Michael Reeves, der mit gerade einmal 25 Jahren verstarb, wäre in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden. Anlass genug, um einen Blick auf sein drei Filme umspannendes, kleines und furchterregendes Werk zu werfen.
Tierisches Geschrei. Die Hexe Vardella, die Hänsel und Gretel nie ins Knusperhäuschen hätte locken können, wird von den biederen Dörflern aufgestöbert. Sie flucht fürchterlich. Man führt sie an ein Seeufer und fesselt sie auf eine Art Katapult. Ein riesiger Nagel wird mit grausiger Detailfreude durch ihren Leib getrieben. Blut, hellrot, nicht von dieser Welt, tropft. Da Vardella nicht fachgerecht ersäuft wurde, reinkarniert sie 200 Jahre später in die sterbliche Hülle von Veronica. Auftritt Horrorfilmikone Numero eins: Die dunkel-erotische Barbara Steele leiht Veronica 1966 in Revenge of the Blood Beast (auch: The She Beast) ihren Luxuskörper. Ort der Handlung ist Transsilvanien, gedreht wird in Italien. Weitere Ingredienzien: Count Von Helsing, der in einem gelben, altersschwachen Automobil hupend herumjuckelt, Kampfhähne, Hammer und Sichel, trottelige Polizisten und Knoblauch.
Der 17-jährige Engländer Michael Reeves sieht aus, als wenn er die Hauptrolle in einem Jane-Austen-Film spielen könnte, aber durch seinen Kopf geht nur ein Gedanke: Movies! Der Jüngling will das Publikum mit Action und Gewalt unterhalten. Der effizient arbeitende Regisseur Don Siegel ist sein Gott, der Allergrößte. Auf eine Filmschule will Reeves nicht, er sammelt lieber praktische Erfahrungen als Regieassistent in Italien und Jugoslawien. Nun möchte er selbst Regie führen, eine Produktionsfirma hat er schon gegründet.
Dunkle Wolken
Michael Reeves ist 21 Jahre alt, als die Hexe Vardella in seinem ersten Film Revenge of the Blood Beast schreit und flucht. Aber ist auch er „verflucht“? Hängt das Schicksal seines Vaters Derek, der stirbt, als er acht Jahre alt ist, wie eine dunkle Wolke über ihm? Wie dieser leidet Michael massiv unter Depressionen, wie sein Vater stirbt er unter nie ganz geklärten Umständen. Alles rational erklärbar, aber im Universum des Horrorfilms, in dem sich Michael Reeves mit seinen drei vollendeten Filmen bewegt, bietet so ein scheinbar vorbestimmtes Schicksal Raum zum Orakeln.
Die Geschichte eines hochbegabten Jungen, dem sein Vater als Kind eine Kamera schenkt. Der seitdem seine fragile Existenz in die Leidenschaft für den Film mauert, die für ihn wie ein bequemer Sessel ist, in den er plumpsen kann, ohne Halt und Sicherheit zu verlieren. Finanzielle Sorgen quälen ihn nicht, seit er als 16-Jähriger eine große Erbschaft angetreten hat. Trotz allem scheint er als Marionette durch sein Leben zu taumeln …
So ergeht es auch Mike (Ian Ogilvy), blasiert, gelangweilt, genau der Richtige, um 1967 Im Banne des Dr. Monserrat (The Sorcerers) zu stehen. Der unverstandene wissenschaftliche Hypnotiseur Marcus Monserrat und seine verhärmte Gattin Estelle fristen ihr Dasein in einer armseligen Wohnung, die ein erstaunlich großes Hinterzimmer birgt. Monserrat gabelt Mike in einem klebrigen Burger-Restaurant inmitten der Atmosphäre des Londons der Swinging Sixties auf. In ihrem grellweißen Wohnungslabor verwandeln die beiden Mike mittels eines psychedelischen Farbgewitters in ihren Privatzombie und halten fürderhin den Steuerknüppel für seinen Geist in den Händen.
