Das Filmarchiv Austria widmet dem im Jänner diesen Jahres verstorbenen Schauspieler und Regisseur, Maler, Schriftsteller und Theatermacher Herbert Achternbusch eine Retrospektive.
Wünsche, Träume, Phantasien, Reales, Erlebtes, Gehörtes, Gelesenes, woraus sich auch immer die Wahrnehmung eines Menschen zusammensetzt, werden bei Achternbusch zu Bild und Wort, geschaffen nach eigenen Vorlieben und einem Gestaltungswillen, der zu allem bereit ist und sich keinen Deut schert um Konventionen und Plausibilitäten. Angetrieben von rigoroser Egomanie und einer Phantasie wie eine Waffe, um mit sich und seiner Wirklichkeit fertig zu werden. „Ich kümmere mich lediglich nicht um den Trennungsstrich zwischen meinem Leben und dem Allgemeinen.“ („Die Stunde des Todes“, 1975)
Von den Anfängen zum Gesamtwerk
Im Bayerischen Wald (Breitenbach) bei der Großmutter aufgewachsen, beginnt Herbert Achternbusch nach dem Abitur zu malen und zu schreiben, studiert an den Kunstakademien in Nürnberg und München, heiratet eine Kommilitonin, Gerda Achternbusch, die Kunsterzieherin wird, hat mit ihr, geboren zwischen 1963 und 1968, vier Kinder, und lebt mit ihnen malend und mit Gelegenheitsarbeiten in München, Starnberg, Gauting, und ab 1975 in einem ehemaligen Wirtshaus in Buchendorf. Erste Veröffentlichungen von Radierungen in der Eremiten-Presse (1964), von Gedichten in der Zeitschrift Akzente. 1969 erscheint im Suhrkamp-Verlag das erste einer Reihe nun regelmäßig erscheinender Bücher: „Hülle“. 1971 beginnt mit den Bänden „1969“, „Die Alexanderschlacht“ und „Die Atlantikschwimmer“ die Edition einer Ausgabe, in der Drehbücher, Briefe, Fotos etc. zu einer Art Gesamtwerk montiert werden; in den Achtzigern folgen illustrierte Filmbücher sowie Aquarelle und autobiographische Texte.
Erfahrung mit Schmalfilmen hatte Achternbusch bereits, als er 1973 Werner Herzog, für den er das Drehbuch zu Herz aus Glas (1976) schrieb, Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta kennenlernte. Motiviert durch seine Rolle als Lehrer in Schlöndorffs Übernachtung in Tirol (1973), entwickelte er daraufhin das Drehbuch für seinen eigenen ersten Spielfilm, Das Andechser Gefühl (1974), den Schlöndorffs Firma Bioskop-Film produzierte.
Total Filmmaker
Seither drehte er als sein eigener Autor, Regisseur, Hauptdarsteller, Produzent und teilweise auch Verleiher – ein „total filmmaker“ – Filme, die er inhaltlich wie stilistisch aus seinen Prosatexten entwickelte und die – wie auch Aufsätze über andere Filmemacher wie Kurosawa, Valentin, Fassbinder und Herzog – in sein stetig wachsendes Gesamtwerk eingingen. Seine Filme produzierte Achternbusch mit einem relativ festen Team Befreundeter und Darstellerinnen: Annamirl Bierbichler (spielt die zentralen weiblichen Rollen neben Achternbusch zwischen dem 1976 entstandenem Bierkampf und Ab nach Tibet, der 1994 im Forum der Berlinale uraufgeführt wurde) und ihr Bruder Sepp (er lernte den Filmemacher 1976 über eine gemeinsame Wohngemeinschaft kennen), die über Jahre hinweg in Achternbusch-Filmen auftraten, neben Heinz Braun, Gabi Geist sowie Ehefrau Gerda und den gemeinsamen Kinder. Im technischen Team ist Jörg Schmidt-Reitwein, u. a. auch Kameramann von Werner Herzog und Alexander Kluge, bis zum Film Wanderkrebs (1983) eine Konstante. Tabuverletzungen, Skandale und Zensurbestrebungen von Kirche und Politik verschafften Achternbusch über den Kreis der Eingeweihten und Fans seines Werks hinaus Publicity, als „anstößig“ beanstandete Passagen wurden bei TV-Ausstrahlungen geschnitten, 1981 protestierte der Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks gegen die Ausstrahlung von Servus Bayern (1978); 1983 löste Das Gespenst (1982), ein tragikomisches Passionsspiel um einen Christus, der von seinem Kreuz herabsteigt, um der Oberin in der Klosterbar ein guter Ober zu sein, und als „Himmelsbräutigam“ mit ihr durchs dumpfe Bayern wandert, eine weitreichende Affäre aus, in deren Verlauf es zu willkürlicher Verweigerung von zustehenden Fördergeldern durch den Bayerischen Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) kam, zu Beschlagnahmungen von Filmkopien und Protesten der katholischen Kirche wegen des Vorwurfs der Blasphemie. Dieser Fall ist als Versuch, eine kulturpolitische Wende in der BRD, zumal nach dem Regierungswechsel, einzuleiten, in die deutsche Mediengeschichte eingegangen.
