen komplizierten Tempi- und Tonartenwechseln das wohl markanteste Beispiel ist. 62 Zappa-Alben erschienen zu seinen Lebzeiten, ca. 50 posthum. Ende 1969 hatte Zappa mit der LP „Hot Rats“ einen großen Sprung in die Fusion-Musik getan, begleitet vom Einsatz einer E-Violine und einer unheimlichen, rauen Gesangseinspielung von Captain Beefheart in „Willie The Pimp“, 1970 folgten die Alben „Burnt Weeny Sandwich“ und „Weasels Ripped My Flesh“, diese mitunter aus der Urmaterie des Lautlichen, Reden, Affekten, vokalisch ‚brute‘, bis einmal, keine akustische Täuschung, neben animalischen Körpergeräuschen, vom Keyboard der Schmelz einer Tschaikowski-Passage herauszuhören ist („Preludes To The Afternoon Of A Sexually Aroused Gas Mask“, in Anspielung auf den Impressionismus Claude Débussys). Dann wieder taucht man der elektrischen Geigenstimme folgend tief ins Sentiment des Blues ein („Directly From My Heart To You“); teils schlägt der Sound in eine bizarr launige Easy-Listening-Bar-Atmosphäre um, die sinnfällig macht, warum Zappa sein Ensemble in der Folge – das Album „Chunga’s Revenge“ vom Oktober 1970 betreffend – als „Vaudeville-Band“ bezeichnet hatte. Und schließlich bekommt man auf „Weasels Ripped My Flesh“ auch eine elaborierte Probe von Zappas Faible für Polyrhythmik zu hören, passagenweise in einer Art komplexem Stolperer-Stil, deren Komposition im Lauf des Stückes „Toads Of The Short Forrest“, von ihm selbst eingesprochen, erklärt wird: „At this very moment on stage we have drummer a playing in 7/8, drummer b playing in 3/4, the bass playing in 3/4, the organ playing in 5/8, the tambourine playing in 3/4, and the alto sax blowing his nose.“

Für „Chunga’s Revenge“ und weitere Alben hatte Frank Zappa die zwei früheren Sänger der Popgruppe The Turtles, Howard Kaylan und Mark Volman, in das Mothers of Invention-Ensemble geholt und mit dem mächtig eingehenden, zum Mitsingen einladenden Song „Happy Together“ auch deren einzigen großen Hit, ein satirisches Selbstzitat, kurzzeitig ins Mothers-Repertoire aufgenommen. In unterhaltsamer Unordnung erzählen die Stücke vom Leben einer Rockband, dem sexuellen Treiben auf Tournee, mit Texten, die von der Kritik mitunter als misogyn gebrandmarkt wurden. Der Showcharakter der Mothers-Performances mit kleinen Spieleinlagen, satirischen Nummern lässt, weist hierin eine Verwandtschaft mit dem Typ experimentellen Rock-Kabaretts bzw. Underground-Musiktheaters auf, wie es die Beatnik-Poeten Tuli Kupferberg und Ed Sanders mit ihrer Band The Fugs aus der New Yorker Lower East Side betrieben. Als sie im September 1968 zu den Essener Songtagen eingeladen waren, stellten sie dort ein Schwein als ihren Präsidentschaftskandidaten vor. Im Jahr ihrer vorläufigen Auflösung 1970 erschien das Album „Golden Filth: Live at the Fillmore East“. Für ihre Komödie Burn After Reading (2008) verwendeten die Coen Brothers ein Stück der Fugs, „CIA-Man“ (Tuli Kupferberg), quasi als Titelsong: „Who can kill a general in his bed? / Overthrow dictators if they’re Red? (…) / Who can train guerillas by the dozens? / Send them out to kill their untrained cousins? / / Fucking-a man! / (Fucking-A! C-I-A!) / CIA-Man! …

Der originale und unverkennbare Hendrix-Sound, elektronische Rückkopplungs-, Splitter- und Überlagerungsklänge oder die grellen Blues-Figuren, Cluster, elektrisch verzerrte Klangebenen und solche jazzartig abhebenden Dialoge der elektrischen Instrumente untereinander, wie sie das Trio Cream live hervorbrachte, schienen bis dahin inkompatibel mit dem Geschmack für Massen-Musik; das änderte sich nun in erstaunlich kurzer Zeit. Der Pop Ende der Sechziger wirkte nicht allein über Lightshows, Farbenrausch und halluzinogene Substanzen, er kultivierte nicht nur den Geschmack an Klangorgien sondern auch an einer befreiten, freigespielten Virtuosität der Instrumente, ergänzt von anwachsendem Equipment. Bald standen in den Studios der Popmusik die gleichen Geräusch-Generatoren, Synthesizers, Oszillatoren und Ring-Modulatoren wie in der Elektronik-Werkstatt von Karlheinz Stockhausen beim WDR; The Who, Pink Floyd und Jefferson Airplane traten mit 360-Grad-Stereosystemen und tonnenschweren Verstärkeranlagen in Philharmonien und Opernhäusern auf.

 

„Volunteers“ / „A new Dawn“

Keine Frage, dass diese Musik primär von Sex sprach („Come on, baby, light my fire …“ – „The Doors“, 1967), dass sie ihre Triebgründe für jeden, der sie hören wollte, bloßlegte und ganz gleich, was die Texte sagen, vermittelt über den Blues, seine doppeldeutige Sprache, als Sinnenmotor sexueller Befreiung die Geltung des Lustprinzips verströmt. Die Zensur der US-Rundfunkstationen hielt nicht lange an, und Frank Zappa etwa gründete 1969 eine eigene Plattenmarke, „Straight Records“ (die auch Tim Buckley, Alice Cooper und Captain Beefheart and his Magic Band herausbrachte), sodass provokante Texte gewissermaßen auf dem Rücken des Tigers komplex instrumentierter Kompositionen an die Öffentlichkeit gelangten und so das Fundament dessen, was bis dahin als Sitte und Ordnung galt, unterminierten.

Auf einem Album der Band Jefferson Airplane (Titel: „Volunteers“) finden sich wohlartikuliert die vordem verbotenen Wörter „Motherfucker“ und „Shit“, man kann die Platte von Anfang bis Ende als einen Aufruf zum Umsturz lesen – „Macht eine Revolution, wir sind die Freiwilligen von Amerika“. In dem Filmdokument One P.M. (1972; für „One Pennebacker Movie bzw. „One Parallel Movie“), von D.A. Pennebaker, mit Jean-Luc Godard und Richard Leacock am unvollendeten Filmprojekt „One A.M.“ gedreht, zeigt diese Band bei einem „Rooftop Concert“ am 7. Dezember 1968 auf dem Dach eines Hochhauses mit „Volunteers“, ein Auftritt zwischen anderen Häuserwänden wie in einem Bühnenraum, auf den durch Fensterausschnitte der Umgebung mitten am Tag wie von Logenplätzen aus Menschen schauen, bis die Polizei den Music Act im Inneren der Stadt unterbindet („The city can’t stand it“). Zu sehen ist ein kurzes Porträt der Airplane-Sängerin Grace Slick, an deren „schönste Bühnenansage der Rock-Geschichte“ auf dem Woodstock-Festival Dietmar Dath („Stimme der Grenzüberschreitung“. In: FAZ, 30.10.2019) erinnert hat: „Alright friends, you have seen the heavy groups, now you will see morning maniac music, believe me, yeah … It’s a new dawn.“

 

„We Are Stardust“

In dem Jahr, als Bob Dylan eine Sammlung zahlreicher Cover-Versionen, teils im sinnlich einschmeichelnden „Country croon“-Gesangsstil, aber auch Instrumentals und Liveaufnahmen früherer eigener Stücke – „Like A Rolling Stone“ etwa – in seinem kontrovers rezipierten Doppelalbum „Self Portrait“ herausbrachte, hörte man auch Singer/Songwriter James Taylor (zu seiner Rolle als „Driver“ in Monte Hellmans Film Two-Lane Blacktop von 1971 neben Beach Boys-Drummer Dennis Wilson siehe: „ray“ online 9/2017 – „Pathos des Scheitern“) auf seiner zweiten Langspielplatte „Sweet Baby James“ solche nie alternden Songs wie „Fire And Rain“ und „Country Road“ singen. Taylor hatte eine private Hölle hinter sich, Aufenthalte in der Psychiatrie gehörten dazu, das Stück „Fire And Rain“ hatte er unter dem Eindruck des Suizids eines Mitpatienten geschrieben. Taylors „Steamroller Blues“ wurde 1973 von Elvis Presley gecovert.

Joni Mitchell, deren Beziehung mit James Taylor sie zu ihrem Album „Blue“ (1971) inspiriert haben soll, besingt mit ihrer glockenhellen Stimme und reinsten Höhensprüngen auf ihrem vorangegangenen Album „Ladies Of The Canyon“ – gemeint ist der Laurel Canyon, jene Wohngegend in Los Angeles zwischen dem Sunset Boulevard und den Hollywood Hills – bereits ein „grünes“ Bewusstsein. Es enthält u.a. „Big Yellow Taxi“ sowie die Urfassung der eigentlichen Hymne zu „Woodstock“: „We are stardust / We are golden / And we got to get ourselves / Back to the garden“, ehe diese von der Folk-Rock- Band Crosby, Stills, Nash & Young, mitunter als erste „Supergroup von 68“ bezeichnet, mit ihrem charakteristischen mehrstimmigen Gesang aufgenommen wurde. CSN&Ys Album „Déjà vu“ (1970) erreichte Platz 1 der US-Charts, 1971 gefolgt von ihrer Live-Doppel-LP „4 Way Streets“. Im selben Jahr debütierte Mitglied Steven Stills mit einem Solo-Album (darauf „Love The One You’re With“) und Neil Young verband auf seinem bereits dritten Album, „After The Goldrush“ – u.a. mit „Only Love Can Break Your Heart“ – Hardrock mit Country und Folk. Die Aufnahmen zu dieser Platte fanden im improvisierten Kellerstudio seines Hauses statt (ein Neuauflage zum 50. Jahrestag der Erstveröffentlichung ist angekündigt).

