ray Filmmagazin » Themen » NAPOLEON IM FILM: Kleiner grosser Mann
Napoleon im Film Austerlitz – Glanz einer Kaiserkrone (1960). R: Abel Gance
Austerlitz – Glanz einer Kaiserkrone (1960). R: Abel Gance

Napoleon im Film

Kleiner großer Mann

| Jörg Becker |
Aufstieg und Fall eines Eroberers, Diktators, Kaisers – das Leben Napoleons als Stoff des Kinos.

 

Nach der Erfindung des Kinematografen ließ der erste Film um den Feldherrn und Kaiser aus Korsika nicht lange auf sich warten: Hergestellt von der Firma der Pioniere Lumière, trug die Aufzeichnung von einer Minute Länge den Titel L’entrevue de Napoléon et du Pape (FR 1897), das Bühnenbild war gemalt, der Kameraausschnitt fixiert, die Schauspieler unbekannt. Bei der stürmischen Begegnung Napoleons mit Papst Pius VII. zerbricht der energische Kaiser eine Vase. Seither liefert das Leben des Generals Bonaparte bzw. des Kaisers Napoleon mit all seinen Schlachten und Amouren inklusive Legenden und Anekdoten Stoff für Drehbücher.

Eine Filmografie über die Figur Napoleons im Film – „Napoléon et le cinéma“ von 1998 – enthält bereits über tausend Titel. Zahllose Länder sind vertreten, und Regisseure aus 120 Jahren, von Louis Feuillade bis Woody Allen – dazu kommt nun Ridley Scott. Das Image Napoleons war bereits wie für den Film geschaffen: Der kleine Hut, die Stirnlocke, die rechte Hand vorn in die Uniformjacke gesteckt, machten diese Figur unverkennbar, deren Präsenz die Kampfmoral der Truppen anscheinend mobilisierte. Kostümdetails und die vermutlich berühmteste Geste des Korsen prägten sich als öffentliches Bild ein.

Die Inszenierung seiner Person war meist mit militärischem Ruhm assoziiert, Blitz und Donner des Schlachtgetümmels, enormen Truppenformationen, Paraden und den Uniformen der Grande Armée; es gab Verschwörungen, Attentatsversuche und politische Intrigen solch prominenter Verräter wie Talleyrand, dem anpassungsfähigen Diplomaten mit Nostalgie für das Ancien Régime, oder Fouché, dem Unterstützer beim Staatsstreich und erstem Polizeiminister Napoleons nach dessen Selbstkrönung. Dazu kamen die Eroberungen der Weiblichkeit, Joséphine, Bonapartes Initiatorin der Liebe und womöglich die Frau, an die er zeitlebens gebunden blieb, Maria Walewska, seine Mätresse, dann Marie-Louise, seine treulose Ehefrau – von allen flüchtigen Affären abgesehen. Schließlich das Ende Napoleons im Bild eines „neuen Prometheus“ in der Verbannung, gefesselt an den Felsen von St. Helena.

TALENT ZUR KRIEGSFÜHRUNG – „EIN STOLZES UND AUFBRAUSENDES KIND“
Mit einer Schlacht wird das monumentale historische Fresko Napoléon (1927) von Abel Gance eröffnet: nur eine Schneeballschlacht von Kindern, doch angetrieben von fanatischem Kampfgeist, kein Spiel mehr, sondern blutiger Ernst. Auf der Kadettenschule von Brienne, im Winter 1781, wo dies unter wohlwollender Aufsicht der Patres stattfindet, gilt solch jugendlich-übermütiges Treiben als Probehandlung, eine Vorbereitung auf das Leben, in der man Mut und Geschick an den Tag legt, praktische Strategie offenbart, zu der auch List und Tücke gehören, wie die mit Steinen gefüllten Schneebälle zeigen. Hier bereits beweist sich „der kleine Korse“, ein schmächtiger Junge, als der geborene Anführer, und die heroisierende Perspektive auf den Helden ist gesetzt – „ein stolzes und aufbrausendes Kind, das in wilder Isolation lebt“, heißt es im Zwischentitel. Außergewöhnlich schnell für jene Zeit die Schnitte, hart die Montage, mit der die Dynamik des Kampfes wiedergegeben wird, auf spektakuläre Weise bedient sich Regisseur Abel Gance der „entfesselten Kamera“, die zwischen den Fronten hin- und herfliegt.