Das imperiale Gesetz dieser Welt
„Früher hat man einen Bachlauf nicht verstanden, heute wird er begradigt, das versteht ein jeder. Ich kann mich eines schlängelnden Bachlaufs nicht bedienen zur Begradigung. Warum ertragen die Weltbayern meine Filme nicht? Weil sie sie angeblich nicht verstehen, weil meine schlängelnden Filme nicht in ihre begradigten, in ihre sanierten Hirne passen… Das imperiale Gesetz dieser Welt ist Verständnis. Jeder Punkt dieser Welt muss von jedem anderen Punkt dieser Welt aus verstanden werden. Das hat zur Folge, dass jeder Punkt auf der Welt jedem anderen gleichen muss.“ (Achternbusch) Kein anderer hat den Filmemacher, Schriftsteller und Maler Herbert Achternbusch in seiner Anklage unfreiwillig so bestätigt wie der deutsche Bundesminister des Innern, Friedrich Zimmermann: „Film ist nach seiner Idee ein Kulturinstrument für viele. Im Prinzip muss er daher darauf angelegt sein, große Zuschauerzahlen zu erreichen, breite Kreise der Bevölkerung teilnehmen zu lassen. Dies gilt auch für den kulturell relevanten Film.“ Ein Lehrstück, wie Anfang der achtziger Jahre ein Minister an Achternbusch die Grenzen der Kunstfreiheit testete, an dem damals produktivsten und kompromisslosesten unter den deutschen Filmemachern aus dem Umfeld des „Neuen Deutschen Films“, markiert der Fall Das Gespenst für die politische Kultur der Ära Kohl in der Bundesrepublik; die Kollision zwischen Achternbusch und Zimmermann, ausgelöst durch Das Gespenst und das Drehbuch zu dem Film Wanderkrebs, ist exemplarisch für die Feindschaft zwischen der Macht, die auf Erhalt, und einer Kunst, die auf kritische Erkenntnis und eine Überwindung des erstarrten Status quo gerichtet ist. „Das Geplärr um die Freiheit der Kunst interessiert mich nicht, und was ein Paragraph ist, ist eh gestorben“, schrieb Achternbusch, und hörte nicht auf, auch ohne Geld oder mit dem Geld aus seinen Theatertantiemen oder Bilderverkäufen einen Film nach dem anderen zu produzieren, einfache Filme, „arme“ Filme eines radikalen Poeten, abseits nun von öffentlichen Subventionen, Staats- oder bedeutenderen Fernsehgeldern. In seinem Drehbuch zum Herzog-Film Herz aus Glas hatte Achternbusch es so dargestellt: Der Mühlhias, der Seher aus den Bergen (Bierbichler), der apokalyptische Visionen empfängt, wird verantwortlich gemacht für das Unheil, das er eher als die anderen gesehen und warnend beschrieben hatte. Schon in der Antike haben Machthaber die Boten von Unheil hinrichten lassen; oder auch: Kündigt sich ein Erdbeben an, schlägt man auf die Seismographen ein. Von Bayern als Region des Unheils sind Achternbuschs Filme nicht zu trennen.
