Nordkoreas Diktator Kim Jong-il liebt das Kino ebenso wie die Macht. Braucht er eine Filmtheorie, schreibt er sie selbst; und sucht er einen Regisseur, lässt er ihn einfach entführen…
Macht macht empfindlich. Kein gottgleich verehrter Diktator lässt es sich gerne gefallen, wenn er als „Pygmäe“ verhöhnt wird, der sich „wie ein ungezogenes Kind am Mittagstisch“ aufführe – schon gar nicht, wenn er, wie Nordkoreas Staatschef Kim Jong-il, im Wuchs tatsächlich etwas klein geraten ist. Als George W. Bush Anfang 2002 die Volksrepublik Nordkorea der „Achse des Bösen“ einverleibte und Kim die genannten Beleidigungen hinterherwarf, musste er wissen, dass er damit reichlich texanisches Öl ins nordkoreanische Feuer goss. Weil mit der James-Bond-Neuauflage Stirb an einem anderen Tag Ende 2002 dann auch noch ein Film in die Kinos kam, der das Land als finsteren Schurkenstaat präsentierte, geriet man in Nordkorea vollends aus dem Häuschen. Das spätstalinistische Regime fühlte sich von dem Thriller, in dem sich nordkoreanische Folterknechte an James Bond zu schaffen machen, dermaßen verunglimpft, dass es hochoffiziell zu einer weltweiten Kinosperre aufrief.
Die Gründe, dass ein harmloser Spielfilm ausreichte, um diesen Sturm diplomatischer Entrüstung auszulösen, liegen vermutlich nicht zuletzt im Bereich privater Obsessionen. Denn während das nordkoreanische Kinopublikum mit karger Propagandakost Vorlieb nehmen muss, eilt Kim Jong-il selbst der Ruf voraus, ein leidenschaftlicher Freund westlicher Unterhaltung zu sein. An die 20.000 Filmtitel soll der gestrenge Herrscher Nordkoreas für seine private Videosammlung zusammengetragen haben. Neben filmischen Glanzlichtern wie Freitag der 13. oder Vom Winde verweht sollen es ihm dabei James-Bond-Filme besonders angetan haben. Kein Wunder also, wenn der „Geliebte Führer“ angesichts des wenig schmeichelhaften Gastauftritts seines Landes kurz die Fassung verlor.
Was man an Absonderlichkeiten über Kim Jong-ils ausschweifenden Lebenswandel zu Ohren bekommt, fußt freilich nicht selten auf fragwürdigen Berichten von Überläufern oder stammt überhaupt aus der Feder westlicher Propagandastrategen. Dennoch käuen die Medien genüsslich all die Gerüchte wieder, die von Sportwagen (Lieblingsmarke: Madzda RX-7), prall gefüllten Weinkellern (Lieblingssorte: Bordeaux) und Cognac-Orgien (Lieblingsmarke: Hennessy) zu berichten wissen. Mit Vorliebe zeichnen sie den nordkoreanischen Staatschef als die letzte Operettenfigur des Totalitarismus, mit einem grotesken Hang zu Luxus, erotischen Eskapaden und exotischen Speisen, während sein geknechtetes Volk am Hungertuch nagt. In Wirklichkeit aber bleibt Kim Jong-il, der nach dem Tod seines Vaters Kim Il-sung 1994 auf den Thron der ersten kommunistischen Familiendynastie nachgerückt war, so geheimnisvoll wie sein Land.
Die Kunst des Kinos
Dass Kim über stark ausgeprägte cinephile Neigungen verfügt, gehört zu dem Wenigen, das sich über sein Privatleben mit Gewissheit sagen lässt. Bester Beweis ist eine buchlange Abhandlung aus dem Jahr 1973, die Kim Jong-il höchstpersönlich unter dem Titel On the Art of the Cinema veröffentlicht hat. Bis heute fungiert das filmtheoretische Traktat aus den Jugendjahren des „Geliebten Führers“ als Richtschnur für systemkonformes nordkoreanisches Filmschaffen. In nervtötender Redundanz breitet Kim Jong-il darin auf 330 Seiten aus, was er glaubt, der Menschheit über das wahre Wesen der Filmkunst mitteilen zu müssen. Dabei ließ er es sich nicht nehmen, seinen filmtheoretischen Plattitüden bisweilen auch ganz konkrete Ratschläge für die Praxis an die Seite zu stellen.
