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John Waters

Ein bisschen Trouble

| Thomas Abeltshauser |
John Waters, der Ende September beim /slash Filmfestival zu Gast ist, über Ehrungen im Alter, über jugendliche Rebellion und über die 4K-Restauration seines subversiven Frühwerks „Multiple Maniacs“.

Ein bisschen ist es Ironie der Geschichte, dass der „Pope of Trash“, der Zeit seines Lebens mit beißendem Humor gegen die Spießigkeit der Mittelschicht angekämpft hat und dabei keine Provokation ausgelassen hat, im Alter nun selbst respektabel wird. John Waters, 71, die lebende Legende aus Baltimore, schuf mit Filmen wie Pink Flamingos, Polyester und Female Trouble Meilensteine des subversiven Kinos. Darin machte er Freaks zu den eigentlichen Stars, von der 150 Kilogramm schweren Drag Queen Divine über Drogensüchtige, Kriminelle und andere Außenseiter. Seine Filme sind Trash im besten Sinne, keineswegs unfreiwillig schlecht, sondern bitterböse und rasend komische Kommentare zur Gesellschaft und zugleich liebevolle Genreparodien. Nun kommt John Waters nach Wien, wo er nicht nur die frisch restaurierte Fassung seines Frühwerks Multiple Maniacs persönlich vorstellen wird, sondern auch mit seiner One-Man-Show „This Filthy World“ auftritt.

 

John, wo sind Sie gerade?

Ich bin am Strand von Provincetown, Massachusetts. Ich verbringe seit 63 Jahren jeden Sommer hier. Diesmal sind es keine Ferien, weil ich gerade ein neues Buch schreibe, aber ich gehe jeden Tag schwimmen. Es ist ein guter Ort zum Schreiben, viele meiner Bücher und Filme sind hier entstanden.

Reden wir über Ihren Besuch beim /slash Film Festival in Wien, wo unter anderem die restaurierte Fassung Ihres frühen Bad-Taste-Meisterwerks „Multiple Maniacs“ von 1970 zu sehen sein wird. Bei unserer ersten Begegnung anlässlich Ihrer Kunstausstellung in Winterthur hatten Sie mir nach dem Interview in den Katalog geschrieben: „Thank you for making me respectable“. Wie fühlt es sich jetzt an, mit „Multiple Maniacs“ in die renommierte Criterion Collection aufgenommen zu werden?

In meinem neuen Buch „Mr. Know-It-All“ wird es genau darum gehen, wie man Ansehen am besten verhindert, wen es einem mit 70 Jahren plötzlich entgegengebracht wird. Ich muss wirklich ein bisschen aufpassen mit all den Ehrendoktortiteln und Preisen fürs Lebenswerk. Das ist ein bisschen wie an seiner eigenen Beerdigung teilzunehmen, dabei aber noch am Leben zu sein. Die Adelung durch Criterion ist natürlich toll, eines der ironischsten Dinge, das mir je in meinem Leben passiert ist. Janus Films haben meinen Film jetzt sogar regulär ins Kino gebracht, als Premiere nach 47 Jahren! Wir hatten Multiple Maniacs damals ja nur privat in Kellern und Kirchen gezeigt. Und dann ausgerechnet Janus Films, die ich zu meiner Highschool-Zeit vergötterte, weil sie die Filme von Bergman, Godard und Fellini in die amerikanischen Kinos brachten. All das, was dem guten Geschmack entsprach. Und jetzt ich! Criterion machte einen tollen Job, Multiple Maniacs sah noch nie so gut aus. Kennen Sie die Website Rotten Tomatoes? Dort werden Filme nach den veröffentlichten Kritiken bewertet. Multiple Maniacs wird dort als 100% positiv gelistet! Ist das nicht krank? Selbst ich halte dn Film für haarsträubend schlecht. Hätte es dieses Bewertungssystem schon 1970 gegeben, wären wir bei 0% gelandet. Aber der Lauf der Zeit ist ein Luxus, der es ganz offensichtlich gut gemeint hat mit Multiple Maniacs .

Wie kam es zu der Restaurierung?