Auftritt Horrorfilmikone Numero zwei: Boris Karloff. Als leicht gebrechlicher, aber gut gebräunter Monserrat muss er seine Willensstärke mit der seiner Ehefrau messen. Die Charakterdarstellerin Catherine Lacey ist mit ihrer hageren Gestalt die ideale Verkörperung dieser durch Entsagungen verbitterten Frau, die zur Hexe reinsten Wassers mutiert. Statisches Verharren der Senioren in der muffigen Wohnung im Kontrast zu Dynamik, Bewegung und Geschwindigkeitsrausch bis hin zu körperlicher Gewalt und Mord.
Freunde geben Michael Reeves Halt. Gemeinsam mit Jugendfreund Tom Baker schreibt er die Drehbücher zu The Sorcerers und Witchfinder General (Der Hexenjäger). Ian Ogilvy, Darsteller in allen seinen Filmen, ist sein bester Freund. Der hübsche, blonde Ogilvy kann einen hautengen Acrylrolli genauso gut tragen wie eine Uniform des 17. Jahrhunderts. Immer wieder wird dieser sonnyboyhaft wirkende Mann zu plötzlichen Gewaltausbrüchen fähig, die sein Inneres als finstere Seelenlandschaft offenbaren.
Triumph und Tragödie
In Reeves’ drittem und letztem vollendetem Film Witchfinder General von 1968 werden Frauen von Matthew Hopkins mit brachialen Mitteln zu seinem finanziellen, wahlweise auch sexuellen Vorteil, der Hexerei beschuldigt. Hopkins ist ein historisch verbürgter, unangenehmer Zeitgenosse, der zu Zeiten Oliver Cromwells und des Englischen Bürgerkriegs (1642–1649) Angst und Schrecken verbreitete.
Kahlköpfig, eindringliche Augen, keine Schönheit: Donald Pleasence ist Reeves’ Idealbild des Matthew Hopkins, denn er bevorzugt das Typecasting. Stattdessen bekommt er – Horrorfilmikone Numero drei – Vincent Price vom amerikanischen Koproduzenten AIP (American International Pictures) vorgesetzt. Price, schlank, hochgewachsen und elegant, ist bekannt für seine Manierismen. Reeves ist kurz davor, die Regie abzugeben: Er will kein Grand Guignol mit Augenzwinkern, sondern einen furchteinflößenden Hauptdarsteller in einem harten und ernsthaften Film. Kein Horror, sondern ein klassischer Rachewestern.
Für Price ist der Dreh nur eine schnelle Vertragserfüllung, die Schauspielerei interessiert ihn – ausgewiesener Experte für Antiquitäten – zu dieser Zeit nicht besonders. Nun muss sich der erfahrene Mime Anweisungen eines linkisch wirkenden jungen Mannes anhören: Er soll gefälligst die Stimme senken, nicht mit dem Kopf wackeln und nicht mit den Augen rollen. Reeves ist tough, unerbittlich. Price fühlt sich schlecht behandelt. Es knirscht gewaltig zwischen den beiden.
In seiner Banalität furchterregend, zurückgenommen, intensiv – das Abbild des Matthew Hopkins in Witchfinder General ist ein Monolith in Vincent Price’ langer Karriere.
Aufrecht sitzt Hopkins als vornehme Erscheinung auf seinem weißen Ross. Alles Grobe des Jobs überlässt er seinem sadistischen Adlatus Stearne (Robert Russell) – einem viehischen Klotz, der seinen sorgsam verborgenen inneren Aufruhr personifiziert. Hopkins muss sein „Unternehmen“, die Hexenverfolgung, am Laufen halten, sonst erlischt die Nachfrage und der Geldstrom versiegt. Kapitalismus pur.
Bevor das Drehbuch von Michael Reeves, Tom Baker und Louis M. Heyward zu Ende geschrieben wird, werden die Drehorte gesucht, die Geschichte passt sich der Landschaft an. Dieses ökonomische Vorgehen schont das Mini-Budget und unterstützt Reeves’ Intention, einen Western drehen zu wollen. Richard (Ian Ogilvy) verfolgt den reisenden Hexenjäger Hopkins bis zum Showdown, begleitet vom Sonnenlicht, das durch Astdächer fällt und am Anfang programmatisch als Kreuz leuchtet.
