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Lido Blog 1

| Thomas Abeltshauser |

Es tut sich also doch was auf dem Lido. Nachdem jahrelang nichts vorwärts ging beim Neubau eines Festivalzentrums, überrascht das älteste Filmfest der Welt bei seiner 71. Ausgabe mit einem runderneuerten Hauptkinosaal. Das Darsena, vormals nicht viel mehr als eine zugige Halle, schamhaft hinter dem Palazzo del Cinema versteckt, wurde mit viel Holz und bequemen Polstersesseln wiedereröffnet und wirkt jetzt im Inneren mit dekorativen Wandelementen wie ein gemütliches Gürteltier. Die Baugrube rechts vom Palazzo del Casinò freilich, wo vor Jahren der eigentliche Neubau wegen einer plötzlich entdeckten Asbestlast eingestellt wurde, besteht weiterhin. Mittlerweile wachsen schon Büsche und kleinere Bäume darauf, so als wolle die Natur gnädig ihren Mantel über die Geschichte legen. Und auch das ehrwürdige Hotel des Bains, Schauplatz von Viscontis Thomas-Mann-Verfilmung Tod in Venedig und einst neben dem Excelsior das wichtigste Haus auf dem Lido, bleibt weiter mit Holzbrettern und Bauzäunen verrammelt.

Von all dem lässt sich das Festival nicht beeindrucken, Leiter Alberto Barbera hat für seinen Wettbewerb offensichtlich aus dem Vollen schöpfen können, sodass bekanntere Festivalnamen in die bislang eher weniger in Erscheinung getretene Nebensektion „Giornati degli autori“ abgeschoben wurden, darunter Christoph Honorés Metamorphoses, eine Neuinterpretation der griechischen Mythologie, sowie One on One von Kim Ki-duk, der hier immerhin vor zwei Jahren mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Und auch Ulrich Seidls neuer Dokumentarfilm Im Keller läuft am Donnerstag außer Konkurrenz.

Eröffnet wird die Mostra heute Abend mit der Weltpremiere von Alejandro G. Iñarritus Birdman (or The Unexpected Virtue of Ignorance) und die schon im Titel anklingende Prätenziösität ist in dieser bitterbösen Satire auf das Showbusiness Programm. 25 Jahre nach seinem Welterfolg als Batman spielt Michael Keaton hier einen abgehalfterten Hollywoodstar namens Riggan Thomson, der mit einer selbstgeschriebenen und -inszenierten Raymond-Carver-Adaption am Broadway reüssieren und als Charaktermime ernst genommen werden will. Und jeder kriegt sein Fett weg, die Promis mit ihren Starallüren, die Kritiker und mit ihrem Snobismus und nicht zuletzt das Publikum mit seiner Sensationsgier und Konsumhaltung. Die Kamera schwebt durch diesen Theaterkosmos, durch unzählige Gänge, Kulissen und Garderoben, kreist immer wieder um seine Protagonisten und studiert jede Falte auf Keatons schütterem Haupt. Seine Besetzung ist das Herz dieses Films, sein Image als Schauspieler ist unerlässlicher Teil der Rolle. Und er spielt sie in all ihrer Unsicherheit und ihrem neurotischen Narzissmus mit einer Angstlosigkeit und Uneitelkeit, dass man nur den Hut ziehen kann. Wie überhaupt alle Figuren extrem gut besetzt und gespielt sind, von Thomsons Tochter und Assistentin (Emma Stone) über seinen Produzenten (Zach Galifianakis erstaunlich subtil) bis zu seinen Bühnenkollegen (Ed Norton als seine jüngere Nemesis, Andrea Riseborough als seine junge Geliebte, Naomi Watts als gute Freundin).

Es wird noch viel zu analysieren und schreiben geben bis zum Kinostart 2015… das Problem, das man bei Iñarritu hier wie schon bei früheren Filmen haben kann, ist das Ungleichgewicht zwischen inszenatorischer Brillanz, Schauspielführung, Ideenreichtum auf der einen und der doch allzu bekannten Story andererseits. Am Ende ist es nur eine weitere Version der Geschichte vom Fall eines in die Jahre gekommenen Stars im Showbiz. Aber man schaut ihm verdammt gern dabei zu. Ein düster-trauriger Abgesang auf das Hollywood der Comicblockbusterära, aber ein hoffnungsvoller Start für dieses Festival.