Rund um die Frage, welchen individuellen Wert ein pittoreskes Häuschen auf dem Lande haben kann, arrangiert der zu Unrecht international etwas vergessene französische Regisseur Olivier Assayas eine sehenswerte Familiengeschichte.
Prachtvoll aufpoliert steht er in einem Pariser Museum, der geschwungene Jugendstilschreibtisch. Davor seine ehemaligen Besitzer, die sich fragen, ob er da auch geschätzt wird, mehr als zuvor im Alltagsbetrieb – und dann lächeln: weil es letztlich egal bleibt, lag es doch an einer Kette von Notwendigkeiten, dass das Möbelstück nun hier ist.
Mit einer „Sommerstunde“ hat es angefangen: Drei erwachsene Geschwister besuchen mit ihren Familien ihre alte Mutter in deren mit Kunst-Preziosen vollgeräumten, nobel baufälligen Landhaus-Idylle. Kein Routinebesuch, erfährt man schnell: Denn nur der Älteste lebt noch in Frankreich, hält nicht bloß geografisch Stellung (Charles Berling, in einer austarierten Akademiker- und Vaterrolle). Der jüngere Bruder (Jérémie Rénier) ist dem Ruf globalisierter Wirtschaft gefolgt, überwacht in China eine Sportschuhfirma. Die Schwester versucht sich hingegen als Schmuckdesignerin in den USA (Juliette Binoche mit wuseligem Blondschopf und – Detail am Rande – Clint Eastwoods Sohn Kyle als Boyfriend). Und man ahnt, dass diese Zersplitterung einiges mit der Person der Frau Mama (Édith Scob) zu tun hat, die monoman wie kultisch dem Andenken ihres Onkels huldigt, eines (fiktiven) postimpressionistischen Malerfürsten. Als dann der Trauerfall eintritt, stellt Regisseur Assayas, sehr plastisch mit Kunstgegenständen illustriert, die Kernfrage in den Raum: Wenn es heißt, dass man mit einem familiären Erbe auch ein kulturelles antritt, muss man dieses auch annehmen? Wie viel liegt einem an Landschaftsbildern von Corot, mag der noch so berühmt sein? Wie viel an einer zerbröselten Dégas-Skulptur? Oder, mit feiner Plotpointe versehen, an einer raren Vase, wenn die nicht für Blumen genützt wird?
Für Assayas bedeutete dies, nach Filmen über Schattenzonen universeller Popkultur (Demon-lover, Clean, Boarding Gate), eine Rückkehr in eine sehr französische, bürgerliche Sphäre. Hinter der Anknüpfung an Les Destinées sentimentales steht zum einen die Zusammenarbeit mit dem Musée d’Orsay, aus dem die Objekte stammen, aber auch, dass Assayas, wie er bei einem Wien-Besuch im Filmmuseum erzählte, unlängst eine vergleichbare Erbfolgesituation durchlief. Resultat ist eine fein gewobene Studie zu Familienbeziehungen mit schwelenden Konflikten und Wehmutsgefühlen, aber auch befreiendem Humor, dargebracht mit viel Ironie und unaufdringlicher Klasse bei Kamera- und Schauspielführung. Nicht ohne Grund sahen Kritiker darin einen der unterschätzten Top-Filme des Jahres.