 

Die harte Gangart: „I Feel Alright“ – Zwischen Speed Metal und Protopunk

Im September 1970 zum Release ihrer vierten Studio-Langspielplatte sah man auf dem Cover von „Deep Purple In Rock“ am Heldenberg des Mount Rushmore anstelle der Felsskulpturen der US-Präsidenten die Köpfe der Bandmitglieder. Hard Rock und Heavy Metal ergab so etwas wie Speed Metal, das extrem erfolgreiche Album enthält die Urversionen von „Speed King“ und „Child In Time“. Zu Beginn des neuen Jahrzehnts bildete es ein weit verbreitetes, offenbar gefragtes Gegengift zu friedvoller Flower Power. Eine härtere Gangart noch anderen Kalibers vertraten Iggy and the Stooges mit ihrem zweiten Album „Fun House“ – massiv und ungestüm und vom Todestrieb verführbar: in „1970 – I Feel Alright“ gibt der E-Bass das stereotype Klangfundament für heulend metallisch am Reizpunkt zerrenden Lead Gitarren-Sound, bis er ausrastet, seine Rolle im Rhythmusdienst endgültig aufgibt, sich fortan free bewegt, das Ganze mit harten Einschüben des Saxophons in orgiastische Atonalität kulminiert und allmählich in einer Sphäre agonalen Feedback-Fiepens auswabert.

Der Detroit-Rock-Szene, der rückblickend Qualitäten des Punk eigneten, entstammten neben Iggy and the Stooges Bands wie Bob Seeger, Mitch Ryder, Frijid Pink und insbesondere M.C. (Motor City) 5, die nach ihrem legendären Live-Album „Kick Out The Jams“ aus dem Vorjahr Anfang 1970 ihre erste Studio-LP veröffentlichten, auf der in kurzen, eher zwei- als dreiminütigen Dosierungen intensiver Basis-Rock ’n’ Roll, etwa in Chuck Berry-Coverings, zu hören ist und die Band um Rob Tyler, vocals, und Wayne Kramer, gitar/vocals, mit Stücken wie „Teenage Lust“, „Tonight“ oder „Tutti Frutti“ dem Triebimpuls dieser Musik nachgibt. Im Studio ist das Ganze in Form knapper, dichter Soundproben aufgenommen, die im live act instrumental aufgefüllt wurden, wie es die Aufnahmen „MC5 Remastered – Tartar Field July 1970“ open air vor dem Background eines belebten Detroit Highways (siehe YouTube) dokumentieren. Im selben Jahr kam die Debüt-LP „Frijid Pink“ der gleichnamigen Band, gefolgt von „Defrosted“ heraus, deren daraus entnommene Single-Stücke „House Of The Rising Sun“ und „Heartbreak Hotel“ beide in ihrer gecoverten Version eine schlackenlose, ungleich härtere Lesart als ihre Ursprungsfassungen liefern.

Ein massives Hardrock-Trio aus USA, Grand-Funk-Railroad, von Rod Stewart einmal als „all-time loud white noise“ bezeichnet, deren Musik in Sachen Lautstärke und Melodik von der Kritik mitunter als hart an der Grenze des Erträglichen empfunden wurde, erreichte die Spitze der US-Albumcharts und verzeichnete schon 1969 mit ihren Singlehits „Time Machine“ und „Mr. Limousine Driver“ erstaunliche Verkaufszahlen, die sich 1970 mit drei kommerziell sehr erfolgreiche Alben noch steigerten: „Grand Funk“, „Closer to Home“ und das Live-Doppelalbum. Doch während sich in den Staaten die Konzertkarten für Grand-Funk-Railroad angeblich schneller verkauften als bei Beatles-Tourneen, konnte sich die Band um Mark Farner, Gitarre / Vocals in England gegen Black Sabbath, Led Zeppelin oder Deep Purple nicht durchsetzen.

Black Sabbath, in ihren Anfängen bluesig, waren 1968/69 bereits unter dem Namen „Earth“ im Vorprogramm von Ten Years After- und John Mayall-Konzerten aufgetreten; mit ihrem durchschlagenden zweiten Album „Paranoid“, das in den USA vier Millionen Mal verkauft wurde, können sie als wegweisend gelten für das Heavy Metal-Genre.

Auf „Paranoid“ kombiniert die Band in typischem Black Sabbath-Stil einfache Riffstrukturen mit Variationen von Bass, Gitarre, Schlagzeug und eingängigen Gesangslinien. Sänger Ozzy Osbourne, Godfather of Metal bzw. Prince of Darkness, verzichtet darin ganz auf die zu dieser Zeit bei Rockbands geläufigen Bluesrockelemente. Sein hoher, falsettähnlicher ekstatischer Gesang ist unverkennbar. Mit dem ausgekoppelten Titelstück gelangte Black Sabbath weltweit in die Single-Charts. Ursprünglich hatte die Platte den Titel „War Pigs“ nach einem enthaltenen Stück haben sollen, was der Plattenfirma als zu provokant erschien. So entschied sie sich für „Paranoid“, einen Song, der erst gegen Ende der Studiosessions aufgenommen wurde, angeblich um die Platte zu füllen. Ausgerechnet dieser wurde schließlich zum größten Hit der Band, erreichte Platz eins in Großbritannien.

 

ProgRock

Das Cover für den namenlosen Sound vor fünfzig Jahren, der den Hörgewohnheiten der damaligen gefälligen Unterhaltungsmusik ins Gesicht schlug, schien ein offenes Gebiet ort- und zeitübergreifender Fantasy – „la fantaisie au pouvoir“ stand in der Folge des Mai 68 an den Mauern von Paris geschrieben -, so dass Mythen, Märchen, Vorstellungen früher, exotischer Kulturen und religiöser Riten in die Titel- und Textwelt der neuen Musik eingingen – von „Ihrer satanischen Majestät“ oder der „anmutigen Tochter des Henkers“, dem „Hof des karmesinroten Königs“, der „Riten des Nil“, von „Ummagumma“ und „Aoxomoxoa“, Titel, zu denen etwa die Rolling Stones und Family, Pink Floyd und Jefferson Airplane, Grateful Dead und King Crimson inspiriert wurden. Letztere – König Karmesin – gehörten zur britischen Progressiven Musikszene und hatten mit „21st Century Schizoid Man“ ein charakteristisches Aushängeschild ihres Sounds, durchweg voluminös und dynamisch, mit energischen Tempiwechseln, ein komplex angelegtes Hörvergnügen. Der Einsatz des Mellotrons, quasi die Übersetzung der mythologisch, mitunter auch surreal inspirierten Texte in Klang, sowie die E-Gitarre von Bandleader Robert Fripp prägten den Sound. An der Produktion der King Crimson-Alben 1970/71 – „In the Wake Of Poseidon“, „Lizard“ und Island“ – war der Pianist Keith Tippett beteiligt, der mit seinen Einsätzen auf der Single „Cat Food“, entnommen der „Poseidon“-LP, Furore machte, einer einzigartig explosiven Piano-Spur mit wilden Ausbrüchen innerhalb brillanten Arrangements. Sein Spiel brachte in die Kompositionen einen Free-Jazz-Anteil, den Tippett, seit 1970 mit Julie Tippetts, ex-Driscoll, verheiratet, die bis 1969 sehr erfolgreich als Sängerin mit Brian Auger & The Trinity aufgetreten war, in der Folge ausbaute mit seinem Orchester-Experiment Centipede, einer Legierung aus ca. 50 beteiligten Musikern aus der Spanne zwischen Free Jazz und Rock, die an dem Album „Septober Energy“ beteiligt waren, auf dem über eine ganze Plattenseite „die Idee einer panstilistischen Musik“ (Ekkehard Jost) auf die Spitze getrieben ist. Hier begegnet man einem Pool an Künstlern, aus deren einzigartiger Kooperation sich das Gros der britischen ProgRock- und Jazz-Avantgarde-Szene zusammensetzte.

 

Fuzzbox

Die nach William S. Burroughs‘ Roman benannte Band Soft Machine markierte mit dem im Juni 1970 erschienenen Doppelalbum „Soft Machine Third“ einen Meilenstein der Fusion-Forschung und bildete mit Psychedelic- und Minimal music-Anteilen, einem experimentellen, suitenhaft Zusammenspiel aus Jazz, Popelementen und freien Formen die Spitze der ProgRock-Alben zu Beginn der Siebziger Jahre. Es enthält vier ganzseitige Stücke – darunter das aus zwei Livenummern montierte „Facelift“, eingangs mit dunklem Orgelton, vibrierend, jaulend, kreischend, baut es massive Spannung auf, die sich in einem Bläsereinsatz entlädt, der wiederum von einem Solo fuzz-verzerrten Orgelsounds abgelöst wird, gespielt im Legato-Stil, einer gebundenen, ununterbrochenen Stimme – „relentlessly pushing forward like a circular-breathing saxophonist who never takes a gulp o fair until his solo is completely finished“ (Dave Lynch in AllMusic.com) – „Man gibt sich einem akustischen Film hin“, so hat es Franz Dobler bezeichnet (2016).

„Third“ enthält durchkomponierte, geradezu swingende Stücke mit aufregenden Rhythmus- und Tempiwechseln („Slightly All The Time“) und eine über 18-minütige Struktur aus Songs („Moon In June“), intoniert von der hellen Stimme des Drummers der Band, Robert Wyatt. Das Kind intellektueller Eltern war mit Arnold Schoenberg und Paul Hindemith aufgewachsen, gelangte dann zum frei improvisierenden Pianisten Cecil Taylor; sein eigener musikalischer Ausgangspunkt sei Skiffle gewesen. „I never got the whole guitar group thing“, erklärte er in einem BBC-Interview, gestand aber auch das befriedigende Gefühl für einen Drummer, wenn Leute zur Musik der Band anfangen zu tanzen, wenngleich das Hinsetzen und Zuhören des Publikums „more prestigious“ sei. „What we [d.i. die frühen Soft Machine] did, was always a bit eccentric, I think, in terms of the pop market.” Das Ausmaß der zwischen 1969 und 1971 mitgeschnittenen und per CD zugänglichen Live-Konzerte von Soft Machine, scheint inzwischen unübersichtlich, Expertenwissen.

