Im Wiener Konzerthaus verbinden sich Musik- und Filmerlebnis auf höchstem Niveau: In der Saison 2011/12 mit Einblicken in Chaplins Großstadtleben, in die Schrecken des Ersten Weltkriegs und in das Reich der echten Biene Maja.
Die tragische Geschichte vom ewig unzufriedenen Gelehrten ist nicht nur ein Klassiker des Deutschunterrichts, sondern auch der deutschen Filmgeschichte: 1926 drehte Friedrich Wilhelm Murnau, nach Nosferatu (1922) und Der letzte Mann (1924) damals bereits Regisseur von Weltrang, mit Faust – Eine deutsche Volkssage den letzten Film, bevor er dem Ruf nach Hollywood folgte. Sein Faust folgt dem traditionellen Stoff aus dem 16. Jahrhundert, übernimmt aber auch Elemente der Dramatisierungen von Marlowe und Goethe und hält entgegen der Überlieferung ein erlösendes Happy End bereit. Mit seiner „entfesselten Kamera“ löste Murnau die düstere Geschichte in einen Reigen artifiziell-expressionistischer Bilder auf: Der Film besticht durch eindringliche visuelle Gestaltung in extremen Licht-Schatten-Kontrasten, Spezialeffekten und aufwändigen Studiokulissen. Bleibenden Eindruck hinterlässt etwa die eigentlich recht simpel gelöste Darstellung Mephistos (gespielt vom unnachahmlich unheimlichen Emil Jannings), wenn er als Todesengel die Pest über eine Stadt bringt. Analog der Stoffcollage des Drehbuchs kompilierte und komponierte Tobias Schwencke für die diesjährigen Salzburger Festspiele aus mehreren hochromantischen „Faust“-Vertonungen einen neuen Soundtrack für den Film. Musik etwa von Schumann, Wagner, Liszt und Mahler erklingt damit in neuem Kontext und in zeitgenössischer Besetzung: Die Streicher des Hamburger Ensembles Resonanz werden ergänzt durch Trompete, E-Gitarre und Hammond-Orgel – man darf also auch auf auditive Spezialeffekte gespannt sein.
Ein Klassiker der internationalen Filmgeschichte wird im Dezember gezeigt, wenn Charlie Chaplin in die Rolle des Tramp schlüpft und sich zwischen allerlei Großstadtabenteuern in ein blindes Blumenmädchen verliebt. City Lights gilt als ein Höhepunkt von Chaplins Filmschaffen, dessen Fertigstellung über zwei Jahre dauerte und der dennoch nichts an tragikomischer Leichtigkeit vermissen lässt. Als der Film 1930 entstand, war die Ablöse des Stummfilms durch den „talkie“ bereits voll im Gange; eine schwierige Situation für Chaplin, der mit dem Tramp einen bei Zuschauern auf der ganzen Welt beliebten Charakter geschaffen hatte und sich nun mit dem Problem konfrontiert sah, dessen universelle Wirkung durch den Einsatz der amerikanischen Sprache zu beeinträchtigen. Schließlich machte er sich die Möglichkeiten des Tonfilms auf eigene Art zunutze: Chaplin, der schon bei früheren Filmen viel Wert auf die passende Musikbegleitung gelegt hatte, drehte wie gewohnt einen klassischen Stummfilm, integrierte auf der Tonspur aber natürliche Geräusche aus den Szenen und einen fertigen Soundtrack. Erstmals komponierte und orchestrierte das Multitalent Chaplin dabei mithilfe eines Arrangeurs die gesamte Filmmusik selbst, die von Timothy Brock in einer möglichst originalgetreuen Fassung restauriert wurde und im Konzerthaus vom ORF-Radio-Symphonieorchester Wien aufgeführt wird.
Das Klagenfurter Ensemble Filmharmonie, das seit mehreren Jahren Filmkonzerte veranstaltet, hat im März 2012 seinen ersten Auftritt im Wiener Konzerthaus. Die Musik für den äußerst raren Film Die Biene Maja und ihre Abenteuer aus dem Jahr 1926, die bei dieser Gelegenheit zu hören sein wird, folgt der traditionellen Stummfilmmusik und stammt von dem jungen Niederösterreicher Florian C. Reithner. Bemerkenswert an dieser ersten Verfilmung des beliebten Kinderbuchs von Waldemar Bonsels ist, dass – ganz ohne Animation – sämtliche Rollen von echten Insekten gespielt wurden; ein Bienenvolk und verschiedene andere Kleintiere wurden dazu von Regisseur Wolfram Junghans 21 Monate lang in eigens gebauten Terrarien gehalten und gefilmt. Der volkspädagogische Hintergrund des Filmes ist natürlich kaum zu übersehen; Zwischentitel erzählen und interpretieren die Geschichte, illustriert von „realistischen“ Szenen aus dem Leben des fleißigen und disziplinierten Bienenvolks. Den obligatorischen Hinweis, dass bei diesem Film keine Tiere zu Schaden gekommen seien, wird man im Abspann allerdings vergeblich suchen: Für den Kampf zwischen Bienen und Hornissen etwa musste ein Schwarm Hornissen zuerst ausgehungert werden, um dann mit der dramaturgisch notwendigen Aggressivität vor laufender Kamera auf die Bienen loszugehen. Immerhin dürften die so motivierten Laiendarsteller ihre Wirkung nicht verfehlt haben, da ein zeitgenössischer Kritiker die Spinne und den Mistkäfer sogar mit den Stummfilmstars Asta Nielsen und Emil Jannings verglich.
Während die Biene Maja und ihre sitt- und arbeitsamen Verwandten recht gut in das gesellschaftliche Konzept der Weimarer Republik passten, hatten es Verfilmungen realer politischer Ereignisse deutlich schwerer: G.W. Pabsts Westfront 1918 über das Schicksal von vier Infanteristen im Ersten Weltkrieg konnte 1930 gerade noch regulär in den Kinos gezeigt werden, die ein halbes Jahr später anlaufende Hollywood-Verfilmung von Erich Maria Remarques Antikriegs-Klassiker „Im Westen nichts Neues“ war dagegen von Anfang an Störaktionen der erstarkenden Nazis und heftigen politischen Kontroversen ausgesetzt. Schließlich wurde sie – trotz vorauseilender Selbstzensur – wenige Tage nach dem Kinostart in Deutschland vorläufig und nach der Machtergreifung Hitlers endgültig verboten. Auch die meisten anderen am Ersten Weltkrieg beteiligten Staaten untersagten die Vorführung des Films, der vom Verlust jugendlicher Ideale angesichts der Sinnlosigkeit des Stellungskriegs erzählt, aufgrund seiner „einseitigen Darstellung“ des Kriegsgeschehens (in Österreich wurde das Verbot erst zu Beginn der Achtziger Jahre offiziell wieder aufgehoben). Das Original des aufgrund dieser Kontroversen mehrmals gekürzten und abgeänderten Films ist kaum zu rekonstruieren, es existierte aber auch noch eine Stummfilmfassung, die Universal gleichzeitig für die eigenen, noch nicht auf Ton umgestellten Kinos produziert hatte. Sie wird als Abschluss des Zyklus am 10. Mai 2012 zu sehen sein, begleitet vom Stummfilm-erprobten ensemble KONTRASTE mit der neu komponierten Filmmusik von Manfred Knaak.