ray Filmmagazin » Themen » Ich mache einfach weiter

Ridley Scott. Ein Dossier

Ich mache einfach weiter

| Pamela Jahn |
Ridley Scotts „The Last Duel“ erzählt von einer Frau im spätmittelalterlichen Frankreich, die behauptet, von einem ehemaligen Freund ihres Mannes vergewaltigt worden zu sein. Ein Gespräch mit dem Regisseur und mit Hauptdarstellerin Jodie Comer über ihre Zusammenarbeit am Set, über lähmende Löcher in Scotts Zeitplan und darüber, warum noch ein „Alien“-Film vielleicht einer zu viel wäre.

Sir Ridley, die Erzählweise des Films, das Beleuchten eines Ereignisses aus verschiedenen Perspektiven, erinnert stark an Kurosawa Akiras Klassiker „Rashomon“. War das von Anfang an so geplant?
Ridley Scott: Ohne Frage. Matt Damon rief mich an und fragte, ob ich Lust hätte, das Drehbuch zu verfilmen, das er und Ben Affleck zusammen geschrieben hatten. Er erklärte mir, um wen und worum es ging, und meinte, dass sie es für wichtig hielten, dass man den Vorfall zeigt, der zu dem Duell führt. Dahinter stand die Rashomon-Idee, dass man das Ereignis aus drei verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, nicht bis ins kleinste Detail, aber im Prinzip. Ich fand das eine hervorragende Herangehensweise, weil so die wichtigsten Standpunkte herausgestellt werden, einerseits der Marguerites und andererseits der ihres Ehemanns, der denkt, sie sei eine Schmeichlerin, was zu der Zeit keine ungewöhnliche Haltung war. Und dann gibt es natürlich Le Gris, den Mann, der für den Übergriff verantwortlich ist, jedoch denkt, dass ihn keine Schuld trifft. Damit stellen sich gleich drei große Fragen auf einmal.

Wie wichtig ist Ihnen historische Genauigkeit, wenn Sie ein Geschichtsdrama wie dieses umsetzen? Wie lässt sich der Anspruch auf Genauigkeit mit Ihrem eigenen künstlerischen Stil beim Filmemachen verbinden?
RS: Was ich im Umgang mit Historie im Film gelernt habe, ist, dass man von den unzähligen Versionen, die es gibt, eine liest und plötzlich glaubt, diese sei die einzig richtige. Aber gleichzeitig weiß man, dass dem nicht so ist. Also tut man besser daran, sich auf die Geschichte zu konzentrieren, die man erzählen will. Es kommt darauf an, dass man sich den Kontext anschaut und dann entscheidet, was wie gewesen sein könnte. Der Rest, die Kostüme, die Pferde, die Schwerter, das ist ein Kinderspiel. Und natürlich ist mir daran gelegen, dass die Dinge wahrheitsgemäß dargestellt werden. Nur eine Sache habe ich diesmal geändert – und zwar die Helme. Denn ich wusste, dass die beiden Männer im Zweikampf zu Pferd erkennbar sein mussten. Aber mit den Helmen von damals hätte man gar nichts gesehen. Die Helme waren für den Fall eines Frontalzusammenstoßes komplett geschlossen, was am Boden extrem gefährlich werden konnte, weil man dann seinen Gegner nicht richtig sehen konnte. Also habe ich die Visiere halbieren lassen, woraufhin die Historiker meinten, das wäre niemals so gewesen. Meine Antwort lautete: „Jetzt schon!“ Das ist ein Beispiel dafür, in welchem Zusammenhang sich Praktikabilität manchmal gegenüber Geschichtstreue durchsetzt.