Die historische Bestimmung ist gesetzt, Sinnbild dafür ein Adler, sein einziger Freund bis hin zum Schlussbild. Der erste Teil des Leinwandepos von Gance verherrlicht den geheimnisvollen Nimbus des genialen Feldherrn, „Le chef était là“ / „Der Oberbefehlshaber war da“, so ein weiterer Zwischentitel zu Bonapartes Wiederaufnahme seines Kommandos über die Italienarmee. Die Dimension der Armeen, die Napoleon (Albert Dieudonné; als Junge gespielt von Vladimir Roudenko) kommandierte, konnte von Abel Gance nur durch ein Riesenheer von Schauspielern und Tausenden von Komparsen wiedergegeben werden, um ein nationales Filmepos von nie dagewesener Größe auf die Leinwand zu bringen; The Birth of a Nation (USA 1915) von D.W. Griffith, den Gance 1921 in Amerika getroffen hatte, soll ihm die Idee eingegeben haben, ein deutscher und ein russischer Industrieller lieferten den Hauptteil des astronomischen Budgets.

Großprojekte wie dieses brachten technische Neuerungen mit sich (vgl. etwa die monströse Ufa-Produktion Metropolis [D 1927]) und sorgten für exorbitant lange Drehzeiten. Nach zwei Jahren war man gerade beim ersten Italienfeldzug angelangt, und die Idee, Napoleons Biografie bis zum Ende zu erzählen, musste aufgegeben werden. Noch das Fragment ist überdimensional: Die Länge der Regie-Fassung beträgt 440 Minuten, die für die Uraufführung in der Pariser Oper auf etwa die Hälfte (5.600 Meter) gekürzt werden musste.

DIE ZENTRALFIGUR IM BEWEGTEN TRIPTYCHON
Präsentiert ist eine Studie in ideologischer Überhöhung, die Hagiografie eines Bilderbuch-Bonapartes, der „Weltgeist zu Pferde“ in reaktionärem Geschichtsbild, in ästhetischer Hinsicht dagegen ist die Sprengkraft enorm, die Bildrhetorik aus Verdichtung, Engführung geradezu „revolutionär“, wenn etwa Napoleons Überfahrt von Korsika mit dem Aufruhr in der Nationalversammlung parallelmontiert wird: hohe Wogen, peitschende See, ebenso entfesselt wie die Wut der Menge im Konvent. Binnen Sekunden wechselt der Film zwischen der blau viragierten See und der braun getönten Nationalversammlung, Trickaufnahmen und Mehrfachbelichtungen unterstreichen das Furioso der Stimmung. An einer Stelle des Films wendet sich ein Sansculotte an das Publikum und animiert es, in die von den Schauspielern gesungene Marseillaise einzustimmen. Die musikalische Untermalung von Arthur Honegger riss das ganze Kino mit. Gegen Ende sprengte Gance auch das Normalformat des Filmbilds; mit dem „triple écran“ erfand er einen Vorläufer des Cinemascope-Verfahrens. So wurde die Belagerung von Toulon mit drei Kameras gedreht und die Filmbilder auf drei parallele Leinwände projiziert, überdies ideal für die Überhöhung der Zentralfigur: In den Simultanprojektionen des bewegten Triptychons nimmt Napoleon im Close-up meist das Mittelbild ein, während die Flügelbilder den Aufmarsch der Truppen, breite Massenszenen zeigen. Napoléon existiert in verschiedenen, meist gekürzten Fassungen, und nur in wenigen Versionen ist die „Polyvision“, von der Abel Gance wohl doch nicht vollends überzeugt war, erhalten geblieben. Einer Tonfilmversion im Jahr 1935 ließ der Regisseur im Alter eine Überarbeitung folgen; neben der von F. F. Coppola 1981 präsentierten Version von etwa vier Stunden (Musik von seinem Vater Carmine) existiert eine über Jahre bis 1980 von dem Filmhistoriker Kevin Brownlow erarbeitete Fassung, die als Rekonstruktion dem Original wohl am nächsten kommt.

