identities 2009: Das internationale Queer Film Festival, nach wie vor der zweitgrößte Filmfest-Event in Wien nach der Viennale, feiert heuer sein 15-jähriges Jubiläum – mit einem inhaltlich wie formal gewohnt vielseitigen Programm.
Gustav und Luca sind seit acht Jahren ein Paar. Sie leben gemeinsam in einer schicken, gemütlichen Wohnung in Rom und haben sich auch sonst gut in ihrem Alltag eingerichtet. Sie sind so etwas wie ein schwul-bürgerliches Vorzeigepärchen: sympathisch, trendy, kulturbeflissen. Beide sind etablierte Journalisten. Gustav arbeitet als Moderator und Italien-Korrespondent für Arte, Luca schreibt Filmkritiken. Ihr Leben verläuft harmonisch, reibungslos im angenehmsten Sinn. Alles in bester „Ordnung“, möchte man meinen. Als aber 2006 die neue Mitte-Links-Regierung rund um Ministerpräsident Romano Prodi einen Gesetzesentwurf präsentiert, der gleichgeschlechtlichen Paaren mehr Rechte zusichern soll, entzündet sich eine Art homophobes Lauffeuer in Italien. Der Vatikan, die Konservativen, ideologisch eingeschworene Anti-Abtreibungs-Aktivisten und nicht zuletzt einschlägige Zeitungen und Fernsehsender laufen Sturm gegen das geplante Gesetz, sehen damit wieder einmal das Ende der Familie und die Entwertung aller Werte heraufdämmern. Schockiert und wütend darüber, dass eine derartig regressive Geisteshaltung in ihrem Heimatland immer noch auf fruchtbaren Boden stößt, machen sich Gustav und Luca auf, um mit der Kamera den Menschen auf der Straße direkt aufs Maul zu schauen.
Ihr daraus entstandener Film Suddenly, Last Winter, der souverän zwischen ironischem Feelgood-Selbstporträt und hartnäckiger Gesellschaftsanalyse balanciert, zählt zu den Highlights der diesjährigen Ausgabe von identities, dem internationalen Queer Film Festival in Wien, das heuer sein 15-jähriges Bestehen feiert. Aus gutem Grund: Die reaktionäre Stimmungsmache in Italien gegen die so genannte Homo-Ehe, die der Film deutlich transportiert, hat auch einen Nachhall in Österreich gefunden. War es nicht der von Papst Benedikt zum Weihbischof von Linz ernannte Pfarrer Gerhard Maria Wagner, der Homosexualität unumwunden als Krankheit bezeichnete und damit eine Position vertrat, die überholter und falscher nicht sein könnte? Zum Glück, so lässt sich getrost behaupten, hat in diesem Fall zivilgesellschaftliche Entschlossenheit über institutionellen Gehorsam gesiegt. Für die Festivalleiterin Barbara Reumüller darf dieser Erfolg aber freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass „die Rechtslage für Homosexuelle in Österreich unverändert prekär ist, dass hier notwendige Gesetze von der Politik nach wie vor nicht ernsthaft angegangen werden. Österreich tritt in Sachen Queer-Issues auf dem Fleck. Das sieht man auch daran, dass in der medialen Darstellung von queeren Lebensrealitäten – wenn sie überhaupt vorkommen – immer noch Stereotype und Allgemeinplätze bedient werden: lifestylig, glossy, schräg, kreativ und so weiter.“
España luminosa
Ein geradezu leuchtendes Gegenbeispiel dazu ist Spanien, ein katholisch ebenfalls tief verwurzeltes Land, das unter der Führung von Premier José Luis Zapatero in den letzten fünf Jahren eine europäische Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Gleichstellungspolitik für die homosexuelle Bevölkerung eingenommen hat. Kein Wunder also, dass das breit gestreute Festivalprogramm auch einen gewichtigen Fokus auf das spanische Kino legt, das im Kontext queerer Inhalte schon längst nicht mehr „nur“ über Regie-Weltstar Pedro Almodóvar identifiziert wird. In Juan Flahns schwarzer Krimi-Komödie Chuecatown beispielsweise, die stets liebevolle Hitchcock-Reminiszenzen setzt, will ein skrupelloser Immobilienmakler dem berühmten Madrider Schwulenviertel eine Hipness-Kur verpassen und geht dabei buchstäblich über Leichen. Und in Ramón Salazars exaltiertem wie behutsam realistischem Gen-der-Bender-Musical 20 Centimetros steht das Bemühen der Prostituierten Marieta im Zentrum, das nötige Geld für eine Operation aufzubringen, die sie von dem „überflüssigen Teil“ zwischen ihren Beinen befreien soll – eine klassische Queer-Story gewissermaßen, deren Reiz sich vor allem aus Marietas narkoleptischen Schüben speist, die sie immer wieder in Sekundenträume führen, in denen einerseits üppige, an Fred Astaire und Judy Garland geschulte Tanz-Choreografien ihren ungetrübten Frohsinn spiegeln, andererseits aber auch altbekannte Dämonen transsexueller Alltagserfahrung beschworen werden. Dass diese Dämonen in Marietas Leben aber keinen realen Angelpunkt mehr haben, lässt sich durchaus als opti-mistischen Kommentar auf einen sozialgesellschaftlichen Wandel Spaniens in Bezug auf gay life lesen.
