Ingrid Bergman (29. August 1915 – 29. August 1982)
Eine nordische Erscheinung, von klarem Ausdruck und beträchtlicher Körpergröße, gab sie ein Bild von Reinheit, einen Glanz von Natürlichkeit, ungeschminkter Echtheit, faszinierender Sensibilität – die Verkörperung der integren, erwachsenen Frau, auch wenn in dieser, wie die Rollen zeigen, mitunter andere Anteile schlummerten. Oft war sie ernst, und wenn sich ein Lächeln zeigte, schien darin bereits etwas von einer Ahnung tragischer Wendungen, kommender Verluste hindurch.
Die Beliebtheit der Bergman, deren Ausdruck von Unschuld die puritanischen Vorstellungen des amerikanischen Mittelstands weit überstieg, mochte mit der Natürlichkeit und Energie der von ihr gespielten Figuren zu tun haben, mindestens ebenso viel aber mit dem Charakter des Emanzipierten in zahlreichen ihrer Rollen, in denen sie nie wirklich eine Verliererin gewesen war, sondern Interpretin einer emotionalen, selbstbewussten und vernünftigen Frau, inmitten von Hollywoods androgynen Diven, Glamour Girls, sinnlichen Kindfrauen und Femmes fatales hatte sie ihren natürlich Außenseiterstatus, eine junge verheiratete Mutter, in dieser Branche enorm populär besetzt. Sie vermochte sich in ihrer Schönheit zu behaupten, nicht in der Rolle des Opfers, das männlicher Rettung bedarf und sein Schicksal ganz vom Erfolg seiner weiblichen Verführungskunst abhängig macht, noch weniger als Vamp, Männerdompteuse oder Rätselweib, dessen von den Augen abzulesende Wünsche zu befriedigen eine letzthin stets unlösbare Aufgabe darstellt, sondern eher als eine dem männlichen Zweckrationalismus entgegen gesetzte Energie, im Verhalten, das sich gleichermaßen fürsorglich maternalistisch wie heroisch beweisen konnte. Ihr Aufstieg in Hollywood schien über Jahre unaufhaltsam. Der Produzent David O. Selznick hatte die auffällig große, für Major-Studio-Verhältnisse ungewöhnlich ursprünglich wirkende Schwedin nach Los Angeles holen lassen. Ein Jahr Unterricht an der Schauspielschule des Königlichen Dramatischen Theaters Stockholm, das die früh Verwaiste gegen den Widerstand ihrer Pflegeeltern durchgesetzt hatte, neun schwedische Filme und eine deutsche Ufa-Produktion – Die vier Gesellen (Carl Froelich, 1938; der gescheiterte Emanzipationsversuch von vier Grafikerinnen, die sich selbständig machen wollen) lagen bereits hinter ihr. Amerika war ein gewaltiger Sprung nach vorn, ein Neuanfang – wie zehn Jahre darauf jener andere Sprung nach Italien, und acht Jahre später nach Frankreich für Jean Renoir (Élena et les hommes, 1957) und kurz davor bereits zurück in die USA.
A Blend of Poetic Grace With Quite Realism
„The minute I looked at her, I knew I had something. She had an extraordinary quality of purity and nobility and a definite star personality that is very rare.” (David O. Selznick) Der Production-Tycoon („Selznick International Pictures“) baute seinen Jungstar aus Schweden, dessen anfängliche Schüchternheit ihm auffiel („She couldn’t stop blushing“), als „Saint Ingrid“ auf, ein „Girl next door“ mit reinem, natürlichem look, der vor allem über ihren Off-Screen-Charakter, also ihre Privatperson, und nicht über ihr Rollenimage hergestellt wurde. Als knapp zehn Jahre darauf Bergmans Rossellini-Affäre an die Öffentlichkeit gelangte, begann damit schlagartig eine Demontage all jener Werte, die sie als öffentliche Star-Personality zu verkörpern hatte. Das Ausmaß der Empörung, das ihr entgegenschlug, war enorm. Die bis zu diesem Zeitpunkt erklärte ‚First Lady der Leinwand‘ – so die Motion Picture Association of America, Abteilung Production Code –, Hollywoods Darling war im Begriff, seinen Marktwert zu verlieren.
