Kaum ein anderer Hollywoodschauspieler seiner Generation hat in den vergangenen Jahren ein derartig eigenständiges Profil entwickelt wie Jake Gyllenhaal. Der Teenager aus „Donnie Darko“ dreht heute Filme mit Jacques Audiard und Bong Joon-ho. Oder spielt in David Gordon Greens „Stronger“ einen Mann, der ohne Beine zurück ins Leben finden muss. Zeit für ein Porträt.
Oh here’s a story bout a boy named J.
Nothing he did would ever get in my way
I’ve only ever seen his face on film,
I’ve only ever heard the lines he’d say
But still they won’t get in my way.
(Amy MacDonald, „L.A.“, 2007, gewidmet Jake Gyllenhaal)
„Your fucking legs, they are gone, bro.“ Als Jeff Bauman im Krankenhaus aufwacht und mit diesen Worten zu hören bekommt, dass ihm seine Beine abgenommen werden mussten, bleibt die erwartete Reaktion überraschend aus. Irgendwie scheint der junge Mann, der beim Stadtmarathon von Boston in der Nähe der Ziellinie auf seine Freundin Erin gewartet hat, seltsam gefasst. Es ist die erste Großaufnahme seines Gesichts in diesem Film, und sie zeigt, wie Bauman nur die Stirn runzelt. Kleine Falten deuten auf diese erste Verstörung. Die Bilder des Anschlags, die David Gordon Green viel später nachreicht, liefern die Erklärung: Mit diesem Verlust war für Bauman zu rechnen.
Erst bei der Abnahme der Verbände, wird Bauman dann vor Schmerzen schreien und nicht dorthin blicken können, wo früher seine Beine waren. Und er wird der Wirklichkeit entgegen brüllen.
Mit seinem jüngsten Film Stronger erzählt Green ein Heimkehrerdrama, bei dem der Krieg bereits in der Heimat angekommen ist. Für Patriotismus alter Schule ist bei Green, mit Arbeiten wie George Washington ein Vertreter eines neuen Realismus im US-Kinos, erwartungsgemäß kein Platz: Die trinkfreudige Mutter Bauman freut sich über die Popularität des Sohns und möglichen Profit („My son is a fucking hero“), die Arbeiterfamilie verbringt die meiste Zeit im Pub und vor dem Fernseher, und im Haus, in das Jeff im Rollstuhl heimkehrt, ist buchstäblich der Lack ab. Stronger ist alles andere als ein Antiterrorfilm – nur als der erste der beiden Attentäter von der Polizei erschossen wird, bricht bei Freunden und Familie vor dem Fernseher Jubel aus. Jeff liegt stattdessen in einer abgenutzten Badewanne, in der er ausgestreckt Platz hat. So wie Greens Inszenierung jedwedes Pathos, so fehlt Jeff Bauman jeder Heroismus. Und wie so oft in den vergangenen Jahren verleiht Jake Gyllenhaal seiner Figur das richtige, das ungeschönte Maß.
Auch wenn man sich für das Kino die Vergangenheit immer ein wenig so zurechtlegt, wie man sie braucht: Als im Oktober 2001 der ziemlich billige und ebenso verstörende Independentfilm Donnie Darko in die US-Kinos kam, bedeutete die erste Hauptrolle für Gyllenhaal keineswegs den großen Durchbruch. Der psychisch labile Teenager Donnie, der in den späten achtziger Jahren den Absturz eines Flugzeugtriebwerks auf sein Zimmer nur überlebt, weil in der Nacht zuvor eine Gestalt im Hasenkostüm eine Warnung ausspricht, trug kaum jene Züge, mit denen in Hollywood gemeinhin Karriere zu machen ist. Sieht man sich heute Richard Kellys Film erneut an, erstaunt vor allem die Tatsache, wie stark man nach wie vor von der Inszenierung, aber auch Gyllenhaals Spiel gefordert ist. Im Kino gefloppt, wurde Donnie Darko wenig erstaunlich über den DVD-Vertrieb zum sogenannten Kultfilm. Weshalb man heute im Making-of hören kann, wie die wunderbare Mary McDonnell am Set dem jungen Kollegen eine große Karriere prophezeit, der derweil hinter Holmes Osborne herumalbert. Es sei eine Rolle gewesen, die er im Grunde nicht durchschaut habe, so Gyllenhaal, zugleich aber auch „eine Reise um herauszufinden, wer man wirklich ist“.
Das passt gut zum Bild eines 20-jährigen Jungschauspielers, der noch gar nicht wissen kann, wohin es gehen wird. Zu diesem Zeitpunkt hatte Gyllenhaal zwar schon einige kleinere Leinwandauftritte zu verbuchen, etwa in City Slickers oder in dem vom seinem Vater, dem Autor und Regisseur Stephen Gyllenhaal, inszenierten Homegrown mit Billy Bob Thornton; hauptsächlich aber ein abgebrochenes Studium an der Columbia in New York und viel Zeit, sich in größeren Produktionen mit Nebenrollen hochzuarbeiten. Und obwohl weder die Tragikomödie Moonlight Mile, noch Roland Emmerichs Eiszeitkatastrophenblockbuster The Day After Tomorrow gute Filme geworden sind, etablierte sich Gyllenhaal an der Seite von Oscar-Preisträgern wie Susan Sarandon und Stars wie Dennis Quaid als charismatischer junger Typ.
