Von Trump bis Tiefseetauchen: Die amerikanische Dokumentarfilmerin Liz Garbus im Gespräch über ihr neues Filmporträt „Becoming Cousteau“, was sie antreibt und wer sie nervt, und worin ihrer Ansicht nach die Gefahren für den Dokumentarfilm heute liegen.
Es gibt einiges, was Liz Garbus derzeit in Rage bringt, das sie bedrückt oder bewegt. So viele Filme könne sie gar nicht drehen, um das alles zu verarbeiten, sagt sie und lacht. Die Oscar-nominierte Dokumentarfilmerin hat sich auch in der Pandemie ihre positive Ausstrahlung und einen gesunden Humor bewahrt. Erstaunlich eigentlich, wenn man bedenkt, womit sie sich allein in den letzten zwei Jahren beschäftigt hat: Von Serienmorden und Vergewaltigungen in der HBO-True-Crime-Serie I’ll Be Gone in the Dark über die Wählerunterdrückung in den Vereinigten Staaten in der Dokumentation All In: The Fight for Democracy bis hin zur ihrer Regiearbeit bei der finalen Episode von The Handmaid’s Tale, der großen endzeitlichen TV-Serie über eine verwüstete Welt, in der Frauen keine Rechte haben.
Dennoch strahlt sie, als sie am Ende eines langen Interviewtages via Zoom aus ihrem Arbeitszimmer zugeschaltet ist, um über ihren Film Becoming Cousteau zu reden. Endlich einmal nicht Mord und Totschlag oder ein weiteres schockierendes Beispiel über die Missstände im US-amerikanischen Rechtssystem, möchte man meinen. Aber auch Garbus’ filmisches Porträt über den Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau, der mit seinen Filmen und Fernsehsendungen wie kein Zweiter den Zauber der Unterwasserwelt eingefangen hat, ist bei aller Schönheit der Bilder auf subtile Art ein Appell an die Gegenwart. So wie alle ihre Filme, selbst die, die in die Vergangenheit eines berühmten Menschen schauen, stets mit dem Hier und Jetzt in Verbindung stehen. Damit reiht sich Cousteau nahtlos in die Riege der Persönlichkeiten ein, die Garbus im Laufe ihrer Karriere direkt oder indirekt beleuchtet hat: Marilyn Monroe und der ehemalige Schachweltmeister Bobby Fischer gehören dazu, die Demokratin Stacey Abrams oder Ex-Präsident Donald Trump. Ihr Film What Happened, Miss Simone? über die Jazz-Ikone Nina Simone war bisher ihr größter Erfolg. Aber es ist ihr Werk insgesamt, das die heute 51-jährige Tochter eines Bürgerrechtsanwalts aus der Masse heraushebt. Ein Werk, das von ihrem Kampfgeist und einem unermüdlichen Sinn für Gerechtigkeit spricht. Natürlich ist auch der nächste Film bereits längst in Arbeit, ganz abgesehen von den Projekten, die sie zusätzlich als Produzentin betreut. Sie könne nicht gut stillsitzen, gibt sie offen zu. Wieder ein Lächeln. Aber solange es spannende Menschen und so viele Ungerechtigkeiten in der Welt gibt, hat sie weiterhin genug zu tun.
Ms. Garbus, Ihr Film über Jacques-Yves Cousteau zeichnet ein differenziertes Bild des legendären Forschers. War Ihnen die Vielfältigkeit seines Wirkens bereits vor der Arbeit an dem Projekt bewusst?
Liz Garbus: Nein, nicht in dem Ausmaß. Ich kannte ihn zwar schon als Kind, weil ich seine Filme im Fernsehen angeschaut habe und immer davon schwärmte, später einmal ein ähnlich abenteuerliches Leben zu führen wie Cousteau auf der Calypso. Aber ich war mir damals noch nicht seiner erstaunlichen Fähigkeiten als Filmemacher bewusst. Ich kannte auch seine frühen Filme zu dem Zeitpunkt noch nicht. Das kam erst, als ich selbst mit dem Filmen anfing und mich zunehmend mit den Arbeiten anderer Dokumentaristen beschäftigte.
Wovon haben Sie sich im Prozess der Recherchen und beim Zusammenstellen des Films leiten lassen?
