Festivaleröffnung mit Woody Allen und jede Menge große Namen an der Croisette.
Drei ist eine Glückszahl, heißt es. Bei Woody Allen scheint es jedenfalls zu stimmen. Bereits zum dritten Mal hat er dieses Jahr die Internationalen Filmfestspiele in Cannes eröffnet, und sein jüngstes Werk erfüllt ganz offensichtlich die Hoffnungen der Festivalleitung. In seiner launig-melancholischen Beziehungskomödie Café Society serviert Allen seine allseits bewährten Zutaten: eine turbulente Liebesgeschichte zwischen älterem Mann und jüngerer Frau, Starbesetzung und skurrile Nebenfiguren, einen angenehm einlullender Retrojazz-Soundtrack und einen nostalgischen Blick in vergangene Zeiten, diesmal in das Hollywood und New York der dreißiger Jahre. So weit, so vorhersehbar. Was das 47. Werk des mittlerweile 80-Jährigen so besonders macht, ist zweierlei. Zum einen hat er nach Scarlett Johansson und zuletzt Emma Stone eine neue Muse gefunden, und auf die würde man erstmal nicht kommen. Es ist Kristen Stewart, die mit den Twilight-Filmen zum Teenie-Weltstar und danach mit allerlei spröder Filmkunst und grimmig-starrenden Paparazzi-Fotos zum übellaunigen Antistar wurde. In Café Society spielt sie jetzt die Sekretärin eines Studiobosses, die sich zwischen der Affäre mit ihrem verheirateten Chef (Steve Carrell) und dessen frisch aus der Bronx angereistem Neffen (Jesse Eisenberg) entscheiden muss. Und das Überraschende: Stewart ist bezaubernd! Mit ihrem nicht zu erwartenden Charme wickelt sie nicht nur problemlos ihre Kollegen um die Finger, sondern auch die Zuschauer.
Die andere Überraschung ist, wie sehr Woody Allen diesmal in den jüdischen Humor eintaucht. Die besten Momente des Films sind die, in denen die Familie in New York über Schicksal und Tod diskutiert. So deutlich war Allen schon lange nicht mehr und diese Szenen machen seinen neuen Film zu seinem besten seit Jahren. Bobby ist ganz klar ein Alter Ego Woody Allens, er selbst sagt in der anschließenden Pressekonferenz, dass er die Rolle selbst übernommen hätte, wenn er im richtigen Alter wäre. Der Regisseur, der seit Jahren mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert wird, hält sich selbst für einen Romantiker. „Auch wenn die Frauen in meinem Leben das nicht immer so sehen.“ Sein Film eröffnet das wichtigste Filmfest der Welt, läuft aber selbst nicht im Wettbewerb. Das liegt vor allem an Allen selbst. „Ich glaube nicht daran, dass sich Kunst messen lässt. Dem einen gefällt mein Film, andere finden ihn langweilig. Es ist eine sehr subjektive Entscheidung!“
Er muss sich wohl eh kaum noch Gedanken machen, was Leute von ihm halten. Woody Allen ist längst seine eigene Marke. Kristen Stewart geht den anderen Weg. Sie war mit ihren platinblonden Haaren und ihrer aufgekratzten Art kaum wiederzuerkennen und sorgte genau damit für Furore. Wenn dieser nicht zu erwartende Auftakt Maßstab für die nächsten elf Tage ist, muss man sich um Cannes keine Sorgen machen. Doch von diesen wirklich erfrischenden Highlights abgesehen plätschert der Film leider nur lauwarm vor sich hin, die musikalische Dauerberieselung mit den altbekannten Evergreens tut ihr übriges. Am Ende wirkt Café Society trotz schöner Momente leider wie ein entkoffeinierter Milchkaffee mit ganz viel Schaum und kaum Substanz. Ein hübscher Anblick, aber ein bisschen wenig, um 96 Minuten dabei zuzusehen, wie es in sich zusammenfällt. Es gab freilich in Cannes auch schon weitaus schlechtere Eröffnungsfilme.