Das vollständige Interview lesen Sie in unserer Printausgabe 11/2021

Sie arbeiten extrem viel und extrem schnell. Liegt das allein daran, dass Sie wissen, dass Zeit Geld bedeutet? Oder spielt in der Hinsicht immer auch ein gewisses Maß an Ungeduld eine Rolle?
RS: Nach ungefähr zehn Jahren auf dem Regiestuhl wurde mir bewusst, dass Schauspieler keine 38 Takes durchspielen wollen, den meisten genügen zwei oder drei, oder wenn es eine schwierige Szene ist, manchmal fünf oder sechs, aber das war’s. Mir fiel auf, dass ein Großteil der Schauspieler es beim ersten oder zweiten Take hinbekommt, und deshalb habe ich mir angewöhnt, darauf hinzuarbeiten. Und wenn ich nach einer Szene das Gefühl habe, die Sache ist im Kasten, dann lautet meine erste Frage: „Bist du zufrieden damit?“ Wenn ja, geht‘s weiter, wenn nicht, dann nicht. Aber meistens denken sie kurz nach und sagen ja. Wichtig ist, dass man die Frage stellt. Aber das kann Jodie besser erklären.Jodie Comer: Man wird komplett verwöhnt, wenn man mit Ridley Scott arbeitet. Da kann es durchaus vorkommen, dass man vier oder fünf Kameras gleichzeitig um sich herum laufen hat, was einen als Schauspieler dazu zwingt, sich wirklich komplett auf den Moment zu konzentrieren. Und es bedeutet, dass man, vor allem, wenn es um so emotional aufreibendes Material geht wie hier, nicht acht Stunden am Stück oder sogar länger damit beschäftigt ist. Man dreht, was man braucht, in drei oder vier Stunden ab, und fertig. Das ist schon etwas Besonderes.Welche Rolle spielt Casting für Sie? Nehmen wir Adam Driver. Was macht ihn in „The Last Duel“ zu einem passenden Le Gris und im nächsten Film zu einem perfekten Maurizio Gucci?
RS: Casting ist komplett intuitiv, und ich muss immer alle Rollen selber besetzen. Das ist mir wichtig. Im Fall von The Last Duel war es zunächst umgekehrt. Ben und Matt haben mich ausgewählt. Aber die Art und Weise, wie ich mich für einen Schauspieler oder eine Schauspielerin entscheide, basiert immer auf Gesprächen. Ich rede mit ihnen nicht über den Film. Ich lasse auch keine Rollen lesen. Mir geht es darum, herauszufinden, wie einfallsreich der- oder diejenige ist, was sie denken, wie sie fühlen. Einfach ein paar Szenen durchzulesen halte ich für wenig sinnvoll. Das Setting ist zu künstlich. Die eigentliche Magie passiert letztlich vor der Kamera.Ms Comer, Ihre Marguerite ist verständlicherweise sehr reserviert. Sie darf keine Gefühle zeigen, muss sich ihrem Mann unterwerfen. Wie haben Sie sich mit der Figur auseinandergesetzt, um ihr Innenleben zu offenbaren, ohne zu viel preiszugeben?
JC: Was mir am meisten Freude gemacht hat, war es, Marguerite dabei zu beobachten, wie sie die Kontrolle über ihr Zuhause übernimmt, wenn ihr Mann nicht da ist. Die Freiheit, die sie findet, das zu tun, was ihr Spaß macht, und eine Art Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Ich wollte ihr eine Stimme geben, weil es wenig gibt, was man über sie weiß. Andererseits musste ich mich auch extrem auf die anderen Perspektiven konzentrieren. Es ist wichtig, dass die Zuschauer sowohl die Standpunkte von Le Gris und de Carrouges als auch meine Rolle für komplett glaubwürdig halten. Ich bin eine andere Version ihrer selbst, wenn ich Marguerite in diesen Szenen verkörpere. Umso Entscheidender war es, sie in dem Teil, in dem ihre Perspektive widergespiegelt wird, genau so darzustellen, wie wir es uns vorgestellt hatten.

Es scheint, als würden plötzlich immer mehr Geschichten, die weibliche Figuren ins Zentrum rücken, auf der Leinwand erscheinen. Denken Sie, die Industrie arbeitet in dieser Hinsicht eine Art Schuldgefühl gegenüber Frauen ab?
RS: Nein. So haben wir es jedenfalls nicht gesehen. Die Tatsache, dass hier eine Frau im Zentrum steht, hat mit den Ereignissen zu tun, um die es geht. Das ist aber nicht der Hauptgrund dafür, warum wir den Film machen wollten. Unser Anliegen war es, diese spezielle Geschichte zu erzählen. Wenn der Film dabei jedoch gleichzeitig auch ein paar aktuelle Fragen anspricht, ist das natürlich umso besser.

JC: Ich hoffe auch sehr, dass der Film zur Diskussion anregt. Es ist kein einfaches Thema. Und man trägt eine große Verantwortung, wenn man eine Geschichte wie diese im Kino erzählt. Das ist aber auch kein Grund, es nicht zu tun. ES ist wichtig, dass wir den Menschen den Spiegel vors Gesicht halten. Am Ende nehmen die Zuschauer davon mit, was sie wollen, je nachdem welche Erfahrungen sie selbst in ihrem Leben gemacht haben.