Ich hatte eine Retrospektive im Lincoln Center in New York und wir zeigten dort die einzige noch existierende 16mm-Kopie des Films. Und die ging bei der Projektion in Flammen auf! Die Leute von Criterion saßen damals im Publikum und riefen mich kurz danach an. Das war wie ein Lottogewinn. Sie wussten auch, dass ich seit einiger Zeit versuchte, den Film quasi aus der Versenkung zu holen. Es gab vor allem Probleme mit den Musikrechten. Wir trafen uns also, und sie fragten mich: „Wollen Sie den Film mit jedem kleinen Fitzelchen Dreck restaurieren?“ Und ich meinte: „Nein! Ich will, dass er so gut wie möglich aussieht!“ Sie haben ganz genau verstanden, was der Charme des Films ist und haben zum Beispiel die neuen Credits genauso mies aussehen lassen wie im Original. Als ich die restaurierte Fassung sah, sagte ich: „Endlich sieht er aus wie ein schlechter Cassavetes-Film!“ und das meinte ich als Kompliment. Plötzlich erkannte ich Details im Film, die mir nie aufgefallen waren.

Ich habe den Film vor vielen Jahren unzählige Male für meine Magisterarbeit gesehen, damals gab es nur eine schlechte Raubkopie. Ihn jetzt auf Blu-ray zu sehen, war eine Offenbarung.

Sie haben das freiwillig getan? Mein Beileid! Selbst ich will ihn nicht noch mal sehen! Stimmt nicht ganz, mit Publikum ist es noch immer ein Vergnügen. Bei der Premiere der restaurierten Fassung waren nur junge Leute da, die noch nicht mal geboren waren, als wir den Film drehten. Und er hat noch immer funktioniert, alle waren außer Rand und Band. Der erste Kommentar beim Q&A nach dem Film kam von einem jungen Mann, der meinte: „Wow, das Acid damals muss echt krass gewesen sein.“ War es auch!

Ihre Heimatstadt Baltimore, in der all Ihre Filme seit den sechziger Jahren spielen, hat sich drastisch verändert, viele Ihrer Weggefährten, die Dreamlanders, sind im Laufe der Jahre gestorben. Welche Erinnerungen kamen durch den Restaurierungsprozess hoch?

Ich sehe meine Freunde wie Divine, David Lochary oder Cookie Mueller im Film und denke: „Gott, keiner von euch wusste, dass ihr nicht alt werden würdet!“ Aber das ist das Tolle am Kino: Sie sind noch immer da, sie sind dadurch unsterblich. Wir waren damals jung und durchgeknallt. Wir wussten nicht, dass man gewisse Dinge nicht tun soll oder dass es die falsche Art und Weise war, etwas zu tun. Und hätten wir die Regeln und Gesetze gekannt, hätten wir sie gebrochen. Für mich ist es sehr berührend, das wiederzusehen. Für Divine war es der Beginn, als sie diese Kunstfigur erfand. Divine wollte ja nie eine Frau sein, sie war nicht transgender. Sie wollte ein Monster sein. Und in Multiple Maniacs ist sie es zum ersten Mal. Eine Art Godzilla, um Hippies zu erschrecken. Unsere Eltern fragten uns damals: „Was denkt ihr euch nur dabei?“ Gute Frage. Als wir den Film drehten, hatten sie Manson noch nicht gefasst und wir taten so, als hätte Divine die Morde begangen. Das war die Hochphase von Love & Peace, und wir propagierten das Gegenteil. Und natürlich war Multiple Maniacs eine Art Vorstudie zu Pink Flamingos. Wenn Divine das alte Rinderherz isst, ist das Training für die Szene in Pink Flamingos, in der sie den frischen Hundehaufen verspeist.

Waren Sie schon einmal in Wien?

Ich hatte 2000 eine Kunstausstellung in der Galerie Kargl. Und Norman Shetler vom Gartenbaukino, in dem ich jetzt auftreten werde, hatte damals in der Nähe einen kleinen Videoladen, den ich besucht habe. Und Sie kennen meine Vorliebe für Ulrich Seidl, ich habe auch schon über seine Filme geschrieben. Ich liebe auch Thomas Bernhard, er hatte einen großen Einfluss auf mich. Ich freue mich also sehr auf Wien. Das Schöne an solchen Gigs ist ja, dass die Leute, mit denen ich auf einer Wellenlänge bin, meist den Veranstaltungen kommen. Ich bin leider nur zwei Tage da, die Fans werden also mein Haupteindruck von der Stadt sein.

