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Kleine Horrorkniffe

| Katharina Börries |
Wie in Filmen gibt es auch in Videospielen diverse Mittel, um Grusel und Nervenkitzel zu erzeugen – mit dem Unterschied, dass man beim Gaming per Controller oder Tastatur mittendrin ist. Kinder stellen in beiden Medien ein beliebtes Motiv dar. Wie das aussehen kann, sehen wir anhand von Little Nightmares 2 und Little Hope.

Die kindliche Phantasie scheint schier unendlich zu sein. Da wundert es im ersten Moment nicht, dass diverse Eltern in Horrorfilmen den Sprösslingen nicht sofort glauben, wenn diese mit ihrem unschuldigen Blick auf alte Häuser, Tierfriedhöfe und verfluchte Spielzeuge Details entdecken, die die Erwachsenen lieber gar nicht wissen wollen. Und manchmal verselbstständigen sich ihre Gedanken. In Bedtime Stories (2008) erfinden zwei Kinder Dinge, die dann wirklich passieren. Doch schon in diesem Familienfilm wird klar, dass die Ideen einiger Lenkung bedürfen. Damit beschäftigt sich auch Before I Wake (2016), in dem sich ein Junge die tollsten Dinge erträumt, dabei aber zugleich von einem bösen Wesen verfolgt wird, das ihn und seine Umgebung bedroht.

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Kindliche Albträume und ihre bizarren Formen sind auch der Grundstock des Spiels Little Nightmares. Das Horrorabenteuer von Tarsier Studios und Publisher Bandai Namco erschien im April 2017. Protagonistin Six, ein Mädchen in einem gelben Regenmantel, findet sich darin in einer dunklen, übergroßen Welt wieder, in der sie von seltsamen Gestalten verfolgt wird. Ein Hausmeister mit langen Armen, Zwillingsköche, die alles, was sie fangen, in der Küche verarbeiten, und natürlich die geheimnisvolle Herrin des Schlunds, wie die Umgebung heißt, die übernatürliche Kräfte besitzt. Gruselgestalten, Einsamkeit, die Dunkelheit und das Verfolgtwerden sind vier Faktoren, die wohl nicht nur Kindern Angst einjagen. Dazu kommt außerdem Six’ unbändiger Hunger als treibendes Element.

Die Kunst in einem Medium wie Videospiel oder Film ist es nun, diesen Grundpfeilern technisches Leben einzuhauchen. Wenn die bedrohlichen Figuren plötzlich schreien, wenn sie Six erblicken, und die Musik schlagartig stoppt, sobald sie sie gefangen haben, unterstreicht das die spielerische Situation. Was Little Nightmares aber vor allem ausmacht, ist der Umgang mit Perspektiven. Die Protagonistin ist nicht nur winzig im Vergleich zur Umgebung; mit ihrem gelben Mäntelchen und ihrem Feuerzeug als teilweise einziger Lichtquelle ist sie ein regelrechter Lichtblick in der Dunkelheit. So wuselt sie durch fünf Szenarien, in denen man schaurig schön anzusehende Schattenspiele und parallaxe Bildeffekte erleben kann, die die Gruselfaktoren unterstreichen.

Die Erwartungen waren entsprechend hoch, als am 11. Februar 2021 Little Nightmares 2 erschien. Hauptcharakter ist der Junge Mono mit verschiedenen Kopfbedeckungen als Markenzeichen. Auch er begegnet Figuren, die düsteren Kindergedanken entsprungen sein können. Eine fiese Lehrerin oder ein grausamer Arzt machen es Mono schwer, der dazu noch eine Begleiterin bei sich hat – Six! Mit dem Zusammenspiel der beiden wurde das Spielprinzip erweitert. Die Umgebung bietet mehr Möglichkeit zur Interaktion, und die finsteren Gestalten haben sich offenbar ob dem Schicksal ihrer Vorgänger Gedanken gemacht, denn einige von ihnen haben Handlanger dabei. Viele Handlanger.

Wie schon in Teil 1 ist die gelungene Atmosphäre das Fundament des Horrors. Wie die Szenen vorbereitet sind, zeugt von dem Können des Entwicklungsteams. Und die Gruselelemente? Zwar wird der Einsamkeit durch den Koop-Part entgegengewirkt, doch in der auch diesmal überdimensionierten Welt entwickelt sich trotzdem ein Gefühl des Verlorenseins. Natürlich hat auch die Dunkelheit wieder ihren Platz gefunden, wenngleich die Moderne Einzug erhält. Zumindest gibt es Fernseher, die für Mono das sind, was der Hunger in Teil 1 für Six war: Sie ziehen ihn förmlich an. Heller heißt aber nicht weniger bedrohlich: das Flimmern der Bildschirme kann seinerseits einige schaurige Momente entstehen lassen. Zum Hauptaspekt wird allerdings – leider, aus spielerischer Sicht – das Verfolgtwerden. Es besteht kein Zweifel daran, dass niemand das in der Realität erleben möchte. Little Nightmares 2 überstrapaziert dieses Mittel allerdings etwas und verliert damit die Besinnung auf das, was vorher so schaurig war. Denn Horror verbreiten solche Szenen beim ersten Mal, im Schreckmoment. Nach dem zweiten Anlauf sind sie eher eine Aufgabe, die es eben zu erledigen gilt. Was den Hauptgegner angeht, so gab es einige Deja-Vus. Der dünne Mann lebt offenbar in den Fernsehern und entsteigt diesen, um die Kinder zu verfolgen. Slenderman lässt grüßen, ebenso wie der Crooked Man aus Conjunring 2 (2016) oder der Floating Man aus The Haunting of Hill House (2018). Leider also nicht sonderlich originell. Ergänzt wurde das Portfolio noch durch den Gebrauch von Schuss- und Schlagwaffen und ihre entsprechende Akustik.

