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König der Blockbuster

König der Blockbuster

| Marc Hairapetian |

Am 12. und 13. Mai gastiert der gefeierte und vielfach ausgezeichnete Filmkomponist Hans Zimmer live in Österreich. Ein Gespräch.

Er duzt einen freundlich und gibt einem das Gefühl, dass man sich schon jahrelang kennt.  Beim Sprechen wechselt er ständig vom Deutschen ins Englische und wieder zurück. Kein Wunder, ist Hans Zimmer doch am 12. September 1957 in Frankfurt am Main geboren. Um den inoffiziellen Titel des erfolgreichsten Filmkomponisten der Gegenwart matcht er sich mit Ennio Morricone und John Williams. Der Musiker kam nach seiner Punk- und New-Wave-Phase (so wirkte er 1979 am Modular-Synthesizer in dem Videoclip des Buggles-Hits „Video Killed the Radio Star“ mit) über den Umweg England in die USA, wo er bald darauf Soundtrack-Geschichte schreiben sollte: Die Scores zu Rain Main (1988), Rendezvous mit einem Engel (1997), Besser geht´s nicht (1998), Der Prinz von Ägypten (1999). Der schmale Grat (1999), Gladiator (2001), Sherlock Holmes (2010), Inception (2011) und Interstellar (2015) wurden allesamt für den Oscar nominiert. Für Der König der Löwen erhielt er 1995 die begehrte Trophäe. Im Gespräch outet Hans Zimmer Regie-Genie Terrence Malick als Heavy-Metal-Fan, verrät einiges über neue Projekte und spricht über seine große Europatournee.

Woher rührt Ihre große Leidenschaft für Perkussionsinstrumente? Sie setzten afrikanische Rhythmen ja sogar in der Superman-Verfilmung „Man of Steel“ ein.
Ich komme vom Rock ’n‘ Roll und wollte herausfinden wie man das Schlagzeug im Film unterbringen kann. Aber Drums im Film funktionieren irgendwie nicht so richtig, also musste ich ein bisschen etwas Neues erfinden. Ich meine, dass meine „afrikanischen Rhythmen“ eigentlich keine richtigen afrikanischen Rhythmen sind, sondern südamerikanische. Musik ist eine Weltsprache. Ich bin beileibe kein Musikhistoriker, ich „erfinde“. Und am Ende des Tages ist es auch ein Job. Als ich den Score zu Last Samurai über die Aufstände im Kaiserreich Japan zwischen 1868 und 1877 machen sollte, wusste ich erst nicht, wie. Nach Wochen sagte mir eine innere Stimme, vielleicht war es auch das Machtwort des Produzenten: „Deine Aufgabe ist es, dir etwas auszudenken, etwas zu erfinden!“ Also ließ ich meiner Inspiration einfach freien Lauf. Japaner fragten mich später: „Woher weißt du soviel über japanische Musik?“ Zur Zeit von Im Glanz der Sonne traf ich 1992 zufällig den südafrikanischen Musiker Lebo M.  in einer Autowaschanlage in Los Angeles, wo er arbeitete. Ich holte immer meinen kompositorischen Rat zuerst bei ihm ein. Er brachte auch den afrikanischen Chor in meinem Soundtrack zu Der König der Löwen unter.

Apropos erfinden: Stimmt es, dass Sie als Kind beim Klavierspiel das Instrument manipulierten, um einen neuen Klang hervorzubringen?
Das ist richtig. Manipulieren ist zu schwach ausgedrückt: Ich zerstörte ein hervorragendes Piano! Haben Sie nicht auch manchmal Ihr Spielzeug auseinandergenommen und in seine Einzelteile zerlegt, als Sie ein Kind waren? Es ist doch die Neugierde, was in einem Kind steckt – und so war es auch mit dem Piano. Mein erster Synthesizer war der monophone analoge EMS VCS 3 aus dem Jahr 1969, zwar tragbar, aber ohne Keyboard und enorm kompliziert, weil auch kein Instruktionsplan dabei war. Ich habe all mein damaliges Geld investiert, um es überhaupt benutzbar zu machen. Das war mir eine gute Lehre: Mach, dass es funktioniert! Und so verhält es sich bei mir auch mit den Soundtracks, wenn der Film nur ein geringes Budget hat. Bei 12 Years a Slave, der auf einem Vier-Noten-Thema für Violine und Cello basiert, hatten wir nur vier Musiker und es funktionierte im Film sehr gut.

