Während aus dem nächtlichen Dunkel die glühenden Augen einer Bestie leuchten, bittet eine Nymphe die Bewohner einer Wohnhausanlage in Philadelphia um Hilfe. M. Night Shyamalans „Lady in the Water“ ist ein weiterer ebenso verstörender wie großartiger Puzzlestein im Werk des Hollywood-Auteurs.
If the sprinklers go off by mistake, you should take notice.
It might mean something. And if you find the water
in your swimming pool is a little bit slimy – then
it definitely means something.
(M. Night Shymalan, Lady in the Water – A Bedtime Story)
Im Werk von M. Night Shyamalan hat alles eine Bedeutung. Ob sich das Wasser im Swimmingpool beinahe unmerklich zu kräuseln beginnt, der Wind über unendlich scheinende Kornfelder streicht oder die Einwohner eines kleinen Dorfes bestimmte Farben verbieten – hier ist nichts dem Zufall überlassen, jedes Zittern eines Blattes im Wald zwingende Notwendigkeit. Doch nie ist die Bedeutung auf den ersten Blick ersichtlich, stets muss sie von den Menschen erfahren und vor allem mit eigenen Augen gesehen werden.
Über die Filme des M. Night Shyamalan schreiben heißt sich ihnen wie einem dreidimensionalen Puzzle nähern. Jedes einzelne Stück, jeder einzelne Film hat hier seinen bestimmten Platz, der nur dann eingenommen werden kann, wenn andere Teile bereits vorhanden sind, oder der sich umgekehrt ständig verändert, wenn man selbst die Perspektive wechselt. Man hat das Gefühl, um diese Filme förmlich herumgehen und sie von allen Seiten betrachten zu können. Wie kleine Zahnräder greifen bei Shyamalan nicht nur die Bilder, sondern auch die Filme ineinander, lesen sich als wechselseitiger Kommentar und wollen als andere Interpretationen der jeweils selben Fragen verstanden werden.
Dieses Bezugssystem folgt jedoch ausschließlich seiner inneren Logik und will weniger interpretiert als zunächst einfach nur erfasst werden. Deshalb gibt es bei Shyamalan auch kein einziges Selbstzitat und sind seine Arbeiten eben kein postmodernes Spiel der Verweise um seiner selbst willen. Sich im Werk Shyamalans auf Spurensuche zu begeben, ist vielmehr der Versuch, eine einzige Geschichte, die hier stets aufs Neue erzählt wird, zu seiner eigenen zu machen. Denn das ist Shyamalans Ziel: jedem Zuschauer sein eigenes Puzzleteil in die Hand zu legen. Shyamalan mag der Baumeister sein, in seinem Kinoverständnis wird der Zuschauer jedoch zum Architekten.
Monster und Missionare
Lady in the Water beginnt mit weißen Kreidezeichnungen auf schwarzem Hintergrund, die, von einer Erzählerstimme kommentiert, von der Geschichte der Menschheit berichten. Doch eigentlich, und damit befindet man sich noch vor dem ersten Bild der Erzählung bereits bei der ersten Abzweigung, schildern sie eine andere Menschheitsgeschichte: Die Menschen und die Wasserwesen, einst vereint, seien vor langer Zeit verschiedene Wege gegangen und hätten einander vergessen, bis eines Tages eine Nymphe die Grenze zwischen den Welten überschreiten würde. Den Menschen kann nicht nur, sondern muss in Shyamalans Augen geholfen werden, und diese Erzählung, angeblich als Gute-Nacht-Geschichte ersonnen, wird nunmehr als Erlösungsgeschichte auf den Weg geschickt. Doch um erlöst zu werden, muss man nicht nur zu-hören können („But men have forgotten to listen“), sondern vor allem glauben.
Zum Beispiel an den Ort des Geschehens und an die Menschen, die ihn bevölkern: Ein stotternder Hausmeister (Paul Giamatti) betreut hier, am Rande Philadelphias, eine Apartmentanlage, in dessen Mitte sich jener Swimmingpool befindet, der als Zentrum des Geschehens zum Ort der schicksalhaften Begegnung wird. Die Nymphe mit Namen Story (Bryce Dallas Howard) wird als Missionarin und Retterin hier das Reich des Wassers verlassen, um der Welt eine Botschaft zu überbringen. Für die Rückkehr ist sie allerdings auf irdische Hilfe angewiesen: Ein Monster von der Gestalt einer Hyäne versucht das Wasserwesen zu töten, und nur Menschen mit bestimmten Fähigkeiten können der Nymphe den Weg zurück ermöglichen.