Und die geraten dem Diktatorensprössling dann doch manchmal etwas seltsam: So rät er den Regisseuren, die „auch die Verantwortung für das politische und ideologische Leben der Filmcrew“ zu übernehmen hätten, für die nötige weltanschauliche Schulung zu sorgen, um „das Team mit wirklichem Verständnis für Linie und Politik der Partei auszustatten“. (S. 121) Empfehlenswert sei der Einsatz von Musik, auch wenn hier eigene Gesetzmäßigkeiten zu beachten seien: „So kann man zum Beispiel nicht immer aufwühlende Musik einsetzen, um das Leben auf einer betriebsamen Baustelle zu besingen. Die Baustellen, wo kraftvolle Arbeitsleistungen erbracht werden, könnten nämlich ebenso gut der Ort sein, wo die Gedanken des Helden der liebevollen Sorge der Partei gelten, die ihn mit diesem angenehmen Leben ausgestattet hat. Die Musik, die seinem Herzen entströmt, könnte auch lyrischer Natur sein.“ (S. 154)
Auch hinsichtlich der Kamerarbeit gelangt der Autor zu ähnlich überraschenden Schlüssen: „Die Bilder eines Films müssen auf der Leinwand gut aussehen“ (S. 144), heißt es da, und es sei ratsam, „die Kamera korrekt zu positionieren und mit Sorgfalt zu filmen“ (S. 202). Beim Schnitt möge man sich doch bitte an die Logik halten, um das Publikum nicht zu verwirren. Und den Schauspielern verordnet er nicht nur eine Art kommunistisches Method Acting, indem er sie, nach ideologischem Training, dazu verdonnert, vor den Dreharbeiten „genau so zu leben wie die porträtierte Person“ (S. 193); sogar für die Sprechweise liefert er ihnen präzise Vorgaben, indem er emfiehlt, es tunlichst zu unterlassen, unnötigerweise „die Intonation zu heben oder zu senken“(S. 190).
Zwischendurch verteufelt Kim Jong-il die Unsitte des Formalismus und stimmt stattdessen einen Hymnus auf das „echte“ Leben „echter“ Menschen an, um das sich der Realismus sozialistischer Prägung kümmern müsse. Der Haken bei der Sache ist nur, dass der Realismus, den er als Weg und Ziel wahrer Kinokunst predigt, die Wirklichkeit mit den Weisungen des Politbüros verwechselt: „Vor allen Dingen muss der Stoff in Übereinstimmung mit der Politik der Partei gewählt werden“, liest man da etwa, „denn diese lehrt die Menschen, wie sie das Leben richtig verstehen und es zum Besseren verändern können. Daher müssen Autoren zuallererst den politischen Kurs unserer Partei vollständig begreifen und erst dann die Wirklichkeit selbst erkunden. Nur die Künstler, die sich der Wirklichkeit im Lichte der Parteilinie zuwenden, sind imstande, all die Fragen, die das Leben an uns stellt, korrekt zu erkennen.“ (S. 18)
Dem Kino ist schließlich die Pflicht auferlegt, für die revolutionäre Erziehung der Volksmassen zu sorgen. Anhand leuchtender Beispiele müsse das Kino nach allen Regeln der Kunst die Herausbildung eines neuen, heroischen Menschentyps vorexerzieren, dem nichts so sehr am Herzen liegt wie der Kampf für die Revolution. Die filmische Lektion, dass „jeder Einzelne sich selbst ununterbrochen und zu jeder Zeit revolutionieren muss“ (S. 19), kann dabei nur unter Anleitung und Aufsicht der Partei erteilt werden. Dazu passt auch, dass Kim die Regiearbeit mit der eines Feldherren – und die Dreharbeiten mit einer Schlacht – vergleicht.
Verschleppt nach Pjöngjang
Das erhoffte Filmwunder von Pjöngjang ließ dennoch auf sich warten. Kim war mit dem Niveau der Filme, denen sein Handbuch die Richtung gewiesen hatte, offenkundig nicht ganz zufrieden. Vielleicht ist ihm ja auch klar geworden, dass die Staatsdoktrin, die dem Land Sozialismus und Autarkie verhieß und nebenbei auch die Kunst in eine neue Ära zu überführen versprach, als Garant für gutes Kino nicht viel taugte.