Uns standen insgesamt zirka fünf-, sechshundert Stunden Archivmaterial zur Verfügung. Es war demnach ein ähnliches Puzzle wie schon bei meiner Dokumentation über Nina Simone. Mein Schnittmeister und ich, wir haben Cousteau dann zunächst einmal zugehört. Zum Glück hat er im Laufe seiner Karriere sehr umfangreiche Interviews gegeben, die extrem hilfreich waren. Darüber hinaus haben wir uns die Geschichten angehört, die andere über ihn erzählten. Und aus diesem Zusammenspiel von eigenen Aussagen und den Eindrücken anderer über ihn haben wir schließlich einen narrativen Faden gesponnen, der inhaltlich einen Bogen schlägt, um sein Leben als Forscher, als Filmemacher und später als Umwelt-Aktivist nachzuzeichnen, aber auch um die Kraft seiner Unterwasserbilder sprechen zu lassen, die bis heute spektakulär und einzigartig sind.
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Cousteaus Erkenntnis „Man schützt nur das, was man liebt“ könnte auch gut als Mahnung für unsere heutige Zeit gelten.
Unbedingt. Für mich liegt in seiner persönlichen Entwicklung vom Abenteurer zum engagierten Umwelt- und Naturschützer eine hervorragende Metapher dafür, was wir als globale Zivilisation leisten können und müssen, um unseren Planeten zu retten, und dass wir als Gemeinschaft immer weiter, immer stärker Druck ausüben müssen auf die Politik und die globalen Entscheidungsträger, um auf Worte tatsächlich endlich Taten folgen zu lassen. Damals,1992, war Cousteau noch zuversichtlich, dass der Erdgipfel in Rio den Anfang des Wandels einleiten würde. Und wie weit sind wir seitdem gekommen? Auch nach dem Klimagipfel in Glasgow ist nur eines klar: Es gibt noch viel zu tun.
Tiefseetauchen war zu Cousteaus Zeiten nicht ungefährlich. Er ging viele Risiken ein, um an seine atemberaubenden Unterwasseraufnahmen zu gelangen. Wie sehr sind Sie sich der emotionalen Belastungen bewusst, die Sie bei einem Projekt wie „I’ll Be Gone in the Dark“ auf sich nehmen?
Ich habe großen Respekt vor dem, was Cousteau geschafft hat. Ich war auch schon mal Sporttauchen, aber ich gebe es offen zu, wenn es um körperliche Herausforderungen geht, bin ich ein Angsthase. Das gilt jedoch nicht, wenn ich mich auf die Spuren unseres menschlichen Verhaltens begebe und dabei in ex-treme Sphären vorstoße. Im Gegenteil. Dafür gehe ich gerne bis ans Äußerste. Und auch ästhetisch betrete ich gerne Neuland, wage mich heraus aus meiner eigenen Komfortzone. Aber wie gesagt, dafür muss ich nicht sechzig Meter unter dem Meeresspiegel filmen. Mich interessiert es, das menschliche Potenzial um mich herum zu erforschen. Es geht mir darum, Unbekanntes und Unbequemes in Angriff zu nehmen, um es für die Welt greifbar und erfahrbar zu machen.
Wie schaffen Sie es, den nötigen Abstand zu halten, um sich nicht von der Schwere des Themas erdrücken zu lassen?
Ich denke nicht, dass ich Distanz halten kann. Ich schütze mich nicht vor meinen Themen oder den emotionalen Achterbahnfahrten, die damit oftmals einhergehen. Über die Jahre habe ich gelernt, damit umzugehen. Sonst hätte ich viele meiner Dokumentationen oder auch The Handmaid’s Tale nicht machen können. Meine Familie hilft mir in der Hinsicht sehr. Ich weiß, dass ich am Ende des Tages nach Hause kommen und alles hinter mir lassen kann. Sonst wäre ich vielleicht schon längst verrückt geworden.
Ihr Vater war Anwalt. Ist Ihnen Ihr starker Sinn für Gerechtigkeit sozusagen in die Wiege gelegt worden?
Ja, die Arbeit meines Vaters hatte einen enormen Einfluss auf mich. Er ist bis heute als Anwalt aktiv und befasst sich vor allem mit dem Erhalt der Demokratie, mit Bürgerrechten, Rassendiskriminierung und Meinungsfreiheit. Und ich bin mit Gesprächen am Esstisch aufgewachsen, wo solche Probleme verhandelt wurden. Ich erinnere mich beispielsweise noch sehr gut an die Zeit, als er Kathy Boudin vertrat. Als Mitglied des Weather Underground war sie an verschiedenen Aktivitäten der Organisation beteiligt und stand schließlich wegen Mordes vor Gericht, nachdem sie und einige ihrer Mitstreiter eine Bank ausgeraubt hatten und dabei zwei Wachmänner ums Leben gekommen waren. Bei uns zu Hause wurde in der Zeit extrem viel über Glaubenssysteme und soziale Gerechtigkeit diskutiert und wie weit man dafür gehen darf. Diese frühen Auseinandersetzungen mit solchen Fragen hat mich geprägt und bestärken mich bis heute in meiner eigenen Arbeit ähnlich engagiert damit zu beschäftigen.