Keyboarder und Komponist Mike Ratledge von den Soft Machine gilt als der Erste, der eine Fuzzbox mit einer Orgel koppelte, und damit die eigentlich schmächtige Tonqualität seines Instruments (anfangs Lowrey Holiday DeLuxe) verstärkte, hin zu einem lautstark aggressiven, dabei hochkomplexen Kanonenorgel-Sound. Das Effektgerät aus zwei Verstärkern, über deren Schaltung man Verzerrung mit vielen Obertönen erreichte, war seit 1962 auf dem Markt, in „I Can’t Get No Satisfaction“ hatten die Rolling Stones wohl den bekanntesten frühen Einsatz dieser Klangwirkung demonstriert, den in der Folge vor allem Jimi Hendrix virtuos zu nutzen verstand. Die Fuzz organ war ein bestimmendes Element der Endsechziger/frühen Siebziger-ProgRock-Szene im Süden Englands, der „Canterbury-Szene“, in der vor allem Ratledge zu der beispiellosen Transformation seiner Band, ein Work-in-Progress, von anfänglicher „psychedelic poppiness“ binnen drei Jahren zu einer ernsthafteren Gegenwartsmusik in „Third“ beitrug, die sich durchweg leichter Kategorisierung entzieht: als „trippy minimalist looping, odd time signatures, unheard-of sonic textures, extended legato soloing, modal jazz structures, and innovative use of counterpoint“, hat Dave Lynch (s.o.) zum Beispiel Ratledges Stück „Out – Bloody – Rageous“ beschrieben. Soundschöpfungen dieser Aufnahmen wirken in Filmmusiken fort, die der Keyboarder für Laura Mulvey – Riddles of the Sphinx (1977), sowie Peter Wollen/Laura Mulvey – Crystal Gazing (1982) und The Bad Sister (1983) produzierte. Der Kritik an den Codes des klassischen Hollywood-Kinos mit diesen Filmen scheint deren vielschichtiges Soundfundament zu entsprechen, in dem sich der Hörer/Betrachter verlieren kann.

 

„Too bright to live“

Was sich in der Musik jener Jahre entwickelte, sinnliche, vitale Interaktion, ausufernde Improvisation, erweiterte nicht nur den Rahmen der Songs, die Dauer suitenhaft ineinander übergehender Stücke, es förderte auch die Lust am Live Act, den Drang danach, das Bühnengeschehen, die wechselseitige akustische Verständigung im Augenblick ihrer Entstehung, die Einzigartigkeit, Unwiederholbarkeit der Performances festzuhalten. Die Zahl der Live-Alben, ganz abgesehen von kursierenden Schwarzpressungen mit oft abenteuerlicher Tonqualität, stieg beträchtlich. Grateful Dead aus San Francisco erlaubten Bootleggern die Aufnahmen zu ihren Liveshows, anfangs mitunter mobil, auf der Ladefläche von LKWs, und dokumentierten selbst fast jeden ihrer Auftritte mit mobilem 16-Spur-Rekorder. „Live/Dead“, die Doppel-LP von Ende 1969, brachte der Band erste Einnahmen, „Workingman’s Dead“ folgte 1970 (das damals von Rolling Stone-Lesern zur Nummer eins gekürte Album soll in Neu-Edition erscheinen), und „Skull & Roses“ (1971) sowie „Europe `72“ ließen die Band wieder live zu Gehör kommen. Wenn Jerry Garcia, Leitfigur und Gitarrist der Band, im Übergang vom Stimmen und Testen der Instrumente beim unmerklichen Eintauchen in die Harmonien eines Stückes wie nebenbei „We are rolling“ ins Mikro verkündet, meint man sogleich eine sanft einsetzende Schubkraft zu spüren, eine Welle aus Folk, Country, Bluegrass, R’n’B, Rock `n`Roll, Psychedelic and Space, die einen unausweichlich auf- und mitnimmt in ihrem entspannten Tonus.

Als Joe Cocker in der Folge seines legendären Woodstock-Auftritts 1970 mit Mad Dogs & Englishmen und Leon Russell auf US-Tournee ging, 56 Tage im 50-köpfigen Team wie in einem Wanderzirkus verbrachte, sorgte man mit Filmaufnahmen und Mitschnitten für die Dokumentation einer enormen Soulfeeling-Atmo, die von den überwiegenden Cover-Versionen ausgeht, eingebettet wie in eine Hippiekommune, deren eine Hälfte, die 21-köpfige Band, allabendlich auf der Bühne steht, eine dauerhaft wohl nur drogiert durchhaltbare Anstrengung.

Der britische Gitarrist und Singer/Songwriter Kevin Ayers, Abkömmling der Canterbury-Musikszene, Mitbegründer von The Wilde (!) Flowers und Soft Machine, der er bis 1969 angehörte, erscheint mit der galant lapidaren Lyrik seiner Songs wie ein später Vertreter eines britischen Dandyismus des Pop, seine Auftritte seltene Schauspiele von Anmut. „A fair hair man with a low sultry voice“, so eine weibliche YouTube-Reaktion: „He has that mono-tonal french thing that gets me. Divinely sexy.“

Nach „Joy Of A Toy“ (1969) hatte Kevin Ayers mit seiner Band The Whole World (dazu gehörig auch Mike Oldfield, der 1973 mit „Tubular Bells“ groß einschlug) eines der bedeutendsten, eigenartigsten, rätselhaftesten Alben jener Zeit hinterlassen: „Shooting At The Moon“, am ehesten wohl noch dem Art Rock von Velvet Underground nahe (aus den 70er Jahren sind gemeinsame Auftritte von Kevin Ayers und John Cales Band dokumentiert; 1970 erschien John Cales Debütalbum „Vintage Violence“ und Lou Reed hinterließ Velvet Underground vor seinem Ausstieg sämtliche Songs des Albums „Loaded“, darunter „Rock & Roll“ und „Sweet Jane“). Es ist eine Mixtur aus Experimenten einander überlagernder Melodien, dissonanter Ausflüge, frei und laut, und einer eigenen Art unschuldiger, sorgloser Balladen, viel zu rein, um in ein kommerzielles Konzept zu passen. Ein sonniger Tag am Wasser, ein Selbstgefühl im Ein-und-allen, bloß „keine Reklame für die Welt“ (so hatte Theodor W. Adorno es im Jahr des Oberhausener Manifestes 1962 bei den Internationalen Filmwochen Mannheim dem geforderten Neuen deutschen Film nahegelegt). Unter dem denkwürdigen Titel „Religious Experience / Singing A Song In The Morning“ erschien 1970 von Ayers als Single eines seiner unwiderstehlichen Stückchen purer Freude am Dasein – „Singing a song in the morning / singing it again at night / I don’t even know what I’m singing about / but it makes me feel I feel alright, yeah yeah …“. Im Rückblick spricht Kevin Ayers (siehe: YouTube) über die Herausforderung im Konzerttournee-Geschäft des Pop, sich andauernd wiederholen zu müssen auf der Bühne – „every fucking night“ – , und es kam vor, aberwitzig genug, dass bestimmte Spontaneität als Stage Act in den Kontrakt geschrieben wurde, also obligatorisch geworden sei. Er dachte dabei an Jimi Hendrix, den er bereits mit Soft Machine als Vorgruppe auf Tournee begleitet hatte, an die erlebte Differenz zwischen einem eher scheuen Privatleben und der Erfüllung eines Bühnenimages. Wer sich der Rock History zuwendet, wird um ein bislang wohl ungeschriebenes Kapitel dieser Geschichte nicht herumkommen – das der Ausbeutung der Künstler durch das Business und ein rücksichtsloses Musikmanagement. Jedenfalls sei vieles, was in jener Phase an Musik geschaffen worden war, einfach „too bright to live“ gewesen.

 

Glückliche Fügungen

Weniger “bright”, eher wild und sperrig, zugleich roh und komplex, unerhört und exzentrisch in ihrem schöpferischen Wahnsinn erscheinen Captain Beefheart & his Magic Band, deren Album „Trout Mask Replica“ zu den nachhaltigen Einzigartigkeiten dieser Phase gehört. Don Van Vliet (alias Captain Beefheart), der später von seiner Malerei eher leben konnte als von seiner Musik, rezitiert seine Poesie jaulend und heulend, schreiend, fluchend, mit einer Stimme, deren Rauheit an Howlin‘ Wolf erinnert (die Stones, Cream, Led Zeppelin und die Doors hatten Erfolg mit Stücken des afroamerikanischen Bluesmusikers, dem gerade die britische Bluesszene – Eric Clapton, Stevie Winwood, Bill Wyman und Charlie Watts – mit dem 1970 gemeinsam aufgenommenen Album „London Sessions“ ihre Reverenz erwies). Captain Beefheart bettet seine teils absurden Lyrics in ein Amalgam aus Delta-Blues, Free Jazz und Avantgarde-Rock, wobei er sich nur vage am Takt der Musik orientiert, die multimetrisches Timing hat und polyrhythmisch teils mal zugleich in 5/8 und 7/8-Takt gehalten ist. Doch was chaotisch scheint, sei präzise konzipiert und geprobt worden. Van Vliets Schulfreund Frank Zappa veröffentlichte das Album, von dessen Cover die Nachbildung einer Forellenmaske uns anschaut, auf seinem Label „Straight Records“ 1969.

„Das Ziel ist ja, etwas ganz und gar Unglaubliches auf die Beine zu stellen, das sich aber nicht einfach als Privatwahnsinn herausstellen darf und deswegen der Bandform bedarf: permanente empirische Bestätigung durch wiederholbare soziale Rekonstruktion des Wahnsinns. Deswegen haben Bands immer mal wieder die beste Kunst des Planeten machen können. Jeder kann behaupten, ein kompletter Alien zu sein, der alle Regeln auf den Kopf stellt, aber nur eine Band kann das ratifizieren. Alles, was es braucht, sind glückliche Fügungen, um die fragile soziale Skulptur als Musik zu dokumentieren.“ (Diedrich Diederichsen: Die südkalifornische Verschwörung. Abgründe – 880 Seiten rekonstruierter Wahnsinn: John „Drumbo“ French schreibt über Captain Beefhearts Magic Band. In: die tageszeitung, 7. August 2010)

 

The Blues

Weniger schwarz als die Stimme Joe Cockers, dafür mit einem charakteristischen Vibrato, ist das Organ von Roger Chapman, Sänger der Progressive Rock Band Family angelegt. Die Alben „A Song For Me“ mit einem zehnminütigem Titelstück sowie „Anyway“, das Live-Pendant, erschienen 1970. Eine weitere Gesangs-„Farbe“ dieser Ära bildet Chris Farlowe, der 1970 bei der Londoner Blues-Rock-Fusion-Band Colosseum einstieg, nachdem er Mitte der 60s außerordentlich erfolgreich Cover-Versionen von Jagger/Richards-Titeln – „Out Of Time“ und „Teeth“ als Singles einspielen konnte, es sind Songs, die im gleichen Jahr auf dem Rolling Stones-Album „Aftermath“ (1966) erschienen. Colosseum, die für lange suitenhafte Kompositionen standen („Valentyne Suite“, 1969), erhielten durch Farlowe in „Daughter of Time“ (1970) und vor allem „Colosseum Live“ (1971) eine stärkere Bluestendenz.