Muss man sich beim Komponieren auch eine gewisse kindliche Neugierde bewahren?
Das ist eine sehr interessante Frage. Ich habe den Verdacht, dass ich nie wirklich arbeite, sondern nur spiele – wie ein große Kind. Ennio Morricone etwa wirkt sehr akademisch-korrekt. Aber ich weiß, dass tief in seinem Inneren ein Mann steckt, der weiß, wie man zu spielen hat. Er ist ein musikalischer Revolutionär, vor allem, wenn man seine Western-Scores betrachtet beziehungsweise hört. Er ist der Meister darin, Instrumente zweckzuentfremden.

Morricone ist Ihr großes Vorbild. Haben Sie ihn auch persönlich getroffen?
Ja, Ennio und ich waren einmal zusammen in Bonn. Wir gingen zusammen zum Beethoven-Haus und fühlten uns beide nur noch einen Zentimeter groß, weil Beethoven doch der Meister der Meister ist. Ennio hat Demut vor der Kunst; er will ihr dienen. Und darum geht es eigentlich wirklich. Das war ein grandioser Tag für mich, mit dem Meister der Filmmusik den Meister der Klassik zu „besuchen“. Ich werde diesen Tag nie vergessen.

Bei Ihrer Europa-Tournee erwarten Ihre Anhänger natürlich alle ihre „Hits“. Gibt es Stücke, die als Soundtrack gut funktionierten, aber live sehr schwer zu spielen sind?
In der Tat. Es gibt ein sehr populäres musikalisches Thema in Gladiator, bei dem alle denken, es sei das Hauptthema. Für meine Tournee habe ich es gecancelt und meine Musiker beknieten mich dann förmlich: „Lass es drin! Es erklingt sogar bei Eishockey-Spielen!“ Also musste ich eine Lösung finden, es zu orchestrieren. Es gibt ein tolles Wort, das heißt „verschlimmbessern“. Ich muss nur aufpassen, dass ich so eingängige Stücke live nicht verschlimmbessere. Das Thema von Illuminati ist eigentlich von der Struktur her ein Rock ’n‘ Roll-Track – und so klingt es auch auf der Bühne am besten. Genauso wie Fluch der Karibik.

Wie hat Sie der britische Veranstalter Harvey Goldsmith dazu überredet, zu touren?
Ich habe eine Menge Freunde, die bei dem „Original“ Live Aid am 13. Juli 1985 anlässlich der damals akuten Hungersnot in Afrika spielten. Und Harvey war Bob Geldorfs „Performing Arts Promoter“. Eigentlich ging bei der Organisation des Mammut-Konzerts im Vorfeld alles schief. Der Einzige, der alles zusammenhielt, war Harvey Goldsmith. Das hat mir imponiert. Nachdem ich vor fünf Jahren Kung Fu Panda 2 schrieb, hatten die Leute von Dreamworks die Idee, meine Musik in einem Londoner Park  live aufzuführen. Harvey Goldsmith war der Veranstalter. Am Tag vor dem Konzert regnete es in Strömen. Harvey sagte seelenruhig: „Keine Sorge. Morgen wird das Wetter wunderschön!“ Wir führten also tags darauf die Show auf. Es regnete nur noch leicht. Das Wetter verbesserte sich von Stück zu Stück. Tausende Leute waren glücklich. Harvey ist im positiven Sinne ein Zocker, der enorme Risiken in Kauf nimmt. Er hat sogar Led Zeppelin wieder zusammengebracht. Jimmy Page brach sich dann kurz vor dem Reunion-Konzert die Hand. Harvey musste vor die Leute treten und sagen: „Wir müssen das Konzert verschieben“. Dafür braucht man Nerven aus Stahl. Er ist in Wirklichkeit der „Man of Steel“. Das alles hat mich überzeugt, nach einzelnen Auftritten endlich eine Tournee zu machen.