NAPOLEON IM ÜBERBLICK
Abel Gances Filmepos hatte ein vorzeitiges Ende genommen, da eine Finanzierung der Fortsetzung ausgeblieben war, und so verkaufte er den letzten (sechsten) Abschnitt seines Drehbuchs, „St. Helena“, nach Deutschland, wo ihn Lupu Pick 1929 verfilmte (Napoleon auf St. Helena). Mit einem Teil seines ursprünglichen Epos, der Schlacht bei Austerlitz, kehrte Abel Gance 1960 zu seinem Lebensthema Napoleon zurück. Pierre Mondy (Napoleon), Jean Marais, Martine Carol (Joséphine), Vittorio de Sica und Michel Simon führten den beeindruckenden Cast an. Zwar waren 500 Infanteristen und Kavalleristen deutlich weniger Komparserie als vereinbart, aber über die gelungene Rekonstruktion der Schlacht vermag Gance die Strategie Napoleons bei Austerlitz zu erklären. Allerdings hatte der Doppelflop von Napoléon und Austerlitz – Glanz einer Kaiserkrone (FR/IT/JUG 1960) zur Folge, das geplante Großprojekte wie jenes von Stanley Kubrick Ende der Sechziger Jahre bei den Geldgebern chancenlos blieben. Sacha Guitry, spezialisiert auf die Geschichte Frankreichs, bewältigte 1954 die wohl größte Herausforderung gegenüber dem Napoleon-Stoff, nämlich einen vollständigen Überblick über das Leben des Kaisers zu bieten. Bereits Die Perlen der Krone (1937), Die Straße der Liebe (1938) und Napoleons Braut (1942) hatten seinen Helden in Szene gesetzt, wobei in den beiden letzten gar der junge auf den alten Napoleon trifft. Guitry verherrlicht den Protagonisten nicht, im Gegensatz zu Gance, sondern schlägt sich eher auf die Seite Talleyrands, des Regisseurs des europäischen Kaiserreiches, den er selbst spielte. Ihm weist er in seinem Napoléon (FR 1954) die Rolle des Erzählers zu, der, als er 1821 vom Tod des Kaisers erfährt, seinen Gästen über die Geschichte eines großen Mannes (gespielt von Daniel Gelin und Raymond Pellegrin) berichtet. Es war bis dahin der einzige Tonfilm, der das ganze Epos Napoleons umfasste, subjektiv erzählt unter nur beiläufiger Erwähnung des Russlandfeldzuges, dem völligen Verschweigen der Schlacht von Trafalgar 1805, die zu einer britischen Vorherrschaft zur See führte, und des in Frankreich äußerst unpopulären Feldzugs in Spanien 1808-1813. Die glänzende Besetzung des Films – Michèle Morgan, Pierre Brasseur, Jean Gabin, Jean Marais, Orson Welles, Erich von Stroheim (als Beethoven), Yves Montand ì – sorgte neben einer gehörigen Dosis Patriotismus für den Erfolg des Films in Frankreich, allerdings gibt ein Fachhistoriker hier angesichts mangelnder Stimmigkeit zu bedenken, was auch für manch anderen Napoleon-Film gilt: „Sobald Guitry die Salons verlässt, in denen er sich mit Leichtigkeit bewegt, um Kriegsszenen darzustellen, wird der Film jedoch zur Katastrophe.“ (Jean Tulard).

