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Joker-Folie

Joker: Folie à Deux

That’s Entertainment

| Pamela Jahn |
Mit „Joker: Folie à Deux“ verblüfft und spaltet Regisseur Todd Phillips erneut das Publikum. Und Joaquin Phoenix zeigt, dass er neben Lady Gaga auch musikalisch bestehen kann.

Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) hat nichts zu lachen. Der Joker sitzt hinter Gittern. Sein Alltag im Hochsicherheitstrakt ist trist. Für jede Zigarette muss er einen guten Witz springen lassen – die skrupellosen Wachmänner haben ihren Spaß mit ihm. Geduldig wartet Arthur in der geschlossenen psychiatrischen Anstalt Arkham auf seinen Prozess, zeigt sich reuig, lässt sich demütigen, fällt nicht unangenehm auf. Wegen guten Benehmens darf er bald im Gefängnis-Chor mitsingen. Der Joker, ein verkannter Frank Sinatra? Oder verbirgt sich dahinter ein schlechter Scherz?

Ein bisschen Musik hat noch niemandem geschadet. Das hat sich wohl auch Regisseur Todd Phillips gedacht. Joker: Folie à Deux ist im Kern ein Jukebox-Musical. Vielleicht Arthurs letzter großer Auftritt, ihm droht die Todesstrafe. Immerhin hat er fünf Menschen auf dem Gewissen, darunter seine eigene Mutter und den Late-Night-Talkmaster Murray Franklin, den er im ersten Teil vor laufender Kamera umgebracht hat. Mit seinen Gräueltaten ist der Psychopath mit der Clownsfratze draußen im Moloch Gotham City zum berüchtigten Star geworden. Alle Welt wartet nun auf die Verurteilung des verrückten Killers. Nur zwei Frauen nicht.

Arthurs Verteidigerin Maryanne Stewart (Catherine Keener) ist die eine; sie plädiert auf mildernde Umstände, will ihn vor dem Schlimmsten bewahren, eventuell sogar freibekommen. Ernsthaft und fürsorglich behauptet sie, ihr Mandant hätte eine zweite Chance verdient. Das radikale Böse, der Joker in ihm, sei für die Morde verantwortlich. Sie sieht in Arthur lediglich ein Opfer seiner selbst, oder besser: seiner krankhaften Schizophrenie, die immer wieder unkontrollierbar Macht über ihn gewinnt. Doch die Jury davon zu überzeugen, dürfte schwer werden. Das bekannte, schwer zu ertragende Gelächter, in das Arthur im Gefängnis und vor Gericht hilflos ausbricht, durchkreuzt ihre auf Mitgefühl bauende Strategie.

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Bei der Musiktherapiegruppe trifft Arthur außerdem auf Harleen Quinzel (Lady Gaga), kurz Lee genannt. Sie behauptet, ihn schon länger zu  kennen, aus derselben Nachbarschaft zu kommen wie er. In der Kriminellen-Psychiatrie sitzt sie, weil sie das Haus ihrer Eltern abgefackelt hat. Lee ist stolz auf die Tat. Das wahre Ausmaß ihrer Abgründigkeit wird ersichtlich, je näher sie und Arthur sich kommen. Zusammen, so scheint es, ist man nicht nur weniger allein, sondern profitiert ebenso vom gestörten Geist des anderen. Erwartungsgemäß entwickelt sich bald eine ebenso gefährliche wie tragische Romanze zwischen den zweien. Den Kennern der Original-DC-Comics ist ihre Figur längst als Geliebte des Jokers bekannt.

ANARCHO-CLOWN

Aber da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Phillips, der das Drehbuch erneut gemeinsam mit Scott Silver geschrieben hat, polarisiert mit seiner Fortsetzung der Herkunftsgeschichte von Batmans künftigem Gegenspieler mindestens genauso stark wie beim ersten Film. Sein Joker war ein Ereignis. Fünf Jahre ist es jetzt her, dass sich die Gemüter über Joaquin Phoenix in der Rolle des gestörten Supernihilisten erhitzten, der die Menschen mit seinem grausamen Gelächter verstörte. Von dem kriminellen Spaßvogel, wie ihn Jack Nicholson 1989 in Tim Burtons „Batman“-Verfilmung anlegte, war Phoenix‘ irrer Clown weit entfernt.

