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Lido Blog 3

| Thomas Abeltshauser |

Al Pacino will gar nicht mehr aufhören zu erzählen, von alten Zeiten, von Brando, Hackman und Hoffman, sogar seine Highschoollehrerin kramt er am Ende noch heraus, als die Pressedame schon mehrfach höflich aber bestimmt das Gespräch abbrechen will. Er genießt die Aufmerksamkeit und lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Pacino ist auf dem Lido, um The Humbling vorzustellen: eine Philip-Roth-Adaption, inszeniert für ganz wenig Geld von Barry Levinson, über einen – und da setzt sich der mit dem Eröffnungsfilm Birdman begonnene Reigen mit Reflexionen über das Film- und Theatergeschäft weiter fort – ausgelaugten Schauspieler, dem die Leidenschaft für den Beruf abhanden gekommen ist. Bis eine junge Frau in sein Leben tritt, gespielt von Greta Gerwig, die ihm gesteht, schon seit ihrer Zeit als kleines Nachbarsmädchen für ihn zu schwärmen, später Lesbe wurde und für ihn auch gleich mit ihrer Professorin Schluss macht.

So amüsant wie das Interview ist der Film leider nicht. Es handelt sich um eine selbstmitleidige Altherrenfantasie gleich dreier in die Jahre gekommener Männer – Roth, Pacino, Levinson –, die mit dem cleveren Birdman bei weitem nicht mithalten kann.

Auch am Wochenende bleibt der Publikumsansturm aus. Am Sonntagmorgen lief die Pressevorführung von Fatih Akins The Cut vor halbleeren Rängen. Der lang erwartete Abschluss seiner Liebe-Tod-und-Teufel-Trilogie, eine Aufarbeitung des Völkermords an den Armeniern in der Türkei Anfang des 20. Jahrhunderts, nimmt sich 138 Minuten Zeit seine Geschichte zu erzählen: von einem armenischen Schmied(Tahar Rahim), von der Verschleppung seiner Familie 1915, bis zur Suche nach seinen Zwillingstöchtern durch die Wüste über Havanna bis nach North Dakota. Eine epochale Odyssee durch karge Landschaften, mit überwältigenden Bildern und einem Ton, der manchmal etwas zu märchenhaft wirkt. Am Drehbuch schrieb Mardik Martin mit, Autor von Martin-Scorsese-Filmen wie Mean Streets und Raging Bull, selbst gebürtiger Armenier. Der Genozid ist in der Türkei nach wie vor ein Tabu, die Reaktionen auf Akins Film sind schwer abzuschätzen.

Und dann lief da noch der Familienhorrorfilm Ich seh Ich seh, das von Ulrich Seidl produzierte Spielfilmdebüt seiner Frau Veronika Franz mit Ko-Regisseur Severin Fiala. In einem einsamen Einfamilienhaus am Waldrand, modern minimalistisch möbliert, warten zehnjährige Zwillingsbrüder auf ihre Mutter, die schließlich mit einbandagiertem Gesicht von einer Schönheits-OP nach Hause kommt. Und dann ist nichts mehr wie vorher. Die Mutter entpuppt sich als autoritäres Monster und die Jungs zweifeln bald daran, dass sich hinter der Maske tatsächlich Mama verbirgt. Die Indizien häufen sich und ein Machtkampf entspinnt sich, den das Regieduo als Atmosphäre des kalten Unbehagens und steigender Aggressivität inszeniert, ohne dass wirklich Spannung aufkommt, trotz der schrecklich schönen Bilder von Kameramann Martin Gschlacht (der auch Seidls Im Keller gefilmt hat). Die sorgfältig gesetzten Schockeffekte reißen kurzzeitig aus dem Kinosessel, aber erst die Wendung in den letzten zehn Minuten ist wirklich interessant. Und irgendwie schwebt der Geist von Michael Hanekes Funny Games über diesem Film.