In den letzten zwei Jahrzehnten galt die Republik Korea als das neue Film-Wunderland. Der Ruhm ist etwas verblasst, doch inmitten von Genre-Routine und eigenwilligem Autorenkino blitzen immer noch filmische Juwelen.
Das Kino der Republik Korea erfährt immer noch eine Menge zustimmender Aufmerksamkeit von internationalen Kritikern, Festivaldirektoren und Filmliebhabern. Ein Teil dieses Interesses ist sicherlich ein Relikt aus jener Zeit, als das Neue koreanische Kino vor nunmehr auch schon 20 Jahren seinen Durchbruch feierte und das Land als Ort der filmischen Revolution mit einem unvorhersehbaren und aufregenden Potenzial etablierte. Doch das Neue koreanische Kino ist jetzt schon ein bisschen alt geworden, vielleicht ist es auch schon gestorben – oder, um es in den gewählten Worten des Korea-Filmexperten Darcy Paquet auszudrücken: „Einige wichtige Aspekte des Neuen koreanischen Kinos haben 2006 ihren sinnvollen Abschluss gefunden.” Es waren jene Aspekte, die Korea zu einem romantischen Ort für Filmliebhaber machten – in Paquets Worten: „die Kombination von aufregenden neuen Talenten, Risikobereitschaft, schneller Veränderung und rasch wachsenden Ambitionen.”
Auch wenn Südkorea nicht mehr dieser mythische Ort wie noch in den späten Achtziger und Neunziger Jahren ist: Sein Filmschaffen ist doch noch immer etwas mehr als bloß ein „nationales Kino“ unter vielen. Korea ist eines der wenigen Länder auf der Welt, in dem die nationale Filmindustrie am Ende des Jahres von sich behaupten kann, Hollywood an den Kinokassen übertrumpft zu haben. Koreanische Filme sind weiterhin ein solides Exportgut, besonders auf den Märkten Südostasiens, obwohl diese Erfolge alljährlich eher von den nicht vorhersagbaren Resultaten eines oder zweier Blockbuster abhängen als von einem kontinuierlichen Output an mittelständischen Filmen. Korea beherbergt in Pusan Asiens bedeutendstes Filmfestival und dazu eine große Anzahl kleinerer Festivals, darunter Jeonju, eines der angenehmsten und am besten programmierten Filmevents der Welt.
Kommerz vs. Arthouse
Wie das nationale Filmschaffen in anderen Ländern auch, ist das Kino Südkoreas zweigeteilt: Auf der einen Seite steht der kommerziell orientierte Mainstream mit unermüdlichen Wiederholungen bewährter Erfolgsformeln und gekünstelten, knalligen Genre-Mutationen – die Markenzeichen eines Kinos, das nicht aufhören kann, Hollywood (oder in dessen Glanzzeiten: Hongkong) zu imitieren. In den letzten beiden Jahren wurden die koreanischen Leinwände von solchen Filmen dominiert wie Tidal Wave (2009), einem aufwändigen Katastrophen-Blockbuster, Woochi: The Taoist Wizard (2009), einer CGI- und Martial-Arts-Fantasie für Teenager, und, interessanter als die beiden, Secret Reunion (2010), einem cleveren, wenngleich hohlen Update der Formel, die sich vor rund zehn Jahren als besonders gewinnträchtig erwiesen hatte: Spannungen zwischen Nord- und Südkorea hatten schon die Mega-Hits Shiri (1998) und Joint Security Area (2000) als Hintergrund für Action, Melodrama und Romantik benutzt.
