ray Filmmagazin » Serien » Lie to me – Read my face*
Lie to me

TV-Serien

Lie to me - Read my face*

| Roman Scheiber |

Die patente Detektiv-Serie „Lie to me*“ macht sich das verzwickte Verhältnis von Lüge, Emotion und Wahrheit zu Nutze, um Geschichten in heiklen Soziotopen zu erzählen.

Schon mal etwas von „Micro Expressions“ oder „Mikro-Ausdrücken“ gehört? Gemeint sind damit nicht etwa Verniedlichungsformen von Wörtern oder eine reduzierte Redeweise. Das Mikroskopische an dem Begriff bezieht sich auf die Dauer, in der ein Gefühlsausdruck auf einem Gesicht lesbar ist. Ein Mikro-Ausdruck zeigt für den Bruchteil einer Sekunde eine bewusst verheimlichte (oder eine unbewusst unterdrückte) Emotion eines Menschen. Laut Paul Ekman, einem renommierten US-Verhaltenspsychologen und Bestseller-Autor („Telling Lies“), liegt dieser Zeitraum etwa zwischen vier und sieben Hundertstel – zu kurz für einen untrainierten Beobachter, um die verborgene Emotion seines Gegenübers zu bemerken. Umso wertvoller erscheint da die Fertigkeit, Mikro-Ausdrücke zu erkennen und flink zu decodieren.

Ein wahrer Meister dieses Fachs stammt aus der Schreibwerkstatt des 34-jährigen Autors und Produzenten Samuel Baum, ist der tragende Held der Serie „Lie to me“ und trägt den laut und deutlich sprechenden Namen Cal Lightman. Licht bringt der Mann in verdunkelte Angelegenheiten, und ob sein Vorname auf das Kürzel von „Computer Aided Lighting“ oder von „Client Access License“ zurückgeht, kann man sich aussuchen – denn erstens behilft seine in der Nähe des Weißen Hauses situierte Agentur „The Lightman Group“ sich ausgiebig mit Spezialrechnern und zweitens hat er einen oft frappierend exklusiven Zugang zu seinen Kunden, bedenkt man, dass es sich dabei im Regelfall um Strafverfolgungsbehörden handelt.

I didn’t have a sexual relationship …

Um Dr. Lightman gruppiert sich ein Kernteam an Täuschungsexperten: Teilhaberin Dr. Gillian Foster (Kelli Williams) hat mit ihm vereinbart, die Profession nicht auf Privates abfärben zu lassen, was sich im Zuge einer von Cal vermuteten Affäre ihres Mannes als zunehmend schwierig erweist. Ria Torres (famose Entdeckung: Monica Raymund) wird von den beiden vom Flughafensicherheitsdienst in die Agentur gelobt; sie stellt als „Naturtalent“ einen fruchtbaren Gegenpart zu ihrem Mentor Lightman dar, der sich sein Können akribisch erarbeiten musste. Und Eli Loker (Brendan Hines) fällt zumindest anfangs durch radikale Ehrlichkeit innerhalb des Teams auf („Ich möchte mit Ihnen schlafen“, sagt er zu Torres, als sie ihm vorgestellt wird.)

Cal Lightman wird von Tim Roth als armschlackernder, schlagfertiger, unberechenbarer Boss mit natürlicher Autorität angelegt. Wie „Dr. House“ fährt er seinen Analyse-Objekten gern einmal mit dem Arsch ins Gesicht, um eine Reaktion zu provozieren. Wie der „Mentalist“ beobachtet er Beschuldigte und Zeugen akribisch und stellt Ihnen Psychofallen. Dabei legt er seinen Kopf zum Glück nicht ganz so schief wie Horatio von „CSI“, doch wer Jahrzehnte lang Facial Expressions studiert hat, kann natürlich nur ein veritabler Exzentriker sein. Das bekommt auch Cals Tochter Emily (Hayley McFarland) immer wieder zu spüren. Diese geht damit ebenso geübt um wie seine Ex-Frau (Jennifer Beals!), die gegen Ende der ersten Staffel ein paar hübsche Auftritte hat.

Nach Paul Ekman, dem wissenschaftlichen Berater der Serie, haben die meisten unmittelbar emotionsbeeinflussten Gesichter und Gesten, die wir Menschen machen, universellen Charakter. „Lie to me“ zieht diese These für praktische Verhörsituationen heran. Visualisiert wird das obendrein mit Bildern, die Gemütszustände verraten, vorzugsweise und wiederkehrend mit Flashes von lügenden Prominenten wie George W. Bush, Bill Clinton oder Richard Nixon und anderen. All diese Fotos und Videostills sind für Dr. Lightman gleichsam Benutzeroberflächen. Flugs werden für flottes Präzedenz-Studium passende Bilder aus der Verbrecherkartei angeklickt, wenn Cals Co-Detektive gerade an einem ähnlich gelagerten Mienenspielfall grübeln: Spätestens auf dem Großbildschirm verraten die verzogenen Mundwinkel und zuckenden Augenbrauen den Profis der Lightman Group nuancierte Divergenzen von Aussagen und Ausdrücken.

Saddam has weapons of mass destruction

Zusätzlich zu den landläufigen Verhörmethoden bringt „Lie to me“ Tools wie die „Antwort-Latenz-Analyse“ (Zeit zwischen dem Stellen einer Frage und der Antwort) zum Einsatz, um seine Krimi-Puzzle-Teile zusammenzufügen. Das durch wechselnde Ermittlerteams aufgelockerte Strickmuster der einzelnen Folgen sieht nicht nur Untersuchungen in heiklen Soziotopen vor (Erfolgsdruck und Drogen an einer Eliteschule, sexuelle Nötigung weiblicher Afghanistan-Soldaten, Selbstmord illegaler Leihmütter, Geiselnahme im Jemen, Homosexualität im Rapper-Milieu, Pharma-Studien-Betrug, Undercover-Recherchen in Sachen Al-Kaida), sondern zumeist parallel dazu auch pikante private Ermittlungen: Einmal will eine Art Mark Zuckerberg sich der hehren Motive seiner Braut versichern, ein andermal geht es um die Glaubwürdigkeit einer Model-Autorin aus Uganda, die PR-gerecht auf Gewalt in ihrem Land aufmerksam macht.

Der wahre Witz von „Lie to me“ besteht darin, dass hier alle Beteiligten lügen. Nicht nur die Verdächtigen, sondern auch die Spürnasen um Cal gehen in entscheidenden Situationen mit der Wahrheit eher locker um. Wer Täuschungen gut erkennen kann, kann sie selbst gut inszenieren, das weiß auch Creator und Hauptautor Samuel Baum. Doch wenn Baum seinen leuchtenden Helden einmal sogar einer Toten Angst im Gesicht diagnostizieren lässt, dann schreitet Prof. Ekman ein und notiert auf seinem serienbegleitenden Blog (www.paulekman.com): „Möglicherweise gibt es Umstände, unter denen das passieren könnte, aber es wäre eine Neuheit.“ Ist das nun die ganze oder die halbe Wahrheit? Paul Ekmans Micro Expression beim Sichten der Szene ist leider nicht überliefert.