ray Filmmagazin » Dokumentarfilm » Jakarta Disorder

Filmkritik

Jakarta Disorder

| Andreas Ungerböck |
Direct-Cinema-Doku über Slumbewohner, die nicht länger Spielball von Behörden und Baulöwen sein wollen.

Wie der Titel von Ascan Breuers Film, der bereits auf eine beachtliche Festivalkarriere zurückblicken kann, nahelegt, geht es um die Hauptstadt Indonesiens, einem der bevölkerungsreichsten Länder der Erde. Jakarta selbst ist ein Paradebeispiel für den Moloch Großstadt (siehe Manila, Mexico City, Rio de Janeiro u.a.), in dem Verkehr, Umweltverschmutzung, Kriminalität, Armut und permanenter Zuzug von Landflüchtigen eine unheilvolle Allianz eingehen. Rund zehn Millionen Menschen leben bereits in der Stadt, an die 30 Millionen dürften es im Umland sein. Gleichzeitig klafft die Schere zwischen (Neu-)Reich und Arm immer weiter auseinander. Breuer, dessen Mutter aus Indonesien stammt, fokussiert aber nicht auf globale Entwicklungen, sondern auf eine ganz konkrete Situation: Es geht um Tausende Menschen, die in wilden Siedlungen, den so genannten „Kampungs“, in allen möglichen elenden Unterkünften unter unbeschreiblichen Bedingungen hausen.
Als wäre das nicht schon schlimm genug, forcieren findige Bauunternehmer die Errichtung riesiger Blocks mit so genannten „Sozialwohnungen“ – ein Hohn, denn selbstverständlich kann sich keiner der hier Lebenden eine solche Wohnung (Miete: 400 Dollar monatlich) leisten. Zwangsräumungen und weitere Verelendung sind die Folge. Doch im Zuge der herannahenden Gouverneurswahlen in Jakarta im Jahr 2012 tat sich Erstaunliches: Es regte sich Widerstand in den Slums, und die Menschen fanden Unterstützung durch eine NGO namens UPC (Urban Poor Consortium). Gemeinsam mit Wardah Hafidz, einer engagierten Vertreterin von UPC, entwickelten die Leute in den Slums einen Forderungskatalog, der so „exotische“ Dinge wie das Recht auf Wohnung, soziale Absicherung, Bildung und die Anerkennung der „informellen Arbeit“ enthielt, von der die meisten der Kampung-Bewohner leben. Plötzlich schien so etwas wie Demokratie und eine Form von Autonomie möglich.
Ascan Breuer dokumentiert diesen Prozess, war mehrere Jahre lang immer wieder mitten im Geschehen rund um die zwei wackeren Frauen, Wardah und „Oma“ Dela, eine tatkräftige Vertreterin der sozialen Bewegung in den Kampungs. Dieses Mittendrin statt Nur-dabei, also das, was man auch „Direct Cinema“ nennt, ist die große Stärke seines packenden Films, in dem nicht Experten, sondern tatsächlich Betroffene reden. Ob der neue Gouverneur, Joko „Jokowi“ Widodo, der von vielen als Hoffnungsträger gesehen wird, den langen Atem haben wird, die zahlreichen Probleme anzupacken und die Situation zum Besseren zu wenden, wird die Zukunft weisen. Ansätze scheinen immerhin vorhanden zu sein – nicht zuletzt dank des mutigen Aktivismus vor Ort.