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Judge Dredd – Eine feste Größe des Comic-Universums kehrt zurück ins Kino

Das Gesetz bin ich

| Ralph Umard |

Comeback einer Ikone des Comic-Universums: Siebzehn Jahre  nach seinem Kinodebüt liquidiert der gnadenlose Vollstrecker Judge Dredd eine ganze Bande mörderischer Drogendealer.

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Gewissensbisse kennt der grimmige Gesetzeshüter nicht, auf Diskussionen lässt er sich ebenso wenig ein. Mit unbarmherziger Härte macht er Delinquenten dingfest und richtet sie an Ort und Stelle. Wer sich mit Waffengewalt widersetzt, wird kurzerhand hingerichtet. Judge Dredd (eine Anspielung auf das englische Wort „dread“, was Furcht oder Grauen bedeutet) ist der personifizierte Albtraum von Befürwortern des Rechtsstaates. Ein sinistrer Sheriff, Richter und Henker in schwarzer Rüstung, der emotionslos seinen Dienst verrichtet, ohne menschliches Antlitz: Unterm Visier seines Helms sind nur seine abschätzig heruntergezogenen Mundwinkel zu sehen.

Dredd ist ein Action-Held jenseits von Gut und Böse, 1977 vom Engländer John Wagner und dem Spanier Carlos Ezquerra für das britische Comicmagazin „2000 AD“ als Comicfigur kreiert. Als Vorbild diente angeblich Clint Eastwoods Darstellung des Cops Harry Callahan in Dirty Harry (1971). Die Dredd-Schöpfer verlegten die Handlung ihrer Bildgeschichten in die nahe Zukunft, der Judge operiert in einer sich von Boston bis Washington erstreckenden Mega-City mit hunderten Millionen Einwohnern. Die von grotesken Gewaltdarstellungen und Obszönitäten strotzenden Geschichten mit Anspielungen auf Ikonen der Rockmusik wie Ozzy Osbourne oder den legendären Titelhelden der Rockoper „Tommy“ von den Who sprachen nicht nur pubertierende Heavy-Metal-Fans in Großbritannien an. In den späten siebziger Jahren wurden von „2000 AD“ wöchentlich rund 100.000 Hefte verkauft. Die Vermarktung in Printmedien sowie auch als Actionfigur und Computerspiel („Judge Dredd: Dredd vs. Death“ erschien 2003) führte im Laufe der Jahre zu einer enormen Popularisierung der Comicfigur, sogar auf Bettwäsche und Kleidung wurde Dredds behelmtes Konterfei gedruckt. Vielleicht trug die enorme Popularität von Judge Dredd, einer der langlebigsten und erfolgreichsten Figuren der britischen Comic-Literatur, mit dazu bei, dass ein anderer maskierter Verbrecherjäger jenseits des Atlantiks in den Dark-Knight–Filmen ein neues, abgründigeres Image bekam.

1995 erschien Judge Dredd erstmals auf der Kinoleinwand, Respekt einflößend mit wuchtiger Rüstung und elektronisch manipulierter, markerschütternder Bassstimme verkörpert von Sylvester Stallone. In einem postapokalyptischen Großstadt-dschungel bringt er mit seinem „Lawgiver“ (eine Wunderwaffe, die per Stimmprogrammierung unterschiedliche Spezialmunition verschießen kann) gnadenlos Gesetzesbrecher zur Strecke, bis er durch einen Justizirrtum selber Opfer des drakonischen Rechtssystems wird. Aus der Verbannung in der Wüste schlägt er sich durch, zurück in seine Heimatstadt, bestraft die wahren Schuldigen und schwingt sich wieder auf sein Lawmaster-Motorrad, bereit für ein Fortsetzungsabenteuer.

Doch daraus wurde nichts. Trotz überdurchschnittlich guter Ausstattung und für damalige Verhältnisse fulminanter Spezialeffekte sowie prominenter Besetzung (u.a. Max von Sydow, Jürgen Prochnow, Diane Lane, Joan Chen) spielte der Film weniger ein als erhofft. Bestrebt, möglichst breite Publikumsschichten zu erreichen, war der harte Stoff zur großen Enttäuschung der Fans weichgespült worden. Die Handlung war inhaltlich überfrachtet, und der grundsätzlich interessante ideologische Diskurs zwischen dem fanatischen Vollstrecker staatlicher Gewalt und einem ihm in vielerlei Hinsicht wesensverwandten anarchistischen Gewalttäter (furios verkörpert von Armand Assante) wurde nur ansatzweise ausgespielt. Über weite Strecken wirkte Judge Dredd wie eine Satire auf rechte Law-and-Order-Fanatiker und den in den Vereinigten Staaten verbreiteten Feuerwaffenfetischismus. Heimlicher Star des Hollywoodspektakels war ein antiquierter Kampfroboter mit grob gelöteter, gleichwohl zu subtilem Mienenspiel fähiger Blechvisage. Leider gelang es diesem kolossalen Killer nicht, Stallones penetrant plappernden Kampfgefährten Rob Schneider mundtot zu machen.