Zumindest häuften sich nun die detaillierten Anweisungen, mit denen er den Filmschaffenden unentwegt ins Handwerk pfuschte. Penibel gezählte 10.487 Mal soll der designierte Staatschef bis zu seiner Amtsübernahme persönlich interveniert und den staatlichen Filmstudios am Stadtrand von Pjöngjang insgesamt 1.724 Besuche abgestattet haben. Bei Produktionen mit so schönen Titeln wie The Sea of Blood, The Fate of a Self-Defense Corps Man oder The Sun of the Nation (die er übrigens in seinem Buch gerne als Beispiele für vollendete Meisterwerke zitiert) soll er sogar selbst Hand angelegt haben.
Das Aufatmen in den Studiohallen muss auf jeden Fall groß gewesen sein, als er nach dem Tod seines Vaters für derlei Aktivitäten kaum mehr Zeit erübrigen konnte. In den 70er Jahren aber, als er als Chef des Propagandabüros damit beschäftigt war, den Kult um Kim Il-sung zu orchestrieren, konnte er sich noch nach Lust und Laune seinem Steckenpferd widmen. Doch mit Interventionen allein fand er schon bald nicht mehr das Auslangen. Um dem nordkoreanischen Kino doch noch irgendwie auf die Beine zu helfen, griff Kim schließlich zu Maßnahmen, die – wären sie nicht mehrfach verbürgt – so bizarr erscheinen müssten, dass man meinen könnte, sie wären aus einem schlechten Filmskript abgekupfert.
1978 entsandte Kim Jong-il eine Gruppe nordkoreanischer Agenten nach Hongkong. Ihre delikate Mission bestand darin, den südkoreanischen Starregisseur Shin Sang-ok und seine Ex-Frau Choe Eun-hui, eine von Kim innig verehrte Filmdiva, zu überfallen, mit Säcken über den Köpfen in ein Auto zu stoßen und nach Nordkorea zu verfrachten. Dort angekommen landete Shin, nach einigen vereitelten Fluchtversuchen, erst einmal für Jahre im Gefängnis. Erst als er sich reuig zeigte, kam er 1983 frei und erfuhr bei einem festlichen Empfang bei Kim Jong-il, was ihm diesen Nordkorea-Aufenthalt überhaupt eingetragen hatte: „Unsere Filmemacher bringen nur Substanzloses zustande“, gestand Kim dem zwangsrekrutierten Regiemeister aus dem Süden: „Sie haben keine neue Ideen. Ihre Arbeiten käuen nur die immer gleichen alten Geschichten wieder. So etwas zu zeigen habe ich ihnen gewiss nicht befohlen.“ Und Shin Sang-ok erfuhr, dass ihm die ehrenvolle Aufgabe zugedacht war, Nordkoreas darbende Kinolandschaft zum Blühen zu bringen.
Kim zeigte sich bereit, ihm Freiheiten einzuräumen, von denen andere nur träumen konnten. Ausgestattet mit den Annehmlichkeiten eines privilegierten Luxuslebens und einem Jahresbudget von drei Millionen Dollar fiel es Shin Sang-ok und Choe Eun-hui, die jetzt auf Geheiß des „Geliebten Führers“ zum zweiten Mal heirateten, daher nicht allzu schwer, sich – vorerst – in ihr Schicksal zu fügen. Shin tat, wie ihm geheißen, und fabrizierte, mit seiner Frau als Star und Kim als Produzenten, nicht weniger als sieben Filme, auf die er später durchaus mit Stolz zurückblicken sollte. Wiederholt hob er sogar hervor, dass ihm 1984 mit Runaway, der tragischen Geschichte einer koreanischen Familie in der von den japanischen Besatzern geknechteten Mandschurei, der beste Film seiner Karriere gelungen sei.
Kim klatschte angesichts solcher Filme beglückt in die Hände. Mit seinen eigenen Direktiven, die andere als ehernes Gesetz zu respektieren hatten, nahm es der Kinonarr im Präsidentenpalast nun plötzlich nicht mehr so genau. Offenbar beabsichtigte Kim, die Produktionen seiner unfreiwilligen Gäste als Aushängeschild bei den goßen internationalen Festivals herumzureichen. Daraus wurde zwar nichts – die Exportschlager des nordkoreanischen Kinos fanden nur sehr selten den Weg ins Ausland (und liefen höchstens bei einigen höflich gewährten Gastspielen in den sozialistischen Bruderstaaten) –, doch Kim Jong-il war zufrieden. Vor allem die Godzilla-Adaption Pulgasari (1985), für die man sogar einige japanische Horrorexperten (etwa den früheren Godzilla-Darsteller Kenpachiro Satsuma) engagierte, soll ganz nach seinem Geschmack geraten sein. In Anlehnung an eine mittelalterliche koreanische Sage erzählt Shin darin die Geschichte eines Metall verschlingenden Monsters, das aufständischen Bauern zur Hilfe eilt, als sie sich gegen einen bösen Herrscher erheben. Kaum aber ist der Sieg errungen, kehrt sich die Zerstörungswut der Bestie gegen das Volk.
