Neïl Beloufa im Hauptraum der Wiener Secession.
Irgendwie war die Sache etwas in Vergessenheit geraten, als abgeschlossen galt sie zudem auch nicht. 2014 war Neïl Beloufa der Einladung des damaligen Kurators Jesse McKee für eine Künstlerresidenz mit Ausstellung in die kanadischen Rocky Mountains gefolgt. Wie so oft reiste der Künstler mit dem Großteil seines Studioteams an. Die fünf Filmvignetten mit Laiendarstellern, die dabei entstanden, bildeten unter dem Titel „Home is Wherever I’m With You“ das Zentrum der damaligen Ausstellung. So weit, so unvollendet.
Über die folgenden Jahre hinweg entwickelte sich die Arbeit des französisch-algerischen Künstlers weiter zu komplexen, penibel recherchierten Raum- und Videoinstallationen, bei denen einander Film und Bildhauerei, gleichsam als bewegter Kommentar wie als Kulisse, wechselseitig bedingten. Die inhaltlichen Grenzen zwischen Fiktion und Realität wurden bewusst im Vagen gelassen. Es ginge in den Videos stets um Repräsentation und die Aufhebung des Unglaubens, fasste es die Kuratorin und Autorin Myriam Ben Salah in einem Text über Beloufa vor einigen Jahren zusammen. „Er ist nie dort, wo man ihn vermutet, und sobald er eine Regel oder ein wiederkehrendes Motiv gefunden hat, hinterfragt er es wieder. Dieses Prinzip lässt sich konzeptionell in seinen Filmen aber auch in technischer Hinsicht bei seinen Skulpturen anwenden. Sobald er eine Technik beherrscht, wendet er sich etwas Neuem zu.“ So ist es bis heute geblieben. Seine Arbeiten entwickeln sich kontinuierlich aus sich heraus weiter, doch schlagen sie in ihrer Genese bisweilen unerwartete Richtungen ein.
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Auf diesem Wege entstanden neben den immersiven Installationen ebenso Spielfilme, die für gewöhnlich nach einem deutlicherem Narrativ verlangen und entsprechend unter anderen räumlichen Bedingungen gezeigt werden. Er würde, reflektierte Neïl Beloufa vor einigen Jahren über die Präsentation und Rezeption seiner Videos in Ausstellungen, immer versuchen, die Atmosphäre des Kinos zu vermeiden. Die Vorführung in einem White Cube innerhalb einer Kunstausstellung wäre ein autoritärer Akt: „Man will damit erreichen, dass die Leute an den Film glauben, selbst wenn sie ihn nicht vollständig ansehen oder sich mehr auf die Beschreibung verlassen, die natürlich nicht die Schwächen des Films offenbart.“ Freilich würde auch Kino auf einer nicht weniger autoritären Beziehung beruhen, eine Konvention, die es verlangt, in einem dunklen, geschlossenen Raum bis zum Ende auszuharren, um erst dann ein eigenes Urteil fällen zu können.In Bezug auf die Präsentation seiner Arbeiten im Kontext von Ausstellungen führten in einem Interview im Jahr 2018 diese Überlegungen zu einer generellen Conclusio: „Für mich ist die Kunst einer der wenigen Orte, an dem Menschen einen Schritt zurücktreten und über Autorität nachdenken können. Und mir ist es wichtig, das nicht zu verändern. Sie ist auch einer der wenigen Orte, an denen Menschen sagen können: ,Nein, das sehe ich mir nicht an.‘ Das ist ebenfalls wichtig.“ Was bringt einen nun dazu, in Ausstellungskonstellationen doch vor einer Projektion zu verweilen? Ist es die Dauer des Films oder das dazugehörige Setting? Möchte man im Sitzen rezipieren oder doch in Bewegung und womöglich gefordert sein, selbst aktiv zu werden?