In der Filmerzählung Intermezzo verzichtete sie als aufopferungsvolle Pianistin auf den geliebten Musiker gleich zweimal, in der ersten Version unter Gustaf Molander, 1936 noch in ihrer Heimat Schweden gedreht, ein zweites Mal in dem amerikanischen Remake, ihrem Debüt in Hollywood 1939 (Intermezzo – A Love Story, Regie: Gregory Ratoff), über das Graham Greene schrieb: „What star before has made her first appearance on the international screen with a highlight gleaming on her nose tip? That gleam is typical of a performance that doesn’t give the effect of acting at all but of living – without make-up.“ Der womöglich erinnerungsträchtigste, populärste Film ihrer Karriere war ein Anti-Nazi-Movie: Casablanca (Michael Curtiz, 1942), unter den weithin geläufigen, gassenhauerartigen Szenen sei nur an das Abschiedsbild auf dem Flughafen erinnert, als im Schatten ihrer Hutkrempe, der ihre Augen verbirgt, das Glitzern einer Träne sichtbar wird. Im Jahr darauf erschien die Bergman in der Hemingway-Verfilmung For Whom the Bell Tolls (1943, Sam Wood) mit kurzen Haaren als schüchterne Widerstandskämpferin im Spanischen Bürgerkrieg, dann auch als Angsttraumatisierte, die in Gaslight (1944, George Cukor) zeitweilig in psychotische Zustände gerät. Man sieht sie an der Seite der männlichen Kollegen Gary Cooper, Cary Grant, Joseph Cotten, Gregory Peck unter der Leitung von Regisseuren wie Alfred Hitchcock, Victor Fleming, Michael Curtiz oder Anatole Litvak.
Das Begehren ist immer das Begehren des anderen
Oberflächlich ein Geheimdienst-Spionagemelodram um die CIA, die deutsche Nazis in Rio ausspioniert, im Grunde aber eine dunkle Liebesromanze mit Anleihen an den Film noir: Mit Notorious (USA 1945/46) wollte Alfred Hitchcock – so jedenfalls lautet seine Version gegenüber François Truffaut – einfach „einen Film über einen Mann machen, der eine Frau zwingt, mit einem anderen Mann ins Bett zu gehen, weil das seine professionelle Pflicht ist. Der politische Aspekt der Sache interessierte mich nicht besonders.“ Der Film ‚funktioniert‘ und berührt wohl von vornherein deswegen, weil die Rolle jener Patricia Huberman, deren Vater zu Beginn der Nazi-Kollaboration überführt und verurteilt wird, von Ingrid Bergman gespielt wird; dadurch weiß man sogleich, dass die Rolle des leichten Mädchens, das sie in Gesellschaft wie im Auftrag der CIA spielen wird, nur ein ‚falsches Selbst‘ sein kann. Tiefer geschaut, über die Täuschung hinweg, stößt der Zuschauer bzw. Cary Grant als FBI-Agent Devlin bei Huberman unweigerlich auf die wahre Liebe, die er im Grunde immer schon erwidert.
Psychodynamisch gesehen liegt ein wechselseitiges Missverständnis gegenüber der bedingten Liebesfähigkeit des anderen. Huberman / Bergman, vom Vater enttäuscht und mit Scham erfüllt, aufgrund ödipaler Problematik also die Verkörperung einer Hysterikerin, lässt sich instrumentalisieren von einem attraktiven Unbekannten, Devlin/Grant, der auf ihrer Party hockt wie ein einmontierter Schattenriss, von ihrer Leichtlebigkeit in der Folge gleichermaßen fasziniert, wie er von jenem besonderen Touch des Bad Girl sich auf Abstand gehalten fühlt. Die aufkommende Liebe zwischen den beiden scheint zum Opfer zu werden des Spionageauftrags. Jeder erwartet vom anderen, er möge sich zeigen, wartet vergeblich auf dessen Begehren, folglich geht Patricia den Deal mit der CIA ein, sie wirft sich weg, selbstdestruktiv riskiert sie alles, von Devlin genauso enttäuscht wie vom Vater; masochistisch erfüllt sie alle schlechten Erwartungen, welche die Auftraggeber des Secret Service an ein ‚leichtes Mädchen‘ haben, füllt die ihr zugedachte Rolle als verführerische Mata-Hari selbstquälerisch aus. Das Ganze wirkt wie eine Prüfung: Wenn sie den patriotischen Einsatz, bei