Um sich von der Konkurrenz abzuheben, bedarf es allerdings mehr als Können, nämlich ein unverwechselbares Profil – das unterscheidet die Generation der heute knapp 40-jährigen Hollywoodstars wie James McAvoy, Ryan Gosling, James Franco, Jesse Eisenberg oder Eddie Redmayne nicht von ihren Vorgängern. Was Gyllenhaal wusste, als er von einem ausgezeichneten Ausflug mit Kenneth Lonergans Stück „This Is Our Youth“ ans Londoner West End („Every actor I look up to has done theatre work, so I knew I had to give it a try”) heimkehrte – und ihm mit zwei Hauptrollen das gelang, was man den großen Erfolg nennt: als Jack Twist in Ang Lees Liebesdrama Brockeback Mountain und – der Unterschied hätte nicht größer ausfallen können – als Anthony „Swoff“ Swofford in Sam Mendes’ Kriegsstudie Jarhead. Ersterer ist eines der schönsten Melodramen der letzten zwanzig Jahre, letzterer einer der besten Filme über den ersten Irakkrieg. Erstaunlich aus heutiger Sicht ist, dass Gyllenhaal der frustierte Soldat offensichtlich mehr abverlangt als der schwule Cowboy; ein in diesem Krieg völlig unnützer Scharfschütze, dem die Langeweile ins Gesicht geschrieben steht und den Gyllenhaal so unspektakulär wie authentisch spielt. „Gyllenhaal does a great job“, urteilte die Washington Post und wusste auch warum: „What’s so good about the movie is Gyllenhaal’s refusal to show off; he doesn’t seem jealous of the camera’s attention when it goes to others and is content, for long stretches, to serve simply as a prism though which other young men can be observed.“
Ob Gyllenhaal in Mike Newells Videospielverfilmung Prince of Persia (2010) – mit 200 Millionen Dollar seine bisher teuerste Produktion – jene Erfahrung sammeln konnte, die er zuvor statt Christian Bale in Batman Begins hätte machen wollen, ist natürlich nicht zu sagen. Sicher allerdings ist, dass er seither hauptsächlich mit eigenwilligen Regisseuren zusammenarbeitet: David Fincher (Zodiac), Duncan Jones (Source Code), David O. Russell (Accidental Love) und gleich zwei Mal mit dem Frankokanadier Denis Villeneuve. Mit streng nach hinten gekämmtem Haar sitzt er als Detective Loki zu Beginn von Prisoners (2013) allein an Thanksgiving im chinesischen Restaurant, als er zwei gekidnappte Mädchen befreien und Hugh Jackman als außer Kontrolle geratenen Vater bändigen soll. Ein klassischer Cop ohne Privatleben aus den Suburbs von Pennsylvania, der ruhig die Indizien zusammenträgt. Wie sehr Villeneuves beklemmende Atmosphäre und Gyllenhaals reduziertes Spiel einander ergänzen, lässt sich jedoch am besten an Enemy (2013) beobachten: Ein stets in gelbes Licht getauchtes Toronto bildet den Hintergrund eines so verstörenden wie enervierenden Vexierspiels, frei nach José Saramagos Der Doppelgänger. Gyllenhaal spielt den Geschichtsprofessor Adam, der herausfindet, dass er dem wenig erfolgreichen Schauspieler Anthony bis aufs Haar seines Vollbarts gleicht – und eine Spirale in Gang setzt, die direkt in den Abgrund führt. Es ist Gyllenhaals erstes wirkliches Meisterstück, die beiden Männer als einander abstoßende und zugleich anziehende Kontrahenten zu zeichnen, als die zwei Seelen in derselben Brust, von der es in Wahrheit nur eine gibt.
„I’m a quick learner. You’ll be seein’ me again“, meint er kurz darauf als Freelancer Lou Bloom zu Rene Russo als Fernsehredakteurin, die er jeden Morgen mit seinem nächtlichen Unglücksmaterial von den Straßen von Los Angeles beliefert. Dan Gilroys Nightcrawler (2014) ist vor allem deshalb stets dermaßen an der Grenze, weil Gyllenhaal die an Obsession grenzende Getriebenheit dieser Figur in jedem Augenblick spürbar macht. Mit kurzem Zopf und aufgerissenen Augen, die nicht an Schlaf denken lassen, grenzt diese Darstellung an das Maß des Erträglichen. „There is no better way to achieve job security than by making yourself an indispensable employee“, erklärt er seinem Gehilfen, nachdem er in einer Villa gerade einen Mord gefilmt hat, mit dem er die Quote des Senders und den eigenen Preis in die Höhe schraubt. Und seinen Angestellten als Opfergabe bringt. „Your reward is a career.“
Prophetische Worte, denn unverzichtbar ist Gyllenhaal – auch als Produzent – in den vergangenen Jahren geworden: für Antoine Fuquas brillantes Boxerdrama Southpaw (2015), Tom Fords psychologischen Neo-Noir Nocturnal Animals (2016) oder für Okja (2017) des südkoreanischen Starregisseurs Bong Joon-hoo. Vor wenigen Wochen feierte in Sundance Paul Danos bejubeltes Regiedebüt Wildlife, basierend auf Richard Fords gleichnamiger Erzählung, seine Premiere – mit Jake Gyllenhaal als alkoholkrankem Vater, der in den sechziger Jahren seinen Job als Golfspieler verliert und sich den Mannschaften anschließt, die einen hinter der Stadt wütenden Waldbrand bekämpfen. Darauf darf man genauso gespannt sein wie auf Jacques Audiards Western The Sisters Brothers und die Nightcrawler-Wiedervereinigung mit Dan Gilroy und Rene Russo: Das noch namenlose Projekt wird jedenfalls ein Horrorthriller. Wie meinte bereits Lou Bloom: „If you’re seeing me you have the worst day in your life.“ Ein Versprechen, dass Jake Gyllenhaal mit Sicherheit nicht einlöst.