Und dann kam die Pandemie, mit der derlei Fragen über Ausstellungs- oder Kinobesuche erst einmal obsolet wurden. Wie alle anderen auch verfolgte Beloufa über den Bildschirm, wie sich ein Virus rasch verbreitete, wie Wissenschaftler und solche, die sich dafür hielten, Zahlen, Fakten und anderen Wahrheiten vermittelten, wie Menschen in ihrer Isolation immer verzweifelter wurden. Mit wem man, wo auch immer auf der Welt, kommunizierte, die Entfernung blieb stets der Abstand, den man selbst zum Bildschirm hielt. All das wird Neïl Beloufa sehr bald an die fünf kurzen Filme erinnert haben, die 2014 in Kanada entstanden und nach ihrer Erstpräsentation nicht mehr mit der Aufmerksamkeit des Künstlers bedacht worden waren. Frappierend, nachgerade visionär erinnern die fünf kurzen Filme an all das, was sich Jahre später auf der Welt und vor den Bildschirmen abspielte. Beloufa entwickelte daraus mit „Screen Talk“ nicht nur eine neue Arbeit, sondern auch ein völlig neues Ausstellungsformat, das sich im realen wie im virtuellen Raum rezipieren und immer wieder modifizieren und ausweiten lässt. „Screen Talk“ ist nun Teil der von Bettina Spörr kuratorisch begleiteten Ausstellung „Pandemic Pandemonium“ im Hauptraum der Wiener Secession. Schon in früheren Präsentationen bediente sich der Künstler der Ästhetik von Videospielen und Reality-TV und spricht mit jenem Vokabular des Informationszeitalters zudem eine jüngere Generation und ein bisweilen nicht kunstaffines Publikum an.
Um das Terrain, das bisher für Ausstellungen im realen Raum diente, zu erweitern, hat Beloufa nun mit Jesse McKeen, dem Kurator von einst, die Voraussetzungen geschaffen, den Aktionsradius für derlei Projekte ins Virtuelle auszudehnen. Web3 ist ist das Tor zu dieser virtuellen Welt, ebb.global in diesem Fall der Schlüssel hierzu, was mitnichten bedeutet, dass man sich den Besuch eines Ausstellungsraumes deswegen sparen kann. Wie sich in seinen Filmen Realität und Fiktion nur schwer unterscheiden lassen, scheint man sich nun in der Secession an der Schwelle von realem und virtuellem Raum zu bewegen. Neben ganz klassisch artifiziellen Wandreliefs (allerdings mit Stromanschluss) buhlen hier drei Avatare in Rot, Gelb und Blau als Hosts um die Aufmerksamkeit und fordern zur Kommunikation auf. Videospiel-artige Oberflächen laden zur Teilnahme ein, man selbst bewegt sich durch ein animiertes Strandszenario, das einen sozusagen en passant mit Informationen und zusätzlichen Attraktionen versorgt. Man muss schon aktiv werden, um hier weiterzukommen. Belohnt wird man bei Erledigung der Aufträge mit den Videos, aber auch mit Tokens, die man gleichsam als Teilnahmebestätigung sammelt und die einem die Berechtigung geben, auch in Zukunft dabei zu sein, bei Entscheidungen und Events, und die sich gegen papierene Prints einlösen lassen. Während NFTs in anderen kulturellen Institutionen mittlerweile verkauft werden, werden sie hier mit der eigenen Aufmerksamkeit und Aktivität verrechnet. Was womöglich klingen mag wie ein virtueller Lunapark, ist in Wirklichkeit der geglückte Versuch, auch im Kryptoversum nicht die Kontrolle über die eigene Handlungsfähigkeit zu verlieren.
Oder wie es der Künstler selbst in einem Gespräch mit dem Kollegen Maurizio Cattelan ausführt: „Ich mag die Idee einer hyperrealen Welt, wo die Zeichen für die Existenz eines Phänomens das Phänomen selbst ersetzen.“ Man könnte das ebenso unter einem avantgardistischen Aspekt sehen. Nicht den Anschluss verpassen, mitgestalten und kritisch bleiben, wäre hierfür die Losung zur Lösung. Womöglich gehören derlei Erkenntnisse zu den positiven Seiten, die man den letzten Jahren abgewinnen kann. Neïl Beloufas Umsetzung wäre der beste Beweis hierfür.