The Summer of ’69
2009 bedeutet nicht nur für identities ein Jubiläumsjahr. Zum vierzigsten Mal jähren sich heuer auch die legendären Stone-wall Riots, also jene gewalttätigen Proteste gegen eine Polizei-Razzia im Szenelokal Stonewall in Greenwich Village, aus denen heraus sich das internationale Gay (Rights) Movement formierte. identities 09 würdigt dieses historische Ereignis mit der Aufführung von Greta Schillers vielfach prämiertem Dokumentarfilm Before Stonewall (1984). Die New Yorker Filmemacherin entwirft darin ein umfassendes Panoptikum schwulen und lesbischen Society- und Alltagslebens, das sich vom ausgelassenen Nachtleben der „Wilden Zwanziger“ über homosexuelle Einfärbungen im klassischen Hollywood-Kino, bis hin zur Selbstbehauptung lesbischer US-Army-Soldatinnen im Zweiten Weltkrieg und der Hetz-Kampagnen der McCarthy-Ära erstreckt. Reicher und materialintensiver lässt sich ein alternatives Bild der amerikanischen Gesellschaft im 20. Jahrhundert kaum zeichnen. Greta Schiller ist darüber hinaus auch mit den zwei beachtenswerten, gemeinsam mit der Regisseurin Andrea Weiss entstandenen Musikdokumentarfilmen International Sweethearts of Rhythm (1986) und Tiny and Ruby. Hell Divin’ Women (1988) vertreten, in denen sie entlegenen Geschichten des schwarzen weiblichen Jazz nachspürt.
Apropos Musikdokus: Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf Wild Combination, Matt Wolfs leises Porträt des lange vergessenen amerikanischen Musik-Avantgardisten Arthur Russell, der sich mit seiner Kunst eigenwillig zwischen Folk, Disco und E-Musik bewegte. Russell, 1992 an Aids verstorben, galt in der New Yorker Szene von jeher als Ausnahme-Talent, schaffte aber nie den großen Sprung – wohl auch aufgrund seines paranoiden Perfektionismus, der viele namhafte Kollaborateure zur Weißglut trieb. Allen Ginsberg oder Theater-Guru Robert Wilson können ein Lied davon singen.