Die Befürworter von Phillips‘ Version schätzten den kühnen, anarchischen Blick, mit dem der Regisseur auf das Superhelden-Genre und parallel dazu das zeitgenössische Amerika schaute: Sein Joker wird im Laufe der Handlung zur Galionsfigur im Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit. Die Kritiker beanstandeten dagegen die zynische Darstellung von Arthur Fleck als einen moralisch zweifelhaften, wenn nicht gar unverantwortlichen Versuch, Mitgefühl für die Art von gekränkter Männlichkeit zu finden, die letztlich zu Mord und Totschlag führt.
Phillips‘ Plan war es damals, die überdrehte Figur des Jokers wieder menschlich zu machen. Seine düstere Anti-Superhelden-Version erinnerte nicht zuletzt an Martin Scorseses The King of Comedy (1982), in dem Robert De Niros Möchtegern-Komiker Rupert Pupkin den beliebten TV-Talkmaster Jerry Langford entführt. Diesmal bezieht sich der Regisseur eher auf die großen Hollywood-Musicals der vierziger und fünfziger Jahre; einmal wird im Gefängnis der Klassiker The Band Wagon mit Fred Astaire und Cyd Charisse gezeigt. „Über die Musik können wir uns vervollständigen“, sagt der Leiter der Therapiegruppe mit zuversichtlicher Miene. In Arthurs Fall würde das bedeuten, dass für ihn noch immer Hoffnung besteht, geheilt zu werden, solange er zukünftig den richtigen Ton anschlägt.

Nun ist Joaquin Phoenix zwar nicht der beste Sänger, aber das muss er auch nicht sein. Er meistert die Songszenen mit Bravour und Gefühl. Dafür ist Lady Gaga ganz in ihrem Element. Sie spielt ihre nicht minder ambivalente Figur mit viel Verve und Wärme, vielleicht mehr als die Brandstifterin tatsächlich verdient. Neben ihrem introvertierten, stets mit sich und der Welt hadernden Ko-Star erweist sich die lebhafte Sängerin als die perfekte Besetzung. Vor allem in den Momenten, in denen die Fantasie das Paar von der brutalen Realität befreit, hebt der Film mit ihr ab. Ihre glanzvolle Stimme verleiht den zahlreichen Duetten und Soloeinlagen zudem eine rohe Vitalität, die der düstere Plot sehr gut verträgt. Zusammen mit Phoenix‘ knurrigen Versuchen, Musical-, Jazz-, Pop- und Show-Klassiker wie „Gonna Build a Mountain“, „That‘s Entertainment“ oder „(They Long to Be) Close to You“ neu zu interpretieren, fügen sich die Lieder sanft hinein in die verregnete Ästhetik der Inszenierung. Und schon bald ist klar: In Joker: Folie à Deux wendet sich Phillips ab vom verstörenden Spektakel hin zu einer kühnen, seltsam in sich gekehrten Charakterstudie. Geteilter Wahn ist halbes Leid.

Zu den Höhepunkten der ausgefeilten Choreografien gehört eine TV-Varieté-Show-Nummer im Stil der sechziger Jahre, in der Arthur und Lee an Sonny und Cher erinnern, wenn sie „You Don‘t Know What It‘s Like“ aufführen. Auch eine elegante Tanzeinlage über den Dächern von Gotham City, in der sie in einer gewagten Hommage an Fred Astaire und Ginger Rogers vor einem riesigen Mond die Hüften schwingen, erwärmt das Gemüt. Aber am Ende sind es trotzdem die leisen Momente, die Arthur in seiner ganzen beklemmenden Verzweiflung zeigen, von denen die größte Wirkung ausgeht. Beunruhigt zuckt man zusammen, wenn er in sein ächzendes Gelächter des Grauens ausbricht, und ist ergriffen, wenn er noch mehr als sonst in sich versinkt, um seine eigene Identität in Frage zu stellen.

Für Joaquin Phoenix, das sieht man ihm an, ist die Herausforderung und der eigene Anspruch, sich in Arthurs Kopf zu versetzen, ähnlich groß wie zuvor. Sein Joker lebt von der tiefen Unsicherheit, die der Ausnahmeschauspieler nicht nur vor der Kamera und sämtlichen Erfolgen und Auszeichnungen zum Trotz stets in sich trägt. Ein grundsätzliches Problem des Vorgängers vermag jedoch auch Folie à Deux nicht zu lösen: Ungewiss bleibt, wohin die Geschichte den Joker, nicht die Figur Arthur Fleck, letztlich führen wird. Dazu kommt, dass die fehlende nervöse Intensität des ersten Films das Geschehen streckenweise ins Stocken bringt. Und doch verbirgt sich hinter der Musical-Fassade ein abgründiges Werk voller Ambivalenz und Originalität. Ein Film, der sein Publikum erneut fordern und spalten wird. Wer genau ist dieser Joker? Was will er? Und vor allem: Warum? Die Fragen bleiben offen. Fortsetzung folgt.