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Kino der achtziger Jahre – Zeiten des Umbruchs

Zeiten des Umbruchs

| Jörg Schiffauer |

Die achtziger Jahre haben landläufig nicht gerade den Ruf, eine herausragende Periode des US-amerikanischen Kinos zu repräsentieren. Das Filmmuseum begibt sich mit „The Real Eighties“ auf eine Spurensuche und zeigt das amerikanische Kino dieser Zeit von einer nicht immer wahrgenommen Seite: vital, vielschichtig und widerspenstig.

Als der Gewinner der Goldenen Palme bei den Filmfestspielen von Cannes 1979 feststand, konnte New Hollywood einen weiteren Triumph für sich verbuchen: Francis Ford Coppolas grandiose Reflexion des Vietnam-Kriegs, Apocalypse Now, war unbestreitbar ein absoluter Höhepunkt im Schaffen jener Bewegung, die Mitte der sechziger Jahre ihren Ausgang genommen hatte und in den siebziger Jahren einen gewaltigen Umbruch in der US-amerikanischen Filmindustrie herbeigeführt hatte. Coppolas Opus magnum sollte zum Ausklang der Dekade das sichtbarste Zeichen dafür sein, dass jene Garde junger Filmemacher, die den Nukleus von New Hollywood formten, sowohl in kreativen als auch ökonomischen Belangen definitiv den Ton im Zentrum der amerikanischen Filmindustrie angab. Die Neustrukturierung Hollywoods schien unumkehrbar gelungen zu sein: Steven Spielberg und George Lucas hatten mit Filmen wie Jaws und Star Wars die Ära der Blockbuster eingeläutet und die wirtschaftliche Wiedererstarkung Hollywoods in die Wege geleitet, junge Regisseure wie Martin Scorsese, John Carpenter, Brian De Palma, Peter Bogdanovich oder Michael Cimino – um nur einige zu nennen –  eroberten mit Filmen, die ihre ganz persönliche Handschrift trugen, breitere Publikumssegmente außerhalb cineastischer Zirkel, Routiniers wie William Friedkin, Arthur Penn, Alan J. Pakula oder Robert Altman verstanden die neuen kreativen Freiräume zu nutzen. In der allgemeinen Euphorie ging ein wenig unter, dass die alten Kräfte des Hollywood-Systems, für die ökonomischer Erfolg an erster Stelle stand, zwar ein wenig in den Hintergrund rücken mussten, jedoch im Rahmen dieser Neuordnung durchaus wieder ihren Platz zu behaupten suchten. Filmemacher wie Bill Norton und Henry Jaglom, die als allzu experimentierfreudig galten, hatten es bereits Ende der siebziger Jahre sehr schwer, ihre Projekte umzusetzen. Dessen ungeachtet schien der Siegeszug New Hollywoods nicht aufzuhalten.

Doch ein anderes Ereignis, das zunächst recht wenig mit den Umstrukturierungen Hollywoods zu tun hatte, sollte die Zeit revolutionärer Umbrüche endgültig beenden und einen Zeitgeist forcieren, der wirtschaftlichen und individuellen Erfolg bis hin zum blanken Egoismus wieder in den Mittelpunkt rücken sollte: Mit der Wahl Ronald Reagans zum Präsidenten der Vereinigten Staaten hielt eine ausgeprägte neo-konservative Politik wieder Einzug. Nun wäre es mit Sicherheit zu einfach, die Ausrichtung auf ökonomischen Erfolg, die in den achtziger Jahren in Hollywood wieder verstärkt zu Tage trat, in erster Linie auf den Richtungswechsel in der Innenpolitik der USA zurückzuführen. Doch der Wandel im Zeitgeist, der eine Abkehr vom Streben nach gesellschaftlicher Veränderung der sechziger und siebziger Jahre in Richtung Durchsetzung persönlicher Bedürfnisse und puren Hedonismus bedeutete, schlug sich sowohl thematisch als auch strukturell im amerikanischen Filmschaffen nieder. Im kollektiven Gedächtnis haben sich die achtziger Jahre dann auch primär als jene Dekade eingebrannt, die die Dominanz formelhaft konzipierter Blockbuster, das endlose Fortschreiben wirtschaftlich erfolgreicher Filmreihen hervorbrachte – Figuren wie John Rambo und der Die-Hard-Hero John McClane, die in den achtziger Jahren ihr Leinwanddebüt feierten, kämpfen sich noch durchs aktuelle Kinogeschehen – und auf juvenile Zielgruppen hin maßgeschneiderte Produktionen, wie die damals populären Filme des so genannten Brat Packs. Kurzum so ziemlich alles, was der zentralen These New Hollywoods um den Regisseur als Auteur diametral widersprach. Mit „Alles Übel entspringt den Achtzigern“ subsumiert das Filmmuseum im Text zu „The Real Eighties“ diese Einschätzung. Doch das amerikanische Kino der Achtziger war keineswegs nur eine Hinwendung zum zusehends uniformen Konzeptkino, sondern auch – die Filmauswahl dieser Schau liefert den eindrucksvollen Nachweis dafür – eine Phase der Neuordnung, in der die Protagonisten New Hollywoods nach Wegen suchten, nicht nur ihren persönlichen Platz in der Filmindustrie zu finden, sondern auch den damit einhergehenden Ideen dauerhaft Geltung zu verschaffen.