Sie werden auch mit der One-Man-Show „This Filthy World“ auftreten. Der Titel bleibt derselbe, aber der Inhalt wird immer wieder aktualisierst. Was können wir in Wien erwarten?

Es wird auf jeden Fall kaum noch etwas gemein haben mit der Version, die gefilmt wurde und nach der Premiere auf der Berlinale vor zehn Jahren als DVD erschien. Ich rede immer über aktuelle Ereignisse, und wenn ich eingeladen werde, füge ich Themen ein, die dort gerade relevant sind und rede über deren Filme, Autoren und Künstler. In Österreich fällt mir das überhaupt nicht schwer.

Warum finden Sie es wichtig, solche Festivals zu unterstützen?

Das werde ich immer wieder gefragt. „Warum gehst du zu Horrorfilmfestivals? Du machst doch gar keinen Horror.“ Für meine Mutter waren meine Filme genau das: purer Horror! Aber der eigentliche Grund, warum ich hinwill: Ich liebe es, junge Leute auszuspionieren! Ich will wissen, was sie mögen. Es gibt nichts Schlimmeres als alte Säcke, die rummaulen: „Wir hatten aber früher mehr Spaß.“ Nein, hattet ihr nicht! Gibt es etwas Tolleres, als heute die Regierung durch Hacking kaltzustellen? Ich bin immer auf der Suche danach, was die nächste Rebellion ist. Was machen die smarten Kids, um ihrer Umwelt auf die Nerven zu gehen? Das sind diejenigen, die sich durchsetzen werden.

Und natürlich erwarten alle, dass Sie etwas zu Trump sagen. Oder ist das Thema zu offensichtlich und deshalb genau der Grund, darüber zu schweigen?

Natürlich werde ich etwas sagen! Das Problem ist nur: Ich muss es jeden Tag neu schreiben, weil er jeden Tag etwas Unerwartetes und noch Schlimmeres macht. Wir müssen uns an diese neue Art der Erniedrigung gewöhnen. Ich glaube noch nicht mal, dass Trump das bewusst ist, so frustrierend es ist. Idi Amin wirkte normal dagegen! Aber es ist auf jeden Fall Stoff für Nachrichten und Late Night Shows, weil jeden Tag etwas passiert, das noch durchgeknallter ist als zuvor. Das Schlimmste daran: Trump glaubt höchstwahrscheinlich noch nicht mal das, was er sagt. Und Mike Pence ist noch viel, viel schlimmer! Sollte er Trump ablösen, wird es wirklich gefährlich! Wussten Sie, dass er seine Ehefrau „Mother“ nennt?! Er ist also ein „adult baby“, einer dieser Erwachsenen, die in die Rolle eines Kleinkinds schlüpfen. „Mother“ ist ein Codewort in der Fetischgemeinde für Frauen, die sich um ihre ausgewachsenen Babys kümmern. Er sitzt zuhause wahrscheinlich in einem dieser Kinderstühle, in einer dieser Riesenwindeln, wer weiß? Und neben ihm steht diese Frau, die total gegen Abtreibung und Gleichberechtigung ist. Was mir dabei wirklich Angst macht? Pence sieht so normal aus. Trump wirkt immer wie am Rande des Nervenzusammenbruchs. Ach, ich werde wirklich nostalgisch, was die Sechziger angeht. Wenn es je eine Zeit zum Rebellieren gab, dann doch wohl jetzt!

Ihre Art zu rebellieren, war von Anfang an der Humor …

Weil ich nicht daran glaube, dass man Sicht- und Denkweisen durch Belehrungen ändert. Man muss die Leute zum Lachen bringen, dann hören sie auch zu. Ich kenne Menschen, die Trump unterstützen, darunter sogar einige wenige meiner Freunde. Man kann sich nicht abkapseln, das bringt nichts. Ich hatte zumindest gehofft, dass es unter den Trump-Fans ein paar Schnuckel gäbe, die so ein bisschen wie Stricher aussehen. Aber seine Fans sind noch nicht mal sexy.

