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Filmkritik

Live by Night

| Pamela Jahn |
Fast verschenkte Liebesmüh

Nicht viele Autoren schreiben mit der Leinwand im Hinterkopf, und nicht alle Romane sind fürs Kino gemacht. Die Geschichten von Dennis Lehane dagegen bieten sich der filmischen Umsetzung geradezu an, weshalb seine Stoffe in den vergangen Jahren immer wieder hochkarätige Regisseure anzogen, von Clint Eastwood (Mystic River, 2003) über Ben Affleck (Gone Baby Gone, 2007) bis hin zu Martin Scorsese (Shutter Island, 2010). Live by Night ist der neueste Zugang in dieser Reihe erfolgversprechender Adaptionen und es verwundert kaum, dass Lehane die Filmrechte zu seinem garantierten Bestseller bereits lange Zeit vor dem Erscheinen des stylischen Gangsterromans verkauft hatte. Zunächst hatte Leonardo DiCaprio ein Auge darauf geworfen, die Hauptrolle zu übernehmen, doch der drückte das Buch schließlich Ben Affleck in die Hand – leider, möchte man fast meinen.

Was nicht heißt, dass Live by Night ein schlechter Film ist. Die Geschichte um den irischstämmigen Kriegsheimkehrer Joe Coughlin (Affleck), der im gewaltregierten Boston der zwanziger Jahre vom Schmalspurgauner zum großen Gangster aufsteigt, hat Potenzial und lässt angesichts zahlreicher mehr oder weniger überraschender Wendungen selten Langeweile aufkommen: So wird Joe, der abtrünnige Sohn des Polizeichefs (Brendan Gleeson), zunächst aufgrund seiner heimlichen Affäre mit der Geliebten eines der einflussreichsten Gangsterbosse in der Stadt beinahe gelyncht, woraufhin er sich schließlich dem gegnerischen Pescatore-Clan verpflichtet, um Vergeltung zu üben. Sein neuer Arbeitgeber versetzt ihn zunächst nach Tampa in Florida, wo er bald zu einem der mächtigsten Männer im Alkoholschmuggelgeschäft aufsteigt und obendrein mit der schönen Schwester (Zoe Saldana) eines kubanischen Rum-Händlers anbändelt. All das bietet beste Voraussetzungen für ein elegant inszeniertes Gangsterdrama aus der Prohibitionszeit, das seine Referenzen zu Klassikern wie The Godfather oder Scarface aufweist. Auch die Besetzung kann sich sehen lassen: Gleeson ist hervorragend als Joes Vater, der trotz seiner Position als oberster Gesetzeshüter stets ein wachsames wie nachsichtiges Auge auf seinen Sohn hält, während Sienna Miller als irische Gangsterbraut überzeugt, die Joe vor lauter Leidenschaft beinahe das Genick bricht. Doch die größte Schwäche, der Affleck in seiner vierten Regiearbeit verfällt, ist die merkwürdig synthetische Gestalt des Films. Live by Night wirkt trotz der imponierenden Ausstattung wie eine hochpolierte, überladene Reproduktion der Romanvorlage, der eine Portion Dreck unter den Fingernägeln fehlt, um authentisch zu erscheinen.