Wie sind Sie eigentlich ursprünglich zum Dokumentarfilm gekommen?
Wenn ich das so genau wüsste! Ich denke, es hat damit zu tun, dass ich zum Ende meiner High-School-Zeit viel mit Heimvideo-Kameras herumgespielt habe, die damals gerade neu auf den Markt gekommen waren. Das heißt, anders als Cousteau, musste ich mir mein Equipment nicht selbst zusammenbasteln, sondern es gab mittlerweile alles zu kaufen. Ich filmte schließlich unsere letzte Woche in der Schule, sprach mit Mitschülern und Lehrern, einfach um den Moment festzuhalten. Eine Art Cinéma-vérité-Stil, ohne dass ich damals schon gewusst hätte, was das überhaupt ist. Der Vater eines Freundes, der selbst auch Filmemacher war, meinte dann zu mir, ich hätte da ja einen Dokumentarfilm gedreht. Während des Studiums habe ich dann immer weiter herumexperimentiert, bis ich mich schließlich für meine ersten Praktika bei Regisseuren bewarb.
Was auffällt, wenn man sich insbesondere Ihre personenbezogenen Arbeiten anschaut, ist, dass die Persönlichkeiten, die Sie ins Visier nehmen, auf ihre Weise oftmals Kämpfernaturen sind oder waren.
Darüber habe ich noch nie nachgedacht, aber Sie haben recht. Ich denke, das hängt damit zusammen, dass es mir selbst bei Personen, die im Rampenlicht stehen, immer darauf ankommt, dass sie bewusst oder unbewusst eine Wandlung vollzogen haben. So wie Nina Simone, die ihre Karriere als klassische Pianistin begann und aufgrund ihrer zunehmenden Unzufriedenheit mit Amerika zu einer hochpolitischen Menschenrechtskämpferin wurde. Oder Bobby Fischer, der zum Champion erzogen wurde und irgendwann den Druck nicht mehr aushielt und daran zerbrach. Solche Spannungen und Entwicklungen offenzulegen, ist es, was mich als Filmemacherin fasziniert.
Was in diesen Filmen aber immer auch mitschwingt, ist der Versuch, über die jeweiligen Persönlichkeiten einen Blick auf die Gesellschaft insgesamt zu werfen.
Ja, das gehört für mich immer dazu, egal ob es sich um eine Dokumentation handelt oder ich bei einer Serie wie The Handmaid’s Tale Regie führe. Ein Projekt ist für mich nur dann relevant, wenn dem Ganzen eine soziale Bedeutung eingeschrieben ist.
In Ihrem fast vierstündigen Dokumentarfilm „The Fourth Estate“ bekommt man einen Eindruck davon, wie die liberale „New York Times“ über den damaligen Präsidenten Donald Trump berichtete. Wie geht es Ihnen nach seiner Abwahl?
Ich bin natürlich erleichtert, aber es ist ja nicht so, dass jetzt alles vorbei ist, nur weil er nicht mehr im Weißen Haus sitzt. Die amerikanische Gesellschaft leidet noch immer unter den Folgen seiner Präsidentschaft. Ich habe keinerlei Interesse daran, mich mit Trump zu beschäftigen. Mich nervt der Mann genauso wie viele andere. Aber was er dem Land mit seiner Misswirtschaft angetan hat und vor allem die großen Missstände, die diese Wahl zum Vorschein gebracht hat, geben mir leider Anlass dazu, mich in meiner Arbeit auch weiterhin damit auseinanderzusetzen.
Es wird im Zuge der neuen Möglichkeiten, die Premium-Fernsehsender wie HBO und Showtime den Filmschaffenden bieten, gerade viel von einer Art Goldenen Ära des Dokumentarfilms gesprochen. Sehen Sie Gefahren darin, wie viel und wie schnell in dem Bereich gerade produziert wird?
Das ist eine wirklich berechtigte Frage. Die Explosion von Plattformen und Streamingdiensten war sicherlich eine gute Sache für non-fiktionale Inhaltsformate, aber wir müssen in der Tat ein bisschen aufpassen, dass aus der Goldenen Ära keine kommerzielle Ära wird, in der der der künstlerische Anspruch verloren geht. Für uns als Filmschaffende geht es in erster Linie darum, transparent zu bleiben und stets die Verantwortung für unsere Inhalte zu übernehmen und um jeden Preis zu bewahren, anstatt anderen Kräften nachzugeben, sei es Geld oder Macht oder Politik. Solange wir uns daran halten, sehe ich kein Problem darin.