Der britische Regisseur, der allzu oft auf seine Rolle als Provokateur reduziert wurde, ist tot.
Das Werk des britischen Filmemachers Ken Russell wurde gern als „exzentrisch“ bezeichnet, was durchaus als Auszeichnung für ein Werk, das sich dem Mainstream widersetzte, verstanden werden kann. Trotz seiner Kompromisslosigkeit bei der Stoffauswahl und der Umsetzung waren einige seiner Filme jedoch auch finanziell erfolgreich – neben der künstlerischen Qualität vielleicht auch wegen der nicht wenigen Skandale, die sie begleiteten.
Der in Southampton geborene Russell war zunächst als Fotograf und Dokumentarist tätig, ehe er mit einer Reihe von Kinofilmen Kultstatus erlangte – in den siebziger Jahren stand er gar im Ruf eines „britischen Orson Welles“. Zentrale Motive seiner Arbeit waren Musik und Sexualität. Bereits für das Fernsehen entstanden Porträts über die Komponisten Edward Elgar (Elgar, 1962) oder Richard Strauss (Dance of the Seven Veils, 1970, höchst umstritten wegen der Darstellung von Strauss als Nazi). Russell legte es dabei bewusst nicht auf Faktentreue an, sondern verwendete die Biografien der Musiker als Ausgangspunkt für seine radikalen künstlerischen Visionen. Auch über Tschaikowsky (verkörpert von Richard Chamberlain – eine Nacktszene sorgte für Aufsehen), Mahler und Bruckner drehte Russell Filme. Der Brite beschäftigte sich jedoch nicht nur mit Werken der Hochkultur: Einer seiner größten Hits war der Film Tommy (1975) nach der Rockoper der Gruppe The Who (für Elton John, der im Film eine Rolle übernahm, drehte Russell in den achtziger Jahren übrigens das Video zur Hitsingle „Nikita“). 1975 entstand auch Lisztomania mit Who-Sänger Roger Daltrey in der Rolle des Franz Liszt –übrigens der erste Film, der das Dolby Stereo System einsetzte und so Russells Leidenschaft für Musik und technische Weiterentwicklung verband. Dies lässt sich auch für den Science-Fiction-Film Altered States (1980) behaupten – die beeindruckenden visuellen Effekte wurden in dieser Verfilmung von Paddy Chayefskys Roman durch einen für damals überaus ungewöhnlichen, Oscar-nominierten Soundtrack von John Corigliano unterstützt.
Russells vielleicht größter künstlerischer Triumph war die D.H. Lawrence-Adaption Women in Love (1969), die ihm eine Oscar-Nominierung für die Beste Regie einbrachte. Hauptdarstellerin Glenda Jackson konnte die Trophäe mit nach Hause nehmen. Der Film brach übrigens auch ein Tabu, indem er männliche Genitalien zeigte. Der im Frankreich des 16. Jahrhunderts angesiedelte Historienfilm The Devils (1971) mit Oliver Reed und Vanessa Redgrave nach Motiven von Aldous Huxley erregte wegen seiner expliziten Sex- und Gewaltszenen ebenfalls Aufsehen. Das Filmposter warnte daher folgerichtig: „The Devils is not a film for everyone …“ In den neunziger und nuller Jahren hatte Russell, der auch hin und wieder als Schauspieler kleinere Filmauftritte hatte, zunehmend Schwierigkeiten, seine Filme zu finanzieren. Sein letzter regulärer Kinofilm war Whore (1991) mit Theresa Russell, ein Werk, das ob seiner Darstellung des trostlosen Lebens einer Prostituierten noch einmal für Kontroversen sorgte, allerdings nicht mehr in dem Umfang früherer Arbeiten.
Danach drehte Russell noch Werke für das Fernsehen, die jedoch nicht zuletzt wegen der geringen Budgets nicht mehr an die Qualität früherer Arbeiten heranreichten. In den letzten Jahren wurden seine Filme der sechziger und siebziger auch abseits von ihrem „Skandalpotenzial“ rezipiert, sein Werk gilt als virtuose Auseinandersetzung mit dem Trieb und der dunklen Seite der menschlichen Psyche. Am 27. November ist Ken Russell verstorben.