Der Moment nach dem Duell ist sehr speziell. Ihr Gesicht sagt in dem Augenblick alles.
JC: Ja, ich finde den Moment auch extrem spannend, weil Marguerite erst dann realisiert, dass es bei dem Duell niemals um sie ging. In dem Augenblick passiert so viel in ihr: Verzweiflung, Verachtung, Ressentiment, da kommt alles zusammen.

Ihre Filme spielen fast immer entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Inwieweit geht es Ihnen dabei jedes Mal aufs Neue darum, eine andere Welt zu schaffen?
RS: Man muss immer wieder etwas anderes finden und erfinden. Wenn ich gefragt werde, was ich zum Römischen Reich recherchiert habe, sage ich: Nichts! Ich habe mir ein paar Bilder angeschaut und gedacht, schauen wir, ob es funktioniert. Die beste Investition in meinem Leben war die, auf eine sehr gute Kunstschule zu gehen. Davon profitiere ich bis heute. Ich bin nie auf eine Filmhochschule gegangen. Ich schaue mir Bilder, Gemälde und Fotos an und lasse mich inspirieren. Außerdem muss man dazu sagen, dass ich mit den besten Production Designern überhaupt zusammenarbeite. Und mit den besten Kostümdesignern. Und den besten Kameraleuten. Da bleibt für mich am Ende nicht mehr viel zu tun, außer mich zurückzulehnen und Kaffee zu trinken.

Ist das auch ein Grund dafür, warum Sie stets so viele Eisen gleichzeitig im Feuer haben? Was treibt Sie heute immer noch so unermüdlich an?
RS: Ich sehe das ein bisschen anders. Ich mache einfach weiter. Ich denke stets daran, was als Nächstes kommt. Mein Beruf ist meine Leidenschaft, ich sehe das nicht als Arbeit an sich. Im Moment bin ich mit Napoleon beschäftigt, damit fangen wir im Januar an. Darüber hinaus schreibe ich, für Ende nächsten Jahres, bereits an Gladiator 2. Und so arbeite ich immer. Ich versuche stets, 18 Monate im Voraus zu planen, sonst hat man diese schrecklichen Löcher im Zeitplan: Man macht einen Film fertig und hat nicht daran gedacht, was danach kommt. Dann hofft man vergebens, dass etwas Gutes auf dem Schreibtisch landet, aber das passiert nie. Man muss sich selber darum kümmern.

Diese Löcher im Zeitplan müssen ja nicht unbedingt mit Arbeit gefüllt werden. Machen Sie auch mal Urlaub?
RS: Meine Frau fährt auf Urlaub, meistens nach Costa Rica, um ihre Schwestern zu besuchen. Und das ist super, denn sie liebt das Meer und ich nicht. Sie fährt weg, und ich male inzwischen. Ich male ziemlich große Bilder. Außerdem habe ich seit 27 Jahren ein Weingut, um das ich mich kümmere, wenn es die Zeit erlaubt. Das ist mein Urlaub. Und es ist ja nicht so, dass ich nicht auch mal in den Pool springen oder mit Freunden etwas trinken würde. Ich weiß auch, wie man eine gute Zeit haben kann. Keine Angst. So ernst ist das alles auch nicht. Aber ich plane gerne voraus.

Reizt es Sie weiterhin, noch einmal zur „Alien“-Franchise zurückzukehren?
RS: Wir haben ja mehrmals versucht, Alien zu neuem Leben zu erwecken, zunächst mit Alien: Prometheus, und meiner Meinung nach hat das auch gut funktioniert. Dabei war kein einziger Alien darin zu sehen. Nur das Studio war anderer Meinung, obwohl der Film immerhin 450 Millionen Dollar eingespielt hat. Dann kam Alien: Covenant, diesmal wieder mit richtigen Aliens. Aber dem Film hat das nichts genützt. Trotzdem denke ich, wenn man so ein tolles Biest hat, das wird nicht wirklich müde. Man muss es nur immer wieder neu durchdenken. Ich weiß nicht, was nach der Fernsehserie kommt. Aber wie dem auch sei, es wird kein Film jemals wieder so gut sein wie der erste. Das steht fest. Ich hatte das große Glück, H.R. Giger zu begegnen und gemeinsam etwas völlig Einmaliges zu schaffen, vielleicht das originellste Wesen überhaupt. Darin lag der grandiose Erfolg von Alien. Das lässt sich nicht einfach so wiederholen. Das gibt es nur einmal.