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Little Joe

Filmkritik

Little Joe

| Roman Scheiber |
Eine schöne Blume als Quell des Glücks und Saat des Unheimlichen

Wenn es verbindende Elemente gibt in den Filmen Jessica Hausners – abgesehen von offensichtlichen Qualitäten wie kühlem Formbewusstsein oder Rhythmusgefühl –, dann sind es vielleicht diese: Es sind Filme, die sich ihre eigenen, nicht immer kohärenten Realitäten schaffen. Sie beschäftigen sich mit Ängsten, sie verweisen auf Übernatürliches oder Zauberhaftes, sie enthalten Widersprüche und Ambivalenzen. Und sie zeigen Figuren, die zwar häufig klare Rollen einnehmen (müssen), denen jedoch etwas Unberechenbares eignet, deren Handeln nicht immer psychologisch nachvollziehbar ist. Wenn nun jemand meint, so könnte man auch Merkmale von Märchen beschreiben, dann könnte man darauf sagen: Ja, in gewisser Hinsicht erzählt Hausner uns Märchen, um uns mit Grundfragen der menschlichen Existenz zu befassen.

In ihrem neuen Film Little Joe ist die Titelfigur eine schöne Blume. Sie ist benannt nach dem Sohn der alleinerziehenden Protagonistin, der auf Gentechnik spezialisierten Pflanzenzüchterin Alice (Emily Beecham), und sie soll ihm Freude bereiten: Wer nämlich die Blume hegt und pflegt, wer zärtlich zu ihr spricht, dem wird sie nicht nur wohligen Duft verströmen, sie wird ihn glücklich machen. Und so schmuggelt Alice die von ihr entwickelte Pflanze aus ihrer Firma nach Hause, was sie natürlich nicht dürfte, wodurch Little Joe also eine Art Makel anhaftet. Joe, ein leidlich normaler Teenager, könnte nun dadurch glücklich werden, dass er die Blume gedeihen lässt, oder indem er einfach sein Teenager-Dasein auskostet. Dass Alice zusehends ungemütlicher wird, mag an seinem Adoleszenzverhalten liegen oder auch daran, dass in ihrer Firma, die sich von der Glücksblume enormen Profit verspricht, Dinge allmählich aus dem Ruder und Menschen beiläufig aus der Bahn geraten. Avancen von Alices Assistenten Chris (Ben Whishaw) verkomplizieren die Sache noch. Doch schlau wird aus dem Ganzen nur, wer hinter das Offensichtliche zu blicken versteht.

Wie schon in Lourdes, Hausners Betrachtung katholischer Heilsversprechen, kommt es in Little Joe darauf an, woran man glaubt oder nicht glauben kann. Wer zum Beispiel an die Kraft einer Glückspflanze glaubt (oder auch nur an einen starken Placebo-Effekt), mag das Ende schwerer Antidepressiva gekommen sehen. Wer nicht daran glaubt, sieht es wohl eher als Abzocke. Ob man nun aber daran glaubt oder nicht, man vermag die Magie des Kinos in dieser Erzählung zu erkennen. Und wenn eine Mutter Angst davor hat, bald die emotionale Bindung zu ihrem Sohn zu verlieren, dann macht sie vielleicht merkwürdige, wundersame Dinge.