Damit ist der Geschichte auch schon Genüge getan, und Shyamalan lässt nicht eine Sekunde Zweifel aufkommen, dass er dieses Märchen als unabdingbare Wahrheit verstanden wissen will. Die in die filmische Realität einbrechenden Zeichen nehmen überhand: Verstopfte Abflussrohre, nächtliche Laute, ein sich langsam aus dem Schwarz des Waldes heraus schälendes Etwas. Und immer wieder blickt Christopher Doyles Kamera von oben auf das Apartmenthaus herab, das auf einer Seite offen an den Wald grenzt und den Pool wie ein nach oben blickendes menschliches Auge umfasst. Das oft sprichwörtlich strapazierte Fenster zur Seele – hier dient es als Spiegel für all jene, die Tag für Tag hineinblicken und durch die Nymphe, die ihm entsteigt, zu Sehenden werden.
Diese einigermaßen rohe Metaphorik und die sich daraus entwickelnde Geschichte rund um spirituelle Gruppenbildung, diverse Entschlüsselungen und mythologische Querverweise beschränkt sich jedoch nicht auf das Postulat des Glauben oder Glauben-Lassen. Natürlich – wer hier schon nicht bereit ist, den ersten Schritt mitzugehen (wie die Mehrheit der US-amerikanischen Filmkritik), wird in Folge zunehmend der Verstörung erliegen und die eingestreute Ironie, mit der Shyamalan Lady in the Water durchsetzt, nicht als solche erkennen. Das mag daran liegen, dass Shymalan seit The Sixth Sense in allen seinen Arbeiten keinen eskapistischen Erlösungsfantasien huldigt, wie es in den letzten Jahren zur Gewohnheit geworden ist, sondern zur Zeit wie kaum ein anderer Mainstream-Regisseur um die Teilnahme des Zuschauers an seinem Werk ringt. Die fantastischen Figuren Shyamalans, so es – siehe The Village – am Ende überhaupt welche sind, haben ihre Heimat eben nicht irgendwo in einer fernen Welt, in der Heere auf einander losstürmen und diverse Burganlagen verteidigen. Es sind, wenngleich überzeichnet, reale Menschen, die hier in einer leicht heruntergekommenen Anlage wohnen, Zugsunglücke und andere Katastrophen ohne einen Kratzer überleben (Unbreakable), die Seelen Toter sehen können (The Sixth Sense) oder den Kampf mit Außerirdischen aufnehmen (Signs). Ob es Erscheinungen metaphysischer Art tatsächlich gibt – die Fremden aus dem All, die Toten oder die Werwölfe –, ist am Ende gar nicht von großer Bedeutung: Wichtig sind nämlich immer nur die Reaktionen auf ihr Erscheinen, das Tun und Denken der mit ihnen konfrontierten Menschen selbst. Die oft gestellte Frage nach der „Plausibilität“ in den Filmen Shyamalans und der Vorwurf einer fehlenden solchen führt deshalb auch am Ziel vorbei: Es spielt keine Rolle, ob es möglich ist, dass im modernen Amerika sich ein Dorf in das späte 19. Jahrhundert zurückversetzt und mit einem hölzernen Wall umgibt. Aber es spielt eine Rolle, warum es das tut.
Kraft der Bestimmung
M. Night Shyamalans Filme erzählen immer von einer Kleingruppe oder einem losen Verband, der sich aus unterschiedlichen Gründen zusammen findet und einer Außenwelt gegenüber steht. In Lady in the Water sind dies die aus verschiedenen sozialen Milieus stammenden Mieter, die von ihrem Hausmeister in die Rettungsaktion hineingezogen werden. Je stärker sich dabei die Gesellschaftsstudie – deren bemerkenswerteste Entwicklung im Werk Shyamalans ist hier wohl der Weg vom zweifelnden Individuum zur gläubigen Gemeinschaft – in den Vordergrund drängt, desto schärfer erfolgt die Abgrenzung und Abschottung nach außen, von der abgelegenen Farm über das im Wald versteckte Dorf bis zur völlig isoliert scheinenden Wohnhausanlage am Stadtrand.
