Joseph Schmidt war einer der berühmtesten Tenöre des Radios und der Leinwand. Im Alter von 38 Jahren ließ der gefeierte Sänger auf der Flucht vor den Nationalsozialisten sein Leben. Drei seiner Filme sind nun in restaurierter Version auf DVD erschienen.
Unzählige Male wurde er abgewiesen, nun ist der kleine Mann schon wieder da: Verloren steht er in der riesigen Empfangshalle der Rundfunkanstalt, vom mindestens einen Kopf größeren Portier wiederholt darauf hingewiesen, dass sein Bemühen zwecklos sei. Nein, er könne nicht zum Direktor, vorsingen schon gar nicht, und überhaupt sei der Programmkalender über die nächsten Monate hinaus randvoll – da passe „kein Strich mehr dazwischen“. Enttäuscht wendet sich der Bittsteller ab, geht zum Ausgang, verlangsamt den Schritt, so als ob er wüsste, dass damit seine letzte Chance zum Erfolg vorbei sei. Doch in diesem Moment hebt er zu singen an: Land so wunderbar, ein tatsächlich wunderbares Lied aus Giacomo Meyerbeers L’Africaine. Ein wunderbares Land – einem der erfolgreichsten Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts ist es zu verdanken, dass der kleine Sänger in der Empfangshalle mit seinem ersten großen Film einen überragenden Erfolg feiern und 1933 ein anderes Lied um die Welt gehen kann. Zu diesem Zeitpunkt ist sein Interpret durch Radioaufnahmen bereits ein Startenor, mit diesem Auftritt auf der Leinwand wird er endgültig zum Superstar: Joseph Schmidt.
Als er völlig mittellos ist und von den Strapazen der Flucht gezeichnet, möchte er dem Land, in dem er Unterschlupf finden konnte, alles anbieten, was er besitzt. Doch er besitzt nichts mehr. Sein Pass wird ihm in Südfrankreich abgenommen, als er auf ein Schiff nach Kuba wartet, das ihn in Sicherheit bringen soll. Hier in der Schweiz ist er noch vor zwei Jahren in Zürich erfolgreich aufgetreten. Doch eine Stimme braucht 1942 niemand, und einen kranken Mann noch weniger. Die Grenzen sind ohnehin dicht, ein Rätsel bleibt, wie es der Flüchtling ins Land schaffen konnte. Von den Behörden ins Lager Girenbad eingewiesen, verschlechtert sich sein Zustand bedenklich. Der Kranke klagt zunehmend über Schmerzen, doch nach einem kurzen Aufenthalt im Kantonshospital Zürich wird er als „wieder lagerfähig“ entlassen. Wenig später stirbt er an Herzversagen, als Folge einer Halsentzündung und nach einer an den Lebenskräften zehrenden Flucht durch halb Europa: Joseph Schmidts kurzes Leben hat am 16. November 1942 ein Ende.
Der Sänger Riccardo, durch das öffentliche Vorsingen endlich zu einem Vertrag beim Radio gekommen, ist trotz seiner herrlichen Stimme für eine Bühnenkarriere untauglich. „Ich kenne das gesamte Repertoire“, erklärt er stolz, doch er muss sich mit Plattenaufnahmen bescheiden – die großen Bühnen bleiben ihm verwehrt. Besser als nichts, meint er, denn immerhin braucht er mit seinem besten Freund nicht mehr zu wetten, wer von ihnen heute Geld ausborgen wird. Und er hat in einem Plattenladen sogar eine junge Verkäuferin kennen gelernt, die seine Musik liebt – aber eben nur diese. Eine unglückliche Liebesgeschichte, um die Regisseur Richard Oswald natürlich nicht herumkommt: Der Freund bekommt das Mädel, dem Sänger bleibt der Applaus des Publikums. Am Ende von Ein Lied geht um die Welt sitzt der Freund hilflos auf der Bühne, und als alle Stricke zu reißen drohen, tritt Riccardo aus dem Dunkel des Saals. Die Kulissen, die die Welt bedeuten, beginnen sich zu drehen, und so schön dieser Kinomoment auch sein mag, so traurig ist er zugleich: Schmidt auf einem Laufband, auf dem er die Welt erobern will und auf dem er doch auf der Stelle tritt.