Doch Kinder müssen nicht immer spielbar sein, um uns das Fürchten zu lehren. Little Hope nähert sich mit seiner Herangehensweise dem klassischen Kinder-in-Horrorfilmen-Modell. Als Teil der The Dark Pictures-Anthology von Supermassive Games und Bandai Namco erschien das Horrorspiel am 30. Oktober 2020 und bildet den zweiten und momentan aktuellsten Teil der Reihe, die basierend auf dem Prinzip von Until Dawn (2015) einmal acht Spiele umfassen soll. Wir begleiten darin eine Gruppe von Menschen dabei, wie eine recht alltägliche Situation auf einmal zu einer Horrorfilmkulisse wird. Story und Szenenzusammenstellung sind Filmen dabei sehr nah, was im Gegensatz zum weniger realistischen Spielen zusätzliche Nähe aufbauen und Spieler:innen anders involvieren kann. Dargestellt werden die Charaktere von echten Personen. Will Poulter, der in Little Hope die Hauptfigur spielt, wird Filmfans aus The Revenant (2015) oder Midsommar (2019) bekannt sein.

Nach einem Ausflug in eine verschneite Berghütte und dem Besuch auf einem Geisterschiff geht es in Little Hope um Hexen – und was wäre da aufgelegter, als eine Verbindung zum geschichtsträchtigen Ort Salem zu ziehen, der für seine Hexenprozesse bekannt wurde? Doch die Geschichte startet im Alltag einer Pflegefamilie. Megan ist noch nicht lang bei den Clarkes, und ihre Erziehung bereitet einige Probleme. Sie scheint mit etwas zu kommunizieren, das andere nicht sehen, fühlt sich offenbar nicht geliebt und löst (absichtlich?) ein Feuer im Haus aus, das alle bis auf ihren älteren Adoptivbruder Anthony tötet. Dieser Ablauf wäre auch in Filmen wie Fall 39 (2009) denkbar, wobei das zugrundeliegende Thema vor allem Erinnerungen an The Witch (2015) wachruft.

Anthony erlebt in Little Hope, wie ein Uniausflug ungeahnte Wendungen nimmt und die Reisegruppe mit übernatürlichen Phänomenen konfrontiert. Wie bei Little Nightmares gelingt das vor allem über das gelungene Setting und die einnehmende Atmosphäre. Die Kameraperspektive ist hier steuerbar. Wir lenken sowohl die Charaktere als auch die Blickrichtung oder das Schwenken der Taschenlampe. Die filmische Annäherung überzeugte schon bei Until Dawn und dem ersten Teil der Anthologie Man of Medan. Wohl konstruierte Erschreckmomente punkten einfach, etwa wenn man die Gruppe betrachtet, als wenn man sie aus einem Gebüsch heraus beobachten würde, und im Vordergrund plötzlich das kleine Mädchen entlangläuft. Dabei schlägt auch zu Buche, was einfach immer funktioniert: Jumpscares. Sie sorgen für einen Schreck, indem sie plötzliche Bilder und begleitende, überlaute Geräusche kombinieren. Man kann also kaum anders, als zusammenzuzucken. Das macht sie zu einem beliebten Mittel – auch wenn sie mit Horror-Cleverness entsprechend wenig zu tun haben. So muss auch hier die Rüge erfolgen: Weniger Jumpscares sind manchmal mehr. Trotzdem treiben die Momente den Blutdruck merklich in die Höhe, und eingebettet in eine entsprechende Story sind sie verkraftbar, wenn man den Bogen nicht überspannt. Zurückhaltend ist Little Hope dafür, was den Gore-Faktor angeht. Die Spielereihe macht aus, dass die Charaktere in diversen Situationen sehr unangenehm zu Tode kommen können. Und das ist sichtbar. Doch selbst bei inquisitorischen Foltermethoden wird das Blutbad nicht zelebriert. Die Darstellungen reichen aber, um sich in die unschönen Momente hineinzuversetzen – nicht zuletzt wegen des treibenden Faktors der Anthologie-Serie: Wir verkörpern jeden einzelnen Charakter. Wir fällen die Entscheidungen und sind damit auch für das Schicksal der Figuren verantwortlich. Kein Wunder also, dass man mitfühlt, wenn Anthony und sein Unitrupp gegen Geister der Vergangenheit ankämpfen.

Videospiel und Film sind sich also nicht unähnlich in ihrer Art, Horror zu erzeugen. Kulisse und Atmosphäre legen einen Grundstein für vielerlei technische und perspektivische Mittel und je höher der Grad der Selbstidentifikation, ob nun über die eingesetzten Gruselfaktoren oder die Spielfiguren, desto eher sind wir geneigt, mitzufühlen. Bei Little Nightmares und Little Hope spielen kindliche Einflüsse eine große Rolle – und bedienen damit durch die Verbindung von Unschuld und dem Bösen einen wahren Horror-Klassiker.