Das Attribut „progressive“ beanspruchten viele der britischen Bands für sich, die den elektrischen Blues fusionierten und stilistisch auf der Suche waren – unmöglich, ihnen allen hier gerecht zu werden. Den wohl stärksten Einfluss des Blues auf einen britischen Sänger lässt wohl Eric Burdon erkennen, der bereits 1961 für Alexis Korners Band, die Talentschmiede Blues Incorporated sang; Eric Burdon and the Animals existierten seit 1964 bis zur stilistischen Wende durch die Gründung von Eric Burdon & War und deren Debütalbum „Eric Burdon Declares War“, ein Amalgam aus Jazz, Blues, Soul und Latin. Ein stark perkussiver Background prägte die Band, die, ebenfalls 1970, die LP „The Black Man’s Burdon“ mit diversen Coverings einspielte, darunter das auch von Edgar Winters im selben Jahr auf seinem ersten Studio-Album „Entrance“ aufgenommene, 17-minütige „Tobacco Road“. Der Stil lässt mitunter an den Latin-Rock der Gruppe Santana denken, 1966 in San Francisco von Carlos Santana gegründet, deren erste LP (1969) bereits 108 Wochen in den US-Charts zubrachte, das darauf folgende Album, „Abraxas“ (1970; darin der sinnlich-melancholische Gassenhauer „Black Magic Woman“, Covering eines Stücks von Peter Green, das der Gitarrist zu seiner Zeit bei Fleetwood Mac zwischen 1968 und 1970 häufig bei Live-Auftritten als Intro spielte; in der Santana-Fassung schien es jedoch bald zur atmosphärischen Grundausstattung eines jeden Nachtclubs gehörig) erzielte enorme Verkäufe.

Unbedingt zu nennen ist noch Van Morrison aus Belfast, der mit Dylan-Coverings „Gloria“ und „It’s All Over Now, Baby Blue“ seine größten Erfolge hatte und mit „Astral Week“ ein von der Kritik gepriesenes, doch schlecht verkauftes Blues-Jazz-Fusion-Album vorlegte; die 1970 anschließende LP „Moondance“ hat längst Klassikerstatus erreicht und ist fester Bestandteils des Repertoires, das Van Morrison bis heute spielt. Zwei Bläser und eine Rhythm section, wie er es mochte, Jazz und Blues, darin lebendig anschauliche Erinnerungen an seine irische Kindheit Er schmeckte die Wörter auf der Suche nach einer neuen Sprache des Begehrens, „Into The Mystic“ sei der passende Titel des zentralen Songs auf dieser Platte, so das Rolling Stone-Magazine, das sie als ein „Album of late night revelry and ecstatic visions“ beschreibt.

 

„Jumping-off-points for improvisations“

Was wurde aus der Cream-Super-Trio-Konstellation nach der Trennung („Goodbye Cream“ 1969)? Eric Clapton und Ginger Baker nahmen in der von Produzenten gecasteten Band Blind Faith ein sehr erfolgreiches Album auf, das sie am 7. Juli 1969 mit einem Free-Open-Air-Debüt-Konzert vor 100.000 im Londoner Hyde Park bewarben. Als es nach der kurzen Episode diese „Super group“ wieder auseinandertrieb, spielte der Schlagzeuger Baker, dessen ausgiebige Soli zu den Höhepunkten einer jeden LP gehörten, mit anderer Formation unter dem Namen Ginger Baker’s Air Force 1970 zwei Alben ein, die stark von afrikanischem Einfluss, perkussivem Sound und zwei Sängerinnen geprägt waren. Zu der Band gehörte zeitweilig Graham Bond, dessen eigene Band, Organization („The Sound Of ´65“ von 1965), Mitte der Sixties den Kern der britischen Jazz-Rock-Szene darstellte (u.a. mit John McLaughlin, Dick Heckstall-Smith, Jack Bruce und Peter „Ginger“ Baker); Bond hatte die Hammond-Orgel und das Mellotron in die Rockmusik eingeführt. (Das „Love-And-Peace-Festival“, open air im September 1970 an der Ostsee in Fehmarn, ist nicht nur dadurch berühmt geworden, dass Hendrix hier seinen letzten Festival-Auftritt hatte, das Air Force-Konzert am Vortag galt damals als wohl gelungenster Live-Gig der regenreichen Veranstaltung). Der reichhaltige Soundtrack des Films Legend (2015, Brian Helgeland) voller Highlights der britischen Mid-Sixties-Szene enthält neben Nummern von Blues Incorporated, den Yardbirds (u.a. mit Jeff Beck, Jimmy Page, Ron Wood – Antonionis Blow Up zeigt sie bei einem Auftritt mit „Stroll On“ von 1966, der mit jener damals, nicht nur bei The Who oder Jimi Hendrix, zum Bühnenritual gewordenen Zertrümmerung einer Gitarre endete), den Small Faces und Rod Stewart auch das Stück „Strut Around“ der Bond Organization.

Jack Bruce, der seinen E-Bass im Cream-Trio zeitweilig wie eine Lead-Gitarre spielte, in einem kommunikativen Improvisationswettbewerb der Freien und Gleichen, dem die Songvorgaben nur als „jumping-off-points for improvisation“ dienten, wie Bruce 1969 einmal in dem TV-Film Cream – The Last Concert (Tony Palmer) erklärte, „in between that can go on forever“, brachte 1970 mit „Things We Like“ ein schon Ende 68 in vier Tagen aufgenommenes Jazz-Album heraus, auf der Basis von Kompositionen, die er – ein Beweis erstaunlichen Talents – bereits zu Schülerzeiten entworfen haben soll. Seine auf Cream folgenden Alben, „Songs For A Tailor“ und „Harmony Row“ (das Cover zeigt ihn hinter drei Jungen im Fensterausschnitt eines heruntergekommenen Hauses, aufgenommen in der Gegend seiner Kindheit in Glasgow) enthalten neben anspruchsvollem energetischen Jazzrock auch erstaunlich lyrische Stücke wie „Theme For An Imaginary Western“ oder „Can You Follow“, die von seinem Gesang und Klavierspiel bestimmt sind – ein krasser Kontrast zu jenem „fetten“ Blues-Hardrock-Sound, mit dem er im Power-Trio West, Bruce & Laing ab 1972 für anderthalb Jahre unterwegs sein sollte. Jack Bruces Stimme in der von Carla Bley, der US-amerikanischen Pianistin/Komponistin, zwischen 1968 und 1971 produzierten Jazz-Composers-Orchestra-Oper „Escalator Over The Hill“ hat auf diesem Triple-Album eine Art Sonderstatus inne. Die Aufnahmen fanden in New York unter Beteiligung eines Musikerpools sowohl aus exzellenten Jazz-Blues-Rock-Fusionisten wie eben Bruce oder John McLaughlin als auch von Jazzern und Weltmusikern der Extraklasse statt, etwa den Bläsern Pharaoh Sanders, Don Cherry oder Gato Barbieri.

 

„The Third World“

Der argentinische Tenorsaxophonist Gato Barbieri etablierte sich Ende der 60s in der US-Free-Jazz-Avantgarde durch die Zusammenarbeit mit großen Formationen wie dem Jazz Composer’s Orchestra – mit dem unter Leitung des gebürtigen Wiener Komponisten und Trompeters Michael Mantler das Doppelalbum der Jazz Composer’s Orchestra Association (JCOA) mit Schlüsselfiguren des Avantgarde-Jazz, „Communications“ (1968; Wiederauflage 1974) betitelt, und das „Escalator“-Triple-Album seiner damaligen Ehefrau Carla Bley (1971) entstanden – und auch dem Liberation Music Orchestra des Jazz-Kontrabassisten, Komponisten und Bandleaders Charlie Haden, der seine Anfänge bei Ornette Coleman hatte. Das Album „Liberation Music Orchestra“ (1970) sei „der Erschaffung einer besseren Welt gewidmet“, schrieb Haden zu seiner Veröffentlichung, „einer Welt ohne Krieg und Totschlag, ohne Armut und Ausbeutung“, und er vollzog damit einen musikästhetischen Brückenschlag zwischen der studentischen Protestbewegung in den Metropolen und den Befreiungsbewegungen der „Dritten Welt“, einen Verbindungssinn, in dem bereits die politische Dimension von „Weltmusik“ enthalten ist.

Nachdem sich das Konzept großorchestraler Kompositionen für frei improvisierende Solisten alias Free Jazz für Michael Mantler erschöpft hatte, beschäftigte er sich vorwiegend mit der Synthese von Sprache (ab 1974 z.B. Samuel Beckett) und lud für die Gesangsrollen u.a. Marianne Faithful, Robert Wyatt oder Jack Bruce zu seinen Kompositionen. In diese „Jazz Composer’s“-Phase fällt für Gato Barnieri auch seine Musik für den Film Skizzen für eine afrikanische Orestie / Appunti per un’orestiade africana (1969) von Pier Paolo Pasolini. An der Wende zu den 1970er Jahren besann er sich auf seine Wurzeln, änderte seinen Stil und brachte nun verstärkt lateinamerikanische und auch afrobrasilianische Musik mit ihren vielfältigen Rhythmen in einen Freiraum des Jazz ein (mit Perkussionisten wie Naná Vasconcelos, Airto Moreira oder James Mtume und dem Bandoneonspieler Dino Saluzzi). Höhepunkte waren seine Aufnahmen Anfang der 1970er Jahre für die Plattenlabel Flying Dutchman und Impulse: „The Third World“ (1970), „Fenix“ (1971), „El Pampero“ (1972) und „Bolivia“ (1973) – zu jener Zeit einzigartig in ihrer Mischung aus Jazz und Latino. Charakteristisch sind seine kraftvollen, wilden Saxophon-Soli zu lateinamerikanischen Klassikern wie „El dia que me quieras“, als suchte er damit den revolutionären Befreiungsbewegung seiner Zeit (im Zeichen von Che Guevara und der Trikont-Bewegung) eine Stimme zu verleihen, und für immer hat sich das Thema seiner Filmmusik für Bertoluccis Last Tango in Paris (1972) ins musikalische Gedächtnis von Cineasten geschrieben.