Ein nicht realisierter Napoleon, lange vor dem Kubrick-Projekt, geht auf Charlie Chaplin zurück, der 1922 an eine Biografie dachte, mit seiner Partnerin Edna Purviance als Joséphine; der Abel-Gance-Film entmutigte ihn. Später modifizierte er den Stoff, war zunehmend an einer fiktiven Situation interessiert, in der seinem Helden mit Hilfe eines Doppelgängers die Flucht von St. Helena gelingt – eine Idee, die in dem Roman „The Death of Napoleon“ (1992, Simon Leys) wiederkehrt, welcher unter dem Titel The Emperor’s New Clothes (GB/D/IT 2001, R: Alan Taylor; mit Ian Holm als Napoleon) verfilmt wurde. Chaplin seinerseits hatte vor Beginn des Zweiten Weltkriegs Napoleon durch Hitler ersetzt und drehte The Great Dictator (1940).

„EIN TÖDLICH GETROFFENES TIER“ – WATERLOO UND ST. HELENA
Im Jahr 1934 wurden in italienisch-deutscher Koproduktion mit jeweils anderen Darstellern zwei Fassungen eines Films über die „Herrschaft der Hundert Tage“ gedreht, Campo di maggio (R: Giovacchino Forzano) und Hundert Tage (R: Franz Wenzler). Das Drehbuch war nach Vorlage von Benito Mussolini geschrieben, der damit Glorifizierung des Führertums – il duce –, mithin Eigenpropaganda zu betreiben beabsichtigte. Die darin dargestellte Schlacht bei Waterloo, der eigentliche Beginn des 19. Jahrhunderts, ist Thema des Films von Sergei Bondartschuk, des sowjetischen Schauspielers und Regisseurs, produziert von Dino de Laurentiis (Waterloo, 1970). „Nie zuvor war eine Schlacht so genau und in solch großem Maßstab auf der Leinwand dargestellt worden“ (Hervé Dumont): 48 Drehtage, 19.000 Rotarmisten, darunter 3.000 Kavalleristen, spielten das Napoleonische und das Britische Heer. Mit der Schlacht im belgischen Waterloo, bei der über 50.000 Soldaten getötet wurden, war Napoleons endgültige Niederlage besiegelt. Zu sehen sind Kavallerie-Attacken, gedreht in elegischer Slow-Motion, die Schlachtenformationen scheinen gleichsam durch das Auge Gottes aus Helikopterperspektive aufgenommen. An Rod Steiger teilten sich die Geister, als Actors-Studio-Schauspieler mochte er, wenngleich rein physisch recht authentisch, manchem zu exzessiv erscheinen, doch bringt er alle Facetten der Psyche des Imperators zum Ausdruck, den genialen Feldherrn und charismatischen Kaiser, den kranken, elenden Mann, das tyrannische Ungeheuer, den Hysteriker, Einsamen, den Vater – Tolstoi hatte Napoleon nach dem Russland-Feldzug in seinem Roman „Krieg und Frieden“ als „tödlich getroffenes Tier“ bezeichnet, einen gebrochenen Mann vor seinem historischen Ende.

Eagle in a Cage (GB 1971, R: Fielder Cook; dt.: Ein gewisser General Bonaparte) zeigt einen grimmigen Napoleon, in Missachtung der Verhältnisse nach Waterloo, nun zum zweiten Mal im Exil auf der kleinen Insel St. Helena. Der mächtigste Herrscher Europas, im zerschlissenen Mantel ohne Abzeichen unter der Kontrolle eines britischen Bewachers, gedemütigt und seiner Macht beraubt, ein Sturz aus höchsten Höhen in die Vergänglichkeit – „Es ist nicht einfach, das Kommando eines anderen Mannes zu ertragen.“

Das Kapitel St. Helena, das Ende Napoleons bzw. die Legende, dass er von der Insel entkommen sein könnte, spielte in Der Gefangene von Sankt Helena(1989, R: Jerzy Kawalerowicz) eine Rolle; auch Monsieur N. (2003, R: Antoine de Caunes) mit Philippe Torreton als Napoleon, lässt eine Flucht zumindest möglich erscheinen, Napoleons letzte Liebe gebäre in den USA eine Tochter Laetitia (der Name Napoleons Mutter), oder war es ein Traum des letzten Wächters des Kaisers, dass dessen Kammerdiener die Rolle habe einnehmen können?