Singulärer Kuss
Bleibt angesichts der Vielzahl an Länderschwerpunkten bei identities 2009 zu guter Letzt die Frage, wie es um Queer-Themen im österreichischen Gegenwartskino bestellt ist. „Ein lesbischer Kuss bei 500 Diagonale-Einreichungen anno 2009, eine schwule Episode in Thomas Woschitzs Universalove – das war‘s. Queer-Issues sind im aktuellen heimischen Film so gut wie inexistent. Eine Doku wie Verliebt, Verzopft, Verwegen von Katharina Lampert und Cordula Thym, die bei identities 2009 Welt-Premiere feiert, ist nur der Hartnäckigkeit der Macherinnen zu verdanken. Das Entstehen hat Jahre gebraucht, weil es das inhaltliche und strukturelle Backing dafür nicht gibt“, diagnostiziert Barbara Reumüller. Was passieren muss, damit im Kino hierzulande Gay Stories ähnlich selbstverständlich erzählt werden wie etwa in dem schönen Broken-Hearts-Film Miao Miao des taiwanesischen Regisseurs Cheng Hsiao-Tse oder in Christophe Honorés Les chansons d’amour, einer tiefen Verbeugung vor Jacques
Démy und François Truffaut, nur um zwei weitere Höhepunkte des diesjährigen Festivals zu nennen, das weiß Reumüller klar zu umreißen: „Eine spürbare Bewusstseinsschärfung dahingehend, dass queere Themen ein integrativer Teil eines pluralen Gesellschaftsgefüges sind, wofür die rechtliche Gleichstellung die gesetzliche Grundlage schafft. Frei nach dem Motto: Free your mind, society will follow.“
Lukas Maurer
Lieben, stehlen, älter werden – Frankreich im Fokus
Ein unausgesprochener Schwerpunkt der identities 2009 liegt auf Filmen aus Frankreich. Es wird darin reichlich gesungen und getanzt, nicht nur in François Ozons famoser Diven-Murder-Mystery-Comedy 8 Femmes (2001). Dominieren in Ozons Queer-Klassiker der große Auftritt und die Ironie, so fällt das Tanzen und Singen in Christophe Honorés Les chansons d’amour (2007) um einiges nachdenklicher aus: Louis Garrel, Ludivine Sagnier und Clotilde Hesme philosophieren singend über die Liebe, während sie eine Ménage à trois ausprobieren. Als ein Mitglied des Trios plötzlich stirbt, müssen die beiden anderen neue Liebeswege finden. Um den Tod geht es auch in André Téchinés Les Voleurs (1996), in dessen Krimidrama um zwei sehr verschiedene Brüder – Unterweltboss der eine, der andere Flic – eine lesbische Liebesgeschichte Genrekonventionen unterwandert und unversehens Fragen nach Identität und Selbstwahrnehmung aufwirft. In Claude Chabrols subtilem Psychothriller Les Biches (1968) sind es zwei „Freundinnen“, so der deutsche Titel, die einander unter der Oberfläche eine mörderische Konkurrenzschlacht liefern: Die reiche, gelangweilte Frédérique (Stéphane Audran) gabelt die junge Straßenmalerin Why auf und holt sie als Geliebte in ihr Haus in Saint-Tropez. Aus der prekären Balance gerät das von Eifersucht und Machtspielen gekennzeichnete Verhältnis vollends durch den Architekten Paul. Vom Altern handelt schließlich Avant que j’oublie (2007), Jacques Nolots bislang letzter Teil einer Reihe von Filmen über einen mal Pierre, mal Jacky genannten schwulen Gigolo. Unsentimental, aber mit leisem Humor zeichnet Nolot den trist gewordenen Alltag seiner Hauptfigur nach, die, lange Zeit von einem Älteren ausgehalten, nun selbst in dessen Rolle wächst.
Andrea Winklbauer
Emanzipatorisches Fernsehen
Kaum zu glauben, aber schon in ihrer Gründerzeit hatte die Lesben- (und Schwulen-)Bewegung in Deutschland einen öffentlich-rechtlichen Verbündeten. Anfang der Siebziger Jahre entstand für das deutsche Fernsehen eine Reihe von Dokumentationen, die sich explizit und engagiert mit der Situation der homosexuellen Frau in der Bundesrepublik beschäftigten. Den Anfang machte Eva Müthels fürs ZDF gedrehter Film Zärtlichkeit und Rebellion aus dem Jahr 1973, in dem Frauen unterschiedlicher Klassenzugehörigkeiten und Sozialisation unaufgeregt und freimütig – damals gewiss nicht ohne Risiko – über ihr Lesbisch-Sein vor dem Hintergrund ihres Alltags, Berufs- und Familienlebens erzählen. Einen Ton schärfer geht es da schon in der WDR-Doku Und wir nehmen uns unser Recht (1974) zu, die sich wie eine audiovisuelle Gegenreaktion auf eine Kampagne der Bild-Zeitung liest, in der zu jener Zeit eine wahre „Hexenverfolgung“ auf lesbische Frauen veranstaltet wurde. Wie Zärtlichkeit und Rebellion im fürs Fernsehen der Siebziger Jahre typischen nüchtern-aufklärerischen Reportage-Stil gedreht, versucht der Film im angeregten Dialog mit einer Gruppe von HAW-Frauen (Homosexuelle Aktion West-Berlin) für die Notwendigkeit politischer und sozialer Organisation zu werben. Mit Erfolg: Nach der Ausstrahlung nahmen in Deutschland viele neue Lesben-Initiativen ihre Arbeit auf. Da sage noch einmal jemand, Bildungsfernsehen wäre kein gutes Fernsehen.
Lukas Maurer