Flucht aus dem goldenen Käfig
Die politische Ambivalenz der Handlung schien Kim nicht im Geringsten zu stören; sofort nach der Fertigstellung schmiedete er für seinen unfreiwilligen Hofregisseur schon wieder neue Pläne. Doch Pulgasari sollte Shin Sang-oks letzter Film im Dienste Kims bleiben. Anlässlich eines Kurzaufenthalts in Wien (der Guardian berichtet von Geschäftsverhandlungen mit einer österreichischen Filmfirma) packten Shin und Choi schließlich 1986 die Gelegenheit beim Schopf und flüchteten, verfolgt von ihren nordkoreanischen Bewachern, in die US-Botschaft.
Vor einer Rückkehr nach Südkorea schreckte das Ehepaar zunächst aber zurück: Shin hatte sich in den 70er Jahren mit der dortigen Militärdiktatur angelegt, was zur Folge hatte, dass er seine Produktionsfirma – unmittelbar vor der Entführung – schließen musste. Die politischen Reibereien mit dem Regime in Seoul galten deshalb vielen als der wahre Grund für sein Verschwinden; schließlich hatte Shin selbst während seiner Zeit in Pjöngjang notgedrungen die amtliche nordkoreanische Version bekräftigt, derzufolge er sich wegen der „größeren künstlerischen Freiheit“ in den Norden abgesetzt habe. Shin und Choe mussten daher, gerade ihrem goldenen Käfig entflohen, fürchten, dass man ihnen als angeblichen kommunistischen Überläufern keinen Glauben schenken würde. Doch zum Glück hatte das Ehepaar heimlich Tonaufnahmen von einer Unterredung mit Kim Jong-il außer Landes geschmuggelt, die es nun als Beweis auf den Tisch legen konnte.
Gierig stürzten sich die Geheimdienste auf ihre Berichte über die Eigenarten des „Geliebten Führers“. „Er versucht, die kapitalistische Welt über das Kino zu begreifen“, wurde Shin später im Observer zitiert: „James Bond liebt er besonders, Rambo mochte er auch. Aber er versteht nicht, dass das reine Fiktion ist. Er schaut sich Hollywood-Filme an, als wären sie Dokumente der Realität.“ Von den Inszenierungen in seinem eigenen Reich lasse er sich jedoch weniger leicht blenden: „Alles Lüge, alles Show“, habe ihm Kim Jong-il einmal angesichts jubelnder Untertanen zugeraunt.
Dennoch zögerte Shin noch vierzehn Jahre, ehe er wieder endgültig nach Südkorea – wo er vor wenigen Monaten verstorben ist – zurückzukehrte, und hielt sich inzwischen nicht schlecht als Hollywood-Produzent über Wasser. Dass Filme wie The Adventures of Galgameth, ein zahnloses US-Remake von Pulgasari, oder die Three-Ninjas-Serie kein Ruhmesblatt darstellen, war dem einstigen „Orson Welles von Südkorea“ (Guardian), der nun als Simon Sheen firmierte, schmerzlich bewusst. Nach seiner Flucht hatte auch Nordkorea Shins Filme verschämt in den Depots verschwinden lassen. Pulgasari kam dort ohne seinen Namen in die Kinos und blieb dem Ausland sogar bis 1998 vorenthalten; erst dann lief der Film kurz auch in Seoul, Tokyo und New York.
Inzwischen steht die koreanische Godzilla-Variation unter eingefleischten Freunden des Monstergenres hoch im Kurs. Doch auch abseits der Kuriositätenkabinetts des Horrorfilms wurde Shin noch einmal späte Anerkennung zuteil: Als Jurymitglied schaffte er 1994 doch noch den Sprung nach Cannes – und zeigte dort als Überraschungsfilm seinen ersten wieder in Südkorea gedrehten Streifen Vanished, eine grimmige Breitseite gegen den verhassten südkoreanischen Präsidenten Park Chung-hee. Pikanterweise dreht sich die Handlung des Politthrillers um einem mysteriösen Entführungsfall. Bei dem zog diesmal allerdings nicht Kim Jong-il die Fäden, sondern sein südkoreanischer Kollege, mit dem Shin offenbar noch eine alte Rechnung zu begleichen hatte.