Der einzige Kontakt zur Außenwelt ist jener mit den Repräsentanten des uniformierten Rechtsstaats, und doch ist gerade deren Erscheinungsbild Zeugnis ihrer Hilflosigkeit und Unfähigkeit. Der mit einem Hundekäfig bewaffnete Polizist ist in Lady in the Water denn auch der einzige Eindringling in diesen Mikrokosmos – den der Film kein einziges Mal verlässt. Denn weniger als der Konflikt mit dem feindlichen Außen interessiert sich Shyamalan dafür, welche inneren Bewegungen und Kräfte das Bedrohungsszenario freisetzt.
Kaum ein anderer Hollywood-Regisseur hat in den letzen Jahren derart sensibel auf solche Bedrohungen und Krisenszenarien – technische Katastrophen, staatliche Verwundbarkeiten und familiäre Rückzugsgefechte – reagiert wie Shyamalan; und kaum jemand vertraut dabei so vorbehaltlos auf die individuellen Fähigkeiten des Einzelnen. Jede Figur hat in diesem aufeinander reagierenden kleinen und somit beispielhaften System ihre Aufgabe zu erfüllen, auch wenn sie – wie in Lady in the Water – noch nichts davon weiß. Der einem alten Märchen folgenden Rettungsaktion der Nymphe gehören denn auch der „Heiler“, der „Wächter“ und andere archaische Rollen an, die neu übernommen werden müssen. (Und doch wird am Ende der Glaube allein nicht genügen.) Dass die Frau aus dem Wasser gekommen ist, um jemandem, der „schreibt“ (und lange Zeit ist unklar, welches heilige „Buch“ das sein soll) die Bedeutung seiner Schrift für die Nachwelt kundzutun, ist natürlich Mittel, jeden Bewohner des Hauses (und somit uns alle) davon zu überzeugen, dass nicht nur der Glaube an sich selbst zum Ziel führt, sondern auch die individuelle Bestimmung.
Warten auf den Augenblick
Hierin liegt der zentrale Punkt nicht nur von Lady in the Water, sondern im gesamten Oeuvre Shyamalans, der zugleich der für den Autor Shyamalan wohl am schwierigsten zu bewältigende ist. Es ist die Diskrepanz zwischen der Aufforderung, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen und der Einschränkung, einer ewigen Vorherbestimmung zu erliegen. In Lady in Water kommentiert ein neu ins Haus eingezogener Literatur- und Filmkritiker die Geschehnisse aus der scheinbar objektiv-wissenschaftlichen Sicht – und die Strafe für einen solchen „Ungläubigen“ folgt auf dem Fuße. Shyamalan glaubt zwar unbedingt an die Bestimmung des Einzelnen in der Welt, fordert jedoch gleichzeitig das Erkennen eben dieser Einzigartigkeit ein. Wer meint, das Ende der Geschichte zu kennen, sperrt sich in seinen Augen gegen ihre ständige Fortschreibung.
Dieser Ansatz offenbart am Ende auch die nervöse Gespaltenheit des in sich geschlossenen Shyamalan-Systems (so wie auch die Apartmentanlage als ein solches funktioniert): Der Kampf gegen den äußeren Feind führt nämlich zwar über den Weg der Selbstfindung, aber nie zu wirklicher Erkenntnis. So sensibel Shyamalan auf kollektive Ängste und Bedrohungen reagiert, so wenig sind seine Filme dazu angetan, Lösungen zu offerieren: In Lady in the Water genügt es für den „Heiler“, die verletzte Nymphe als Pietà zu umarmen, während es Bestimmung und Macht des „Wächters“ ist, der Bestie – sozusagen als Umkehrung der blinden jungen Frau in The Village – starr in die Augen zu blicken. Starre, also buchstäblich eingefrorene Momente. So wie auch die von Shyamalan geschriebene und wunderschön gestaltete Bedtime Story zum Film damit endet, auf den wichtigen Augenblick warten zu müssen.
You do not need to know all that right now. Just keep an eye out for signs of things in your yard (…) and one day you will do something important for the world.