Auch ohne Film aus Österreich gibt es in diesem Jahr immerhin einen österreichischen Hauptdarsteller. Peter Simonischek spielt in Maren Ades Wettbewerbsbeitrag Toni Erdmann den sozialromantischen Alt-68er Wilfried, der überraschend seine Tochter Ines (Sandra Hüller), eine knallharte Unternehmensberaterin in Bukarest besucht. Ines ist von ihm und seinen lauen Witzen nur genervt, und es kommt zum Eklat zwischen den beiden. Erst als er sich zur Kunstfigur Toni Erdmann verkleidet und kein Blatt mehr vor den Mund nimmt, kommen sie einander wieder näher. Es ist Ades dritter Spielfilm, nachdem sie 2009 mit dem Beziehungsdrama Alle anderen im Wettbewerb der Berlinale den Großen Preis der Jury und Birgit Minichmayr einen Silbernen Bären als beste Hauptdarstellerin erhielt.
Die aus Karlsruhe stammende Wahlberlinerin Maren Ade ist damit eine von nur drei Regisseurinnen im Rennen um die Goldene Palme: die Französin Nicola Garcia kommt mit Mal des pierres, die Britin Andrea Arnold stellt American Honey vor. Drei aus 21 Beiträgen, das sind nicht mal 15 Prozent. Die Domäne der Damen bleibt in Cannes ganz offensichtlich die Leinwand – und der Rote Teppich. Und auch da will das Festival an einer im vergangenen Jahr eingeführten Etiquette festhalten: Flachschuhverbot (für Frauen) und Selfieverbot (für alle) sollen den Glamour der Veranstaltung sicherstellen.
Auch sonst lässt Cannes die cineastischen Muskeln spielen. Man setzt auf große Regienamen und jede Menge Stars. Der Wettbewerb liest sich einmal mehr wie das Who is Who des Weltkinos. Pedro Almodóvar, Asghar Farhadi, die zweifachen Palmen-Gewinner Jean-Pierre und Luc Dardenne, Bruno Dumont, der Brite Ken Loach, der Däne Nicolas Winding Refn, der Niederländer Paul Verhoeven und der Frankokanadier Xavier Dolan sind allesamt langjährige Cannes-Veteranen. Nur drei Regisseure im Wettbewerb sind erstmals in Cannes, Maren Ade ist eine davon.
Gut vertreten ist auch Hollywood, allerdings Außer Konkurrenz. Steven Spielberg kommt mit seinem Fantasyfilm The Big Friendly Giant, Jodie Foster stellt ihre vierte Regiearbeit Money Monster mit den Megastars George Clooney und Julia Roberts vor und Ryan Gosling und Russell Crowe liefern sich in der Komödie The Nice Guys einen Schlagabtausch. Jeff Nichols, gerade vor drei Monaten mit Midnight Special auf der Berlinale, hat mit dem Rassendrama Loving bereits einen weiteren Film fertig. Und Jim Jarmusch gibt es gleich im Doppelpack: mit der Liebesgeschichte Paterson und der Iggy-Pop-Doku Gimme Danger. Interessant dürfte es am Roten Teppich werden, wenn Hollywoodstar Sean Penn mit seiner langerwarteten neuen Regiearbeit The Last Face kommt. Die Hauptrolle darin spielt Charlize Theron, mit der er zur Zeit der Dreharbeiten noch liiert war. Es wird ihr erster gemeinsamer öffentlicher Auftritt seit der Trennung.
Selbst in den Nebensektionen finden sich Oscar-Gewinner und genügend bekannte Regienamen, die auf anderen Festivals locker das gesamte Hauptprogramm füllen würden. Paul Schrader stellt den Thriller Dog Eat Dog mit Nicolas Cage und Willem Dafoe vor. Pablo Larraín kommt mit seinem Biopic Neruda über den chilenischen Dichter und Literaturnobelpreisträger. Aus Chile stammt auch der 87-jährige Kultregisseur Alejandro Jodorowsky, der sich sein neues Werk Endless Poetry von 3.500 Fans per Kickstarter finanzieren ließ. Und Laura Poitras widmet sich in Risk dem Wikileaks-Gründer Julian Assange.
Der Jury um Präsident „Mad Max“ George Miller werden die Entscheidungen zur Preisverleihung am 22. Mai nicht leicht fallen. Für ein Jurymitglied zumindest, Vanessa Paradis, Sängerin und Ex-Frau von Johnny Depp, dürfte die persönliche Gewinnerin schon feststehen. Mit The Dancer, einem Drama über zwei rivalisierende Cabaret-Tänzerinnen im Paris der Jahrhundertwende, gibt ihre 16-jährige Tochter Lily-Rose Depp ihr Cannes-Debüt als Schauspielerin.