ray Filmmagazin » Filmkritiken » Last Shelter

Filmkritik

Last Shelter

| Gunnar Landsgesell |
Schillerndes Porträt der Refugee-Bewegung, die in der winterlichen Besetzung der Votivkirche ihren dramatischen Höhepunkt fand.

Ein Kardinal in der Zwickmühle: Christoph Schönborn beschwört die Refugees, die seit Wochen die eisig kalte Votivkirche besetzt halten und nun zu allem Überdruss auch noch einen Hungerstreik begonnen haben, doch vernünftig zu sein. Was, wenn hier jemand stirbt? Dann würde er ins Gefängnis kommen. Ob die drollig klingende Drohung des Kardinals jemand glaubt, lässt die Montage von Last Shelter offen. Klar ist, dass der Kirchenleitung die Flüchtlinge bereits eine Last waren, aber Hilfsbedürftige abzuweisen bot nun auch keine schöne Optik. Zu diesem Zeitpunkt war die erste selbst organisierte Protestbewegung von Flüchtlingen in Österreich längst zu einem öffentlichen Politikum geworden. Über 60 Männer, großteils aus pakistanischen und afghanischen Kriegsgebieten mit geringen Chancen auf Anerkennung hatten sich im November 2012 zu einem Protestmarsch von Traiskirchen nach Wien aufgemacht, um ihre Rechte einzufordern. Der Filmemacher Igor Hauzenberger (Der Prozess) folgte ihnen drei Jahre lang. Daraus ist ein Porträt entstanden, das aus dem innersten Kreis des Geschehens zu berichten vermag, ohne den größeren Blick von Außen zu vergessen. Solidarische Haltung und kritische Distanz sind die unvereinbar klingenden Pole, zwischen denen sich dieser Film bewegt. Zum dramaturgischen Kernstück wird die besetzte Votivkirche, die, wie es ein Flüchtling ausdrückt, zum „Last Shelter“ wird. Die Bilder aus dem mächtigen Kirchenschiff erinnern mit ihrem düsteren Licht und den geradezu malerischen Qualitäten, die das Matratzenlager und die vermummten Gestalten hier preisgeben, an Gemälde von Goya. In der vielleicht kritischsten Phase dieser Odyssee lässt der Film überraschende Momente von Humor aufblitzen. Die täglichen Übungen eines Organisten bezeichnen die temporären Kirchenbewohner als wahre Strafe für sich, und als eine Salzburger Politikerin ihnen am Telefon Unterstützung zusagt, scherzen sie, ihrer Partei werde das sicherlich den Wahlsieg kosten. Die enge Verzahnung von Optimismus und Verzweiflung trägt Last Shelter auch in seiner Erzählstruktur fort, wenn sich Situationen der „Selbstermächtigung“ auf Demos und bei den improvisierten Pressekonferenzen mit Momenten der Ohnmacht abwechseln, in denen die Schutzlosigkeit der Leute deutlich wird. Last Shelter hebt sich aber ganz grundsätzlich durch seine Offenheit von Dokumentarfilmen ähnlicher Thematik ab, die ihr Publikum auf wohlmeinende Weise bevormunden. Wie schon in Der Prozess gelingt es hier, komplexe Geschehnisse zu einer stringenten, dichten Erzählung zu formen. Ein schillerndes, bebendes Kapitel österreichischer Zeitgeschichte, das mühelos selbst den Anschluss zu den jüngsten Entwicklungen an der ungarischen Grenze schafft.