Das Internationale Trickfilm Festival Stuttgart feierte sein 30-Jähriges – und vor allem Stop-Motion. Die Jubiläums-Ausgabe bestach mit einer mutigen Film-Auswahl und gedachte des Animationskünstlers Gil Alkabetz.
Also Georgina Hayns nach ihrem Vortrag die Puppe zückt, ist der Andrang bei der Fachkonferenz FMX gewaltig: Pinocchio, seit den Academy Awards nun oscarprämiert, ist ein gerade mal ellenlanger Superheld und die größte Perfektion, die der Perfektionist Guillermo del Toro erschaffen hat. Alle wollen mit ihren Nasen an die bekannteste Nase der Welt heran.
Damit nahm auch die FMX den bildgewaltigen Stop-Motion-Hype mit, der jetzt mit diesem Oscar vielleicht einen neuen Peak erreicht hat (obwohl der Animationsfilm so glatt aussieht, dass man das analoge Handwerk manchmal mit CGI verwechseln könnte; fast ein Paradoxon für so eine gebrochene Figur und Geschichte – und schade um die viele Handarbeit). Denn auch nebenan, in den Gloria Kinos, im Cinema und auf dem Schlossplatz tauchten Publikum und Jury gleichermaßen beim Internationalen Trickfilm Festival Stuttgart vom 24. bis 30.4. in die handgemachten und von Hand bewegten Welten von Stop-Motion ab, erlagen der Faszination – und verliehen gleich drei von ihnen, nämlich Koerkorter, Zoon und Ressources Humaines bei der Preisverleihung die Hauptpreise.
Diese drei sind Filme, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise zeigen, was die Stop-Motion-Technik vermag – und auch, warum sie viele Menschen mehr berührt als andere Animationstechniken, allen voran 3D. Mit dem Grand Prix ausgezeichnet, adaptiert Priit Tender mit Koerkorter ein gleichnamiges Gedicht, nämlich „Dog-Apartment“ von Andres Ehin. Es handelt sich dabei um eine dicht inszenierte Geschichte über das kapitalistische Hamsterrad, in dem die Metaphern wortwörtlich zum Leben erweckt werden – und einen fast auffressen. Dabei begleiten wir einen abgearbeiteten Mann durch seinen tristen Alltag. Seine Morgenroutine: Von einem kläffenden Hund – der mit dem Haus, in dem er wohnt, eine hybride Form eingegangen ist – wach gebellt zu werden, wobei das Haus vibriert und ihn aus dem Bett schleudert. Gott sei Dank besitzt der Mann einen weichen Ganzkörper-Michelin-Anzug (mit praktischer Schnapstrink-Öffnung), der ihn dieses Ritual überleben lässt, bevor er sich aus ihm herausschält und Essen für den Hund besorgen muss. Jeden verdammten Tag, bis an das Ende aller Tage. Endzeitkapitalismus in Reinform liefert Tender da, stilistisch perfekt umgesetzt bis hin zu den bezaubernd klappernden Wimpern ebenfalls unglücklicher Kühe und den Regenschlieren auf dem Auto. Und doch: Tender lässt sich zu einer sentimentalen Backstory hinreißen, die dem Film etwas von seiner tristen Konsequenz nimmt – und die man auch insgesamt im Übrigen als abstoßend pessimistisch empfinden kann.
Ganz anders erzählt Jonatan Schwenk (Porträt auf www.shortfilm.de) mit seinem Zoon von der Absurdität des Menschseins. Den Gewinner des Lotte-Reiniger-Preises kann man als Evolutionsgeschichte „in a nutshell“ betrachten: Kleine lurchige, aus Knete geformte Axolotl hängen schön doof grinsend im Wald rum, umarmen und essen sich, und werden dann wiederum von aufrecht gehenden Stabpuppen-Wesen entdeckt – die sie als psychedelische Delikatesse verzehren, was den Viechern irgendwie herrlich egal zu sein scheint. Sogar fliegen kann man, wenn man einem Axolotl den Kopf abgebissen hat! Aber es ist natürlich nur ein Höhenflug, die reine Hybris, wenn man die Metapher aufs Menschsein überträgt, die Schwenk aber mit so viel Witz und Prägnanz erzählt, dass man erst im Amüsement zum Nachdenken kommt.
Und auch der als bester Studentenfilm prämierte Filz-Stop-Motion-Film Ressources Humaines führt vermeintlichen menschlichen Fortschritt ad absurdum und zwar in nicht einmal vier Minuten: Als AniDoc-Selbstversuch inszeniert, begleitet die Kamera den Protagonisten auf seine Reise in den nächsten Seinszustand – er hat sich entschlossen, ein Stuhl zu werden, nützlich und funktional zu sein. Wir erleben seine letzten Minuten auf einer Häckselmaschine, die Filz-Flusen fliegen um ihn herum, die Beine sind schon fort, nein, für eine letzte Zigarette habe er wohl keine Zeit mehr.