Neben der Show und der Retrospektive mit Klassikern wie „Pink Flamingos“ und „Female Trouble“ haben Sie auch eine kleine Reihe mit Filmen kuratiert. Unter anderem läuft der spanische Horrorfilm „Tras el cristal“ („Im Glaskäfig“) über einen pädophilen Nazi-Doktor, der gelähmt ist und von einem seiner ehemaligen Opfer gepflegt wird …

Mein kleines Geschenk an Wien. Gegen den Film wirkt selbst Pasolinis Salò – Die 120 Tage von Sodom harmlos. Als er 1986 ins Kino kam, konnte ich nicht fassen, dass so etwas überhaupt gedreht wurde. Aber er ist gut gemacht und beantwortet Fragen, die sich niemand je zu stellen wagen würde. Heute wäre ein solches Werk sicher nicht mehr möglich. Und ich mag mich täuschen, aber ich glaube nicht, dass er noch oft gespielt wird.

Ein weiterer Film ist „The Tingler“ von William Castle, einem Ihrer großen Vorbilder, weil er seine Filmvorführungen gerne mit Gimmicks wie etwa kleinen Stromschlägen unter den Sitzen aufgemotzt hat. In der Miniserie „Feud“ über die Rivalität zwischen Bette Davis und Joan Crawford hatten Sie dieses Jahr sogar einen Auftritt als William Castle.

Danach hat mir seine Tochter Terry geschrieben, dass sie sehr stolz darauf ist, dass ich ihn gespielt habe. Es geht in der Serie ja auch um Castles Film Strait-Jacket (Die Zwangsjacke), in dem er Crawford als verrückte Axt-Mörderin besetzte. Und Terry hat mir Fotos von sich am Set damals geschickt, da ist sie als kleines Mädchen zu sehen, das eine Riesenangst vor einer irre aussehenden Joan Crawford hat. Zum Schreien! The Tingler war übrigens der erste Film, der LSD thematisierte, und das im Jahr 1959! Ich war auch immer ein großer Fan von Vincent Price. Kurz vor seinem Tod rief er mich an, um sich dafür zu bedanken, dass ich immer wieder so nette Dinge über ihn gesagt hatte. Ich war total gerührt! Aber William Castle war mein Mentor und Vorbild mit seinen wahnsinnigen Showbiz-Gimmicks. Ich habe das in Polyester übernommen, meinem Film in Odorama, bei dem die Zuschauer bei bestimmten Szenen auf einer Karte rubbeln und Gerüche wie Klebstoff oder schmutzige Schuhe schnüffeln konnten. Übrigens auch in Wien! Ich kann mich noch genau daran erinnern, als ich als Kind zum ersten Mal House on Haunted Hill sah und plötzlich im Kinosaal das Skelett an einem Seil quer über unsere Köpfe flog und Hunderte Kinder zu schreien begannen. Ein Leben lang wollte ich einen Moment schaffen, der dem ebenbürtig ist, aber er ist einfach unerreicht. Am nächsten kam ich wahrscheinlich mit der Hundekot-Szene am Ende von Pink Flamingos. Castle hat mir beigebracht, wie wichtig es ist, seinen Film auf originelle Art zu verkaufen. Ich habe noch die Originalanleitung für den Percepto-Gimmick, der auch beim Screening im Gartenbaukino zum Einsatz kommt.

Darüber hinaus wird es Wien eine Signierstunde geben mit Ihrem Buch „Making Trouble“, das auf Ihrer großartigen Rede vor Studenten der Rhode Island School of Design basiert. Darin rufen Sie sie zum zivilen Ungehorsam auf. Was lässt Sie so optimistisch auf diese Generation blicken?

Ich bin doch fast allem gegenüber optimistisch! Jede neue Generation sucht nach dem nächsten großen Ding, der nächsten Bewegung. Es gab die Halbstarken, die Hippies, Punks, Grunge, HipHop … Heute gibt es keinen neuen Stil mehr. Es ist im Kapitalismus sehr schwer, Bohemien zu sein. Was werden diese Kids tun? Ich glaube, wir werden noch viel über Hacker hören. Mich interessieren Leute, die nicht hineinpassen. Die Musterschüler an der Highschool werden später ganz sicher die ödesten Leben führen. Man braucht ein bisschen Trouble, um zu überleben und dabei zu lernen, wer man wirklich sein will. Die Jugend sollte keine einfache Zeit sein.