 

„Together we stand, divided we fall / Come on now people, let’s get on the ball and work together …“

Eric „Slowhand“ Clapton gründete 1970 die Bluesrock-Band Derek and the Dominos (aus Frust, wie es hieß, über den künstlichen Hype um „Supergroups“). Auf einer US-Tournee sah er einen Auftritt der Allman Brothers Band, die 1971 mit „Live At Fillmore East“ ihren großen Durchbruch erzielten; Duane Allman, der Slide-Guitar-Matador des Southern Rock, verstand sich anscheinend glänzend mit der britischen Bluesrock-Ikone und trug sein Bestes zu Claptons/Dereks berühmt gewordener Platte „Leyla And Other Assorted Love Songs“ bei; mit den Brothers hatte er vordem das Studioalbum „Idlewild South“, das Cover-Versionen von Bluesstandards enthält, eingespielt. Zu jener Zeit gab es einen R&B-Boom, der zum Beispiel den älteren schwarzen Bluesgitarristen John Lee Hooker 1970 in die Charts brachte, es kam zu generationsübergreifenden Auftritten, etwa von Muddy Waters, B.B. King, mit den jungen Wilden, Johnny Winter etwa, für welche sie jetzt Vorbilder, Lehrer, Vermittler waren einer gemeinsamen Musik.

Ebenfalls 1970 wurde das Doppelalbum „Hooker `n Heat“ aufgenommen, das der 1917 in Mississippi geborene Repräsentant des „Delta-Blues“, John Lee Hooker, meist mit der E-Gitarre, im Verein mit Canned Heat einspielte, einer 1965 gegründeten Band, die für Blues & Boogie stand. Die Geschichte der Band begann mit der Begegnung von Alan „Blind Owl“ Wilson mit Bob „The Bear“ Hite, dem Zusammentreffen des Boston University-Absolventen mit der markant hohen Tenorstimme, ausgewiesener Musikhistoriker, der Rhythm- und Slide-Gitarre und Mundharmonika spielte, mit dem bärig-gewichtigen Sänger und Mundharmonikaspieler, der schon als Heranwachsender eine Sammelleidenschaft für Blues-Platten entwickelte hatte und jeden Auftritt der Band mit den Worten: „Don’t Forget to Boogie!“ beschloss. Ein Lied des Delta-Blues-Pioniers Tommy Johnson (1896-1956), „Canned Heat Blues“, brachte die beiden auf den Namen ihrer Band: Canned Heat war der Spitzname für Sterno, eine Brennpaste aus Äthanol und Methanol, eine Art Surrogat-Alkohol, eine Droge für die Armen mit oft tödlichen Folgen.

„Well I’m so tired of crying / But I’m out on the road again …“: Ihrer Single-Auskopplung „On the Road Again“ von der LP “Boogie with Canned Heat”, basierend auf einem 1928 komponierten Klagelied, “Big Road Blues”, ist auch etwas von Alan Wilsons Faible für indische Klassik anzuhören; mit dem Stück „Going Up the Country“ aus dem Album „Living the Blues“ (1969) schufen Canned Heat, die dort bei Sonnenuntergang auftraten, eine inoffizielle Hymne des Woodstock-Festivals. In ihrer anschließend erschienenen „Future Blues“-LP findet sich bereits der Umweltschutz thematisiert im Song „So Sad“, der den Smog über L.A. beklagt; mit ihrer Single-Auskopplung „Let’s Work Together“ erreichten Canned Heat um 1970 wohl den Höhepunkt ihrer Bandkarriere. Dahinein fiel der Tod Alan Wilsons, der an Depressionen gelitten hatte; am 3. September 1970 starb er an einer Barbiturat-Überdosis.

 

„Then Play On“

Die britische Band Fleetwood Mac gründete sich, nachdem deren Gitarrist Peter Green bei John Mayalls Bluesbreakers ausgestiegen war. Mit überwiegenden Blues-Coverversions debütierte sie bereits Ende 1968 erfolgreich; ihr Doppelalbum „Fleetwood Mac in Chicago“ (Release im Dezember 1969) enthält Session-Aufnahmen, die sie zusammen mit afroamerikanischen Bluesmusikern wie Otis Spann, Buddy Guy, Willie Dixon, Walter „Shakey“ Horton u.a. einspielten – eine schwarz-weiße Blues-Fusion, dyed in the wool, während die Band inzwischen auch mit vom Blues entfernten Singles außerordentlich erfolgreich waren: der Peter Green-Kompositionen „Black Magic Woman“ (Cover Santana; siehe oben) und dem Instrumental „Albatross“, das Platz eins der britischen Charts erreichte, „Man of the World“ und der sehr speziellen Aufnahme „Oh Well“, das auf Seite A der Single rockige E-Gitarrenriffs abrupt verstummen lässt und auf Seite B, im zweiten Part als meditatives Instrumental mit Konzertgitarre anschließt (solch eigenartige Stop-and-Start-Technik kehrt in Led Zeppelins „Black Dog“ auf Led Zeppelin Fourth [1971]wieder).

Das Jahr 1969 mit dem Album „Then Play On“ brachte die Loslösung vom Blues hin zu progressivem Balladen-Rock, es war die Phase, in der Fleetwood Mac mehr Platten verkauft haben sollen als die Beatles oder die Rolling Stones. Im Folgejahr verließ Peter Green, das scheue, genialische Phänomen, das sich auch zuletzt im Februar 2020 bei einem Gala-Konzert zu seinen Ehren nicht blicken ließ, der Gitarrist, dessen introvertierter und warm melodischer, intensiver Stil für drei Jahre den dunklen, gedeckten Sound von Fleetwood Mac geprägt hatte, die Band – „The Green Manalishi“ war das letzte Stück, Mitte 1970 erschienen als Single, das Peter Green mit der Band aufgenommen hatte. Am Ende einer Europa-Tournee im März 1970, so heißt es, sei der Gitarrist auf einem Bauernhof der „Highfish-Kommune“ in Kronwinkl, Niederbayern, eingeladen von den „Edel-Hippies“ und Ikonen der 68er-Bewegung, Rainer Langhans und Uschi Obermaier, die noch heute von jenem Mythos zu leben scheinen, auf einmal verschwunden, abgetaucht – dort habe er den LSD-Trip bekommen, der ihn aus der Bahn geworfen hat. Später sei Schizophrenie diagnostiziert worden, er verbrachte viel Zeit in psychiatrischen Anstalten. Green gab die Musik auf, verkaufte seine Gibson-Les Paul-Gitarre an den Freund und Bewunderer Gary Moore, soll stattdessen religiöse Erfahrungen gesucht haben…indes Fleetwood Mac nach etlichen Personalwechseln zu neuen Ufern strebten, sich 1971 mit der LP „Future Games“ quasi neu erfanden und im Pop-Rock-Mainstream ankamen, nachdem sie sich in Kalifornien angesiedelt hatten. Es folgten mit „Fleetwood Mac“ (1975) und „Rumours“ (1977) zwei der erfolgreichsten Alben der Musikgeschichte.

Bereits 1969 war in den USA das Album „Muddy Waters – Fathers and Sons“ erschienen: das Cover zeigt das Konzept der Platte, die Weitergabe eines Erbes der älteren afroamerikanischen Bluesmusiker an die jüngeren weißen. In Anlehnung an Michelangelos Deckengemälde Creazione di Adamo in der Sixtinischen Kapelle sieht man einen älteren schwarzen und einen jüngeren weißen Mann, deren Finger kurz davor sind, einander zu berühren. Muddy Waters und Otis Spann jammen hier mit dem Gitarristen Paul Butterfield (der Electric Flag-Gitarrist war auch für die Musik zu dem Film Medium Cool [1969] von Haskell Wexler verantwortlich) und dem Mundharmonikaspieler Paul Butterfield, dessen Blues Band im folgenden Jahr ein eigenes Live-Album herausbrachte (Dokument in Martin Scorsese Presents The Blues, 2003).

 

Turning Points

Von einer zentralen Figur, dem neben Alexis Korner maßgeblichen Wegbereiter des britischen Blues, John Mayall, aus dessen Band Bluesbreakers im Lauf der Sixties die größten Talente, herausragende Instrumentalisten und Bandleader hervorgegangen waren, erschien Ende 1968 nach Auflösung der Bluesbreakers das Album „Blues from Laurel Canyon“. Das Cover zeigt den Briten wie einen Indianer in wilder Landschaft und tiefem Licht der kalifornischen Sonne. Einzig Mick Taylor, kurze darauf für Brian Jones angeheuerter Rolling Stones-Gitarrist, der Peter Green abgelöst hatte, welcher wiederum 1966 für Eric Clapton in die Band gekommen war, blieb von der alten Formation übrig und nahm Teil an den Aufnahmen, zu denen Mayall durch eine Reise nach Los Angeles, seine spätere neue Heimat, inspiriert worden war. Mayall wohnte anfangs bei seinem Freund Bob Hite (s.o.: Canned Heat), dann in einem Baumhaus; das Stück „The Bear“ ist Hite gewidmet: „I’ve been living with the Bear / In a big house full of blues / Going back through the years / Hear any record you choose // The sun is shining down / And the bear is rolling in the shade (…)”. Die in England aufgenommene Platte bedeutete eine Entfernung von den Wurzeln des klassischen Blues, einen wegweisenden „Turning Point“ (so der bezeichnende Titel seines Ende 1969 erschienenen Albums „Live at Fillmore East“), der Stil dieses Auftritts ohne Schlagzeug – in dem dynamischen Blues „Room To Move“ sind die Percussions vokalisch erzeugt – setzte sich fort in Mayalls von einer Liebesromanze inspirierten Kompositionen der Platte „Empty Rooms“. In „USA Union“ (ebenfalls 1970) kamen der Gitarrist Harvey Mandel (Canned Heat) und der Geiger Don „Sugarcane“ Harris dazu, dessen hinreißende elektrisch verstärkte Blues-Geige auch auf „Frank Zappa and the Mothers of Invention Live At the Fillmore East“ (Juni 1971) oder auf den Zappa-Alben „Weasels Ripped My Flesh“ und „Burnt Weeny Sandwich“ („Little House I Used To Live In“) zu hören ist, es sind 1970 erschienene Platten, die, mit Ausnahme von „Chunga’s Revenge“, Aufnahmen der letzten zwei bis drei Jahre versammeln.