NAPOLEONS FRAUEN UND PRIVATES LEBEN
Eine eigene Abteilung bildet die Erzählweise, Napoleon aus der Sicht von Personen seiner Umgebung darzustellen. Da gibt es Maria Walewska (USA 1937) von Clarence Brown mit Greta Garbo in der Titelrolle: Durch die Beziehung zu Napoleon (Charles Boyer
als gieriger Liebhaber) hofft die polnische Gräfin Walewska, ihr Land befreien zu können. Es kommt zu romantisierenden Szenen, mit schmachtenden Blicken und Klagen des Herrschers über seine Einsamkeit – „ein kleiner Preis für all die Macht“, entgegnet Walewska, die, bereits schwanger, den Kaiser verlässt, weil dieser aus machttaktischem Kalkül die Tochter des Kaisers von Österreich heiratet. Eine frühe Liebe des Revolutionsgenerals Bonaparte, Desirée Clary, wird in Desirée (USA 1954) von Henry Koster (dem Regisseur auch der Cinemascope-Premiere The Robe im Jahr zuvor) von Jean Simmons verkörpert, an deren Seite Marlon Brando den Liebhaber spielt, der doch letztlich, eine Heldenfigur wie im Abel-Gance-Film von 1927, nur die Republik vor Augen hat: „Ich bin die Französische Revolution. Und ich werde sie zu schützen wissen!“ Ein typisches Produkt des alten Hollywoodsystems, das Fakten, Halbwahrheiten und Ausgedachtes mischt, in diesem Fall in hochherrschaftlichen Gemächern und Palästen spielt sowie mit prächtigen Roben, Uniformen und Dekorationen für Schauwerte sorgt und die breite Leinwand füllt. Auch Brando verstand sich als dekorativer Napoleon, posierte raumbeherrschend und schien mitunter seine Untergebenen mit dem Blick zu durchbohren. Ferner zu finden im Napoleon-Kontext: Napoleons Schwester Pauline Bonaparte, gespielt von Gina Lollobrigida in Kaiserliche Venus (FR 1962, R: Jean Delannoy) sowie verschiedenste Versionen der „Madame Sans-Gêne“, verkörpert von Gloria Swanson bis Sophia Loren, in Filmen, die dem Kaiser nur eine Nebenrolle zukommen lassen.

NAPOLEON-GLEICHNISSE – INDIENSTNAHMEN IN ZEITEN DES KRIEGES
Die Bedrohung Englands durch Nazi-Deutschland 1940 führte in Filmen wie Lord Nelsons letzte Liebe (GB 1941, R: Alexander Korda) zu propagandistischen Parallelen zwischen Napoleon und Hitler: „Mit Diktatoren kann man keinen Frieden schließen.“ Nelson, der Sieger der Seeschlacht von Trafalgar 1805, steht für die Luftschlacht um England, und der Sieg der Königlichen Marine gegen Napoleon kündigte den der Royal Air Force an – einmal mehr griff man für das aktuelle Kriegsgeschehen in die Geschichtsbücher. In der Sowjetunion brachte nach dem Überfall und dem Vordringen der deutschen Wehrmacht auf russischem Boden Regisseur Wladimir Petrow (der mit dem zweiteiligen Peter der Große, 1937/39, für die patriotischen Tendenzen im russischen Film stand) die Figur von Kutusow, Sieger der Schlacht bei Borodino, auf die Leinwand (Kutusow, SU 1944). Held ist hier der General, der Napoleon aus Moskau vertrieb, seine Armee vernichtete, Höhepunkt die rekonstruierte Schlacht an der Beresina, gleichsam Vorausdeutung der Niederlage der Wehrmacht in den eisigen Steppen Russlands.