Dunkle Seiten

Ein Gegenpol zum allgemein aufkeimenden Patriotismus und dem von einer oberflächlichen Konsumorientierung unterfütterten Optimismus jener Zeit wurde mittels eines durchaus traditionsreichen Subgenres, nämlich des Polizeifilms, etabliert. Dabei wurde die Kritik an den Schattenseiten der US-amerikanischen Gesellschaft auf eine derart deutliche Art und Weise formuliert, dass es streckenweise einer schallenden Ohrfeige für den vorherrschenden Zeitgeist gleichkam.

Am beeindruckendsten gelang dies mit Sidney Lumet einem Regisseur, der bereits seit den fünfziger Jahren innerhalb des „alten“ Hollywoodsystems eine klare Handschrift und eine prononcierte Haltung durchzusetzen wusste. In Prince of the City (1981) bringt Lumet eine solche anhand eines seiner bevorzugten Sujets – Korruption innerhalb der Polizei – deutlich zum Ausdruck. Im Mittelpunkt der auf tatsächlichen Begebenheiten beruhenden Geschichte steht der von Treat Williams fabelhaft verkörperte Detective Daniel Ciello. Der ist ein Star unter den Rauschgiftfahndern New Yorks. Mit seiner kleinen Einheit hat er eine beeindruckende Verhaftungsquote vorzuweisen. Doch als er im Zuge interner Ermittlungen befragt wird, bietet er völlig überraschend an, tief reichende Korruption innerhalb des Polizei- und Justizsystems aufzudecken. Sein zunächst idealistischer Ansatz stürzt ihn im Lauf der Untersuchung zusehends in einen schweren emotionalen und moralischen Konflikt. Denn er muss – ganz gegen seine ursprüngliche Absicht – auch Kollegen preisgeben, die seine engsten Freunde sind. Als Ciello auch noch eingestehen muss, dass er selbst viel tiefer in illegale Machenschaften verstrickt ist, als er anfangs eingeräumt hatte, wird sein Dilemma beinahe unlösbar. Mit seinen verwaschenen Farben visuell an den Realismus stilbildender Arbeiten der siebziger Jahre wie The French Connection oder Lumets Serpico erinnernd, wirft Prince of the City einen gnadenlos ungeschönten Blick auf eine Gesellschaft, der moralische Werte und Gewissen zusehends abhanden gekommen sind. Darüber hinaus zeichnet Lumet entlang des klassischen Motivs um Schuld und Sühne in seinem formidablen psychologischen Thriller das Porträt des mit Makeln behafteten Helden, der in seine tiefsten innersten Abgründe vordringen muss, um seine Lebenslügen endgültig hinter sich lassen zu können.

Wie schmal der Grat zwischen Gut und Böse geworden ist, wird in William Friedkins To Live and Die in L.A. (1985) deutlich: Um einen lange gesuchten Geldfälscher endlich überführen zu können, bedienen sich zwei Gesetzeshüter schwer krimineller Methoden. In dem formal fulminant rasanten Thriller kommt die Instabilität traditioneller gesellschaftlicher Wertvorstellungen zum Vorschein, die Rollen von Polizisten und Kriminellen erscheinen zusehends austauschbar. Endgültig vollzogen wird die Grenzüberschreitung in Jim McBrides The Big Easy (1986) – wenn auch mit zeitweiligem Augenzwinkern. Das Annehmen von Schmiergeld für das Übersehen kleinerer Delikte durch Cop Remy McSwain ist darin eine lässliche Sünde, gleichsam eine Art kultureller Eigenheit von New Orleans. Es bedarf schon tragischer Erlebnisse persönlicher Natur, die zur Läuterung Mc-Swains führen und die traditionelle Ordnung zumindest vorübergehend wiederherstellen.