Der Multiinstrumentalist Steve Winwood besann sich nach der Blind Faith-„Supergroup“-Episode wieder auf die Band Traffic und spielte, die meisten Kompositionen von ihm, im Juli 1970 das Album „John Barleycorn Must Die“ ein, apart darin das auf einem alten englischen Volkslied beruhende Titelstück im Kontext der Platte, deren sonstige Instrumentalstücke von Hammond-Orgel und Saxophon bestimmt sind. In „Low Spark of High Heeled Boys“, dem folgenden Album, wurde Traffic durch einen afrikanischen Perkussionisten, Rebop Kwaku Baah, erweitert, was dem Sound eine flächige und kühlere Note verleiht.

 

Take-off

Im März 1970 erschien der Soundtrack zu Michelangelo Antonionis Zabriskie Point, daraus hervorstechend „Dark Star“ von Jerry Garcia/The Greatful Dead, eine gleichsam zu freiem Flug abhebenden, schwerelose Improvisation, sowie eine Wiederaufnahme des vom Doppelalbum „Ummagumma“ (1969) bekannten Pink Floyd-Stückes „Careful With That Axe, Eugene“ – auf der Basis eines Bass-Ostinatos von Roger Waters schwingt sich eine Keyboard-Improvisation im phrygischen Modus (Richard Wright; s.a.: „Set the Controls for the Heart of the Sun“) auf, der den orientalischen Charakter unterstreicht, kulminierend in einem gedehnten finalen Schrei, gespielt zu der Szene, in welcher eine Villa in Wüstenlandschaft durch eine große Explosion per Zeitlupe in Stücke zerrissen wird. Weitere aus Anlass der Filmmusik eingespielte Songs finden sich auf Pink Floyds „Atom Heart Mother“, dem ersten für Vier-Kanal-Quadrophonie aufgenommenen Album der Band (was in der Schlussaufnahme der Soundcollage „Alan’s Psychedelic Breakfast“ als Raumgefühl demonstriert erscheint), typisch darin auch die sanfte, schwebende, friedvolle Stimmung in David Gilmours „Fat Old Sun“, erwachend mit dem ergreifenden Klang seiner akustischen Gitarre hin zu anwachsender Elevation in die ganze Fülle des zukünftig charakteristischen Pink Floyd-Sounds, der bei Live-Auftritten ins Ambiente einer Multi-Media-Lightshow versetzt wurde. Mitte 1969 waren bereits Pink Floyds Filmmusik-Einspielungen für den Barbet Schroeder-Film More (BRD / F / LUX 1969), „Soundtrack from the Film More“ erschienen, und mit dem Album „Relics“ („A Bizarre Collection of Antiques & Curios“ verheißt das auf dem Cover abgebildete, einer Kirchenorgel ähnelnde mechanische Monstrum nach einer Zeichnung des Drummers Nick Mason) veröffentlichte die Band im Folgejahr eine Kompilation aus Stücken zwischen 1967 und 1969, darunter die Singles des als eigentlichen ‚Pionier‘ des britischen Psychedelic-Pop geltenden früheren Bandleaders Syd Barrett (insbesondere aufgrund der frühen Singles „Arnold Lane“ und „See Emily Play“), der durch exzessiven LSD-Konsum psychisch Schaden genommen hatte, sodass er der Arbeit der Band und ihren Tourneen nicht mehr zu folgen vermochte. Er war der Welt abhanden gekommen.

 

„Remember when you were young, you shone like the sun …“

Syd Barrett, Gitarrist-Singer/Songwriter, dessen Slide-Guitar-Spiel Einflüsse von Mississippi-Delta-Blues in die typischen britischen Pink-Floyd-Traumlandschaften transformierte, er schien alle Vorstellungen vom empfindsamen Kreativen zu erfüllen, bis ihm unter fortschreitendem Realitätsverlust das Interesse verloren ging, aber bevor er sich aus dem Rockgeschäft zurückzog, nahm er 1970 zwei Solo-Alben auf: „The Madcap Laughs“, an deren Einspielung sowohl Mitglieder von Soft Machine als auch Pink Floyd beteiligt waren, und „Barrett“, akustisch – sparsam, karg, Folk-orientiert, eine Platte, der man den Rückzug schon in der Reduziertheit ihrer Songs anzuhören meint. Man findet Syd Barrett mitunter als „Rock-Märtyrer“ bezeichnet: „Remember when you were young, you shone like the sun …“ Manche legendären Alben wie „The Piper at the Gates of Dawn“ hatte er nahezu allein kreiert, unheimlich mit beschwingtem Antrieb –

„Lime and limpid green, a second scene / Now fight between the blue you once knew / Floating down, the sound resounds / Around the icy waters underground / Jupiter and Saturn, Oberon, Miranda and Titania / Neptune, Titan, stars can frighten / Blinding signs flap / Flicker, flicker, flicker blam, pow, pow / stairway scare, Dan Dare, who’s there? / Lime and limpid green, the sound around / The icy waters under – / Lime and limpid green, the sounds around / The icy waters underground“ („Astronomy Domine“ von Syd Barrett, in: „Piper at the Gates of Dawn“).

Man sollte hier, neben dem oben angedeuteten Kapitel Business, Management und Ausbeutung, an ein weiteres, wohl noch schwieriger zu ergründendes Kapitel der Rock History denken: an den Anteil der unterschiedlichen, teils „bewusstseinserweiternden“ Substanzen, ihre Wirkung und Verfügbarkeit.

 

„Mercedes Benz“

Im September 1970 war Janis Joplin, Queen des weißen Bluesrock, in Los Angeles für Aufnahmen zu ihrem dritten Columbia-Album: „Pearl“, das mit „Me and Bobby McGee“ einen Number One-Hit enthielt. Als letztes Stück nahm sie „Mercedes Benz“ auf, soll jedoch nie im Sinn gehabt haben, den Song zu veröffentlichen. „Für sie war er eine Eselei, zusammengedichtet in einer durchzechten Nacht“, so hat es Gökalp Babayiğit („Lieder gegen den Kapitalismus. Teil 1“, Süddeutsche Zeitung, 3. Juli 2015) beschrieben. Janis Joplin habe es, in nur einem Take und ohne Instrumente, eingesungen in einer Pause während der Aufnahmen für das Album „Pearl“ und hochironisch eingeleitet mit den Worten „I’d like to do a song of great social and political import. It goes like this:

Oh lord won’t you buy me a Mercedes Benz / My friends all drive Porsches, I must make amends / Worked hard all my lifetime, no help from my friends / So oh lord won’t you buy me a Mercedes Benz (…)“

Wenige Tage nachdem sie diesen „Song mit großer sozialer und politischer Bedeutung“ wie einen Jux als eine Art konsumistisches Stoßgebet eingesungen hatte, starb Janis Joplin am 4. Oktober 1970 an einer Überdosis Heroin. Zu ihrem Erbe zählte ein Porsche 356c, den sie sich zwei Jahre zuvor gekauft hatte.

 

„Call it anything“ – Miles Davis electric

„Wednesday-, Thursday-, Friday-, Saturday Miles“: Miles Davis, live at Fillmore East in Manhattan, 1970 an vier Nächten in Folge, mit wechselndem Publikum: Noch Monate zuvor hätte man das im Fillmore, dieser einstigen „Cathedral of Rock and Roll“, nicht für möglich gehalten, wo zwischen März 1968 und Juni 1971 unter vielen anderen Bands wie The Doors, The Who, Frank Zappa, Cream, Crosby, Stills, Nash and Young ihre Live-Auftritte mitschneiden ließen, nicht selten Höhepunkte in deren Diskografien. Atmo, Klangfarben, Rhythmen – in jeder Hinsicht schien das weder Jazz noch Rock, sondern jenseits scharf getrennter Label – „spaced out“, hieß es bei den Bewunderern, die, nachdem sie ein wenig Zeit brauchten, diesen explorativen Sound zu absorbieren, „a new space“ darin entdeckten, der als vorerst unkategorisierbar in den Bereich Avantgarde geschoben wurde. Beständiger Wandel, Suche, die konstante Überraschung – „Today’s Tomorrow“ war der Tenor, ein emphatischer Zukunftsbegriff, aus Erwartung neuer Ausdrucksformen. An jenen Abenden, die das Doppelalbum von 1970 dokumentiert, spielte die Gruppe um Miles Davis – Chick Corea, Steve Grossman, Keith Jarrett, Jack DeJohnette, Dave Holland und ein brasilianischer Perkussionist, Airto Moriera, dessen Entdeckung bereits ein deutliches Indiz für die Erweiterung des Sounds, den Weltmusik-Aspekt dieser Formation bildete – vor jungem Rock-Publikum (The Band bildete zu einem späteren Zeitpunkt den Gegenpart des Konzertabends), vor der Black Community, Hippies, intellektuellen Jazz-Leuten und Prominenten der Branche. Man hört zwischen 20 und 30 Minuten durchgehende mitgeschnittene Liveaufnahmen pro Abend, mitsamt aller tastenden Übergänge, lässiger Verständigung in Versuchsanordnungen für eingebrachte Kompositionen.