dem sie einen zwielichtigen NS-Sympathisanten verführen und zugleich überführen soll, ablehnte, würde das beweisen, dass sie Devlin liebt; solange dieser ihr aber ebendiesen Spionageauftrag vorlegt, andient, so beweist er damit, dass er sie nicht liebt. Man spürt ein Beziehungsgesetz: der andere soll der erste sein, der sich ‚outet‘; das Begehren ist immer das des anderen, auf dessen Liebesgeständnis man wartet, das dieser nun aber, er, aus Trotz gegenüber der Bereitwilligkeit, mit der sie den amourösen Spionagedeal annimmt, verweigert, woraufhin sie diesen Trotz weiterhin nährt, indem sie ihre Liebe negiert und ihr Gefühl für Devlin in eine Geschäftsbeziehung verwandelt. Doch seine Wahrnehmung dringt tiefer, und halbbewusst muss ihm immer klar gewesen sein, welcher Gefahr er sie von Anfang an ausgesetzt hat …
„Miss Bergman not only bears a startling resemblance to an imaginable human being; she really knows how to act, in a blend of poetic grace with quite realism which almost never appears in American pictures.” (James Agee) In ihren Rollen vermittelte sie eine innere Stärke und emotionale Reife, die nicht mit der Durchsetzungskraft oder Toughness aus jener geläufigen, Gewalterfahrung und Vernarbung geschuldeten Härte und Gefühlsabwehr einhergeht. So verstrahlte ihre Aura weniger Distanz als Wärme, eine Nähe aus der Plausibilität des Gefühls, die noch aus einem Film hervorgeht, in der sie als Fremde auf eine Insel kommt, dort die Fremde zu bleiben verurteilt ist und an der Unwandelbarkeit der Eingeborenen inmitten der schroffen, bedrohlichen Vulkanlandschaft, in welche diese heimatlich verwurzelt sind, und gleichermaßen an der eigenen Angst davor, in eine Lebensfalle gegangen zu sein, schier verzweifelt (Stromboli, 1949).
In Arch of Triumph (1948, Lewis Milestone), Joan of Arc und Under Capricorn (Victor Fleming bzw. Alfred Hitchcock, beide 1949) allerdings blieb der Erfolg aus, der bis dahin seitens der Kritik und an der Kasse ihre Filme begleitet hatte. Der folgende Lebensabschnitt – soll man sagen: ein Exil, eine amour fou, eine der skandalträchtigsten Liebesgeschichten des vergangenen Jahrhunderts, oder Bergmans neorealistisches Abenteuer, sachlich kann es jedenfalls als ihre dritte Schaffensperiode bezeichnet werden – sollte etwa sieben Jahre später mit einem Oscar-gekrönten Hollywood-Comeback enden: Anastasia (1956, Anatole Litvak), in der Rolle einer die russischen Oktoberrevolution überlebenden, unter Amnesie leidenden Zarentochter an der Seite von Yul Brunner als weißrussischem General. Nach jahrelanger Ächtung hatte der ehemalige Publikumsliebling, begabt mit der „Konstitution eines Ochsen“ (Bergman), die amerikanische Öffentlichkeit zurückerobert.
Ein Gesicht des Neorealismus
Wahrscheinlich hatte sich Ingrid Bergman mit dreiunddreißig Jahren nach neuen künstlerischen Horizonten gesehnt: „Ich habe zehn Jahre lang immer die gleichen Rollen in den gleichen schönen, romantischen Filmen gespielt“, soll sie ihrer Freundin Irene Selznick anvertraut haben. „Jetzt möchte ich etwas anderes machen, etwas, das realistischer ist, wahrhaftiger. Etwas wie Paisà.“ (Zu diesem Komplex durchweg Renate Möhrmann: „Ingrid Bergman und Roberto Rossellini. Eine Liebes- und Beutegeschichte“. Berlin: Rowohlt 1999). So schreibt sie diesen Brief, der Roberto Rossellini im Mai 1948 erreicht: „Lieber Herr Rossellini, ich sah Ihre Filme Rom, offene Stadt und Paisa, und sie gefielen mir sehr. Wenn Sie eine schwedische Schauspielerin gebrauchen können, die sehr gut englisch spricht, die ihr Deutsch nicht vergessen hat, aber im Französischen nicht besonders gut ist und die auf Italienisch nur ‚Ti amo‘ sagen kann, dann bin ich bereit zu kommen und einen Film mit Ihnen zu drehen. Ingrid Bergman“.