Erfindung des Films für die eigenen Zwecke
Was alle Filme des Autors Achternbusch eint: Sie bringen diesen selbst zur Sprache, sind „mit einem großen Ich geschrieben“. (Georg Seeßlen) „Das Ich ist ein wildes Tier“ lautete 2008 der Titel einer Münchener Achternbusch-Ausstellung, in der man neben den valentinesken Aphorismen wie „Nix ist besser als gar nix“ oder „Du hast keine Chance, aber nutze sie“, die heute auch Leuten einfallen, die noch nie den Namen Achternbusch gehört haben, lesen konnte: „Kunst kommt von kontern, nicht von können.“
Man muss auch das Ego- und Monomanische in sich selbst mögen, um Achternbuschs Werk goutieren zu können. Jedenfalls kann jeder in solches exemplarisch freie Reden des Künstlers hineingehen und ebenfalls Ich sagen, auch wenn auf das Grandiose der Kalauer folgt und jeder Moment ästhetischer Erhabenheit vom Autor fast kindisch zusammengehauen, etwa eine Einstellung skrupellos geschnitten werden muss. Dieser Autor in all seiner Impertinenz, dessen Filme zu verstehen man eher die Kunst heranziehen sollte anstatt Kinomaschine und Cinephilie, hat sich das Kino für seine Zwecke erfunden, aus Literatur entstanden und zu Literatur geworden, was nach einem elementaren Gleichnis allen künstlerischen Lebens klingt. So unterschied er sich maßgeblich vom „literarischen Film“ seiner Zeitgenossen.
Aufbrüche, Fluchten und Verwandlungen
Der schlimme Mittelpunkt der Welt ist Bayern, der Biertisch, an dem einer wartet, der Tisch daheim in der Familie, mit der Frau, von der die Klagen kommen, und rundum die eigene Enge eine davon abgesetzte, schön anzuschauende Landschaft. Bayern sei das Land, das ihn kaputtgemacht habe, so der Grundton bei Achternbusch, und er bleibe da, bis man Bayern das ansähe. Doch geht es immer wieder um Versuche von Aufbruch und Flucht – von Andechs in die Welt („Das Andechser Gefühl ist ein Gefühl, dass wir nicht allein sind. / Das Andechser Gefühl ist ein Gefühl, dass wir eine Zukunft haben.“ Achternbusch); einfach hinweg in Die Atlantikschwimmer, oder in Servus Bayern (1978) die Flucht des Dichters nach Grönland, wo er das wirkliche Bayern entdeckt und einmal wie Goethe in der Campagna auf dem berühmten Bild Tischbeins aufgenommen wird, nach Italien und nach Ägypten, in die Mongolei und nach Texas, nach Japan, China in späteren Filmen, allesamt Reise-Filme, die aber von Bayern nicht loskommen. „In Bayern mag ich nicht einmal mehr gestorben sein.“ Jegliche Form der Verwandlung wird einfach vollzogen in diesen Filmen, die Kostümierung ist minimalistisch, doch ausreichend: Eine Feder, eine Decke, ein Helm oder ein bisschen Klopapier reichen aus zur vollständigen Verwandlung. Die Trennung von der Mutter durch die Geburt wird wettgemacht, indem sich Achternbusch in die Mutter verwandelt, in Die Atlantikschwimmer (1976) oder Die Olympiasiegerin (1983), hier hat die Mutter für einen nicht zu Ende geborenen Sohn alle Träume verloren. Also muss das ungewollte Kind sich um die eigene Geburt kümmern, bringt sich aus dem Uterus und dem Kino heraus, so dass am Schluss nicht „Ende“, sondern „Anfang“ steht, ein Tod, der eigentlich eine Geburt ist.
Das Unmögliche darstellen
„Du hast keine Chance, aber nutze sie“, ruft Achternbusch zu Beginn des Films Die Atlantikschwimmer (1975) seinem Saufkumpanen Heinz zu, als der sich in selbstmörderischer Absicht in ein Isarwehr stürzt. Heinz nutzt die Chance, und erst später beschließen sie, Atlantikschwimmer zu werden. Unter dem Titel „Das Unmögliche kann man nur darstellen“ (Frankfurter Rundschau, 9.8.1976) hatte sich der Schriftsteller Martin Walser darüber geäußert, wie Achternbusch seine Mutter, eine Schwimmlehrerin, darstelle und gleichzeitig ihren Sohn spiele, der ihr durch Atlantiküberquerung würdig würde, wobei der Atlantik uterine Qualitäten bekäme – „Und dazu sieht dieser Herbert aus wie einst Charlie Chaplin, macht ein Gesicht wie Buster Keaton, spricht wie Karl Valentin unter Brecht-Regie und inszeniert, als wolle er nach einem Drehbuch von Isaak Babel den James Ensor übertreffen. / Ich will nicht sagen, dass es schön wäre, wenn Achternbusch im Film Schule machen würde. Das wäre wahrscheinlich entsetzlich. Aber es ist auch entsetzlich, wenn in einer filmfreudigen, von Fernsehproduktionen überfluteten Zeit ein solches lyrisches Genie am äußersten Rand der Bildfläche als bayrischer Groteskkaspar gehandelt wird.“ Eine verlässliche Grenze zwischen Realität und Traum, einer Zeit und einer anderen, wird man in Achternbuschs Filmen nicht finden, wo doch alles erfunden und inszeniert ist. In einem Niemandsland begegnen sich die Lebenden und die Toten auf einer Ebene der Fiktion. Ein Toter kann aus Stalingrad zurückkehren, so in Heilt Hitler! (1986) und sich in gegenwärtige Dinge einmischen (eine andere Version, den Toten der Geschichte ihr Recht zu verschaffen, aus der Vergangenheit heraus in die Gegenwart zu sprechen, hatte Alexander Kluge in seinem Film Die Patriotin 1979 mithilfe des aus dem Off sprechenden Knies eines getöteten Obergefreiten vorgestellt); die Mumie einer ägyptischen Pharaonin darf ihrem Sarkophag im Museum entfliehen und sich, wie in I Know the Way to the Hofbräuhaus (1991), im gegenwärtigen München bewegen.
