ray Filmmagazin » Filmkritiken » Jugend ohne Gott

Filmkritik

Jugend ohne Gott

| Hans Langsteiner |
Ödön von Horvaths Buchklassiker als Teenie-Dystopie: überraschend plausibel

Ödön von Hovaths 1937 veröffentlichter Kurzroman Jugend ohne Gott als Teenie-Dystopie im Stil von The Hunger Games – kann das gut gehen? Nun, es geht zumindest besser als zu befürchten war.

Horvath beschrieb die Gewissensnöte eines Lehrers, der durch sein Schweigen moralische Mitschuld an einem Gewaltverbrechen auf sich lädt, vor dem Hintergrund des aufkommenden Faschismus der dreißiger Jahre. Der zuletzt entlarvte halbwüchsige Mörder eines Mitschülers steht darin für die bereits von den Nazis infizierte skrupellose „Jugend ohne Gott“.

Im Gegensatz zu einer 1991 realisierten wortgetreuen Fernsehversion mit Ulrich Mühe verlegt die jetzige Neuverfilmung das Geschehen, „frei nach dem Roman“, wie es im Nachspann heißt, in eine nicht näher definierte nahe Zukunft. Ganz á là Hollywood ist die Bevölkerung in strikt getrennte Sektoren aufgeteilt: Wenigen „Leistungsträgern“ im Stadtzentrum steht die Masse illegitimer „Leistungsempfänger“ im Umland gegenüber. Aus Horvaths paramilitärischem Sommerlager ist hier das Trainingscamp einer konzern-finanzierten Elite-Universität geworden, für die in rauer Berglandschaft Kandidaten rekrutiert werden. Als einer von ihnen verbotene Kontakte zu einem Mädchen von außerhalb des Camps anbahnt, nimmt die Katastrophe ihren Lauf. So ähnlich steht es auch bei Horvath, und es überrascht angenehm, wie viel von der Buchvorlage die kühne Transponierung ins Science-Fiction-Milieu überlebt hat – selbst das ominöse Tagebuch, das zum Angelpunkt dramatischer Wendungen wird, hat der Digitalisierung getrotzt.

Dass die antifaschistische Botschaft des Buches einer Warnung vor Leistungsdruck und Gleichmacherei gewichen ist, geht zumindest als Diskussionsbasis durch. Dass der romantische Aspekt der Teenie-Love-Story hier stärker betont und, anders als bei Horvath, mit einem Happy End belohnt wird, ist wohl ebenso der angepeilten jugendlichen Zielgruppe geschuldet wie die polierten Bilder, die allgegenwärtige Synthie-Musiksauce und die austauschbar glatten Gesichter der Jung-Schauspieler (unter ihnen die Tochter Ulrich Mühes!). Schwerer wiegt da schon die unnötig verschachtelte Rückblenden-Dramaturgie, die den zentralen Gewissenskonflikt des Lehrers an den Rand rückt und so viel vom Spannungspotenzial des Kriminalfalles verschenkt. Wenn der Film trotz allem dazu verleitet, zu Horvaths packendem Buch zu greifen, seien solche Schwächen verziehen. Man ist ja bescheiden geworden.