Ein deutlich düstereres Bild zeichnet da schon Michael Cimino in Year of the Dragon (1985). Der von Mickey Rourke gespielte Cop Stanley White ist zwar ein unkorrumpierbarer, geradliniger Polizist, doch der Einsatz gegen das organisierte Verbrechen in Chinatown wird für ihn zusehends zu einem Rachefeldzug, mit dem White persönliche Traumata aus dem Vietnam-Krieg zu bewältigen sucht. In Cop (James B. Harris, 1988), einer ein wenig in Vergessenheit geratenen, dramaturgisch reichlich konventionellen Adaption eines James-Ellroy-Romans, ist der Protagonist wohl ein beruflich engagierter Polizist, doch sein Privatleben verläuft – vorsichtig formuliert – reichlich turbulent. Im Verlauf der Jagd nach einem brutalen Serienmörder taucht er in den für Ellroy so typischen Sumpf aus Korruption, Laster und Bigotterie ein, eine Mischung, die den von James Woods verkörperten Cop immer mehr dazu treibt, das Polizeihandbuch für korrektes Vorgehen endgültig ad acta zu legen.

Zeichnen die Polizeifilme ein kritisch-differenziertes Bild der US-Gesellschaft vor allem anhand individueller Protagonisten, entwerfen dezidierte Genrearbeiten deutlich düstere Visionen eines (zukünftigen) Amerikas. John Carpenter, der mit der stilistischen Neubelebung traditioneller Genres in den Siebzigern eine Kernanforderung New Hollywoods kongenial erfüllt hatte, lieferte mit dem dystopischen Thriller Escape from New York (1981) einen der überragenden Filme der Dekade ab, der heute schon längst zu den großen Spannungsklassikern zählt. Darin ist das Amerika der nahen Zukunft – nämlich 1997 – ein Staat mit zunehmend autoritären Zügen, der angesichts explodierender Verbrechensraten gleich ganz Manhattan in eine abgeschottete Gefängnisinsel verwandelt, in der blanke Anarchie herrscht. Als der US-Präsident nach einem Flugzeugabsturz von den dortigen Häftlingen als Geisel genommen wird, sieht man keinen anderen Ausweg als den Outlaw „Snake“ Plissken – für Kurt Russell übrigens die Rolle seines Lebens – einzusetzen. In diesem Antihelden fokussiert sich die Skepsis gegenüber staatlicher Autorität geradezu exemplarisch: Der ehemalige, hochdekorierte Elitesoldat hat der Regierung seine ablehnende Haltung mittels Desertion zum Ausdruck gebracht und ist zum Kriminellen geworden, seine zynische Grundhaltung gegenüber allen Versprechungen von Vertretern des Staates wird zum durchgängigen Motiv, bis hin zur bitteren Schlusspointe.

Gesellschaftskritik in Form puren, drastischen Genrekinos hatten in den siebziger Jahren vor allem die Vertreter des neuen amerikanischen Horrorfilms geübt, eine führende Rolle hatte dabei George A. Romero eingenommen. In Day of the Dead (1985), Fortführung der Zombieklassiker Night of the Living Dead und Dawn of the Dead, sind die Vereinigten Staaten fast vollständig von den Lebenden Toten überrannt, die wenigen überlebenden Menschen haben sich in ein Bunkersystem zurückgezogen. Doch das Militär, in dieser Situation eigentlich die letzte Instanz, die Sicherheit schaffen kann, beginnt innerhalb der kleinen Gruppe ein autoritäres Regime zu errichten, das für die Zivilisten schon bald eine größere Bedrohung als die blutgierigen Zombies darstellt. Mit Day of the Dead lässt George Romero die „alte“ Ordnung endgültig zusammenbrechen. In RoboCop (1987), inszeniert vom gebürtigen Holländer Paul Verhoeven, überlässt der Staat eine seiner Kernaufgaben – die Exekutivgewalt – aus Kostengründen freiwillig einer privaten Firma. An der Oberfläche ein geradliniger Actionthriller, der auf dieser Ebene auch prächtig funktioniert, gelingt es Verhoeven durch ein Ausreizen von Genrekonventionen bis hin zur ironischen Überdehnung einen geradezu subversiven Subtext zu etablieren. Multinationale Konzerne als die eigentlich bestimmenden Kräfte der Gesellschaft zu identifizieren und zu kritisieren war nicht nur ein geradezu prophetischer Ansatz, im wirtschaftlichen Liberalismus des von Reagonomics besessenen Amerika kam dies vermutlich schon Blasphemie gleich.