Auf der anderen Seite des Zauns findet sich das Autorenkino. In Koreas Filmindustrie gilt die kreative Letztkontrolle durch den Regisseur als essenzieller Teil des Systems. Angesichts der kürzlich erfolgten oder demnächst bevorstehenden Veröffentlichung von Filmen der bedeutendsten Regisseure lässt sich die autorenfreundliche Orientierung des koreanischen Kinos deutlich beobachten. Wie in seinen früheren Arbeiten beschäftigt sich Hong Sang-soo (Interview mit Hong Sang-soo) in seinem Spielfilm Hahaha (2010) und im Kurzfilm Lost in the Mountains (2009) mit Menschen, die blockiert und isoliert sind. Nicht nur die Hauptfiguren, fast alle seine Personen kommen mit der Realität nicht klar und stehen unter dem Zwang, gegen ihre eigenen Interessen zu handeln. Hongs Protagonisten sind Menschen, die den Schlüssel für das Mysterium suchen, das sie für sich selbst darstellen – daher auch das surrealistische Element in seinen Filmen. Hahaha erzählt von einer Fremdenführerin, die als Antwort auf die Frage eines Mitglieds ihrer Reisegruppe in einen langen Monolog verfällt, der immer schärfer und bissiger wird, je mehr sie von einer Art innerem Dämon angestachelt wird. Hongs Kamera isoliert sie in einer Serie kurzer Zooms, wie sie in letzter Zeit zu einem seiner stilistischen Markenzeichen geworden sind. Hongs Zoom ist eine Art Zeichensetzung, wie ein schnell hingesetzter Strich, der die kinematografische Syntax vorantreibt, sich sozusagen auf sie lehnt und sie näher an eine Lösung herantreibt, die allerdings nie erreicht wird. Hong, der heuer mit Hahaha den Hauptpreis der Reihe Un Certain Regard in Cannes gewonnen hat, stellte kürzlich beim Festival in Venedig einen weiteren neuen Film vor: Oki’s Movie sind vier ohne Drehbuch oder Treatment improvisierte Kurzfilme, zu einem langen verwoben.
Poetry (2010) ist ganz in Regisseur Lee Chang-dongs erkennbarem Stil gehalten: virtuos inszenierte Szenen, die sowohl das Chaos als auch das versteckte Unbehagen am alltäglichen Leben aufzeigen. Lee erzählt die Geschichte einer älteren Frau, die sich spät in ihrem Leben aufmacht, einen neuen Weg zu beschreiten, indem sie einen Poesie-Workshop besucht. Der Film entfaltet sich eher gemächlich, seine Stimmungen variieren zwischen Trauer und Exaltiertheit, so wie man es von Lees früheren Filmen, darunter Oasis (2002) und Secret Sunshine (2007) kennt.
Mütter und Hausmädchen
Viele Kritiker waren, gemessen an seinen Filmen aus den vergangenen zehn Jahren, von Park Chan-wooks Vampirthriller Thirst (2009) enttäuscht, aber das ist nun einmal quirliges, witziges Entertainment. Die Auswirkungen, die der Vampirismus auf die Hauptfiguren hat, erinnern ein wenig an die euphorischen frühen Phasen der Verwandlung in David Cronenbergs The Fly, und wie Cronenberg ist auch Park sehr geschickt darin, Standardsituationen für Action und Horror zu etablieren, die in einer erkennbaren Realität verhaftet sind. Dennoch sind die Vergnügungen, die der Film bietet, flüchtig: Wirklich eindrucksvoll oder verstörend wird Thirst nie.
Im Gegensatz dazu ist Bong Joon-hos Mother (2009) ein Werk von großem Ernst und von großer Subtilität, die Bong als einen der führenden aktiven Regisseure bestätigt. Der Film beschäftigt sich mit den Anstrengungen einer ein wenig verwirrten Frau, die Unschuld ihres geistig behinderten heranwachsenden Sohnes zu beweisen, als dieser eines Mordes beschuldigt wird. Geistreich, unprätentiös und düster zugleich, ist Mother ein bemerkenswerter Versuch, die Zuschauer mit der Ambiguität der kinematografischen Perspektive zu konfrontieren – mit ihren Beschränkungen, ihren Falltüren und ihrem Status zwischen Sprache und reinem Zeigen.