Im Gegensatz zu anderen Filmmusik-Konzerten werden bei Ihnen keine Bilder aus den Kinoepen im Hintergrund eingespielt. Warum?
Die Bilder haben doch die Besucher ohnehin im Kopf. Hier soll die Musik für sich sprechen. Wenn Ex-The-Smiths-Mitglied Johnny Marr auf der Bühne steht und die Gitarre bei Inception spielt, bedarf es auch keiner Filmbilder mehr. Für ihn habe ich den sehr elektronischen Score zu Christopher Nolans Science-Fction-Film in erster Linie geschrieben. Es gibt ohnehin auf der Bühne genug zu sehen: 20 Musiker und 70 Chorsänger- und Sängerinnen.

Und Sie an den Keyboards!
Das lasse ich mir natürlich nicht nehmen, obwohl ich mich bewusst nicht in den Vordergrund drängen will.

Einen Ihrer besten Scores schrieben Sie zu Terrence Malicks außergewöhnlichem Antikriegsfilm „The Thin Red Line“. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem genialen Regisseur, der wie einst Stanley Kubrick ein ausgeprägtes Musikverständnis hat?
Es kam dazu, weil wir uns einfach schon vorher gekannt haben. Terry hatte sich 20 Jahre nach Days of Heaven entschlossen, wieder einen Film zu machen. Er brauchte ein Büro und ist einfach bei uns ins Tonstudio eingezogen! Er mochte es, dass wir dort Dinge ausprobieren und umsetzen, und eben nicht nur grübeln. Was kaum einer weiß, weil er diese Musik selten in seinen Filmen einsetzt: Er ist ein großer Rock-’n‘-Roll-Fan und liebt Heavy Metal! Wir sprachen ein Jahr über das Konzept der Musik, auch über die Stücke, die nicht von mir in The Thin Red Line waren wie die sanft dahinfließenden Klangströme des estnischen Komponisten Arvo Pärt. Er wollte auch Teile aus Richard Wagners „Rheingold“ verwenden – und ich war größenwahnsinnig genug, um ihm zu sagen: „Das kann ich noch besser machen!“ Es war sehr lustig für mich, später in seinem Film The New World die gleiche „Rheingold“-Aufnahme zu hören, die er mir Jahre zuvor immer wieder vorgespielt hatte. Wir hatten wirklich ernsthafte Auseinandersetzungen über Musik miteinander. Doch Terry gab sich versöhnlich und sagte: „So, wie wir miteinander sprechen, können das nur Brüder tun!“

Würden Sie gerne noch einmal mit ihm zusammenarbeiten?
Ich glaube nicht, dass es nochmals passiert. Er kümmert sich um alles, sucht seine Schauspieler selbst aus. Er sucht sie sogar nach ihren Stimmen aus. Für The Thin Red Line war ich eine gute Wahl. Für Days of Heaven war es Morricone. Ennio arbeitet gerade wieder mit ihm, doch ich denke, dass es seinen Vorteil hat, wenn man nicht immer wieder mit dem gleichen Team zusammenarbeitet. Auch wenn ich meine Stammmusiker habe, setze ich immer wieder gerne einen Neuen ein, um einen unerwarteten Effekt zu erzielen.

Mit Christopher Nolan und Ridley Scott arbeiten Sie aber immer wieder zusammen.
Natürlich freut es mich, wenn sie mich immer wieder als Filmkomponist einsetzen. Der Entwurf für Gladiator war komplett anders als der fertige Film. Wenn man einen Roman liest, entwickelt jeder für sich seinen Film im Kopf. So ist es auch bei mir, wenn ich vorab ein Drehbuch lese, um die Filmmusik zu schreiben. Ridley ist fantastisch, weil er einem beim Gespräch immer die Szenen vormalt. Am Ende der Konversation hast du ein Comic-Buch vor dir! Und er dreht exakt das, was er vorher gezeichnet hat.

