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I’m a Bad Guy

| Jörg Schiffauer |

oder: Der diskrete Charme des Soziopathen

Der Mann hat in der Tat mehrfach Kriminalgeschichte geschrieben. Berühmt und berüchtigt wurde Adolf Schandl 1971 durch einen spektakulären Gefängnisausbruch. Mit seinen Mithäftlingen Walter Schubirsch und Alfred Nejedly gelang es Schandl, zwei Wachebeamte in der Strafanstalt Stein, wo er eine mehrjährige Haftstrafe wegen diverser bewaffneter Raubüberfälle verbüßte, zu entwaffnen, Geiseln zu nehmen und so aus dem berüchtigten Gefängnis zu entkommen. Ihre anschließende Flucht quer durch Wien hielt Österreich tagelang in Atem, als Schubirsch und Nejedly schließlich gestellt wurden, überredete sie Polizeipräsident Josef Holaubek mit einem jovialen Spruch, der legendär werden sollte – „I bin’s, der Präsident“– zur Aufgabe. Schandl, der sich schon davor von seinen Komplizen getrennt hatte, wurde erst zwei Wochen später gefasst.

Zu Beginn von Susanne Freunds Dokumentarfilm, der den mittlerweile 82-jährigen Adolf Schandl in den Mittelpunkt rückt, mag man kaum glauben, dass der eine derartige kriminelle Laufbahn, die ihm knapp vier Jahrzehnte Gefängnis eingetragen hat, hinter sich hat. Denn im Rahmen der ausführlichen Gesprächssequenzen, mit denen sich Freund ihrem Protagonisten annähert, erweist sich Schandl auf den ersten Blick als freundlicher, älterer Herr, der höchst eloquent über sein – euphemistisch formuliert – turbulentes Leben zu erzählen versteht.

Nun ist Adolf Schandl zweifellos ein Charakter, der es in all seiner Ambivalenz mehr als wert ist, sich näher mit ihm auseinanderzusetzen. Diese Annäherung erweist sich allerdings im Verlauf von I’m a Bad Guy als Gratwanderung, bei der man als Zuschauer acht geben muss. Die narrative Strategie, den Protagonisten weitgehend ohne intervenierendes Korrektiv erzählen zu lassen, nützt Adolf Schandl mit dem manipulativen Charme des Soziopathen, um sein ganz eigenes Bild von sich zu präsentieren. Wenn er mittels ein wenig rührigem Reenactment seine morgendlichen Gymnastikübungen in seiner kleinen Wohnung absolviert oder vor jeder Mahlzeit ein Tischgebet spricht, dann erscheint das wie eine präzise orchestrierte Rolle, die Schandl spielt und dabei stets die Kontrolle über sein Bild zu behalten versteht.

Wirklich nahe kommt – und das soll in diesem Fall kein Vorwurf sondern eine Bestandsaufnahme sein – man ihm nicht, dazu verharrt Adolf Schandl zu konsequent und diszipliniert in seiner Selbstdarstellung. Die ist mit der Zeit natürlich auch entlarvend, doch man muss schon aufpassen, um sich nicht von Schandls Narrativ täuschen zu lassen. Seine kriminellen Taten schwächt er rhetorisch geschickt so weit als möglich ab, wenn er über die vermeintlich zu harte Behandlung durch das Justizsystem klagt – und das tut er wiederholt – tritt eine gewisse Larmoyanz zu Tage, die seine soziopathische Seite offen legt. Einsicht oder Reue bezüglich seiner verbrecherischen Umtriebe, die auch höchst gewalttätig waren, ist dabei wenig vorhanden, was Schandl konzediert, würde bestenfalls als Tatsachengeständnis subsumiert werden. Nur in manchen Momenten, etwa wenn er darüber räsoniert, dass „er sich nicht in die Enge treiben lasse“, blitzt die Gefährlichkeit dieses Menschen durch.

Welches Kaliber Adolf Schandl war, wird – soweit man nicht kriminalgeschichtliches Vorwissen mitbringt – erst nach und nach durch Archivmaterial und Interviews, wie etwa jenes mit einer seiner Geiseln, deutlich. Nach der missglückten Flucht aus Stein musste Schandl 14 Jahre absitzen, wieder in Freiheit, beteiligte er sich an bald wieder an mehreren Banküberfällen, was ihm eine Verurteilung zu 19 Jahren Gefängnis eintrug. In der Haftanstalt Karlau tat sich Schandl mit einem palästinensischen Terroristen, der 1985 den Anschlag auf den Flughafen Schwechat verübt hatte und einem wegen Mordes verurteilten Häftling zusammen, um drei Frauen als Geiseln zu nehmen. Der Versuch, sich so frei zu pressen, scheiterte, Adolf Schandl, der mittlerweile als einer der gefährlichsten Kriminellen Österreichs galt, musste nach einer weiteren Verurteilung befürchten, das Gefängnis nie wieder zu verlassen. Wegen guter Führung wurde er jedoch 2012 vorzeitig entlassen, zwischenzeitlich verfasste Schandl ein Buch über sein Leben.

Susanne Freund ist ein spannendes Porträt eines höchst ambivalenten Menschen gelungen, das die eine oder andere Ecke und Kante hat – was jedoch angesichts eines Protagonisten wie Adolf Schandl auch wieder passt.

 

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