Mit der Netflix-Produktion Texas Chainsaw Massacre wird nun zum neunten Mal die Kettensäge in Texas angeworfen. Ein guter Zeitpunkt, sich dem Klassiker von 1974 und seiner bizarren Franchisegeschichte zu widmen.
Der Plot von Tobe Hoopers Kultfilm The Texas Chainsaw Massacre (1974) ist schnell referiert: Fünf junge Erwachsene fahren im VW-Bus durch die texanische Provinz, wo sie, anstatt des Sees neben dem alten Farmhaus der Geschwister Sally und Franklin, auf eine verödete Landschaft und eine kannibalische Sippe stoßen. Am Ende sterben alle, außer Sally (Marilyn Burns), die blutverschmiert und wild lachend auf der Ladefläche eines Pickup davonfährt, während der ikonische Mörder Leatherface (Gunnar Hansen) unter seiner Maske aus Menschenhaut kreischt und die Kettensäge in der Morgensonne schwingt. Damit war nicht nur der Siebziger-Jahre-Slasher-Film geboren, sondern auch die seither unzählige Male wiederholte Genre-Trope vom „final girl“, also der letzten Überlebenden.
TCM wurde zu einem riesigen Erfolg, und das, obwohl die Produktionsbedingungen nicht vielversprechend waren: Hooper und Co-Autor Kim Henkel rekrutierten ihr Personal aus Nachwuchsschauspielerinnen und -schauspielern, drehten auf günstigem Super-16-Filmmaterial und hatten ein Gesamtbudget von etwa 100.000 Dollar zur Verfügung. Was also macht den als hyperbrutal verschrieenen Streifen, der in Deutschland bis 2011 indiziert war, so besonders? Das Stichwort lautet: Atmosphäre. Hooper schaffte es, die Mühsal der Drehbedingungen – Stress, Hitze, Geld- und Zeitknappheit – in jene verschwitzt-beklemmende Spannung zu transferieren, für die der Film so bekannt wurde. Durchwegs ist da diese schmutzige Fake-Authentizität, angefangen bei der ganz zu Beginn des Films lancierten Behauptung, das Gezeigte beruhe auf wahren Begebenheiten. Der körnig-raue Super-16-Look passt perfekt zu dem trostlosen Texas-Ödland. Dasselbe gilt für das irre Sounddesign, das insbesondere aufgrund eines wiederkehrenden Störgeräuschs berühmt wurde. Der zuständige Tontechniker Wayne Bell nannte diese nervenaufreibende Soundschöpfung übrigens „Stinger“ (Stachel) und verriet nie, wie sie zustande kam.
Genre-Generator „Texas Massaker“
Als wesentliche Wegmarke in der Entwicklung des Horrorfilms war TCM für mehrere Subgenres stilprägend. Für den Slasher-Film setzte Hooper Maßstäbe, und zwar noch einige Jahre vor John Carpenters bahnbrechendem Erfolg Halloween (1978). Außerdem gilt TCM als Grundwerk des Terrorfilms und wird zudem oftmals in die Schublade des Exploitation-Kinos geschoben. Letzteres trifft kaum zu, denn explizite Gewaltdarstellungen sind rar, und Splatter-Szenen à la Herschell Gordon Lewis (Erfinder des Splatter) fehlen völlig. Hooper schuf vielmehr eine Terror-Atmosphäre, und die ist so stickig und nachhaltig ekelhaft, dass man schon beim Abspann meint, man habe ein Blutbad voller Details gesehen.
Und schließlich prägte TCM einen kleinen Seitenarm des Horrorgenres – den Backwoods-Film. Dieser ist sozusagen das Geschwisterlein des Folk-Horror, verkehrt aber dessen Prämisse. Beim Folk-Horror geht es meist um die Begegnung mit Gemeinschaften, die sich in Isolation vor der Modere ihre (magische, unheimliche oder mörderische) Folklore behalten haben – ein brillantes Beispiel dafür ist The Wicker Man (1974) von Robin Hardy. Backwoods-Horror konfrontiert uns nun nicht mit rückwärts gewandten Alternativen zur kapitalistischen Moderne, sondern mit deren vergessenen Rändern, mit der Peripherie, wo das Überholte und Übersehene fort west. Die Killer-Familie um Leatherface ist das Horrorbild dieses Abgehängten; und dazu eine frühe und herrlich respektlose Zuspitzung des Klischees vom wütenden weißen Südstaaten-Hinterwäldlers. Es sind vergessene Männer, die einst Anstellungen im ansässigen Großschlachtbetrieb hatten, bevor die immer effizienter werdenden Tötungsmaschinen der Industrie ihre Arbeit obsolet machte. Jobs und Frauen fehlen; die Figur des Leatherface übernimmt beide Rollen – schlachtet, kocht und umsorgt – und trägt unterschiedliche Masken aus Menschenhaut zur jeweiligen Tätigkeit.