Als sich Bergman und Rossellini begegneten, waren beide auf dem Gipfel ihres Ruhms, ihre Beziehung wurde ein Welt-Skandal, eine öffentliche Angelegenheit, doch nun begann das Image der Heiligen von Hollywood, treusorgender Ehefrau und Mutter, von den Tatsachen abzuweichen. Die Liebesgeschichte der beiden, das „öffentliche Leben im Ehebruch“, wie das oberste Gericht des Vatikan es nannte, die Affäre, die zur Scheidung der bisherigen Ehe und zur Heirat in Italien führte, findet sich von einer Flut von Yellow-Press-Kolumnen und Reportagen dokumentiert. „We deliberately built her up as the normal, healthy, non-neurotic career woman devoid of scandal and with an idyllic home life. I guess that backfired later.” (David O. Selznick)
Bei den Dreharbeiten zu Stromboli – „Ingrid Bergman in un film di Roberto Rossellini“ -, ist sie vierunddreißig, trägt Männerhosen und ist meist einen Kopf größer als die Einwohner jener Insel. Man kann sagen, sie begann dem Neorealismus, den Rossellini zur Vollendung führen sollte, ihr Gesicht zu leihen, das in diesen Filmen zunehmenden „optischen Situationen‘ ausgesetzt war, auf die Gilles Deleuze unter dem Titel „Jenseits des Bewegungs-Bildes“ hingewiesen hat: „Stromboli ist die Geschichte einer Fremden, der sich die Insel umso mehr offenbart, als sie zu keiner Reaktion fähig ist, mit der sie die gewaltige Kraft dessen, was sie sieht – die Intensität und das Ungeheuere des Thunfischfangs (»es war grausam…«), die Panik erzeugende Gewalt des Vulkanausbruchs (»ich bin am Ende, ich habe Angst, welch ein Geheimnis, welch eine Schönheit, mein Gott…«) -, lindern und ausgleichen könnte. Europa ‘51 zeigt eine Frau, die nach dem Tod ihres Kindes beliebige Räume durchquert und nun Wohnblöcke, Slums und Fabriken kennenlernt (»Ich glaubte, Verurteilte zu sehen«) [Die entsprechende Szene, in der die Bergman anstelle einer erkrankten Frau in eine Fabrik arbeiten geht, ist in Harun Farockis Film Ich glaubte Gefangene zu sehen, D 2000, enthalten; Anm. JB]. Ihre Blicke verraten nichts mehr von den praktischen Fähigkeiten einer Hausfrau, die ihren alltäglichen Pflichten nachgeht, sondern durchlaufen nun alle Zustände einer inneren Vision – Niedergeschlagenheit, Mitleid, Liebe, Glück, Anerkennung – bis hin zur psychiatrischen Anstalt, in die sie nach einem neuaufgelegten Jeanne-d’Arc-Prozeß eingeliefert wird: sie sieht, sie hat zu sehen gelernt. Viaggio in Italia läßt uns eine Touristin begleiten, die zutiefst getroffen ist vom Vorüberziehen der Bilder oder visuellen Klischees, in denen sie etwas Unerträgliches entdeckt, was jenseits der Grenze dessen ist, was sie persönlich ertragen kann. Wir haben es nunmehr mit einem Kino des Sehenden [cinéma de voyant] und nicht mehr mit einem Kino der Aktion zu tun.“ (G. Deleuze: „Das Zeit-Bild. Kino 2“. Frankfurt/M: Suhrkamp 1991; Übers.: Klaus Englert)
46 Kinofilme (zwischen 1934 und 1978), drei Oscars, zahlreiche TV-Auftritte und viel Bühnenarbeit absolvierte sie bis zum Ende ihres Lebens, und sie hatte immer die Absicht weiterzuspielen, bis zuletzt mit ihrer Verkörperung der 1978 verstorbenen Israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir. Mit Hilfe des Schriftstellers Alan Burgess veröffentlichte sie 65-jährig ihre Memoiren („Ingrid Bergman. My Story“; 1980). Ihr letzter Spielfilm sollte Ingmar Bergmans Herbstsonate (1978) werden. Mit der Rolle einer Musikerin hatte sie eingangs in Hollywood reüssiert; als weltberühmte Konzertpianistin, deren Lebenslügen, Sehnsüchte und Egoismen im Verhältnis zu ihrer Tochter (Liv Ullmann) zum Ausdruck kommen, sollte sie ihre Kinokarriere abschließen.