Gerade Ressources Humaines stand im Kontrast zu einem weiteren, hochambitionierten Stop-Motion-Film aus dem Internationalen Wettbewerb: Das Mammutprojekt Salvation Has No Name von Joseph Wallace, der eine Gruppe von unglaublich liebevoll gewerkelten Holzpuppen sowie historisch anmutenden Kaltnadelstichen eine moderne Form von Sodom und Gomorrha inszenieren lässt, Mauerbau durch die Landschaft und Flüchtlingsschicksal inklusive. Dabei changiert der mithilfe von Aardman (sowie produziert von Maisie Williams) realisierte Film immer wieder zwischen Geschichte und Meta-Ebene der Brecht’schen Theaterbühne. Erst ganz am Schluss – und sicherlich für viele Zusehende frustrierend spät – gibt der Film seine Botschaft preis: Dass eigentlich die Flüchtlingsmutter ihre eigene Geschichte erzählen möchte, dass nicht immer nur über sie gesprochen werden soll. Warum, fragte neben mir eine Zuseherin berechtigterweise, sie nicht gleich zur Hauptfigur statt zum Objekt machen, wenn dass das eigentliche Anliegen ist?
Der Internationale Wettbewerb bildete natürlich das Herzstück des Festivals, das in diesem Jahr das 30. Jubiläum mit einer Interimsführung feierte – und er war wild und mutig programmiert. So fanden sich neben den erwähnten Produktionen auch zahlreiche studentische Arbeiten (darunter der beachtliche Stop-Motion-Film The Last Bar von Arne Hain zum Thema Suizid), aber auch Musikvideos wie Irina Rubinas dynamische Animation zu Miles Davis’ „What’s Love Got To Do With It“ in der Auswahl – und auch deutsche Produktionen wie der trashige Birds Whose Legs Break Off von Dirk Verschure, die bei anderen Festivals sicherlich in den studentischen beziehungsweise deutschen Wettbewerben gezeigt worden wären. Überhaupt: Das Programm war dicht und intensiv, da mit einem kleineren Budget als in den Vorjahren kein überbordendes Rahmenprogramm an tausendundeiner Spielstätte auf die Beine gestellt werden konnte. Schön konzentriert wirkte es. Die kostenlosen Schlossplatzscreenings blieben aber Gott sei Dank erhalten, genau wie ein Länderfokus (Südafrika) sowie Sonder- und Kinderprogramme (zum Beispiel zum Thema KI), Talks, Workshops und Masterclasses, aber auch einige In-Persona-Screenings (zum Beispiel mit Fokus auf das Werk von Signe Baumane, Sander Joon und Izabela Plucinska).
Ein ganz besonderes und sehr intim gestaltetes Programm war Gil Alkabetz gewidmet, mit dem die Animationscommunity im letzten Jahr einen großartigen Filmemacher, Professor sowie Freund verloren hat. Es wurden prägende Filme aus seinem Oeuvre sowie studentische Arbeiten unter seiner Ägide gezeigt – und zudem Abschiedsarbeiten, die überhaupt erst zu seinen Ehren entstanden (so genannte Ein-Sekunden-Filme, nach einer von ihm ins Leben gerufenen Lehrformat-Praxis). Da stand sein famoser Rubicon (1997) schon mal neben einem 3D-animierten Film über Rubicon bzw. Alkabetz selbst (What Gil Has To Say, 2023, von Hao Yu). Und sein Debütfilm Bitzbutz (1984), den man als Yin und Yang des Lebens lesen kann und als Hoffnung, dass sich der Pessimismus vielleicht doch durch den Optimismus einfangen lässt, neben dem frechen Megatrick von Anne Isensee, der mit Augenzwinkern zeichnerische Basics sowie die Idee, dass man genau den Film machen kann, den man sich zu Anfang vornimmt, auf die Schippe nimmt. Ein bewegendes Programm, das von bewegten Momenten enger Wegbegleiter*innen eingeleitet wurde.
Die wunderbare Idee, in nur einer Sekunde (oder auch in einem einzigen Bild – ein weiteres Lehrformat, das Alkabetz nutzte) etwas zu sagen, zu erzählen, zu benennen, sie erscheint nicht nur wie ein didaktisches Instrument, Filmemachen zu erlernen, sondern auch als gutes Prinzip in allen (filmischen) Lebensphasen. Denn sollte es nicht im Sinne eines Films, der FIlmschaffenden und des Publikums selbst sein, dass sich eine Idee, eine Stimmung, eventuell eine Botschaft überträgt, ohne diese inhaltlich, technisch oder einfach auch längenmäßig zu überfrachten? Alkabetz’ filmisches und didaktisches Erbe hallt jedenfalls nach und beschäftigt, auch neben den aktuellsten Produktionen des Internationalen Wettbewerbs.