The Texas Chainsaw Massacre hat den verrohten Hinterwäldler im Rahmen einer „apokalyptischen Terroratmosphäre“ (Marcus Stiglegger) neu erfunden und in die Pop-Mythologie eingeschrieben. Keine Darstellung des ländlichen American Nightmare kann seither an Hoopers ikonischen Bildern vorbei.
Franchise des Grauens
Obwohl Leatherface quasi der Opa unter den bekanntesten Franchise-Mördern – Freddie, Jason, Mike Myers – ist, sind doch die Folgefilme nicht annähernd so kohärent wie etwa jene von Nightmare on Elmstreet oder Friday the 13th. So ist bereits der noch von Hooper selbst inszenierte zweite Teil eine Parodie des Stoffs, in der sich ein durchgeknallter Cop (Dennis Hopper) zuletzt eine Art Kettensägenschwertkampf mit Leatherface liefert. Hooper wusste, dass er den spezifischen Horror seines Siebziger-Jahre-Meisterwerks nicht so einfach wiederholen würde können, also entschied er sich dafür, den schrillen Aspekt – der sich im Original in der Dinner-Showdown-Szene Bahn bricht – komödiantisch zu überhöhen. So ist das Versteck der Killer-Familie ein verlassener unterirdischer Vergnügungs-Park, was auch gut als witziger Kommentar zu der schalen Reboot-, Prequel- und Sequel-Logik der Kulturindustrie lesbar ist.
Genau umgekehrt versucht es der fünfte TCM-Film, ein Remake von 2003, das von Michael Bay in Kooperation mit Tobe Hooper und Kim Henkel produziert wurde. Hier setzte man wieder auf den Horror-Aspekt des unheimlichen Wüsten-Texas und schickte die davor hauptsächlich aus der reaktionären TV-Serie 7th Heaven bekannte Jessica Biel als „final girl“ in ein wesentlich expliziteres Gemetzel.
Beide Filme – wie auch alle anderen des Franchise – machen das Original nur noch schillernder, denn die Synthese von schrill und unheimlich wurde trotz Blut, Beuschel und Special Effects nie wieder so eindrücklich erfüllt. Zu den weiteren Prequels und Sequels lohnt es sich kaum, ein Wort zu verlieren. Auffällig ist allenfalls die Manie der Kulturindustrie, ihre eigenen Mythen zu entmystifizieren bzw. zu psychologisieren. So drehen sich etwa The Texas Chainsaw Massacre: The Beginning (2006) und Leatherface (2017) um die Kindheit und Jugend von Leatherface, und Texas Chainsaw 3D (2013) erfindet die Familiengeschichte noch einmal ganz neu für ein hanebüchenes und teilweise sexistisches Spektakel.
In allen Fällen wird der Stoff mit Melodrama, Splatter und zuweilen auch unerträglichem Torture Porn – dies insbesondere im ersten Prequel von 2006 – aufgerüstet. Das schillernde Grauen des ersten Films wird aber gerade dadurch nicht erreicht, sondern lediglich grauenhaft ausgebeutet.
Massaker, aber irgendwie woke
Der nun auf Netflix erschienene neunte Teil des Franchise ist wieder ein Sequel und knüpft direkt an Hoopers ersten Film an. Diesmal fährt eine Gruppe junger Leute in die texanische Provinz mit dem sehr zeitgemäßen Plan, ein verlassenes Dorf zu gentrifizieren. Es handelt sich natürlich um Harlow, den Heimatort von Leatherface. Und natürlich ist der nicht ganz verlassen. Die jungen Entrepreneure Melody und Dante wollen Investorinnen und Investoren in das Dorf locken; Melodys junge Schwester Lila und Dantes Freundin Ruth sind auch dabei.
Jungregisseur David Blue Garcia eröffnet so ein Szenario, in dem Hillbillies auf Gentrifizierende aus der City treffen. Dabei beweist er Witz und ein Gespür für Ambivalenzen, etwa wenn der waffentragende Ober-Texaner Richter sich als doch nicht so übel erweist. Oder wenn der Tankstellenwart ein verächtliches „Gentri-Fuckers“ in Richtung der Jungunternehmer murrt. Dankenswerterweise lässt Teil neun auch sämtlichen biografischen Ballast um die Leatherface-Figur außen vor. Und die Terror-Steigerungs-Allüren der frühen 2000er Filme fallen zugunsten eines eher klassischen – vulgo erträglicheren – Splatter-Slasher-Fests aus.
Aber Garcia versucht etwas zu viel halb-ironischen Bezug zu aktuellen Themen sicherzustellen. Das ist bei der Konföderierten-Flagge im Ortszentrum noch stimmig, beim Sideplot um einen Schul-Amoklauf schon weniger. Beachtlich allerdings: Das erste „final girl“ Sally Hardesty (damals eben Marilyn Burns) bekommt ein kleines Denkmal gesetzt. Gespielt von der coolen Olwen Fouéré kommt sie als Racheengel zurück.
In Sachen Atmosphäre kann dieser Splatter-Action-Spaß freilich nicht an Tobe Hoopers Meilenstein heranreichen, aber er versucht es wenigstens erst gar nicht.