Filmkritik

Imagine

| Jörg Schiffauer |
Die unorthodoxen Methoden eines Blindenlehrers rufen Konflikte hervor.

Ian (Edward Hogg), selbst ohne jedes Sehvermögen, tritt an einer Augenklinik in Lissabon seine neue Stelle an. Er soll die Patienten in räumlicher Orientierung unterrichten. Und er tut dies mit einem ziemlich ungewöhnlichen Lehransatz, der Echoortung. Denn Ian hat – gleichsam im langjährigen Selbstversuch – eine Methode nahezu perfektioniert, mit der Blinde sich ohne jede Hilfe fortbewegen können. Dazu bedient er sich seines im Lauf der Zeit phänomenal geschärften Gehörsinns und einer geradezu genialen Kombinationsgabe, mit deren Hilfe er Geräusche interpretiert und damit die Welt um sich wahrnimmt. Doch es ist ein mühevoller Weg, diese Fähigkeiten soweit zu perfektionieren, dass man sich als blinder Mensch allein überall fortbewegen kann – selbst Ian ist nicht vor gelegentlichem Hinfallen gefeit. Weil der ärztliche Leiter des Instituts, der ohnehin die traditionelle Schule präferiert, darin ein nicht kalkulierbares Risiko für Ians Schüler vermutet, sind Konflikte vorprogrammiert. Und als ob sein Leben damit nicht schon kompliziert genug wäre, ist da noch Eva (Alexandra Maria Lara), eine geheimnisvolle Frau, die als Patientin zurückgezogen in der Klinik lebt, ehe sie und Ian einander näher kommen.

Die Probleme Blinder mit filmischen Mitteln visualisieren zu wollen, erscheint zunächst ein wenig paradox. Andrzej Jakimowski verzichtet glücklicherweise auf hilflose Konstrukte wie den Einsatz von Unschärfen, extremen Farbfiltern oder Schwarzblenden. Viel mehr als eine größere Zahl von Großaufnahmen vermag sein Regiekonzept allerdings auch nicht aufzubringen, um beeinträchtigte optische Wahrnehmung auszudrücken. Doch noch viel mehr leidet seine Inszenierung darunter, dass Imagine gleich mehrere große Topoi aufzugreifen versucht. Vom Versuch, trotz Beeinträchtigung ein selbstbestimmtes Leben zu führen, über den Konflikt eines Freigeists mit starren Autoritäten, den philosophische Fragen nach der Wahrnehmung der Welt an sich, bis hin zur Liebesgeschichte klassischen Zuschnitts reicht da die Bandbreite. Themen also, die jedes für sich genug Stoff für eine anständige Dramaturgie bieten würden. Doch die Inszenierung bleibt unentschlossen, reißt vieles nur an, was zur Folge hat, dass man nie wirklich in den Strom der Erzählung hineingezogen wird, weil dieselbe permanent seicht dahinplätschert. Selbst die wunderbare Alexandra Maria Lara, die über die seltene Gabe verfügt, mit wenigen Gesten innerhalb kürzester Zeit eine unglaubliche Präsenz zu entfalten – wie sie das auch in Imagine trotz offensichtlicher Unterforderung wieder unter Beweis stellt –, kann nicht retten, wo nichts mehr zu retten ist.