Während Kim Jee-woons I Saw the Devil (2010) eben erst gestartet ist und man noch auf Hanji, den neuesten Film des großen Veteranen Im Kwon-taek wartet, muss man einen Preis für die größte Enttäuschung von Seiten eines arrivierten koreanischen Regisseurs an Im Sang-soo für seinen sinnlosen Film The Housemaid vergeben. Selbst wenn man ihm den Vergleich mit seiner Quelle, dem gleichnamigen Klassiker von Kim Ki-young aus dem Jahr 1960, erspart (ein Vergleich, der für den jüngeren Regisseur wenig schmeichelhaft ausfiele), ist der neue Film nichts anderes als ein angestrengetes, hohles Spektakel, das sich in einer Art Kunst-Katalog-Stereotyp vom Leben der Reichen und Schönen verstrickt. Keine Szene wird beendet, ohne dass Ims ruhelose Kamera sich so weit von den Figuren enfernt hat, wie die ausladenden Schauplätze es ihr erlauben.
Neue Talente
Das Independent-Kino (es ist in Korea ebenso marginalisiert wie überall sonst auch) bekam durch den außergewöhnlichen Erfolg von Old Partner (2008), Lee Chung-ryouls Dokumentarfilm über einen alten Bauern und seine Kuh, plötzlich ungewohnt viel Öffentlichkeit. Mehrere andere Independent-Filme der jüngeren Zeit waren zwar kommerziell weniger erfolgreich als Old Partner, dafür aber große künstlerische Leistungen. Yang Ik-junes solides Spielfilmdebüt Breathless (2009) handelt von der Freundschaft zwischen einem kleinkriminellen Schuldeneintreiber und einem Mädchen aus der Highschool, das durch ihre angespannte Familiensituation sehr früh bitter geworden ist. Der Film hat eine emotionale Dringlichkeit und eine Schärfe, was seinen Umgang mit der physischen Realität betrifft, die den meisten Filmen, die versuchen, toughe Außenseiter zu sentimentalisieren, abgeht. Noh Young-seoks Daytime Drinking (2008) ist ein stilsicherer und schmerzhafter Bericht über eine Serie von Missgeschicken eines jungen Mannes, der feststellen muss, das er der einzige ist, der die Abmachung einer Gruppe von Freunden, sich an einem entlegenen Badeort zu treffen, eingehalten hat.
Lee Seos Missing Person (2009), ein unheimlicher Film voll von blanker Absurdität, angereichert mit einer Portion Horror, porträtiert den totalen gesellschaftlichen Zusammenbruch anhand der Geschichte eines demoralisierten Immobilienmaklers, der sich in zahlreiche Affären mit Frauen verstrickt, während er einen Mann misshandelt, den er als Sklaven hält. Cho Kyeong-duks Sex Volunteer: Open Secret 1st Story (2009) ist eine faszinierende, vielschichtige Erzählung über eine junge Filmemacherin, die wegen Prostitution in einem Love Motel festgenommen wird. Wie sich herausstellt, gehört sie einem freiwilligen Sex-Service zugunsten Behinderter an.
Mit Sexarbeit und Körperbehinderung beschäftigt sich auch Kim Goks auf Super-8 gedrehter Film Exhausted (2008). Der Regisseur hat eine bewusst abstoßende (um nicht zu sagen, das Publikum aus dem Kino treibende) Studie in Verzweiflung, Verderbtheit und schockierendem Horror gedreht. Abgesehen von seiner bewundernswerten Hingabe an die Ästhetik des Trash ist Exhausted vor allem als Akt der Provokation wertvoll. Das koreanische Kino vermag noch immer zu interessieren, aber wenn es seine Vitalität behalten will, braucht es alles Potenzial zur Provokation, das es nur aufbieten kann.
Chris Fujiwara ist amerikanischer Filmpublizist. Zu seinen Büchern zählen u.a. „Jerry Lewis“, „The World and Its Double: The Life and Work of Otto Preminger“ und „Jacques Tourneur: The Cinema of Nightfall“. Er schreibt für zahlreiche Magazine (u.a. „Film Comment”) und Anthologien und ist Redakteur des Online-Filmmagazins „Undercurrent“ (www.fipresci.org/undercurrent). Er lebt zur Zeit in Tokyo.