ray Filmmagazin » Drama » Im Labyrinth des Schweigens

Filmkritik

Im Labyrinth des Schweigens

| Jörg Schiffauer |
Die Spuren der Täter

Frankfurt, 1958: Staatsanwalt Johann Radmann wird eines Tages am Gang des Gerichtsgebäudes Zeuge, wie der Journalist Thomas Gnielka eine brisante Angelegenheit zur Anzeige bringen möchte. Ein Freund des Reporters, ehemals Häftling in Auschwitz, hat einen der Auf-seher aus dem Konzentrationslager wiedererkannt – und feststellen müssen, dass der Mann völlig unbehelligt als Gymnasiallehrer werkt. Radmanns Kollegen zeigen aber wenig Interesse, den Fall gerichtsanhängig werden zu lassen. Doch der junge Jurist ist ein sehr gewissenhafter Mensch und  beginnt, Informationen einzuholen –  als er das Ausmaß der in Auschwitz begangenen Verbrechen begreift, ist Johann Radmann entschlossen, den Fall nicht zu den Akten zu legen. Doch von seinen Vorgesetzten wird ihm klar gemacht, dass eigentlich niemand die Zeit des Nationalsozialismus aufzuarbeiten gedenkt, das sei mit den Prozessen von Nürnberg bereits erledigt. In Konrad Adenauers Bundesrepublik frönt man zwischen Petticoat und Käseigel lieber den Errungenschaften des Wirtschaftswunders. Doch Radmann erfährt Unterstützung von einflussreicher Stelle: Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der sich als Jude nur durch Emigration vor dem Holocaust retten konnte, weiß um die historische Dimension, NS-Täter vor ein deutsches Gericht zu stellen. Gerade wegen seiner Jugend erscheint ihm Johann Radmann geeignet die Schweigespirale zu durchbrechen und die „bleierne Zeit“, die sich über das Nachkriegsdeutschland gelegt hat, zu beenden. Im Stil eines präzisen Dokudramas rollt Im Labyrinth des Schweigens die Geschehnisse auf, die

schließlich ab 1963 in den Auschwitz-Prozessen mündeten. Ein glänzend gecastetes Ensemble, in dem Gert Voss als Fritz Bauer seine letzte Rolle spielt, macht durch ein betont unprätentiöses Agieren die vielen beklemmenden Momente nur noch eindringlicher. Dramaturgisch notwendige Verknappungen – neben den historischen Persönlichkeiten Bauer und Gnielka wurde die Figur Johann Radmann anhand zweier Staatsanwälte zu einem Charakter verdichtet – machen jene mühevolle, akribische Kleinarbeit sichtbar, die im Zug des sich über Jahre erstreckenden Ermittlungsverfahrens anfiel. Wie unter einem Brennspiegel werden dabei die vorherrschenden Einstellungen jener Zeit deutlich: von Ignoranz über Nicht-Wissen-Wollen bis hin zur sattsam bekannten Verdrängung reicht das Spektrum. Der Film endet mit der Eröffnung des ersten Auschwitz–Prozesses. Danach konnte kein Mensch mit Verstand und Gewissen noch irgendwelche Zweifel über den größten Sündenfall in der Geschichte der Menschheit haben.