Unter allen Romanverfilmungen, die Napoleon als Helden darstellen, ragt Tolstois „Krieg und Frieden“ heraus. Zwei Fassungen standen einander gegenüber: die Hollywood-Version von King Vidor (1956) und die stärker an den Roman angelehnte des Ukrainers Sergei Bondartschuk (1965/67), die auf ungeheure Ressourcen für seine Schlachtszenen zurückgreifen konnte. Eine parodistische Version, Die letzte Nacht des Boris Gruschenko, wurde 1975 von Woody Allen nachgereicht.

DAS ARCHIV EINER UNREALISIERTEN MONUMENTALEN FILMBIOGRAFIE
Bleibt noch Stanley Kubricks unrealisiertes Großprojekt, in dem er das Leben Napoleons von der Wiege bis zur Bahre in über drei Stunden Filmlänge erzählen wollte – in zehn Kapiteln, zwischen „1789“ und „St. Helena“. Kindheit und erste Liebschaften werden beleuchtet, die Belagerung und Eroberung von Toulon und deren Bedeutung für Bonapartes Karriere angedeutet, die Beziehung zu Joséphine rückt anhand der Briefe näher in den Blick. Der Italienfeldzug wird von einem Erzähler kommentiert, der in Abständen wie ein griechischer Chor ins Spiel kommt, die Militärstrategie erläutert der General jedoch selbst. Dann wieder spielt der Zustand seiner Ehe eine Rolle, das Anekdotische, Szenen aus dem Privatleben galten als publikumswirksamer. Um eine Entdeckung vergessener Kulturen geht es beim Ägyptenfeldzug, nach Bonapartes Rückkehr bringt Kubrick mit dem Brumaire-Staatsstreich Fouché und Talleyrand zur Geltung. Im Übergang vom Konsulat zum Kaiserreich erhält Napoleons Privatleben den Vorrang, Kubrick entwirft erotische Szenen mit einer von wenigen fiktiven Figuren. General Bonaparte mit seinem schmalen Gesicht und den schulterlangen Haaren verwandelte sich 1804, im Jahr der Krönung, in einen Mann mit kurzem Haar und einer charakteristischen Stirnlocke. Auf eine Rekonstruktion von Austerlitz wollte Kubrick verzichten (angeblich fürchtete er einen möglichen Vergleich mit Gance). Er streift die Schlacht bei Jena und Auerstedt gegen die Preußen, das Treffen mit Zar Alexander bei Tilsit. Auf die Scheidung von Joséphine folgt die Vermählung mit der österreichischen Erzherzogin Marie-Louise, dann setzt er ausführlich den Krieg gegen Russland in Szene, das brennende Moskau und den katastrophalen Rückzug der Grande Armée. Napoleons Exil auf der Insel Elba und seiner Rückkehr folgen wenige, dafür spektakuläre Sequenzen zur Schlacht von Waterloo, mit denen er den Vergleich mit anderen Filmen vermeidet (Bondartschuks Waterloo schien als Masseninszenierung ohnedies unübertroffen). Schließlich übergeht Kubrick St. Helena, zeigt stattdessen Madame Mère, die Sachen aus der Kindheit ihres Sohnes aufräumt.

Der Oxford-Historiker Felix Markham als Berater, eine überbordende Kartei, die minutiöse Erfassung einer Chronik des Lebens seines Protagonisten, Tag für Tag, verbunden mit enormer Detailtreue bei Drehortsuche und Kostümbild – das hätte Stanley Kubrick den Ruf als Napoleons Filmbiograf eingetragen.