Früh habe Schmidt schon in der großen Synagoge gesungen, weiß der alte Johann Schlamp in einer Dokumentation von Marieke Schroeder zu berichten. Schlamp, der in Dieses Jahr in Czernowitz von Volker Koepp von der einstigen kulturellen Metropole der Donaumonarchie erzählte, steht diesmal in einem Stiegenhaus und schildert die Jahre, in denen Joseph Schmidt in der blühenden Stadt Paul Celans aufwuchs. Auch Schmidt wurde in der Bukowina geboren, am 4. März 1904 in Davideny, damals Österreich, heute Rumänien. Als deutsch sprechender, assimilierter Jude und Sänger zog es ihn jedoch in den Westen, ins pulsierende Berlin ans Konservatorium. Er nimmt zahlreiche Opern für den Rundfunk auf, spielt auch kleinere Rollen beim Film und ist ein aufgehender Stern. Er wird nicht lange strahlen: Bei der Premiere des für ihn geschriebenen Ein Lied geht um die Welt im Mai 1933 im Berliner Ufa-Palast am Zoo mit den Gassenhauern von Hans May ist bereits Goebbels anwesend. Bald danach wird ihm der Zutritt ins Funkhaus verweigert, Schmidt reist nach Wien.
Wien wie es singt, oft und gerne beim Heurigen: Wo beim Wein ein Walzer klingt. Max Neufeld inszeniert den Neuankömmling aus Berlin als Gesangslehrer Josef, der von seinen übermütigen Schülern auf ein Klavier gesetzt wird. Hier ist noch alles eitel Wonne, die Probleme kommen einzig von einer Zitrone, deren Anblick Josef das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt und mehrere Male seine Karriere verhindert. Film im Film: Der amerikanische Tenor Lincoln nimmt versehentlich einen Schluck Eau de Cologne, Josef soll ihn inkognito vertreten. Ein Stern fällt vom Himmel (1934), eine so genannte „Verwechslungskomödie“, ist in Wahrheit ein bitteres Drama, denn Neufeld will und kann nicht noch einmal vom Aufstieg des kleinen Mannes erzählen. Josef wird zwar die gerechte Anerkennung zuteil, ja er bekommt sogar das Wiener Mädel, aber der große Erfolg bleibt ihm verwehrt. Wenn er noch eine einzige Zigarette rauche, würde er Josef statt ihn unter Vertrag nehmen, droht der Agent seinem amerikanischen Star, und dieser dämpft aus. Josef kann getrost der zufriedene Kleinbürger bleiben: Ich singe dir ein Liebeslied.
Zwei Clowns als Zwillingsbrüder. Beppo und Toni, aufgewachsen im Wiener Wurstelprater. Sie lieben dieselbe Frau, der eine wird ein Star, der andere verdingt sich weiterhin in der kleinen Manege. Richard Oswald lässt sie in einer Parallelmontage gegeneinander ansingen, und natürlich hört man keinen Unterschied. Wien, 1936: Heut’ ist der schönste Tag in meinem Leben. Der schönste und traurigste Film mit Joseph Schmidt, weil er die Geschichte der anderen Filme zusammenführt und völlig zu Recht maßlos überhöht: Die Konkurrenz ist das eigene Ich, so scheint es auf den ersten Blick, doch bald erkennt man, dass es sehr wohl darum geht, wie die anderen einen sehen. Welche Chancen man im Leben eingeräumt bekommt und welche Möglichkeiten, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.
Nur drei Jahre später kehrt Schmidt nach einem Gastspiel in New York nach Europa zurück. Europa im Jahr 1939. Schmidt singt in Brüssel – zum ersten Mal – auf einer Opernbühne. In der kleinen Schaubude im Wiener Prater hat er als weißer Clown in den Spiegel geblickt und in der leeren Manege das Lied Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben gesungen. Der weiße Clown hat einmal mehr Recht gehabt.