„No’ a Maß!“
Die erste Einstellung vom Andechser Gefühl (1974) zeigt Achternbusch, bildfüllend, vor einem Maßkrug. Ein Ahornblatt fällt von einem Baum, und im Bier schwimmen Insekten. „Wenn die Figuren in diesem Film – wie häufig bei Achternbusch – miteinander reden, so tun sie das nur scheinbar und erreichen nur in Ausnahmefällen die angesprochene Person vor der Kamera. Achternbuschs Monologe finden meist als Monologe statt und zielen auf den Zuschauer im Kino. Wenn die Ehefrau ihrem Mann im Biergarten ihren Kummer mitzuteilen beginnt, sagt der nur: ‚No’ a Maß!‘“ (Hans Günther Pflaum) „Pathetisch wölbt sich der blaue Himmel über Suffköpfen und Noagerlpfützen. In langen, meist aus der Hüfte geschossenen Bildern verharrt der Film auf qualvoller Gemütlichkeit. Einmal verschluckt Achternbusch sein Taschenuhr, die ihm aus Versehen ins Bierglas gefallen war. Fast erstickt er an ihr, ganz bleich ist er schon, als er sie ausspuckt. Verwundert starrt er sie an: ,Was, so spät is schon!‘ Ersaufen lässt sich alles außer der Zeit.“ (Wolfgang Limmer, SZ 1975)
Die Welt ist noch nicht erlöst oder „O’zapft is“
Bierkampf (1976), der Oktoberfestfilm: „Zwei Filme sind schon ein Image. Achternbusch hat es geschafft: Er ist der bayerische Bierbarde, der Burroughs der blauweißen Droge.“ (Frieda Grafe, SZ, 11.3.1977) Er hat sich eine Polizistenuniform angezogen und mischt sich mit dem Ruf „Vorsicht! Polizei!“ unters Volk, bewegt sich durch überfüllte Bierzelte, sucht Kontakt und provoziert zugleich. „Oktoberfest, Hölle und Paradies. Mit langen Schritten schleicht Achternbusch durchs Gewühl: Groucho. Liebenswürdig und bösartig listig verschwindet er immer wieder klein am Horizont der langen Biertische: Chaplin. Verwandtschaftsbeziehungen dienen ihm als Mittel, der Sprache hinter ihre Logik zu kommen: Valentin. „Ein wenig wenn sie anders aussähen, könnte ich sie gar nicht mehr erkennen. (…) Wenn der Jux im Bierkampf umschlägt in Ernst, wenn die Mitspieler plötzlich aussteigen und echte Widersacher werden, dann verdrückt der Polizist sich schnell und sucht unter den Biertischen Zuflucht. Mit ängstlich aufgeregten Augen hin- und hergerissen. Die Umgebung bestaunend, die ihn so prägte, so verschieden machte. Aber von allen. Bayern hat ihn ausgesetzt.“
„,Wissen Sie‘, sagt der Sepp am Anfang von Bierkampf (1976): ‚Wissen Sie, ich habe einmal nachgedacht: die Welt ist noch nicht erlöst. Die kann noch gar nicht erlöst sein, weil es sie noch gar nicht gibt: das ist doch nichts.‘ Das, was man vor Augen und Ohren hat, das ist doch nichts, was Welt sein könnte, was sie sein müsste, wenn sie’s wirklich sein sollte“, so Wolfram Schütte (1984): „Was die anderen landläufig unter Realismus verstehen, scheint ihm schmähliches Einverständnis; Realismus heißt dagegen für Achternbusch, was Kluge „Protestenergie“ genannt hat, die so lange nicht verbraucht ist, solange wir nicht tot sind.“