Mitbestimmung statt blinder Gehorsam: Funktioniert so die schöne neue Arbeitswelt?
Start in den Arbeitstag mit Gymnastik; statt der Sekretärin muss sich jeder Kollege selbst um Besucher kümmern; und zweimal pro Woche steht „home office“ auf dem Plan. Bei Semco, einem Stahlverarbeitungskonzern in São Paolo, sind derartige Heilsversprechen aus dem Lehrbuch des modernen Unternehmensberaters seit 30 Jahren Realität. Das erzählen nicht ohne Stolz die Dienstnehmer von Firmen-Boss Ricardo Semler. Wobei sich Semler am Terminus „Boss“ stoßen würde. Hat er doch ein demokratisches Partizipationssystem eingeführt, was so viel heißt wie: Jeder Mitarbeiter übernimmt selbst Verantwortung. Jeder nimmt an strategischen Entscheidungsprozessen teil. Und jeder hat größtmögliche Freiheit in seinem Handeln. Das Bild des menschlichen Roboters, der am Fließband im Takt die ewig gleichen Handgriffe durchführt – von Charlie Chaplin in seinem Meisterwerk Modern Times verewigt: Hier wird es abgelöst von einem Modell der kundenbezogenen Auftragsarbeit bei gleichzeitiger Eigenständigkeit des Personals.
Szenenwechsel. In der Grazer Designfirma En Garde regiert das sympathische Chaos: Auf einer Couch neben aufgetürmten Schachteln sitzt das junge Team und diskutiert. Der langhaarige Chef sitzt lieber im Garten als auf dem Bürosessel. Die Menschen sollen sich selbst führen, sagt er.
Aber geht das überhaupt: Leiten ohne Hierarchien? Jobs, die glücklich machen? Elisabeth Scharang greift in ihrer filmischen Unternehmensführung Gegenkonzepte zum „9 to 5“-Prinzip auf, das im Burnout-Syndrom längst den Beweis seines Versagens erbracht hat. Wobei die Regisseurin das Thema Arbeit nicht bloß als Film, sondern – ganz zeitgemäß – auch in Form eines multimedialen Projektes im Internet weiterführt.
Dennoch ist der Horizont der Betrachtungsweise vergleichsweise eingeschränkt: Scharangs Sympathie für das Semco-System ist offenkundig, zumal sich auch die Grazer Kreativschmiede im Zuge einer Brasilienreise von Semlers Thesen anstecken lässt. Weniger Berücksichtigung findet dadurch das spannendere Beispiel, die friedliche Zerschlagung einer korrupten Unternehmenselite: Die serbische Pharmafabrik Jugoremedija sollte vor mehr als zehn Jahren privatisiert werden, ein massiver Personalabbau wäre die Folge gewesen. Konsequenz: Die Beschäftigten übernahmen nach jahrelangen Streiks selbst das Unternehmen. Ein Kampf gegen Bürokratie und Monopolbestrebungen folgte, der nach wie vor anhält. Heute lebt die Hoffnung auf einen Kredit und die Schaffung neuer Jobs. Ein Erfolgsmodell für Motivation und Zusammenhalt aus dem Inneren eines Kollektivs, das mehr Beachtung verdient hätte.