Spaßgesellschaften und Randlagen

Doch neben deutlich kritischen Tönen machte sich auch jenes Kino bemerkbar, das vor allem auf größtmögliche Zustimmung – samt maximaler Vermarktbarkeit – setzte und sich damit einem gewissen Maß an Beliebigkeit preisgab. Airplane! (1980), eine Parodie auf die in den siebziger Jahren immens populären Katastrophenfilme, präsentiert sich als pures Funmovie, das eine ganze Serie kurzlebiger Gags aneinanderreiht. Das mag man zwar als respektlose Ausgelassenheit ansehen, doch die Schablone für auf dem Reißbrett konzipierten Brachialhumor im Stil von Naked Gun, Hot Shots oder Scary Movie war entworfen. Amy Heckerlings Highschool-Komödie Fast Times at Ridgemont High (1982) genießt im verklärenden Rückblick vermutlich wegen Sean Penns Auftritt als dauerbekiffter Schüler Kultstatus, ist jedoch nur einige Nuancen von den Zoten der berüchtigten Porky’s-Filme entfernt. Interessantere Perspektiven bieten da auf jeden Fall Filme, die – obwohl in manchen Fällen durchaus publikumswirksam – abseits des Mainstreams operierten und sich mit eher wenig beleuchteten Rändern der US-amerikanischen Gesellschaft auseinandersetzten. Am radikalsten ging dabei Altmeister Samuel Fuller zu Werk, der mit White Dog (1982) eine grimmige, hintersinnige Parabel auf Rassismus in Szene setzte. In die Subkultur der Drogenszene von Los Angeles begibt sich Mike’s Murder (James Bridges, 1984), ein melancholisches Drama, das auch die Schattenseiten der Unterhaltungsindustrie streift. Gänzlich abseits des gängigen gesellschaftlichen Wertekodex bewegen sich die Protagonisten von Gloria (John Cassavetes, 1980), Thief (Michael Mann, 1981) und At Close Range (James Foley, 1986). Nach bürgerlichen Maßstäben Gesetzesbrecher, zeichnen sie sich dennoch durch ein eigenes Wertesystem aus, das in mancher Hinsicht moralischer und ethisch reiner erscheint als das der bürgerlichen Welt, in der sie stets wenig geachtete Außenseiter bleiben.

Die gesellschaftlichen Transformationen, die sich im Verlauf der achtziger Jahre in den USA vollzogen, bringt Paul Schrader mit zwei Filmen, die sich in völlig gegensätzlichen Milieus umsehen, auf den Punkt. Der von Richard Gere gespielte Callboy für Damen der High Society in American Gigolo (1980) verkörpert geradezu prototypisch jenen auf hedonistischen Konsum und materialistischen Schein ausgerichteten Zeitgeist der Achtziger, zu spät wird ihm die hohle Brüchigkeit der nur nach außen hin glänzenden Fassade bewusst. Im scharfen Kontrast dazu unternimmt Patty Hearst (1988) einen Rückblick, beleuchtet anhand einer wahren Geschichte die revolutionäre Stimmung der siebziger Jahre. Schrader rekapituliert, wie die von der linksradikalen Symbionese Liberation Army gekidnappte Milliardärstochter in einer Mischung aus Gehirnwäsche und Stockholm-Syndrom sich ihren Entführern anschloss und selbst zur Terroristin wurde. Schraders brillant in Szene gesetztes psychologisches Drama macht mit beklemmender Präzision deutlich, wie der Idealismus der Gegenkultur sich an manchen Stellen in einen mörderischen Wahn verkehrte. Zum Zeitpunkt der Premiere von Patty Hearst war vom revolutionären Geist in den USA schon längst nichts mehr übrig geblieben. Es sollte noch lange dauern, bis eine kritische, die eigene Regierung fundamental in Frage stellende Stimmung wieder um sich griff, die Snake Plissken in Escape From New York knapp formulierte: „I don’t give a fuck about your war … or your president.“

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