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Jack Reacher

| Andreas Ungerböck |

Ungenial gescheitert: die erste Leinwandadaption eines Jack-Reacher-Romans

So viel (unfreiwilliger) Slapstick war noch selten in einem sich ernsthaft gebenden Action-Thriller: Wenn zwei Bösewichter dem Helden folgen, um ihm etwas anzutun und einander dabei ständig in die Quere kommen, dann fragt man sich: Darf das wahr sein? Spätestens dann. Denn schon nach einer recht soliden und spannenden Anfangsviertelstunde, in der, wie in Lee Childs Roman „One Shot“ (2005), sehr flott die Ausgangslage etabliert wird, geht es mit dem Film steil bergab. Münden wird das alles in einem spektakulär misslungenen Showdown in einer Schottergrube, in der mehrere filmische Hochkaräter (darunter Tom Cruise, ein leider schamlos outrierender Robert Duvall und – besonders bedauerlich – der große Filmemacher Werner Herzog als sibirischer Oberfiesling) von Regisseur und Drehbuchautor (und Tom-Cruise-Spezi) Christopher McQuarrie endgültig und buchstäblich im Regen stehen gelassen werden.

Dabei hätte alles so gut werden können, ja müssen: „One Shot“ ist einer von mittlerweile 16 Romanen, die der britische Autor und ehemalige Fernseh-Programmdirektor Jim Grant unter dem Pseudonym Lee Child verfasst hat und in denen der 1,96 m große Ex-Militärpolizist Jack Reacher, ein „lonely drifter“ erster Güte, den Superhelden gibt. Im vorliegenden Fall soll Reacher den als Amokschützen verhafteten James Barr, den er aus der Armee kennt und der ihn zu Hilfe ruft, entlasten. Der Fall scheint klar, und alles spricht gegen Barr. Doch wie immer bei Lee Child will ein klarer Fall gar nichts heißen, wie immer erzählt er mörderisch spannend, facettenreich und voller überraschender Wendungen, und auch wenn man natürlich weiß, dass alles gut enden wird, kann man auch diesen Jack-Reacher-Roman kaum aus der Hand legen, bevor man nicht damit fertig ist.

Aber ach: Schon die Wahl des Hauptdarstellers Tom Cruise durch den Produzenten Tom Cruise ließ in der Reacher-Fangemeinde die Alarmglocken läuten – mit Recht, wie sich nunmehr zeigt, auch wenn sich Autor Child, was blieb ihm auch anderes übrig, durchaus angetan zeigte. Nicht, dass Cruise nur 1,70 m groß ist, ist verheerend, sondern dass er, ohnehin keine neue Erkenntnis, mit Charisma eher sparsam ausgestattet ist. Und ein Superheld wie Reacher, wie anachronistisch er auch sein mag, lebt nun einmal von seinem Charisma. Reacher ist – trotz seiner 52 Jahre (wie selten ein Action-Held hat er eine genau umrissene Biografie) nicht nur stark und fit –, nicht nur weiß er sich in jeder Lebenslage zu helfen, auch wenn es noch so aussichtslos erscheint, nicht nur kann er exzeptionell gut mit schönen Frauen umgehen, sondern er hat mehr als das: Pragmatismus, Weitsicht, Disziplin und eine Portion Selbstironie. Fast alles das fehlt Cruise’schen Jack Reacher – trotz seines mehrfach ins Bild gerückten muskelbepackten Oberkörpers.

Man sollte aber dem eitlen Tom nicht allein die Schuld geben. Vorrangig krankt diese missglückte Thriller-Adaption an Christopher McQuarries Drehbuch: Die umständliche Erzählweise, das Herumreiten auf Dingen, die ohnehin bald klar sind, führen nicht nur zu einer völlig übertriebenen Filmlänge von 130 Minuten, sondern man hat mitunter den Eindruck, dass hier keiner, und schon gar nicht der Autor-Regisseur, so recht weiß, wie es überhaupt weitergehen soll. Handlungsstränge verschwinden und tauchen viel später wieder auf: So will Reacher schon sehr früh in der Story einen vom Amokschützen frequentierten Schießstand aufsuchen, tut es aber (hat er vergessen? keine Lust?) erst sehr spät. Dazwischen hält er sich mit einer vollkommen abstrusen Disco-Prügelei auf, sieht sich mit einer Oma konfrontiert, die, scheinbar vom Crack-Rauchen ausgeknockt, sofort zum Handy greift, wennn er auftaucht, und dergleichen mehr. Dazu kommt, dass die Chemie zwischen Reacher und der leider bloss dekorativen Rechtsanwältin Helen Rodin (Rosamund Pike) überhaupt nicht stimmt, was angesichts Reachers Schwäche für schöne Frauen schon fast an ein Kunststück grenzt. Und der ganze Film macht den Eindruck, als habe alle Beteiligten schon bald die Inspiration verlassen. Sollte also jemals ein weiteres Jack-Reacher-Abenteuer für die Leinwand adaptiert werden, kann man nur hoffen, dass dann eine andere Mannschaft am Werk sein wird.