Sie haben auch Musik für Kinderfilme wie Lauras Stern geschrieben. Ich habe damals nach den Eindrücken meiner kleinen Tochter eine Rezension geschrieben, weil ihr der Soundtrack so gefallen hat.
Das ist eines der schönsten Komplimente, das ich je bekommen habe! Ich schreibe für Kinderfilme die Musik, weil ich selbst Kinder habe. Wie alle Väter spreche ich gerne über sie. Schon als sie noch ganz klein waren, wollten sie immer mit zur Premiere: „Daddy, wo gehst du heute hin?“ „Ich gehe zur Premiere von True Romance.“ „Das klingt lustig, da will ich mit!“ „Nein, da kannst Du nicht mit…“

Schreiben Sie die Musik mit dem gleichen heiligen Ernst wie Sie es für ein erwachsenes Publikum tun?
Natürlich. Den König der Löwen habe ich für meine Tochter, die damals fünf war, geschrieben. Und auch für meinen verstorbenen Vater. Man sollte die kindliche Wahrnehmung stets ernst nehmen – bei allem Spaß, den die Disney-Filme machen. Der im afrikanischen Tierreich spielende Zeichentrick-Film hat ja auch eine tiefe Botschaft – das Andenken des Vaters zu bewahren. Der König der Löwen ist ein sehr ernsthafter Score, wenn man von den spaßigen Parts eines Elton John einmal absieht. Ich habe ja ein regelrechtes Requiem im Mittelteil geschrieben. Zur Premiere von Der König der Löwen nahm ich natürlich meine Tochter mit.

Könnten Sie sich vorstellen, auch für einen „Star Wars“-Film den Soundtrack zu komponieren, falls das John Williams einmal nicht mehr machen würde?
Nein, dazu bin ich zu sehr Fan! Ich will den neuesten John-Williams-Score hören, genauso verhält es sich mit Morricone. Obwohl ich mit klassischer Musik aufgewachsen bin, habe ich bis auf  Bernard Herrmann und Ennio Morricone nicht viel mit Filmkomponisten der alten Generation am Hut. Die beiden aber liebe ich. Ennio macht mich immer wieder neugierig. Es bereitet mir Freude, Filmmusik zu schreiben, aber es ist auch anstrengend, selbst bei Blockbustern wie Batman v Superman: Dawn of Justice, den ich zusammen mit dem niederländischen DJ Tom Holkenborg fertiggestellt habe.

Benutzen Sie beim Komponieren noch Notenpapier?
Nein, ich schreibe alles am Computer. Ich glaube, wir leben mittlerweile im 21 Jahrhundert. (lacht)

Was sind neben der Tour Ihre nächsten Projekte?
Ich bin derzeit mit Inferno, dem dritten Teil des „Da-Vinci-Code“, beschäftigt. Eigentlich wollte ich noch nicht darüber sprechen, aber es wird ein komplett analoger elektronischer Soundtrack – fast ein musikalisches Geschichtsbuch des Synthesizers.

Sie sind in Frankfurt am Main geboren. Können Sie noch babbeln wie ein „hessischer Messerstecher“, und sind Sie Fan von Eintracht Frankfurt?
A bissi kann ich noch babbeln, und die Eintracht verfolge ich aus der Ferne. Ich bin natürlich schon lange in den USA, aber wenn man mich auf meine hessischen Wurzeln anspricht, kommen natürlich Erinnerungen in mir auf, und ich werde sehr emotional. Es ist jedenfalls immer für mich schön, nach Deutschland – wenn auch nur für kurze Zeit – zurückzukommen.

Hans Zimmers Europa-Tournee 2016 begann am 6. April in London und endet am 5. Juni im französischen Orange. In Österreich hat er zwei Auftritte: in Graz (12. Mai, Stadthalle Graz) und in Wien (13. Mai, Wiener Stadthalle, Halle D, jeweils 20 Uhr).