Zu den „50 key events in the history of Jazz“ (The Guardian) gehört das legendäre Konzert von Miles Davis am 29. August 1970 beim Rockfestival auf der englischen Insel Isle of Wight vor geschätzten 600.000 Menschen. Manchen mag es als Sündenfall im Jazz gegolten haben, eine Art Jazz-Äquivalent zu Bob Dylans „going electric“, anderen als eine Sternstunde der musikalischen Entwicklung. Es war der Stand der Dinge zwischen den Alben „Miles Davis at Fillmore“ und „On the Corner“ – und das Ereignis bestand allein schon in der ungeheuren Dimension, in der diese Musik stattfand: „Eingerahmt von Auftritten Joni Mitchells, Jimi Hendrix’ oder The Whos, brodelte ein elektrisches Hexengebräu, das dem Rockpublikum nur die Wahl zwischen fassungslosem Staunen und stehenden Ovationen ließ“. – „Nenn’s wie du willst“ („Call it anything“), soll Miles Davis lapidar gesagt haben, als er hinterher nach dem Titel gefragt wurde. Ob einige der damaligen Bandmusiker die elektrischen Instrumente nicht mochten? Geschenkt – angesichts dieser elektrisierenden Jam Session, die den mal scharf einsetzenden, mal getragenen Trompetenton erwartete und empfing, „immer von blauer Farbe grundiert, formvollendet formlos.“ (Konrad Heidkamp: K.O.-Schlag in der letzten Note, DIE ZEIT, 10. März 2005) Ob „The Man with the Horn“ (Titel des Miles Davis-Albums von 1981) mit dem Verstand eines Boxers spielte – „antäuschen, wegducken, vorausdenken, vermuten, was kommt“, ja ob das am Ende überhaupt noch Jazz sei, solch eine Frage stellte sich im nächsten Moment unter dem Einfluss dieses Sounds schon nicht mehr. Jedenfalls gab die Band ein Beispiel essentieller Improvisation. Hier hatten sich Räume geöffnet. (Zu sehen in: Miles electric. A Different Kind of Blue, 2005. Regie: Murray Lerner)

 

Wah-Wah

Das Jahr, in dem Miles Davis einem frenetischen, lauten Rock- und Hippiepublikum vorgestellt wurde, der Startrompeter des Cool, der bei Charly Parker begonnen hatte, nun seine italienischen Anzüge gegen „flashy street clothes“ eintauschte und sich der Fangemeinde von Jimi Hendrix oder auch Sly and the Family Stone annäherte, es war auch das Jahr, in dem sein Doppelalbum „Bitches Brew“ erschien, sein Soundtrack für den Film A Tribute to Jack Johnson eingespielt wurde (Album: „Jack Johnson“, 1971) und die Aufnahmen für „Live-Evil“ entstanden, mit einem nie zuvor gehörten Gitarreneinsatz von John McLaughlin, dessen Beteiligung an der Band des Ex-Miles Davis-Drummers Tony Williams Lifetime bis zur Gründung der eigenen Formation für die Jazzrock-Fusion-Szene einen enormen musikalischen Fortschritt mit sich brachte. 1970 markierte einen einzigartigen Schub für Davis’ Stil und damit für eine übergreifende Fusion-Tendenz, die aus Richtung des Jazz kam: Die folgenden fünf Jahre über spielte er nicht mehr unplugged, das elektrische Fender Rhodes Keyboard, sogar in Doppelbesetzung, bestimmte den Sound, zudem ein Funk-orientierter Bassist (Michael Henderson von Stevie Wonder), und der Meister selbst nutzte erstmals ein Wah-Wah-Pedal für sein Instrument – jene sich verbreitende Frequenz-Modulation des Instrumentalsounds per Fußpedal, deren Einsatz Jimi Hendrix’ Spielweise ebenso charakterisierte wie all das zuvor ungehörte Heulen, Dröhnen und Schnurren seiner Gitarre durch Vibratorhebel und Rückkopplungen. Eine exzellente Demonstration davon bietet der Höhepunkt des Silvesterkonzerts 1969/70 im New Yorker Fillmore East, „Machine Gun“, auf dem Live-Album „Band of Gypsys“, wenn Hendrix’ Gitarre zwischen brüllendem Raketenton und dem Rattern von MGs die US-Hymne seziert. Ein halbes Jahr nach seinem Tod erschienen mit „Cry Of Love“ Einspielungen aus den letzten zwei Jahren seines Lebens vor allem aus dem New Yorker Electric Lady Studio.

Ein anderes exzellentes Beispiel an Wah-Wah-Geschmack, einziges E-Gitarren-Solo auf einer Platte, die aufs erste Hören also den Rock-Fan enttäuschen muss, findet sich auf dem ansonsten von der Solo-Geige Jean-Luc Pontys bestimmten außerordentlichen Frank Zappa-Album von 1970 – „King Kong – Jean-Luc Ponty Plays The Music Of Frank Zappa / Music For Electric Violin And Low Budget Orchestra Composed And Arranged By Frank Zappa“. Dessen Schwerpunkt bildet ein 20-minütiges Orchesterwerk – „It emerges not as a segmented series of ideas arbitrarily linked together, but as a securely integrated whole that moves with almost subliminal subtlety from one tempo, meter, mood or idiom to another, and from reading to blowing; …“ (Leonard Feather). Das abschließende kurze Stück, „America Drinks And Goes Home“, im bizarren Kontrast zur ernsten Sinfonik ein genialer Rausschmeisser aus dem Album, „suggests a bunch of drunks leaning up against a bar“ (Zappa) und macht augenblicklich klar, warum Zappa seine Band zwischendurch auch „Vaudeville Orchestra“ benannt hatte. Dieses Stück zählte bereits zum Repertoire der Mothers of Invention; hier ist es in gelungener Fusion Zappa/Ponty neu eingespielt.

„Einen solch krassen, überzeugenden Fall von Authentizität findet man selten“, schrieb Jenni Zylka in SPIEGEL-Kultur (9.12.2016): Zappa habe es nicht nötig gehabt, eine Bühnenperson aufzubauen, er hielt sich am kein Genre, nie produzierte er, was die Mehrheit unter „Rock“, „Jazz“ oder „Klassik“ zusammenfasste, auch wenn er seinen Zuhörern eine lange Phase „pubertärer Pimmeltexte“ zugemutet habe.

 

Can, Kraftwerk und was man „Krautrock“ nannte

Nach ihrem Album „Monster Movies“ (1969) hatte die Gruppe Can aus Köln, ohne ins öffentliche Bewusstsein getreten zu sein, mit dem Medienpublikum Kontakt durch TV- und Filmmusiken, zum Teil enthalten auf der LP „Soundtracks“ (1970), Beispiele des Neuen deutschen Films: Mädchen mit Gewalt von Roger Fritz; Ein großer graublauer Vogel, BRD 1970, von Thomas Schamoni, Deadlock von Roland Klick (alle BRD, 1970 uraufgeführt), Deep End von Jerzy Skolimowski (1970) sowie Cream – Schwabing Report (1971). 1971 lieferte Can mit dem Titel „Spoon“ die Erkennungsmelodie zu der dreiteiligen Durbridge-Krimiserie Das Messer (TV ab 30.11.1971); der Song verkaufte sich (200.000 Single-Ex.) und kam sogar in die Hitparaden (2017 unter dem Titel „The Singles“ erneut veröffentlicht). In den Folgejahren verstand es die Gruppe Can, die sich nie als Rockband betrachtete und schon gar nicht unter die pop-journalistischen Kategorie Krautrock fallen wollte, in einer Art Sound-Ironie, eingängige Erkennungsmelodien (z.B. TV-Reihe „Aspekte“) zu produzieren, ohne sich zu verleugnen. Noise-, Synthesizer- und Cut-and-paste-Experimente ließen die Stücke erscheinen wie Ergebnisse einer Klangforschung, gleichsam Soundproben, schließlich hatten Mitglieder der Band, Holger Czukay und Irmin Schmidt, bei dem Avantgarde-Komponisten Karlheinz Stockhausen studiert, und der stereotype Beat des Drummers Jaki Liebezeit (der aus dem Jazz kam und bei Chet Baker und Manfred Schoof gespielt hatte) war deutlich abgesetzt von allen Rock-Assoziationen, ungemein präzis im Vordergrund verharrend, während wechselnde Soundschichtungen über den Beat gelegt wurden – etwa auf dem 18-minütigen „Halleluwah“ vom legendären Doppelalbum „Tago Mago“ (aufgenommen im November 1970, erstmals mit dem japanischen Sänger Damo Suzuki, den Holger Czukay angeblich bei einem Straßenauftritt entdeckt hatte). Quasi Neo-Dada, mitunter von sängerischem Ausdruckswahnsinn erfasst, durchweg auf Basis eines Sounds, der sich entschieden von angelsächsischen Vorbildern, deren dominierenden Rhythm-and-Blues-Mustern absetzt.

Früheste Filmdokumente (Westdeutscher Rundfunk WDR; siehe: YouTube) zeigen die Band Can live in Soest, ebenso das Düsseldorfer Kraftwerk-Gründungsduo Ralf Hütter und Florian Schneider-Esleben, als diese noch mit Klängen experimentierten, die sie großenteils handmade (Querflöte, Violine, E-Bass) produzierten (so der musikalische Stand der Gruppe Kraftwerk zur Zeit ihres Debütalbums 1970, kenntlich am Emblem eines rot-weißen Leitkegels – „Kraftwerk II“ darauf in grün-weiß – auf dem Cover), zeitweise Drums und E-Gitarre hinzunahmen, ehe sie, ab etwa 1974, mit maschinellen Beats in rein elektronischem Kraftwerk-Funk („Wir sind die Roboter“) zu den globalen Taktgebern des Rap- und Techno-Fachs avancieren sollten. Das junge Publikum in der westfälischen Provinz jedenfalls schien damals verwundert aufzuhorchen, als Kraftwerk, inmitten ihres Equipments, von Aggregate-Atmo zu Maschinenrhythmen wechselten, vom Melos in stampfenden Beat übergingen, von einer minimalistisch gezupften Geige in ozeanisches Soundcluster eintauchten – Titel wie „Ruckzuck“ oder „Heavy Metal Kids“ führen aus heutiger Erfahrung mit der Band in die Prä-Robotik-Ära von Kraftwerk zurück, als die Soundproduktion aus ihrem Düsseldorfer Kling-Klang-Studio noch das Analoge mit dem Synthetischen verband – ehe das Band-Prinzip hinter einem Design-Prinzip zurückzutreten schien, „before they were robots“, ließe sich sagen, gewissermaßen „before Ziggy“ (zu denken an „The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars“ von David Bowie, 1972, der zwei Jahre zuvor im Quartett unter dem Bandnamen The Hype mit neuem Bühnenkonzept in Kostümen auftrat, etwa als „The Rainbow Man“, und damit dem Stil-Phänomen Glam-Rock den Weg wies).