Dredd Reloaded

Auf Albernheiten haben die englischen Filmemacher unter Leitung von Regisseur Pete Travis beim erneuten Versuch, mit Dredd eine Kinofilmreihe mit dem Judge zu starten, tunlichst verzichtet. Nur einige Splatterszenen sorgen für äußerst makabere Komik, der düstere Grundton der Originalvorlage blieb erhalten. Drehbuchautor Alex Garland, dessen Skripts für 28 Days Later und Sunshine von Danny Boyle realisiert wurden, konsultierte Dredd-Erfinder John Wagner und entschied sich nach einem gescheiterten Versuch, eine breit angelegte Geschichte zu schreiben – mit Dredds Erzfeind Judge Death oder den Terroristen, die in Dredds Welt für Demokratie kämpfen – für eine simple Story, die innerhalb nur eines Tages spielt. Dredd bekommt eine junge Frau zum Eignungstest für das Amt eines Judges zugeteilt, eine Mutantin, die Gedanken lesen und kontrollieren kann. Ihr gemeinsamer Einsatz in einem gigantischen, 200 Stockwerke hohen, äußerst unbehaglichen Wohnturm eskaliert zur mörderischen Überlebensschlacht, als sie sich mit der dort grausam herrschenden Drogenfabrikantin Ma-Ma und ihrer schwer bewaffneten Verbrecherbande anlegen.

Originell ist das geradlinig ohne Faxen oder Nebenhandlung dynamisch vorangetriebene Geschehen nicht. Erst kürzlich war mit The Raid ein Martial-Arts-Film nach gleichem Muster über einen desaströsen Polizeieinsatz in einer von Gangstern kontrollierten riesigen Mietskaserne zu sehen. Seit dem Kino-Tophit Die Hard (1987) dienten einzelne Gebäude immer wieder als Kampfschauplatz (auch deshalb, weil die Konzentration auf einen Drehort kostengünstig ist). Was Dredd auszeichnet, ist die mit vielen Gore- und Splatterszenen bildästhetisch und auch vom Stil der Einstellungen her kongeniale Filmadaption der Comic-Vorlage, die stringente Dramaturgie, die formale Geschlossenheit, einige visuell reizvolle Drogenrausch-Sequenzen in Superzeitlupe, und nicht zuletzt zwei souverän agierende Hauptdarsteller. Die aus kommerziellem Kalkül eingesetzte 3D-Technik trägt hingegen wenig zur Wirkung des Films bei, zweidimensional würde er genauso gut funktionieren.

Anders als seinerzeit Stallone braucht der 1,85 Meter große Karl Urban keine Plateausohlen, um der Titelrolle gewachsen zu sein. Auch sein Gesicht muss er dazu nie zeigen, seine Mimik ist weitgehend auf die ständig nach unten gezogenen Mundwinkel reduziert, wie im Comic. Viel zu sagen braucht Urban auch nicht, Dredd ist kein Freund vieler Worte. Bemerkenswert jedoch, wie Urban eine völlig unrealistische, charakterlich eindimensionale Comicfigur im Handlungszusammenhang glaubwürdig und Autorität ausstrahlend darstellt, obwohl dieser autistische Terminator leicht komisch oder gar lächerlich wirken könnte. Aufgabe seiner weiblichen Gefechtspartnerin Anderson (Olivia Thirlby) ist es, menschliche Emotionen ins Spiel zu bringen, den „human touch“. Im Gegensatz zu Dredd kann sie bei aller Härte im Einsatz noch Mitgefühl empfinden. Der narbengesichtigen Gangster-Domina Ma-Ma dagegen ist Mitleid fremd, geradezu lustvoll sorgt sie für Angst und Schrecken. Ihre Figur wurde eigens für diesen Film erfunden, eindringlich mit Punk-Appeal dargestellt wird sie von Lena Headey, die als Königin von Sparta in 300 schon einmal bei einer Comics-Verfilmung mitgespielt hat. Auch Urban hat da bereits Erfahrung gesammelt: In R.E.D. prügelte er sich als CIA-Killer William Cooper mit Bruce Willis. Zuvor war er u.a. anno 2009 als Bordarzt Leonard McCoy in Star Trek zu sehen, als russischer Killer Kirill tötete er Franka Potente in The Bourne Supremacy.

Obwohl die Macher von Dredd auf Werktreue bedacht waren, was die Charakterisierung der Comic-Figur und ihr Umfeld betraf, ist der Film-Judge bei weitem nicht so bösartig und blutrünstig wie sein monströses Vorbild. Würde man Geschichten wie dem auf Deutsch erschienenen Sammelband „Mega City Blues“ (Text: John Wagner und Alan Grant, Zeichner: Simon Bisley) eins zu eins auf die Kinoleinwand bringen, wäre der Film nur für einige Hardcore-Fans goutierbar, wahrscheinlich käme er gleich auf den Index und würde verboten. Im Comic-Heft fetzt Dredd einem Passanten mit sechs Kugeln das rechte Bein weg, weil er einen Fußgängerüberweg laufend statt gehend überquert. Ein halbnackter Transvestit kastriert Männer auf der Straße mit einer Motorsäge, Dredd zerschmettert mit dem Polizeiknüppel dessen Schädel und tritt ihn zu Matsch. Im Film beißt Ma-Ma einem Mann zwar die Hoden ab, gezeigt wird aber nur ihr blutverschmierter Mund nach der Aktion. Als zwei Teenager Dredd mit Pistolen bedrohen, setzt er sie außer Gefecht, ohne sie zu verletzen. Dennoch dürften einige im Film explizit gezeigte Splatterszenen für zart besaitete Zuschauer bereits eine Zumutung sein. Auch lädt die weniger groteske, realistischere und gar nicht so abstoßende Darstellung Dredds zur Solidarität mit einem Negativhelden ein, der eine faschistoide Rechtsauffassung hat, diese mit brutaler Waffengewalt durchsetzt und dabei massenweise Menschen massakriert.