Der Gegensatz zwischen der Idylle der Landschaft und dem, was in ihr geschieht, ist groß. Schon im Prolog ist die Natur unbeeindruckt von Gewalt und Ungerechtigkeit. Das Resultat, Qual und Pein, zeigt der Titelvorspann: Grobkörnige Standbilder, fratzenartige Gesichter, die sich aus dem Dunkel schälen wollen, um ihre Not herauszuschreien.
Die „motion“ in „motion picture“ ist Reeves in allen seinen Filmen enorm wichtig: Bewegung und emotionaler Aufruhr. Dagegen der absolute Stillstand, die Ausweglosigkeit, warten, bis man erwürgt, ertränkt oder verbrannt wird.
Stillstand und Bewegung zugleich symbolisiert das Meeresufer. Eine Sackgasse, hier ist das Land ist zu Ende. Die Kamera fährt in eine sich brechende, sich rot färbende Welle, die in lodernde Flammen eines Feuers auf einem Marktplatz übergeht. Menschen stochern mit Stangen in einem Koben herum, in den statt Tieren drei Frauen gesperrt sind, die nacheinander in die Flammen gesenkt werden sollen. Niemand hilft den Unschuldigen, die Natur schweigt, die unbändige Kraft des Wassers wird das Feuer nicht löschen.
Witchfinder General ist extremer Nihilismus vorgeworfen worden. Laut Reeves schlummert ein übles Vieh im Homo sapiens und wehe, wenn es losgelassen wird. Er will filmisch ausloten, wie tief der Mensch sinken kann. Vehement verteidigt er seinen Film gegenüber der britischen Zensur, dennoch werden einige Szenen leicht gekürzt. Oder ist das nur aufgesetztes Gerede eines Filmmaniacs, der sein Werk vor der Schere retten will, um dem Publikum das zu geben, wonach es gierig verlangt? Denn Reeves wollte bei den Dreharbeiten die Schraube offenbar noch weiterdrehen: Ihm schwebten Straßengräben voller Leichen und harte Splattereffekte vor. Jedoch ist besonders eine scheinbar friedliche Szene im vollendeten Film durchdrungen von abgrundtiefem Pessimismus: Kinder rösten Kartoffeln in einem Feuer – es ist das „Hexenfeuer“, die Reste der Flammen, die gerade drei Frauen verzehrt haben.
Witchfinder General wird international ein riesiger Erfolg und ist Vorbild unzähliger Rip-Offs, darunter Hexen bis aufs Blut gequält (Mark of the Devil, 1970). Ein Triumph, aber jetzt ist es für Michael Reeves schwer, ein passendes Anschlussprojekt zu finden. Der Erwartungsdruck scheint ihm zuzusetzen, ihm geht es immer schlechter. Im Sommer 1968 erleidet er einen Zusammenbruch und wird mit einer Elektroschocktherapie behandelt, die ihn stotternd und in einem erbarmungswürdigen Zustand zurücklässt. Am 11. Februar 1969 wird er leblos aufgefunden, offizielle Todesursache: versehentliche Überdosis von Schlaftabletten und Alkohol. Er ist 25 Jahre alt.
Auch Michaels Freund Paul Ferris wird von Depressionen heimgesucht. Der Autodidakt schrieb die Musik für The Sorcerers und Witchfinder General. Mit jener für Letzeren, so meinte er, habe er ganz oben angefangen, von nun an könne es nur noch bergab gehen. 1988 erlebt Ferris, wie wenig künstlerisches Schaffen gewürdigt wird: Witchfinder General wird in den USA mit einem neuen Soundtrack überzogen, um Tantiemen zu sparen. Später leidet er unter der unheilbaren Hirnkrankheit Chorea Huntington, 1995 nimmt er sich das Leben. John Coquillon, Kameramann von Witchfinder General, begeht 1987 Selbstmord. Hilary Dwyer, die wunderbar und anrührend die Sara in Witchfinder General spielt, stirbt 2020 an Covid. 2004 wurde sie auf Barbados überfallen und vergewaltigt. Man könnte wieder von einem Fluch orakeln, man kann es auch lassen. Keine Horrorfilme, sondern Tragödien; wer Regie geführt hat, bleibt offen.