Was um 1970 aus der Bundesrepublik kam an neuen Klängen, wurde im englischsprachigen Bereich mit dem Label „Krautrock“ versehen. Unter diesem Schlagwort verzeichnet Wikipedia 39 Bandnamen, die Spitze vom Eisberg eines musikalischen Aufbruchs in Westdeutschland, bei dem schon früh ein Sinn fürs Kino und dessen Sound bestand: Die Gruppe Amon Düül II aus München, benannt nach einem altägyptischen Gott, hatte Auftritte in Filmen bzw. spielte für Filme von R.W. Fassbinder, z.B. in Niklashauser Fahrt (1970); ihre Filmmusik für Hans-Jürgen Syberbergs Adaption einer Kleist-Novelle, San Domingo, per Handkamera im Münchner Hippie- und Rockermilieu gedreht, brachte der Band im Folgejahr einen deutschen Filmpreis. Popol Vuh (Debüt-Album „Affenstunde“, 1970; „In den Gärten Pharaos“, 1971) um Florian Fricke schuf vor allem mit dem Moog-III-Synthesizer eine Spiritualität ausstrahlende Weltmusik, die, von dem Mellotron-ähnlichen „Choir Organ“ geprägt, zur unlösbaren Grundierung mancher Bildsequenzen von Werner Herzogs Siebziger-Jahre-Filmen wurde. Die Entdeckung der Sitar gab dem Sound eine fernöstliche Dimension. Unter diesen Synthesizer-bestimmten Bands, den Elektronik- und Ambient-Pionieren aus der BRD, besaß Tangerine Dream (der Bandname war dem Liedtext von „Lucy in the Sky with Diamonds“, dem Lennon/McCartney-Stück auf dem „Sgt. Pepper’s Lonely Heart Club Band“-Album entlehnt) aus West-Berlin international das wohl größte Renommée. Auf der Platte „Electronic Meditation“ erschien 1970 ihr repetitiv und wie auf einem Klangteppich ausgebreiteter Sound, der anfangs lediglich von einer Farfisa-Orgel erzeugt wurde. Ihren ersten Veröffentlichungen auf dem Virgin-Label folgten Tourneen durch Großbritannien, nach Australien, durch Europa bis zur ersten US-Tournee und dem Auftrag für den Soundtrack zu William Friedkins Wages of Fear (1977), basierend auf dem Film Lohn der Angst / Le Salaire de la peur (1953, Henri-Georges Clouzot).

 

„Klassenkampf der Narren“

Für den westdeutschen Liedermacher, Schriftsteller und Rechtsanwalt Franz Josef Degenhardt („Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“), als Jahrgang 1931 von dem neuen Sound um 1970 schon fast eine Generation entfernt, Ende der 70er Jahre in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der BRD als Kommunist praktisch verboten – waren Beat, Rock und Pop weniger Ausdruck einer Jugend- und Kulturrevolution, als die sie erschienen, sondern eher eine große system-affirmative, scheinbefriedigende eskapistische Jugendbewegung. Die libidinösen Ströme dieser Alternativkultur seien kommerziell angeeignet, in Richtung Konsum gelenkt, die herrschenden Besitzverhältnisse stabilisiert – sie sei „mit Pop und Pot auf dem falschen Trip“, statt sich „mit der Arbeiterklasse und ihren Organisationen“ – wie immer herrschten unterschiedliche Auffassungen, welche das seien könnten – zu verbinden. Wer im Folgenden an „Whole Lotta Love“ („Led Zeppelin II“), Robert Plants Stimmvolumen und Jimmy Pages gehackte Gitarrenriffs denkt, liegt nicht falsch: „Und hunderttausend zogen hin / zu ihren heiligen Plätzen / und lagen da, und Frieden war / in ihren sanften Gesten. / Big Zeppelin, Big Zeppelin / hing an zwei schwarzen Sonnen. / Und aus Verstärkern dröhnt im Bauch / die Litanei der Wonnen. / Und Wolken aus Afghanistan / und stampfende Gitarren / und Schreie nach Befriedigung, / nach Klassenkampf der Narren. / Big Zeppelin, Big Zeppelin, / er erigierte mächtig. / Dann kam es ihm beim Riesenschrei, / und er zerplatzte prächtig. / Und hunderttausend Fähnchen / verströmt Big Zeppelin / mit Love- und Peace-Parolen / von Coca-Cola und Jasmin. // Ja anno siebzig einundsiebzig / waren sie alle wieder da, / die Wandervögel, zogen dahin / auf Wallfahrt zum Big Zeppelin (…)“

 

Fusions

Der aufregendste Jazz-Fusion-Gitarrist jener Phase, John McLaughlin, brachte 1970 während seiner Bandmitgliedschaft bei Tony William’s Lifetime sein erstes Album in den USA, „Devotion“ heraus, dem das Rolling Stone-Magazin attestierte, McLaughlin habe es geschafft, „to make an album as heavy as the most fanatical Led Zeppelin devotee could wish, while maintaining a high musical level“. Es war vor der Formation seiner Band The Mahavishnu Orchestra 1971 („The Inner Mounting Flame“), Passion, Power and Beauty – Jazz-Rock-Fusion at its best.

Kurz zuvor hatte sich der Jazzrock – besser noch: der frühe Fusionjazz, noch fehlte dem Phänomen die Bezeichnung – auf eine Weise gitarristisch gezeigt wie nie zuvor: Auf Larry Coryells Album „Spaces“, Ende 1969 aufgenommen und 1970 auf dem Label Vanguard Records veröffentlicht, trafen die beiden besten Gitarristen der 70er Jahre, Coryell und McLauglin zusammen innerhalb eines Spitzenensembles, verzahnt in furiosem Zusammenspiel ineinander verflochtener Improvisationen, zwischen Django-Reinhardt-Tradition und elektrischer Free-Jazz-Avantgarde. Rückblickend unterscheidet sich diese musikalische Begegnung markant von den Jahre später arrangierten Spitzentreffen von Gitarrenvirtuosen, bei denen, wenn auch in einer Art fröhlichem Wettkampf verschiedener Stilrichtungen einschließlich des Flamenco, gleichsam einer Leistungsschau an instrumentaler Kompetenz, ein Solo das andere toppen zu wollen schien. Wobei es doch auf die gelungene Kooperation ankam beziehungsweise eine geglückte Chemie: „Bereits 1969/70 war offensichtlich etwas im Wasser, so als hätten sich alle fundamentalen Elemente des musikalischen Universums zusammengefunden, um immer komplexere Atome und Moleküle zu erschaffen, was dann Jazz Fusion bedeutete – eine Erschaffung neuer Welten, deren Möglichkeiten scheinbar endlos waren, selbst wenn sie ein Fragezeichen an den Zuhörer stellten, was das alles bedeutet.“ (Sacha O’Grady)

 

„Gimme Shelter“ – Sixties-Ausklang und Ausblick

„Let It Bleed“ – mit Ausnahme des Liedes „You Can’t Always Get What You Want“ fanden die Aufnahmen zu dieser LP von Februar bis Oktober 1969 in den Olympic Studios in London statt. Die meisten Gitarrenparts wurden von Keith Richards eingespielt; der drogengeschädigte Brian Jones war nur noch bei zwei Liedern beteiligt. Von „Let It Bleed“ wurde kein Song als Single ausgekoppelt, obwohl nicht nur „Gimme Shelter“ oder (das für eine Single allerdings zu lange Blues-Stück) „Midnight Rambler“ durchaus für die Charts geeignet gewesen wären; dafür ist „Gimme Shelter“ ins Dauer-Repertoire der Live-Stones übergegangen, wie die vielfachen Konzertvideos belegen.

Die einzige Stones-LP, die 1970 erschien, war das Livealbum „Get Yer Ya-Ya’s Out! “ – der Titel basiert auf einem gleichnamigen Blues-Song aus dem Jahr 1938 von Blind Boy Fuller; „Ya-Yas“ bedeutet „ass“. Während einer US-Tournee der Stones wurde es bei drei Konzerten im Madison Square Garden in New York City (am 27. und 28. November 1969) sowie bei einem Auftritt in Baltimore (am 26. November 1969) aufgenommen, erstes Album der Stones mit dem eingewechselten Gitarristen Mick Taylor, dessen Slide-Guitar den Stones-Aufnahmen einen veränderten Touch verlieh. Herausragend: die neunminütige Fassung von „Midnight Rambler“, der rollende, mächtig anfahrende Zug dieser Aufnahme … Dabei handelt es sich um einen der wenigen nicht nachbearbeiteten Songs, denn die ursprünglichen Aufnahmen wurden durch zahlreiche Overdubs verändert. Bei manchen Stücken sang Mick Jagger die Leadstimme im Studio noch einmal ein; auch der Hintergrundgesang von Keith Richards wurde nochmals im Studio aufgenommen.

„Sticky Fingers“, in diversen Studios und mobil aufgenommen zwischen Anfang 1969 und Dezember 1970, war das erste Album der Band, das sie nach der Trennung von Decca Records unter ihrem eigenen Plattenlabel Rolling Stones Records veröffentlichten und enthält als prominente Songs „Brown Sugar“ sowie, für manch einen das Beste, die Country-geprägten „Wild Horses“ und „Dead Flowers“; unter den Gastmusikern waren Ry Cooder und Billy Preston. Die Lieder stammen – mit Ausnahme des Blues-Titels „You Gotta Move“ (Fred McDowell) – alle von Mick Jagger und Keith Richards; für den Song „Sister Morphine“ wird mittlerweile Marianne Faithfull als Co-Autorin genannt: Der Text, in dem ein sterbender Mann verzweifelt nach Morphium verlangt, stammt in wesentlichen Teilen von ihr.

Erstmalig sieht man das Zungenlogo, seither ein eingetragenes Warenzeichen. Das von Andy Warhol für 15.000 Pfund gestaltete Plattencover stellt den Unterkörper des Warhol-Schauspielers Joe Dallesandro dar, von vorn und hinten präsentiert in hautenger Röhrenjeans, in die ein echter, funktionsfähiger Reißverschluss eingearbeitet war, den man öffnen konnte. Sichtbar wurde dann weiße Unterwäsche. Mit „Gimme Shelter“ hatten die Stones für „Let It Bleed“ am Ausgang der Sixties ein Stück komponiert, das in die Zukunft schaut und eine gewaltsame Stimmung beschreibt, wie sie schon damals in Amerika herrschte:

“Ooh, a storm is threatening
My very life today
If I don’t get some shelter
Ooh yeah, I’m gonna fade away
War, children, it’s just a shot away
It’s just a shot away
War, children, it’s just a shot away
It’s just a shot away …”